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Griechenland

Am Scheideweg

Hannes Hohn, Neue Internationale 150, Juni 2010

"Wir sind alle Griechen!“ skandieren Tausende auf den Straßen Europas, wenn sie dagegen protestieren, dass die Herrschenden ihre Krise auf die Massen abwälzen. Ihre Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen ist verständlich und berechtigt, denn solche drastischen Sparmaßnahmen, wie sie von der Regierung in Athen beschlossen wurden, sind auch in Madrid oder Bukarest - und bald auch in Berlin geplant.

Während die Anti-Krisen-Bewegung sich mit dem Kampf der GriechInnen solidarisiert, bekunden hierzulande Presse, Regierung und Kapital ihre Sympathie für die Sparmaßnahmen der Regierung Papandreou. So entdeckte Kanzlerin Merkel anlässlich des „Hilfspaketes“ für Athen (tatsächlich handelt es sich nur um erneute Milliardenhilfen für Banken und Spekulanten), dass auch Deutschland schon seit Jahrzehnten „über seine Verhältnisse gelebt“ habe. So realitätsfern diese Einschätzung angesichts der jahrelangen Reallohnverluste, der Einführung von Hartz IV usw. auch  ist - so geeignet erscheint sie den Herrschenden als „Argument“, um auch hierzulande neue und schärfere Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse zu starten oder darauf einzustimmen.

Und es wird nicht bei Ankündigungen bleiben, dafür ist die Situation für Europas Kapitalisten zu brisant: der Euro und damit die EU als strategisches imperialistisches Projekt sind in Gefahr, die gigantische Staatsverschuldung unterminiert das Finanzsystem und die gesamte Wirtschaft. Auch in diesem Sinn ist die Losung „Griechenland ist überall“ völlig richtig.

Angriffe

Wie Griechenland zeigt, kommt mit der finanziellen Schieflage schnell auch der soziale Friede ins Rutschen. Die Sparmaßnahmen, die Athen unter dem Druck von EU und IWF - man könnte auch Erpressung sagen - beschlossen hat, sind weitaus mehr als nur die berüchtigte Salami-Taktik: hier geht es um die ganze Wurst! Vorgesehen sind u.a.:

Stellenabbau und Gehaltsreduzierungen von (bisher) 15 Prozent im Staatssektor;

massive Kürzungen bei Lohnzuschlägen und Lockerung des Kündigungsschutzes;

Reduzierung öffentlicher Investitionen;

Kürzungen der Renten, Anhebung des Renteneintrittsalters;

Erhöhung der Mehrwertsteuer um 4 Prozent, drastische Anhebung der Massensteuern.

Diese Maßnahmen werden das Lebensniveau der Massen erheblich absenken, Armut und Not werden für viele ProletarierInnen Alltag. Andererseits unterminieren diese Maßnahmen zugleich auch die Nachfrage und die Konjunktur - ein Teufelskreis. Das griechische Dilemma erscheint noch größer, wenn man bedenkt, dass die ergriffenen Maßnahmen weniger Einfluss auf die Finanzlage des Landes haben könnten, als das spekulative Auf und Ab der internationalen Finanzmärkte. Um das Defizit bis 2012 auf die geplanten drei Prozent zu drücken, müssen in den nächsten beiden Jahren zudem weitere Kürzungen von mehreren Dutzend Milliarden Euro folgen.

Widerstand

Die gegenwärtige Situation in Griechenland muss als vorrevolutionär bezeichnet werden. Die Regierung ist höchst unpopulär und zu Maßnahmen gezwungen, die Massenwiderstand provozieren. Mehrere (eintägige) Generalstreiks mit tw. fast einer Million TeilnehmerInnen (bei ca. 11 Mill. Einwohnern) zeigen, dass die Arbeiterklasse, die Jugend und große Teile der Mittelschichten sich gegen die Maßnahmen der Regierung zur Wehr setzen. Sowohl die relativ starke griechische Linke als auch die großen Gewerkschaftsverbände sind in der Bewegung involviert und hätten genügend organisatorische Kraft, um die Regierung zu stoppen. Gerade im Vergleich zur Untätigkeit der hiesigen Gewerkschaften und der Schwäche der radikalen Linken in Deutschland sorgt der Widerstand der griechischen Arbeiterbewegung hier für Sympathie und Ermutigung.

