Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Behr Stuttgart

Totgesagte leben länger

Karl Olben, Neue Internationale 150, Juni 2010

Seit November 2009 ist bekannt, dass das Werk 8 mit 220 Beschäftigten geschlossen werden und weitere 180 ArbeiterInnen und Angestellte aus Verwaltung und Entwicklung in Stuttgart entlassen werden sollen. Seitdem kommt es immer wieder zu Protesten. Erster Höhepunkt war eine Kundgebung Anfang Februar, am 5. Mai rief die IG Metall erneut auf. „Der letzte Protest“ titelte der Redakteur des Financial Times Deutschland am 13. Mai. Er sollte sich irren, wie andere auch.

Die Kundgebung im Mai war nicht größer als jene im Februar, aber deutlich kämpferischer. So waren diesmal die ArbeiterInnen des benachbarten Maschinenbauers KBA dabei, die bereits seit letztem Sommer gegen den massiven Abbau und die Schließung der Produktion in Stuttgart-Feuerbach kämpfen. Noch im Februar starteten sie ihre eigene Aktion eine Woche vor den Protesten bei Behr. Die Spaltungsmanöver des zuständigen IG Metall-Sekretärs Schwarz funktionierten damals. Diesmal ließen es sich die KollegInnen nicht nehmen, erst durch das KBA-Werk zu marschieren, um dann umgehend zu Behr zu laufen und dort gemeinsam mit den KollegInnen zu demonstrieren.

Bei KBA will die Konzernleitung in Würzburg mit aller Macht die Umstrukturierung durchziehen, koste es, was es wolle. So wurden Leute entlassen und schon während der Kündigungszeit freigestellt, um Widerstandspotential loszuwerden, zugleich wurden LeiharbeiterInnen geholt, denn Aufträge waren da. Andere Standorte sind offensichtlich noch nicht in der Lage, diese Maschinen zu bauen. Die Wut der ArbeiterInnen ist entsprechend groß. Sie verweigerten in der übergroßen Mehrheit den Gang in die Transfergesellschaft und protestieren weiterhin mit Mahnwachen vor dem Werk.

Solidarität mit den Behr-KollegInnen zeigten aber auch 200 Vertrauensleute von Daimler Sindelfingen sowie Delegationen aus Untertürkheim, von Bosch, Coperion und vielen anderen. Die Vertrauensleute von Behr und Mahle traten in orangefarbenen bzw. blauen Warnwesten mit dem gleichen Text „Gemeinsam kämpfen“ auf und zeigten den Mahle-Bossen schon jetzt, dass sie zusammenstehen, noch bevor die Übernahme durch ist (siehe dazu auch den Artikel „Mahle Konzern: Übernahme auf Kosten der Belegschaft“ in NI 149).

Die Behr-KollegInnen kamen zwar auch mit einem Sarg anmarschiert, in dem das Werk zu Grabe getragen wurde - wer hatte wohl diese Idee??? - aber ihre Sprechchöre waren sehr lebendig. Die Rufe „Wir bleiben hier!“ und „Flik raus!“ richteten sich gegen den Geschäftsführer und seine Politik. Das wurde von der Betriebsratsvorsitzenden aus Kornwestheim aufgegriffen, sie forderte, Flik zu entlassen statt der ArbeiterInnen.

Die Wut wächst

Die gestiegene Wut und der sichtbare Kampfwille haben mehrere Ursachen. Nach vier Monaten Verhandlungen gab es zwar Zugeständnisse für die anderen Behr-Standorte, die von Abbau betroffen sind, für das Werk 8 aber rein gar nichts. Betriebsrat und IG Metall-Vertreter hatten aber versprochen: „Niemand verlässt das Unternehmen gegen seinen Willen“ und dass es keinen Abschluss der Gespräche ohne eine Lösung für alle Standorte geben würde.

Ende April war die Bombe geplatzt: die Unternehmerseite hatte in den Verhandlungen alle Vorschläge für eine Weiterführung des Werks 8 strikt abgelehnt. Die Belegschaft von Werk 8 war empört. Auch die Vertrauenskörperleitung kam nun in Bewegung. Sie organisierte den gemeinsamen Block mit Mahle am 1. Mai und sorgte, für eine kämpferische Rede des Vorsitzenden Zeleny am 5. Mai, die im Aufruf für ein öffentliches Soli-Komitee gipfelte.

Die Kompromisslosigkeit des Kapitals und die Wut der Beschäftigten brachten also Teile des Gewerkschaftsapparates und Funktionärskörpers in Bewegung - und traf offensichtlich auch auf eine kämpferischere Stimmung in anderen Teilen der Klasse - wenn auch nicht überall so wie bei KBA.

