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China

Abwertung fördert weltweite Instablität

Peter Main, Infomail 836, 23. August 2015

Fünf Wochen nach den kursstabilisierenden Eingriffen der Regierung an der Schanghaier Börse zeigen die Aktienpreise immer noch große Schwankungen. Am 18. August schlossen sie mit 6% Minus ab. An einem Punkt des Folgetages fielen sie um weitere 9%. Mehr als die Hälfte der registrierten Aktiengesellschaften befand sich hier im maximalen täglichen Verlustbereich von 10%. Später erholten sich die Kurse auf 3794,11, was einem Tagesanstieg von 1,2% entsprach.

Zu unmittelbaren Ursachen für dieses Auf und Ab zählten computergestützte Handelsprogramme, die den Markttrends folgten, und die Versuche der BrokerInnen, Vorteile aus der Selbstverpflichtung der Regierung zu ziehen, den Schanghai-Index nahe der Marke von 4000 zu halten. Im Verlauf des Tages wurde angekündigt, dass Central Huijin Investment, die Regierungsinvestmentgesellschaft, weitere 20 Milliarden Yuan, etwa 2,78 Mrd. Euro, in Verfolgung diesen Zieles in chinesische Banken gesteckt hatte. Trotzdem schlossen mehrere Banken an diesem Tag, darunter die Bank of China, Chinese Construction Bank und die Agricultural Bank.

Hinter dieser Nervosität stecken jedoch mächtige Zwänge, die die Märkte weiter abwärts trieben, falls es die Regulierungen zuließen. Die Entscheidung der Zentralbank, der People’s Bank of China (PBoC), letzte Woche, den Yuan an drei aufeinanderfolgenden Tagen abzuwerten, hat nach den Aktienpreisstürzen von Anfang Juli das Vertrauen weiter unterhöhlt. Die Abwertung wurde als Reaktion, vielleicht eine recht panikartige, auf eine Reihe nach unten weisender Wirtschaftsindikatoren gewertet.

Die Juli-Exportziffer belief sich auf 195,1 Mrd. US-Dollar – 8,3,% niedriger als im Vorjahresmonat – und die Importe sanken im neunten aufeinanderfolgenden Monat um 8,1,% im Jahresvergleich auf 152,1 Mrd. US-Dollar. Obendrein fiel die Geschäftsaktivität im Juli auf ihr niedrigstes Niveau seit 2013 laut Caixin/Markit China Manufacturing Purchasing Manager’s Index, der von 49,4 im Juni auf 47,8 im Juli abrutschte. Auf dieser Skala bedeutet jede Zahl unter 50 ein Schrumpfen.

Die Bedeutung dieser Zahlen wurde klargemacht, als die jüngsten amtlichen Ziffern veröffentlicht wurden: die BIP-Wachstumsrate im 1. Halbjahr lag bei nur 7%, der niedrigsten seit Jahrzehnten. Das ganze Zahlenwerk deutet klar darauf hin, dass China sein Ziel von 7% BIP-Plus dieses Jahr verfehlen wird. Und dies sind die offiziellen Zahlen; inoffizielle Voraussagen, die auf Ersatzindikatoren für den Wirtschaftsausstoß basieren wie Stromerzeugung, Energieverbrauch, Schiffstonnage mutmaßen, das Wirtschaftswachstum könne unter 5% betragen.

Es wird befürchtet, dass Peking durch Stützung der Binnenwirtschaft den zögerlichen Weltwirtschaftsaufschwung effektiv torpediert. Im Gefolge des riesigen finanziellen Impulses über etwa 400 Mrd. US-Dollar, mittels deren Peking die globale Finanzkrise und Depression nach 2008 parierte, trat die amtliche Politik für eine sanfte Abschwächung der Wachstumsraten ein, flankiert von einer „neuen Balance“ der Wirtschaft weg von Infrastruktur- und Gewerbeinvestitionen hin zu gesteigerter Endverbrauchernachfrage.

