Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Thailand

Lehren einer Revolte

Simon Hardy, Neue Internationale 150, Juni 2010

Am 19. Mai überfiel die thailändische Armee das Lager der aufständischen Rothemden mitten in der Hauptstadt Bangkok.

Als die Truppen ins Lager eindrangen, wurden mindestens 16 Menschen erschossen und noch viel mehr verwundet. Auch ein westlicher Journalist war unter den Toten. Seither sind mindestens 86 Menschen umgekommen.

Überlebende, die vor dem Angriff fliehen konnten, steckten symbolträchtige Gebäude wie die Börse in Brand. Die meisten Medien stellten dies als Beweis für die ‚sinnlose' Zerstörungswut der Rothemden dar. In Wahrheit war dies jedoch der verzweifelte Versuch einer Bewegung am Rande der Niederlage, noch ihren Protest mit einer letzten Botschaft an die Thai-Regierung und die Welt kund zu tun, dass ihr Anliegen ernst genommen werden soll.

Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre in Bangkok und angesichts der Breite der Anhängerschaft der Rothemden gleichzeitig in 23 Provinzen Thailands, um weitere Ausbrüche von Protesten unter Kontrolle zu bekommen. Selbst 24 Stunden nach dem ersten militärischen Eingreifen waren Teile von Bangkok immer noch nicht voll in der Hand von Armee und Polizei, doch das Rückgrat der Rothemden war gebrochen.

Das verweist auf die breite Unterstützung der Rothemden in der Bevölkerung. Nun schmachten die engagiertesten AktivistInnen, die bis zum Schluss Widerstand geleistet hatten, im Gefängnis und sehen Anklagen wegen Terrorismus und Hochverrats entgegen, die mit der Todesstrafe enden können.

Führungskrise der Rothemden

Als der Angriff begann, waren die Anführer der Rothemden jedoch trotz der Entschlossenheit ihrer AnhängerInnen nicht in der Lage, den Widerstand zu organisieren und zu führen.

Einer ihrer Führer, Jatupom Prompan, rief während des Angriffs von einer Bühne im Lager entnervt: „Ich entschuldige mich bei Euch allen, aber ich will nicht noch mehr Verluste. Ich bin auch am Ende. Wir werden kapitulieren.“ Andere FührerInnen der Rothemden hatte schon vor dem Angriff der Armee zum Rückzug aufgerufen und so auch eine deutliche Spaltung der Bewegung erkennen lassen. Nach neun Wochen Protest mit vielen Toten und Verwundeten stellte sich am Ende heraus, dass die FührerInnen der Rothemden, als es darauf ankam, Löwen sind, die brüllen, aber nicht beißen.

Die Hauptursache für die Niederlage der Rothemden ist das Fehlen einer Strategie ihrer Bewegung. Trotz ihrer Militanz war sie zum Scheitern verurteilt, weil diese kämpferische Haltung nicht mit einer Strategie verbunden war, welche die Militärherrschaft hätte untergraben und ernsthaft die Machtfrage aufwerfen können.

Obwohl die Rothemden die größte Unterstützung unter der städtischen Armut und den Bauern hatte, mobilisierte sie weder Kleinbauern noch städtische ArbeiterInnen als unabhängige gesellschaftliche Kräfte. So nutzte die Bewegung keine Taktiken wie Streiks oder den Generalstreik, welcher die Machtfrage gestellt hätte. Stattdessen beschränkte sie sich auf die Forderung nach Neuwahlen.

Die Ursache dieses strategischen Mankos ist einerseits die Haltung der Rothemden-FührerInnen, die Massenmobilisierungen nur als Druckmittel zur Stützung ihres eigenen Machtanspruchs zu gebrauchen. Andererseits drückt sich darin auch die Angst aus, dass die Massen ihre eigenen sozialen Interessen zum Ausdruck bringen und die Führung der Bewegung in Frage stellen könnten. Sehr schnell wären so auch die sozialen Privilegien vieler FührerInnen der Bewegung gefährdet gewesen.

