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Britannien

Wirbel in der Labour Party

Frederik Haber, Neue Internationale 202, September 2015

Scheinbar aus heiterem Himmel ist die Labour Party in heftige Turbulenzen geraten und zum zentralen Thema der Medien geworden. Wird womöglich Jeremy Corbyn, ein ausgewiesener Linker, am 12. September 2015 zum neuen Vorsitzenden der Partei gewählt?

Die Sache hat zwei Vorgeschichten. Einerseits die Geschichte der Partei, die seit Jahrzehnten einen konsequenten Weg nach rechts gegangen ist, getrieben von ihren immer weiter nach rechts gehenden Vorsitzenden; anderseits die politische Lage in Britannien nach der Wahl vom Mai 2015.

Bei diesen Wahlen konnten die Konservativen, die „Tories“, die absolute Mehrheit der Sitze erreichen, obwohl sie nur 36,9% der Stimmen auf sich vereinen konnten. Möglich wird das durch das dortige Wahlrecht, bei dem aus einem Wahlkreis nur die Person mit den meisten Stimmen entsandt wird und alle anderen Stimmen verfallen. Umgekehrt verlor Labour trotz leichter Stimmengewinne rund 50 Sitze in Schottland an die Schottische Nationale Partei (SNP), die dort 56 von 59 Sitzen erringen konnte.

Der Vorsitzende der Partei, Ed Miliband, trat daraufhin zurück. Das Establishment der Partei gab ihm die Schuld für die Niederlage, da er zu „links“ gewesen sei. Milibands „Linkstum“  bestand in der Forderung nach einer vorsichtigen Erhöhung des Mindestlohns und einer gewissen Stärkung der Gewerkschaften. Das war schon zuviel für die rechte Führung der Partei, deren Interimsvorsitzende Harriet Harmann auch noch die Parlamentsfraktion dazu verdonnerte, dem Haushalt der Tories zuzustimmen, der diverse unsoziale Gesetze enthielt.

Zugleich hat die Labour Party die Besonderheit, dass der/die Vorsitzende in einer Urwahl bestimmt wird. Die Regeln dieser Urwahl wurden in den letzten Jahren von den Rechten immer wieder geändert, die Gewerkschaften, die früher Blockstimmen entsprechend ihrer Mitgliedschaft hatten, haben diese verloren, dafür durften sich „Supporter“ (UnterstützerInnen) für 3 Pfund registrieren lassen und damit auch mitwählen. Die Rechten gingen davon aus, dass so immer eine rechte Mehrheit gesichert sei.

Jetzt allerdings haben sich über 100.000 neue Mitglieder registrieren lassen, die Mitgliedschaft schnellte in 12 Wochen auf 293.000 hoch. 310.000 weitere haben sich als „Supporter“ registrieren lassen, davon 190.00 über die Gewerkschaften. Die meisten neu Eingetretenen wollen und werden Jeremy Corbyn wählen, der Massenversammlungen abhält, die Tausende besuchen.

Klassenkampf

Die Massenbewegung beschränkt sich allerdings nicht auf die Wahlkampagne. Das neue Programm sozialer Attacken der Regierung brachte schon kurz nach der Wahl eine Million Menschen zum Protest auf die Straße, schon 2011/12 hatte es eintägige große Streiks und große Demonstrationen gegeben.

Aber die Labour Party nutzte diese Mobilisierung nicht, um sich als Alternative zur Regierung aus Tories und Liberalen zu präsentieren, genauso wenig, wie die Gewerkschaften darauf eine wirkliche Kampagne gegen die Kürzungen, soziale Entrechtung und Diskriminierung aufbauen wollten. Aber ein Parlamentsabgeordneter sprach im Juni auf der großen Demonstration: Corbyn. Ein alter Linker, der seit Jahren immer und überall jeden Widerstand der arbeitenden Bevölkerung unterstützt und so seinen Wahlkreis hinter sich hat.

Die Rechten im Parteivorstand allerdings scheinen ihre eigene Propaganda als Wahrheit anzusehen. Während sich Massen mobilisieren, interpretierten sie die Wahlniederlage in dem Sinne, dass Labour noch nicht rechts genug gewesen wäre. Dabei sprach schon die Wahl eine ganz andere Sprache: Die SNP, eine durchaus konservative, nationalistische Partei, hatte ihren Wahlsieg in Schottland auf einem Programm gewonnen, das deutlich „sozialdemokratischer“ im traditionellen Sinne war. Es wurden soziale Reformen gefordert und eine Rücknahme der Privatisierungen.

Ausgetrickste Trickser

Die rechten Parteistrategen glaubten so fest an ihre Sicht der Dinge, dass sie selbst Corbyn auf den Wahlzettel halfen, was er allein nicht geschafft hätte. Dazu sind 30 Unterschriften von Parlamentsabgeordneten nötig, Corbyn selbst hätte nur 15 aufgebracht. Diese Wahl nur unter blassen rechten KandidatInnen abzuhalten, schien ihnen nicht opportun. Ein chancenloser Linker sollte ihr einen demokratischen Anstrich geben.

