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Netzpolitik

Von NSA bis NSU - Geheimdienste zerschlagen

Alex Mayer, Neue Internationale 202, September 2015

Einmal mehr zeigte der bürgerliche Staat mit seinen Repressionsorganen die Zähne, als er versuchte, den kritischen Internetblog netzpolitik.org mit einem Verfahren wegen Landesverrats zum Schweigen zu bringen. Inzwischen wird gegen netzpolitik.org zwar nicht mehr wegen Landesverrats ermittelt, aber geändert hat sich wenig.

Netzpolitik

Schon lange beschäftigen sich netzpolitik.org und sein Gründer Markus Beckendahl mit Themen wie staatliche Überwachung, Internetrechten, Open-Source-Software und Urheberrechten im Internetzeitalter. Es hat sich damit seit der Gründung 2002 zu einer der wichtigsten Adressen im deutschsprachigen Web gemausert. Mehrfach wurde der Blog deshalb ausgezeichnet. Nach der Snowden-Enthüllung zur massiven Komplettüberwachung des Internets durch die NSA, veröffentlichte netzpolitik.org auch Protokolle aus dem NSA-Untersuchungsausschuss.

Im Frühjahr 2015 publizierte der Blog einen Artikel, der sich mit dem Aufbau einer neuen Einheit im Verfassungsschutz beschäftige, deren Aufgaben in der Überwachung des Internets insbesondere von Social Media Portalen wie Facebook liegen soll und z.B. Profile von „Radikalen“ und „Extremisten“ analysieren und ausspähen soll. Hierbei wurden auch Auszüge aus als „VS-vertraulich“ gekennzeichneten Berichten des Verfassungsschutzes veröffentlicht. Durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wurde Strafanzeige gestellt, und im Mai 2015 eröffnete Generalbundesanwalt Harald Range ein Verfahren mit dem Tatvorwurf des Landesverrats (§94 StGB).

Nicht nur Beckendahl sah sich an die Spiegelaffäre erinnert und sah das Ganze als Einschüchterungsmaßnahme gegen kritischen Journalismus jenseits der Massenmedien an. Schon bald folgten viele kritische Reaktionen und (Oppositions-) politikerInnen und Personen des Öffentlichen Lebens protestierten, nicht nur im Netz, sondern auch in Form von kurzfristig angemeldeten bundesweiten Demonstrationen z.B. mit bis zu 2.000 Menschen in Berlin. Selbst die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) kritisierte das Verfahren. Justizminister Heiko Maas (SPD) distanzierte sich sogar von der Bundesanwaltschaft, was wiederum u.a. bei VertreterInnen von Exekutive und Judikative auf Kritik stieß.

Schlussendlich wurde unter dem Druck dieser Öffentlichkeit das Verfahren eingestellt, der Generalbundesanwalt in den Ruhestand geschickt und das Thema verschwand wieder in der medialen Versenkung. Wie schon nach der Enthüllung der NSA-Überwachung mit deutscher Beteiligung und der Rolle des Verfassungsschutzes bei der Aufklärung des NSU-Komplexes herrscht Schweigen bei den politisch Verantwortlichen, es wird abgewiegelt und die staatlichen Repressionsorgane machen weiter, als wäre nichts geschehen, tw. glänzen PolitikerInnen sogar mit ganz neuen Vorschlägen zur Beschneidung der im Kapitalismus ohnehin stark strapazierten „freien Meinungsäußerung“. So wird angesichts der rechtsradikalen Hetze von Rassisten und Nazis im Web bereits wieder davon gesprochen, wie man mit Hilfe der Internetkonzerne wie Facebook bestimmte Inhalte gleich sperren und löschen könne. Bezeichnenderweise ist hier Justizminister Maas an vorderster Front dabei und steht dazu mit Facebook in Kontakt (siehe: „Rechte Hetze im Netz: Was will Maas eigentlich von Facebook?, von Kirsten am 31. August 2015, www.netzpolitik.org, abgerufen am 03.09.2015). Erfahrungsgemäß werden dann die Maßnahmen gegen rechte Hetzer aber v.a. auch gegen Linke angewendet.

Was bleibt vom Landesverrats-Vorwurf?

Wieder einmal wurde versucht, mit der Brechstange - diesmal das juristische Totschlagargument „Landesverrat“ - gegen kritische Veröffentlichungen vorzugehen, diesmal ist Goliath gescheitert und für David ist es ein kleiner Erfolg, dass die Repression gegen netzpolitik.org zurückgeschlagen werden konnte. Doch auf diesem Erfolg sollten sich AktivistInnen, Linke und GeheimdienstkritikerInnen nicht ausruhen. Das eigentliche Kernthema, um das es geht, ist damit selbstverständlich nicht erledigt. Es ist Fakt, dass der Haushalt des Verfassungsschutzes als „geheimhaltungsbedürftig“ eingestuft wird und nur „Zuschüsse“ im offiziellen Bundeshaushalt veröffentlicht werden. Im Jahr 2013 bekam das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 206 Mill. Euro „Zuschuss, dieses Jahr 230 Millionen, ein Plus von 12 Prozent.

Auch das neue Vorhaben des Verfassungsschutzes bezüglich der Internetüberwachung bleibt unangetastet. Schon lange ist von einer Reform der Geheimdienste, wie sie nach dem NSU-Skandal gefordert worden ist, keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil: egal, ob BND, BfVS, BKA oder LKA, die Daumenschrauben der inneren Sicherheit werden weiter angezogen. Seien es §129a oder b, Verfahren gegen UnterstützerInnen der KurdInnen in Rojava oder mehr Internetüberwachung zum angeblichen Schutz vor Islamisten; im Notfall müssen auch die Rassisten bei Facebook herhalten, wo doch gerade der VS sonst gern das rechte Auge zudrückt und im NSU-Prozess die Aufklärung auch seiner Rolle blockiert, wo es nur geht. Das „Versagen“ der Schlapphüte gegenüber dem faschistischen Terror des NSU lässt tief blicken.

Nicht erst seit dem Verfahren gegen netzpolitik.org zeigt sich, dass Geheimdienste es gar nicht schätzen, wenn ihre Machenschaften im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Einmal mehr zeigt sich, wie repressiv der bürgerliche Staat gegen Kritiker und Gegner vorgeht. Ein „Skandal“ reiht sich an den anderen.

Geheimdienste zerschlagen!

Wir machen uns keine Illusionen, dass mit kritischer Öffentlichkeit oder Untersuchungsausschüssen die Rolle der Geheimdienste im Kapitalismus grundlegend verändert werden könne oder diese „besser“ oder anders arbeiten. Inlandsgeheimdiensten ist es immanent, dass sie die Bevölkerung und soziale Bewegungen überwachen und KritikerInnen bekämpfen. Was wir benötigen, ist eine Massenbewegung gegen staatliche Überwachung und Datensammelwut durch Konzerne. Wir sollten uns dabei jedoch nicht täuschen - herrschende Klasse und bürgerlicher Staatsapparat werden sich jedes technisch möglichen Mittels zur Überwachung, Kontrolle und Unterdrückung bedienen. Sie werden sich dabei auch von ihren eigenen Gesetzen an der Verteidigung ihrer Interessen nicht hindern lassen.

Was wir brauchen, ist daher nicht nur ein Bewusstsein über technische Vorgänge und Möglichkeiten der Geheimdienste und deren Nutzung zur Repression, sondern v.a. auch ein Verständnis der Klasseninteressen, zu deren Verteidigung sie dienen. Unsere Losung muss daher lauten: Zerschlagung aller Geheimdienste ohne Wenn und Aber.

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Nr. 202, September 2015
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