Permanente Revolution

Schon 1848 erkannte Marx, dass die moderne Kapitalistenklasse unumkehrbar anti-revolutionär geworden war. Bei Kämpfen gegen Diktaturen oder undemokratische Regime neigen Kapitalisten und Kleinbürgertum immer zur Kapitulation statt zu konsequentem Kampf. Nach dem Scheitern der demokratischen Reformbewegungen in Europa 1848 argumentierte Marx, dass nur die Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen Ausgebeuteten den revolutionären Kampf bis zum Sieg führen könne. Dieser Kampf wirft aber nicht nur die Frage der Demokratie auf, er wirft auch die Frage des Eigentums über die Produktionsmittel und der Wirtschaftsordnung auf.

Die Führer der Rothemden sahen in ihrem Anhang aus Bauern und städtischer Armut stets nur Hilfskräfte. Für SozialistInnen dagegen steht stets die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse und der Unterdrückten im Mittelpunkt.

Trotz ihrer montanen Niederlage hat die Bewegung tiefe Spuren in Thailand hinterlassen. In der gegenwärtigen Wirtschaftslage ist eine Phase längerer Stabilität unwahrscheinlich.

Das Schicksal der Rothemden macht deutlich, dass selbst die Beachtung des Wählerwillens den Sturz der inneren Machtzirkel erfordert. Dazu gehört nicht nur die derzeitige Regierung, sondern auch die Justiz und die Armee-Führung. Eine Revolution muss zweifellos ebenso gegen die Monarchie auftreten, ungeachtet der verbreiteten Verehrung für den König in Thailand.

Die Bewegung muss auch für eine souveräne Verfassungsgebende Versammlung eintreten, für eine neue Verfassung, nicht nur für einen neuen Premierminister. Damit eine solche Versammlung demokratisch zusammentreten kann, muss die Bewegung eigene Organe herausbilden. Auf dem Land sind das Bauernräte, in den Städten Arbeiterräte. Diese Räte brauchen eigene bewaffnete Kräfte, um die bestehende Regierung zum Rücktritt zu zwingen und schließlich, um die Wahlen für die Versammlung zu organisieren und zu überwachen.

Revolutionäre Arbeiterpartei

In der Bewegung müssen RevolutionärInnen für den Aufbau einer Arbeiterpartei werben, die ein Programm erarbeitet, mit dem die demokratischen Rechte der ArbeiterInnen und Bauern durchgesetzt werden können. Es wird nötig sein, über die politische Revolution hinweg zur sozialen Revolution voran zu schreiten, zum Sturz des Kapitalismus und zum Aufbau einer sozialistischen Republik, die auf der Herrschaft von souveränen Arbeiterorganisationen und deren Verbündeten, den armen Bauern, beruht.

Nur diese Strategie, die Strategie der permanenten Revolution, kann den Kampf für Demokratie unabhängig von und gegen die bornierten Interessen einer Politikerclique zum Erfolg führen. Nur eine solche Partei kann die ArbeiterInnen und Bauern Thailands auch im Kampf um die Kontrolle über die Wirtschaft führen, damit die Ressourcen des Landes der Hebung des Lebensstandards der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung dient und nicht einer reichen Minderheit.

Die Bewegung der Rothemden ist geschlagen, doch die Probleme Thailands bleiben bestehen. Über kurz oder lang wird eine neue Bewegung entstehen, die aus dem Scheitern der Rothemden lernen wird.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 150, Juni 2010
*  Mega-Sozialraub der Regierung: Klassenkampf gegen die Kürzungswelle
*  Heile Welt
*  Europa: EU in der Krise
*  Griechenland: Am Scheideweg
*  1.-4. Juli: Europäisches Sozialforum: Lasst sie für ihre Krise zahlen!
*  Behr Stuttgart: Totgesagte leben länger
*  Ausschlussdrohungen gegen oppositionelle MetallerInnen: Schluss mit der Repression!
*  9. Juni: Auf zum Bildungsstreik!
*  Sexismus und Medien: Das öffentliche Weibchen
*  Fußball-WM: Unternehmen Fußball
*  Pakistan: UHS-Streik braucht Unterstützung!
*  Thailand: Lehren einer Revolte
*  Ölpest im Golf von Mexiko: Deep Watergate
*  Angriff auf Schiffskonvoi für Gaza: Israelische Armee ermordet FriedensaktivistInnen!