Jetzt sind den Rechten alle Wege verbaut. Sie empören sich, dass Menschen die Mittel des Wahlverfahrens nutzen, die sie selbst eingeführt haben. Ihnen schaudert, dass Zehntausende die Versammlungen und die Wahl nutzen, um endlich einen Kampf für ihre Interessen und Rechte einzufordern. Aber sie können die Wahl schlechterdings nicht mehr absagen.

Chancen für RevolutionärInnen

Wenn Hunderttausende plötzlich über Politik für ihre Interessen, für die der ArbeiterInnenklasse und der Jugend reden und mitentscheiden wollen, kann das keine ernsthafte RevolutionärIn kalt lassen.

Corbyn ist kein Revolutionär. Er ist ein treuer traditioneller Reformist, sein Wahlprogramm fordert die Renationalisierung der öffentlichen Dienstleistungen z.B. beim Wasser oder bei der Eisenbahn, aber z.B. nicht die Verstaatlichung der Banken. Er fordert keine Räte und keine Arbeiterkontrolle.

Er steht für den Austritt aus der NATO, für den Rückzug aller britischen Truppen und die Beendigung aller imperialistischen Kriege, für die Solidarität mit Palästina und selbst für ein vereinigtes Irland, also den Rückzug der britischen Besatzer aus Nordirland. Corbyn vertritt hier deutlich linkere Positionen selbst als der links-reformistische Mainstream in Europa (oder die Mehrheit der deutschen Linkspartei) - auch, wenn er weit vom proletarischen Internationalismus entfern ist.

Aber RevolutionärInnen können ihre Programmatik in dieser Situation einbringen und viel mehr Gehör finden als in den letzten Jahren. Unsere GenossInnen in Britannien, aber auch einige zentristische Organisationen, sind diesen Weg schon gegangen. Aber es reicht nicht, nur zu den Versammlungen zu gehen und in die Partei einzutreten, um bei dieser Bewegung dabei zu sein. Nötig ist es einerseits, diese Bewegung zu strukturieren. Wenn die neuen Mitglieder auf die vertrockneten, abgeschotteten Gremien der Partei stoßen, werden sie nur abgeschreckt und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Das muss aufgebrochen werden. Corbyn muss neue Organe schaffen, die offen für die Debatte sind.

Aber revolutionäre Organisationen dürfen sich den Illusionen der neuen AktivistInnen nicht anpassen: Sie müssen im gemeinsamen Kampf den reformistischen Utopien zugleich eine  revolutionäre Alternative entgegenstellen und einen solchen Pol in der Partei bilden. Das kann einen schnellen Ausschluss bedeuten, aber die Anpassung an den Reformismus ist der Fehler, den viele, wie die Socialist Party (Schwester der SAV), schon zu oft in solchen Situationen gemacht haben.

Lehren

Die Entwicklung als solche in Britannien kam für alle überraschend. Für Corbyn, für die Rechten, aber auch für RevolutionärInnen.

Allerdings können wir die Entwicklung erklären: Die Labour Party ist trotz aller neoliberalen Politik eines Tony Blair immer noch eine bürgerliche Arbeiterpartei. Eine Partei, die die Herrschaft der Bourgeoisie und das kapitalistische System verteidigen, aber sich dabei sozial und historisch organisch auf die Arbeiterklasse und ihre Organisationen, wie die Gewerkschaften, stützt. Die Rechten in Labour haben auch diese Bedingung über Jahrzehnete unterminiert und mit der Politik des „Dritten Weges“ die Labour Party in eine offen bürgerliche Partei ähnlich den Demokraten in den USA transformieren wollen. Trotz ihrer neo-liberalen und sozial-chauvinistischen Politik ist ihnen das aber nicht gelungen.

Deshalb versucht die Klasse in der krisenhaften Situation wieder, mit dieser Partei ihre Interessen durchzusetzen. Zumal in Britannien alle Versuche, eine neue Partei links der Labour Party zu etablieren, gescheitert sind - anders als in Deutschland mit der Linkspartei. Die britische Arbeiterklasse will also gerade aufgrund verschiedener Faktoren - Empörung über die neoliberalen Regierungsattacken und die Dummheit der Labourführung - die Labour Party zu einem Instrument ihrer Interessen machen.

Weder das eine noch das andere sind Zufall. Die Krise des kapitalistischen Systems und die niedrige Profitrate des britischen Kapitals zwingt die Regierung zu Attacken, obwohl sie keine Mehrheit im Volk hat. Zum anderen zeigt sich die Krise des Systems auch in der Unfähigkeit seiner Führungen, in diesem Fall der Labourführung.

Für revolutionäre Organisationen ergeben sich somit Chancen, die Krise und Schwäche der revolutionären Linken zu überwinden. Aber sie müssen auch richtig genutzt werden, indem wir einerseits den Kampf von Corbyn und seiner Basis gegen die Rechten unterstützen und zugleich für ein revolutionäres Programm eintreten.

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Nr. 202, September 2015
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