Doch trotz der massiven Proteste der letzten Monate ist es der griechischen Bewegung bisher nicht gelungen, die Regierung zur Rücknahme ihrer Spar-Beschlüsse zu bewegen, geschweige denn, sie zum Rücktritt zu zwingen. So besteht die große Gefahr, dass die Regierung die Proteste aussitzt und abwartet, dass die Bewegung ermüdet. Und tatsächlich: Im Wettlauf mit den täglich wachsenden existenziellen Sorgen wird die Bereitschaft der Massen, jede Woche aufs Neue zu protestieren, ohne dass damit ein sichtbarer Erfolg erzielt wird, abnehmen.

Diese reale Gefahr wirft die Frage auf, warum die Bewegung trotz ihrer Massivität bisher erfolglos blieb. Die Antwort darauf ist nicht allzu schwer. Die bisherigen Generalstreiks waren stets auf einen Tag beschränkt. So blieben sie zwar ein wichtiges Mittel zur Mobilisierung der eigenen Kräfte, zur Heerschau der Massen. Das zeigt einerseits die eigene Stärke und macht Mut. Andererseits ist der eintägige Streik nur eine, wenn auch riesige Drohgebärde. Die eigentliche Aufgabe bestand und besteht also darin, das enorme Mobilisierungspotential zu stärken, den Druck auf ökonomischer wie politischer Ebene zuzuspitzen. Dazu ist heute der unbefristete politische Generalstreik das entscheidende Mittel.

Führungsdilemma

Verantwortlich für dieses Fehlen einer entschlossenen Perspektive und Kampfführung sind jene Kräfte, welche die Bewegung führen und kontrollieren. Hauptsächlich sind das die zwei großen Gewerkschaftsverbände GSEE (Privatwirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst). Beide stehen politisch der regierenden, links-nationalistischen PASOK nahe. Entsprechend ist ihre Haltung.

Um nicht ihr Gesicht und - schlimmer noch - ihre proletarische Basis zu verlieren, organisieren die Gewerkschaftsspitzen Proteste, um die PASOK-Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen und ihren Forderungen nach „Kürzungen mit sozialem Augenmaß“ Nachdruck zu verleihen. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Haushaltssanierung auf Kosten der Massen erkennen aber auch sie an. Die GSEE forciert zudem eine fatale nationalistische Kampagne „Griechen kaufen griechisch".

Wesentliche andere Kräfte an der Spitze der Bewegung sind das linke (Wahl)bündnis SYRIZA (Koalition der Radikalen Linken), dessen stärkste Kraft die aus einem Teil der KP hervorgegangene SYNASPISMOS ist. Auch wenn sie linker und durchaus aktiver bei den Mobilisierungen sind als die Gewerkschaften, verfügen auch sie über keine Strategie, die wesentlich über jene der reformistischen Gewerkschafts-Führungen hinausgeht. Der Vorsitzende von SYRIZA, Tsipras, plädiert für ein längerfristiges Modell von Kürzungen: „Es ist Unsinn, das Defizit in so kurzer Zeit zu senken. Wir müssen eine linke Alternative mit mittelfristigen Veränderungen entwickeln“ - um den sozialen Frieden nicht zu gefährden, wie er hinzufügte.

Diese Haltung hat zu einer inneren Polarisierung in SYRIZA geführt, die auf dem nächsten Kongress zu einer Spaltung und einem Bruch mit dem rechten Flügel führen könnte. Das wäre ein großer Schritt vorwärts. Ansonsten paralysiert sich SYRIZA selbst und ordnet sich faktisch der Blockade jeder anti-kapitalistischen Ausrichtung durch den rechten Flügel von SYNASPISMOS unter.