Doch während die Wirtschaft sich sicher abkühlt, findet die erwünschte neue Balance nicht statt und das Abschwungstempo scheint außer Kontrolle zu geraten. Peking scheint zu versuchen, die Volkswirtschaft durch Abwertung zu stimulieren, die Exporte in andere Länder verbilligt, aber Auslandsimporte verteuert, um Verkäufe im Inland hergestellter Güter zu beleben.

Die Furcht besteht, dass dies eine Kette von Abwertungen zwecks Wettbewerbsfähigkeit durch andere Länder provoziert, da jedes versucht, seine Exporte zu steigern, während es Importe drosselt. Bei diesem Szenario würde der Welthandel insgesamt nachlassen, zum Nachteil aller Länder. Nirgendwo wäre das wahrer als für China. Peking mag langfristig die Exportabhängigkeit zu mindern wünschen, aber gegenwärtig wäre das total kontraproduktiv.

Darüber hinaus ist der Yuan seit der weltweiten Krise an den US-Dollar gekoppelt. Chinesische Güter haben ständig im Preis zugelegt, weil der Dollar sich in den letzten Jahren gestärkt hat. Tatsächlich ist der Yuan im letzten Jahrzehnt um ca. 30% gegenüber dem Dollar aufgewertet worden, so dass die verhältnismäßig milde Abwertung – zur Zeit weniger als 4% – eher als berechtigte Korrektur denn als aggressive Initiative daherkommen kann.

IWF

Aus der Sicht der Gesamtentwicklung Chinas mag es die Methode hinter der Abwertung durch die PBoC sein, die bedeutsamer als das Ausmaß der Abwertung selbst ist. Mit der Ankündigung ihrer Politik am 11. August erklärte die Zentralbank, in Zukunft dürfe der Außenwert des Yuan täglich um 2% schwanken. Seine Zielmarke würde täglich neu im Verhältnis zu den Preisbewegungen des Vortags fixiert. Wenn also der Wechselkurs an einem beliebigen Tag um sein Maximum von 1% fällt oder steigt, wird dieser zum Angelpunkt der erlaubten Schwankungen am nächsten Tag. Über eine geraume Periode würde das heißen, die „Marktkräfte“ könnten langsam, aber sicher den Wert des Yuan bestimmen. Innerhalb von vier Tagen seit der ursprünglichen Abwertung führte dies zu einem leichten Anstieg des Yuan im Vergleich zum Dollar.

Das ist eine gewichtige Änderung der Methode weg von der einfachen Wechselkursfestsetzung durch die Zentralbank mit Marktinterventionen im Gefolge, um ihn zu stützen. Es ist vollständig im Einklang mit einer Regierungspolitik, von der Vergangenheit ererbte und bis jetzt erhalten gebliebene Elemente staatlicher Regulierung  zwecks Sicherstellung eines hohen Maßes an Staatkontrolle abzuschaffen, wenn auch die Planung als solche vor fast 20 Jahren aufgegeben worden ist.

Ganz abgesehen von unmittelbaren Auswirkungen auf Ein- und Ausfuhren ist das Ziel dieser Politik ein doppeltes: erstens den Anspruch des Yuan zu bekräftigen, in den Währungskorb des IWF zu gelangen, auf den dieser seine „Sonderziehungsrechte“ gründet und somit sich in Richtung Reserveweltwährung zu bewegen; zweitens den kommerziellen Druck auf chinesische Firmen zu erhöhen, internationalen Produktivitäts- und Qualitätsstandards zu entsprechen, indem sie verstärkt dem Druck des Weltmarktes ausgesetzt werden.

Ersteres mag als Resultat der „Abwertung“ einen Schritt näher gerückt sein. Der IWF kündigte bei seiner Entscheidung über eine Änderung seines gegenwärtigen Währungskorbes (Dollar, Yen, EURO, Pfund) eine Verschiebung auf Oktober nächsten Jahres an – ein sehr klares Zeichen, dass der Yuan darin eingeschlossen sein könnte.