Zugeständnisse

Das beflügelt! Zu den folgenden Verhandlungsterminen waren immer über 100 ArbeiterInnen aus Werk 8 dabei, also mehr als die komplette Schicht. Mehrfach drangen sie in die Verhandlungsräume ein und konfrontierten die Kapitalseite mit ihren Forderungen. Und es gab Zugeständnisse:

zwei Vertreter der  Belegschaft konnten an den Verhandlungen teilnehmen;

die Abfindungen wurden von maximal 60.000 auf 100.000 Euro erhöht;

es wurde eine dreijährige Transfergesellschaft angeboten - eine völlig  ungewöhnliche Laufzeit;

es wurden Übernahmen in andere Werke angeboten.

Natürlich dienen solche Angebote immer dazu, die Kampffront zu spalten. Die weichste Stelle in jeder Front sind immer die reformistischen Apparate, in diesem Falle konkret die Betriebsräte und der IG Metall-Sekretär. So konfrontierten sie die kämpfende Belegschaft sofort mit der Alternative „Transfergesellschaft oder Kündigung zum 30. Juni“.

Aber solche Angebote zeigen auch eine Nachgiebigkeit des Gegners. Bei der Verhandlung am 19. Mai drehte die Belegschaft den Spieß um: KollegInnen, die erneut in das Verhandlungslokal eingedrungen waren, forderten von der Geschäftsführung, das Ultimatum und die Kündigungsdrohung zurück zu nehmen. Sie hatten Erfolg! Seit Ende Mai ist die große Mehrheit der Beschäftigten geschlossen gegen eine Transfergesellschaft.

Ganz offensichtlich haben die kämpferischen KollegInnen vom Werk 8 im Mai das Geschehen bestimmt. Die Geschäftsführung musste Zugeständnisse machen, die sie nicht wollte. Die Vertrauenskörperleitung von Behr ihrerseits wollte das Solidaritätskomitee nicht mehr, das sie selbst gegründet hatte.

Kurzlebiges Komitee

Die Tatsache, dass die Belegschaft beeinflussen konnte, wo es lang ging, machte dem Vorsitzenden Zeleny offenbar Sorgen. Noch vor der Aktion am 19. Mai vor Beginn der Verhandlung, schrieb er an alle Mitglieder des Soli-Komitees:

„Die VKL Behr entscheidet, welche Aktionen gemacht werden. Wir haben auch klar betont, dass wir uns weder gegen die IGM, noch gegen die Verhandlungskommission stellen und das die Aktion morgen, klar eine Unterstützung für die Verhandlungen sein soll.“

Damit sabotierte er die Aktion, die das Soli-Komitee einstimmig mit seiner Beteiligung beschlossen hatte. Den Konflikt mit der Mehrheit der Werk 8-Belegschaft schiebt er einem anderen Betriebsrat in die Schuhe, der über eine eigene, kämpferische Liste gewählt wurde:

„Unsere Befürchtungen über Mehmet und seinen Anhang haben sich wieder bestätigt.

Er möchte die organisierte Veranstaltung gegen unsere Verhandlungslinie nutzen.“

Schon zur Gründung des Komitees hatte er verlangt, dass die Mitglieder der anderen Liste den Raum verlassen. Alle anderen Anwesenden wiesen dies zurück und unterstützten den Vorschlag des Vertrauenskörperleiters von Mahle, Fritz, der vorschlug, dass die innerbetrieblichen Konflikte bei Behr nicht im Komitee ausgetragen werden und alle Kräfte aus dem Betrieb im Komitee mitarbeiten sollten. So gab es beim einzigen Treffen des Komitees eine sachliche Debatte - auch zum Thema Transfergesellschaft - und die Aktion für den 19.5. wurde verabredet.

Gewerkschaftliche Demokratie und Einheitsfront

Bei Behr ist es in dieser Situation ganz eindeutig der Funktionärsapparat der IG Metall, der die Listenwahl zum Betriebsrat zur Spaltung der Belegschaft nutzt. Auch wenn dabei persönliche Rechnungen eine Rolle spielen, politisch sind die Manöver genauso zu werten, wie der Druck des Betriebsrats, die geschlossene Front der ArbeiterInnen durch Altersteilzeit, Versetzungen in andere Werk usw. aufzubrechen.

Verteidigung der gewerkschaftlichen Demokratie heißt dabei nicht nur, solche Angriffe und auch Ausschlüsse aus der IG Metall für Linke und ArbeiterInnen zurück zu weisen, sondern auch umgekehrt zu verlangen, dass die Verhandlungskommission der Belegschaft gegenüber rechenschaftspflichtig ist, und dass Belegschaftsvertreter an den Verhandlungen teilnehmen.