Neben SYRIZA gibt es das Bündnis ANTARSYA (Kooperation der Antikapitalistischen Linken für den Umsturz), in dem verschiedene zentristische Gruppen arbeiten, die aus trotzkistischer oder maoistischer Richtung kommen. Ihre Statements sind zwar kritischer gegenüber dem Agieren der Gewerkschaften und sie plädieren für eine Ausweitung der Streiks. Über eine revolutionäre Strategie der Machtergreifung und entsprechende Taktiken verfügt aber auch sie nicht.

Beide Bündnisse betonen, wie wichtig es sei, „linke Bündnisse“ zu schaffen. Damit berühren sie durchaus ein zentrales Problem. Soll die Spaltung der Linken überwunden werden, soll der politische Einfluss der PASOK und der mit ihr verbundenen Gewerkschaftsführungen gebrochen werden, steht eine Reorganisation der Linken an. Doch was heißt das? Wie und wozu soll ein solches neues Projekt aufgebaut werden?

Arbeiterpartei

Für MarxistInnen bedeutet ein solcher Prozess, den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiterpartei anzugehen. Es bedeutet: Diskussion und Erarbeitung eines Aktionsprogramms; das heißt scharfe Kritik und klare Forderungen an die Gewerkschaftsführungen; das heißt Orientierung auf die Schaffung von proletarischen Kampf- und Machtorganen (Streikkomitees, Milizen, Räte) und die Schaffung einer auf ihnen basierenden Arbeiterregierung. Diese müsste die gesamte Staatsmacht ergreifen und die Eigentumsverhältnisse umwälzen.

Wie realistisch ist eine solche Perspektive? Einerseits ist der Druck der Ereignisse groß. Eine  politische Kraft, die keinen Schritt nach vorn schafft, droht umso schneller unterzugehen. Die fortgeschrittensten Teile der Bewegung werden erkennen, wie unzureichend die aktuellen Führungen und deren Konzepte zur Lösung der Krise und zur Entfaltung des Widerstandes sind.

Andererseits hat sich die griechische Linke - wie die anderer Länder - bisher auch immer dadurch ausgezeichnet, dass sie einer programmatischen Klärung ausweicht und keine klare Unterscheidung von Einheitsfront und Partei vornimmt. Der Linke Flügel von SYRIZA wie ANTARSYA sind in dieser Beziehung weder Fisch noch Fleisch. So viel Einfluss beide in der Bewegung und in den Gewerkschaften auch haben - es ist mehr als offen, ob sie ihren reformistischen bzw. zentristischen Schatten werden überspringen können.

Zugleich besteht jedoch unserer Meinung nach keine Alternative, ja die dringende Notwendigkeit für KommunistInnen, in diesen Prozess in Griechenland aktiv einzugreifen. Es geht darum, die vor-revolutionäre Polarisierung der Gesellschaft zu einer revolutionären Situation voranzutreiben und eine Partei aufzubauen, die eine klare Linie auf die Machtergreifung des Proletariats verfolgt. Das ist auch deswegen notwendig, weil die - neben SYNASPISMOS - zweite, große linke Partei, die KKE, auch keine solche Alternative aufzeigt.

Die KKE

Die KKE ist die größte linke Kraft. Bei den letzten Parlamentswahlen erreichte sie 7,5%. Sie hat eine starke Verankerung in der Arbeiterklasse, deren Vorhut sie politisch dominiert, und in der Jugend. Zudem verfügt sie mit PAME über eine eigene, durchaus mobilisierungsstarke Gewerkschaft.

Doch die Politik der KKE basiert methodisch auf dem Stalinismus und ist ungeeignet dafür, einen Weg zum Sozialismus zu weisen. Das wurde auch in der Grundsatzerklärung zur aktuellen Lage von Aleka Papariga, Generalsekretärin des ZK der KKE, vom 15. Mai deutlich. Darin wird zwar am Ziel des Sozialismus festgehalten, doch es fehlen jegliche Übergangsforderungen, d.h. an konkreten Forderungen und Schritten, wie die aktuelle Protestbewegung damit verbunden werden kann.