Konzentration

Ein deutliches Beispiel für den zweiten Punkt liefert die Automobilindustrie. China ist weltgrößter Autoproduzent. Im letzten Jahr erreichte die Erzeugung 24 Millionen Fahrzeuge, mehr als USA und Japan zusammen. Während aber in jenen Ländern nur eine Handvoll Hersteller existieren, gibt es in China mehr als 170 und ihre Gesamtkapazität übertrifft die Binnennachfrage um 11 Millionen Fahrzeuge! Etwa 30% der Kapazitäten liegen deshalb brach, weil die Produktionsstandards für den Weltmarkt zu niedrig sind. Unausweichlich muss es zu einem gewaltigen Verschmelzungsprozess kommen, um Kapital zu konzentrieren und zu zentralisieren, das in Produktionstechnologien investiert wird, die die Erschließung von Auslandsmärkten gestatten.

Das ist nur ein Aspekt dringlicher Notwendigkeit, interne chinesische Wirtschaftsmechanismen auf Augenhöhe mit den Normen fester etablierter imperialistischer Mächte zu bringen, deren Banken und Monopole Produkte einer mehr als 100 Jahre dauernden kapitalistischen Konkurrenz und Entwicklung sind, statt der bürokratischen Planung zu entstammen, die das Fundament für Chinas Industrie gelegt hat.

Gleichzeitig entwickelt China die anderen charakteristischen Merkmale einer voll entfalteten imperialistischen Macht. 2013 erreichte der Kapitalexport die Jahresmarke von 140 Mrd. US-Dollar mit so unterschiedlichen Ländern wie der Mongolei, Nigeria, den USA und dem Vereinten Königreich von Großbritannien. Peking sucht nicht nur nach Versorgung mit Rohstoffen und Energie, nach Märkten für seine eigenen Güter, sondern auch nach Produktionsstätten im Ausland.

Der fundamentale Antrieb zur Produktivitätssteigerung durch Ersatz lebendiger Arbeit mittels Maschinen ist nirgendwo deutlicher sichtbar als in der Provinz Guangdong, seit Jahrzehnten Chinas fortgeschrittenster Region. Im April diesen Jahres nahm in der Großstadt Dongguan die erste vollautomatisierte Fabrik ihren Betrieb auf. Shenzhen Everwin Precision Technology Company Co. Ltds neues Werk wird nur 200 ArbeiterInnen beschäftigen; gegenwärtig sind es 1800.

Die Betonung auf Förderung der „Marktkräfte“ zwecks Herbeiführung solchen Wandels bedeutet jedoch nicht das Ende von Staatsintervention und –überwachung. Die Provinz Guangdong erwartet in den nächsten drei Jahren eigene Ausgaben von 943 Mrd. Yuan (ca. 130 Mrd. Euro) für Subventionen an Firmen, um Roboterproduktionslinien herzustellen und einzurichten.

Langfristig wird Chinas stetiges Fortschreiten als imperialistische Macht offensichtlich zu Hause wie international große Auswirkungen haben. Doch unmittelbar macht der Effekt der aktuellen wirtschaftlichen Abkühlung auf den Rest der Welt mehr Kopfzerbrechen. China spielte eine Schlüsselrolle nach der Krise dabei, Länder wie Brasilien, Nigeria und Australien aus dem Abschwung zu ziehen. Jetzt schwindet dieser Effekt dahin. Zusätzlich wird die Abwertung Einfuhren hochwertigerer Güter wie Werkzeugmaschinen und Luxuslimousinen besonders aus Europa einschränken, dessen Konjunktur schon schwach ist. Kurz, China wird aus einer Stabilitätsquelle der Weltwirtschaft in der Periode unmittelbar nach 2009 schnell zu einer Quelle für Instabilität erster Güte.

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