Über die Aktionen im Werk 8 darf nicht die VKL allein entscheiden. Ein Aktionskomitee der Vertrauensleute aus dem Werk 8 - erweitert durch VertreterInnen, die auf einer Belegschaftsversammlung gewählt werden - muss die Aktionen planen. Das letzte Wort muss die Vollversammlung haben!

Auch wenn das Solidaritätskomitee als Initiative der Vertrauenskörperleitungen von Behr und Mahle nur zwei Wochen erlebte, ändert das nicht daran, dass Differenzierungen im Apparat genutzt werden können und müssen, um an die weniger bewussten Teile der Belegschaft ranzukommen und politische Mehrheiten zu verändern.

Bei Behr in Stuttgart ist die Belegschaft von Werk 8 eher isoliert, die Angestellten aus den Zentralbereichen lassen sie allein. Umso wichtiger ist der gemeinsame Kampf mit anderen Belegschaften und eine Taktik, die Vertrauensleute und Betriebsräte der Mehrheit an den anderen Standorten in die Pflicht nimmt.

Die Schließung von Werk 8 wird letztlich nämlich nur durch eine Besetzung des Werkes zu verhindern sein. Damit diese gegen die Konzernführung ihre Ziel durchsetzen kann, muss aber auch die Solidarität der KollegInnen der anderen Standorte und Abteilungen von Behr errungen werden, müssen die Mehrheitsverhältnisse gekippt werden.

Natürlich blockiert das die IG Metall heute, wo sie kann. Sowohl die Versammlung wie die Aktion des Solidaritätskomitees waren aber keine Initiativen von linken Bündnissen, sondern von Organen der Gewerkschaft, von „offiziellen“ VertreterInnen der Belegschaften. Sie standen damit im direkten Gegensatz zum Handeln z.B. des Sekretärs Schwarz, der schon vorher verkündet hatte, dass die Schließung des Werkes beschlossen sei.

Werksbesetzung notwendig

Aber selbst wenn so ein offensichtlicher Verräter wie Schwarz plötzlich wieder Widerstand organisieren würde - was nur massiver Druck der Basis bewirken könnte - müssten natürlich alle, die die ArbeiterInnen im Werk 8 unterstützen wollen, bei dieser Aktion mit machen. Ja, sie müssten sogar versuchen, diese Aktionen weiter zu treiben, und zugleich versuchen, dass die ArbeiterInnen die Kontrolle darüber bekommen.

Warum? Erstens, weil bei „offiziellen“ Aktionen der Gewerkschaft Beschäftigte mitmachen, die dies sonst nicht tun. Das ist der praktische Ausfluss der Kontrolle der Klasse durch die Reformisten. Zweitens geben solche Aktionen auch RevolutionärInnen die Chance, an die Massen heran zu kommen und den Einfluss der ReformistInnen zu bekämpfen. Welcher Arbeiter, welche Arbeiterin kann die Zick-zacks eines Zeleny verstehen? Genau das macht ihn aber gegenüber revolutionärer Kritik an seiner Praxis viel verwundbarer als Flugblätter, die - zu Recht - vor seinem zukünftigen Verrat warnen.

Der „letzte Protest“ hat also ökonomisch - die Zugeständnisse des Managements - als auch politisch im IG Metall-Apparat einiges bewirkt. Er hat aber noch mehr Potential, wenn die Solidaritätsbewegung jetzt weitergeht und dabei Kräfte eingebunden werden, die früher nicht dabei waren.

Das eröffnet auch die Perspektive, die Schließung von Werk 8 mit einer Werksbesetzung zu stoppen und so ein Beispiel für andere Belegschaften zu schaffen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 150, Juni 2010
*  Mega-Sozialraub der Regierung: Klassenkampf gegen die Kürzungswelle
*  Heile Welt
*  Europa: EU in der Krise
*  Griechenland: Am Scheideweg
*  1.-4. Juli: Europäisches Sozialforum: Lasst sie für ihre Krise zahlen!
*  Behr Stuttgart: Totgesagte leben länger
*  Ausschlussdrohungen gegen oppositionelle MetallerInnen: Schluss mit der Repression!
*  9. Juni: Auf zum Bildungsstreik!
*  Sexismus und Medien: Das öffentliche Weibchen
*  Fußball-WM: Unternehmen Fußball
*  Pakistan: UHS-Streik braucht Unterstützung!
*  Thailand: Lehren einer Revolte
*  Ölpest im Golf von Mexiko: Deep Watergate
*  Angriff auf Schiffskonvoi für Gaza: Israelische Armee ermordet FriedensaktivistInnen!