Stattdessen wird die alte stalinistische Illusion vom Sozialismus in einem Land wieder aufgewärmt - nicht zufällig in Verbindung mit der nationalistischen Losung des Austritts aus der EU. Dabei könnte eine solche Perspektive - ohne Euro und EU - schon bald Realität werden, wenn die „Sanierung“ Griechenlands nicht gelingt. Doch selbst dann bliebe ein isoliertes sozialistisches Griechenland nur ein Hirngespinst.

Was der KKE-Erklärung v.a. fehlt, ist eine klare Kritik an den Gewerkschaften, an ihrer Zögerlichkeit und Perspektivlosigkeit. Die KKE hat auch keine Orientierung auf Arbeitermacht, also auf proletarische Kampf-  und (Doppel)machtorgane, auch fehlt eine Perspektive der Machtergreifung. So bleibt der Sozialismus der KKE nur ein Luftschloss ohne reale Bedeutung für den aktuellen Kampf.

Ähnlich wie in Frankreich die NPA hat der Klassenkampf auch in Griechenland den Aufbau einer neuen antikapitalistischen Partei real auf die Tagesordnung stellen. Doch eine erfolgreiche Entwicklung dabei setzt voraus, dass ernsthaft ein neues Programm erarbeitet wird, das die Halbheiten von KKE, SYRIZA und ANTARSYA überwindet.

Perspektive

Wenn der Widerstand gegen die Sparprogramme nicht im Sande verlaufen soll, muss die Bewegung zwei miteinander verbundene Aufgaben lösen: Die bisherigen eintägigen Proteste müssen in einen unbegrenzten Generalstreik münden, der solange dauert, bis die Sparprogramme vom Tisch sind und die Regierung zurückgetreten ist. An deren Stelle muss eine Arbeiterregierung treten, die sich auf demokratische, der Basis direkt verantwortliche Kampf-, Mobilisierungs- und Verteidigungsorgane in Betrieben und Städten stützt. Diese müssen national vernetzt werden und ein proletarisches Aktionsprogramm gegen die Krise erarbeiten und umsetzen. Eckpunkte eines solchen Programms wären:

Weg mit allen Kürzungsprogrammen von Regierung und EU! Gesetzlicher Mindestlohn für alle Beschäftigten! Für ein Programm öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Kontrolle der Gewerkschaften und von Aktionskomitees in den Betrieben!

Streichung aller Schulden Griechenlands! Enteignung des Banken- und Finanzsektors! Zusammenfassung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Streichung der Massensteuern! Progressivbesteuerung von Kapital und Reichtum!

Verstaatlichung aller großen Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!

Das alles kann jedoch nur umgesetzt werden, wenn zugleich der Einfluss der reformistischen und zentristischen Führungen in der Bewegung gebrochen wird. Letztlich braucht die Bewegung als Führung eine neue, revolutionäre Arbeiterpartei. Deren Aufbau, deren Programm, deren Politik müssen in den Organisationen der Linken und in den Gewerkschaften, in den Betrieben und an den Unis sowie in den Mobilisierungsstrukturen diskutiert werden!

Eine Perspektive hat der Widerstand der griechischen Arbeiterklasse aber selbst dann nur, wenn er mit dem internationalen Klassenkampf verbunden ist, wenn er von der Abwehr der Krise zum Kampf für den Sozialismus übergeht.

Für internationale Arbeitersolidarität und europaweit koordinierte Kämpfe gegen die Sparprogramme!

Für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa!

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Nr. 150, Juni 2010
*  Mega-Sozialraub der Regierung: Klassenkampf gegen die Kürzungswelle
*  Heile Welt
*  Europa: EU in der Krise
*  Griechenland: Am Scheideweg
*  1.-4. Juli: Europäisches Sozialforum: Lasst sie für ihre Krise zahlen!
*  Behr Stuttgart: Totgesagte leben länger
*  Ausschlussdrohungen gegen oppositionelle MetallerInnen: Schluss mit der Repression!
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*  Sexismus und Medien: Das öffentliche Weibchen
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