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Krise der EU

Stagnation und imperialistische Formierung

Tobi Hansen, Neue Internationale 202, September 2015

Die Eurozone ist und bleibt weiterhin in einer ökonomischen Phase der Stagnation. Nach 0,8% Wachstum im Jahre 2014 ist für 2015 nur unwesentlich mehr zu erwarten, zwischen 1,2 und 1,5% liegen die Schätzungen. Getragen wird dieses weiterhin schwache Wachstum, speziell im Vergleich zur imperialistischen Konkurrenz der USA und China, vom deutschen Imperialismus mit 1,8% und einer „Erholung“ in Spanien, für das 2,6% vorausgesagt werden. Das dieses höhere Wachstum in Spanien hauptsächlich der VW-Tochter SEAT geschuldet ist, gehört zur Dominanz des deutschen Imperialismus in der Eurozone. Weiterhin steigt die Staatsverschuldung in Italien und Frankreich an, so dass von einer „Kehrtwende“ im Euroraum nicht die Rede sein kann. Die Vorzeichen sind trüb und werden es auch bleiben. Die Vormachtstellung des deutschen Monopolkapitals entscheidet ganz direkt über die Wachstumsmöglichkeiten der anderen Staaten.

Diese ökonomische Dominanz wurde auch deutlich, als Griechenland faktisch zum EU-Protektorat degradiert wurde und der deutsche Imperialismus via Finanzminister Schäuble den Grexit auf Zeit forcieren wollte.

Ukraine

Die Ukraine bleibt weiterhin ein Bürgerkriegsland mit ungewissem Ausgang. So sehr sich die deutsch-französische EU-Führung bemüht, eine „friedliche“ Lösung und Aufteilung herzustellen und Kanzlerin Merkel derzeit einen neuen Gipfel aller Beteiligten plant: gleichzeitig schwankt das Regime Poroschenko/Jazenjuk zwischen leichten Zugeständnissen, Druck von rechts und der Planung einer neuen Offensive.

Politisch richtet sich das nationalistische und neoliberale Regime natürlich gegen Russland, aber auch gegen jeden möglichen linken Ansatz in der Ukraine. Symbole und Wahrzeichen, die mit der Sowjetunion in Verbindung gebracht werden könnten, wurden verboten. Die ukrainische KP und  die sozialistische Organisation Borotba wurden in die Illegalität gedrängt. Damit zeigt sich der reaktionäre Charakter des aktuellen Regimes; eine Restauration einer nationalistischen Ukraine und Geschichtsdeutung findet statt und der Verbündete des Dritten Reichs Stepan Bandera wird zum Nationalheiligen ernannt. Dass der aktuelle US-Botschafter im August eine Fernsehansprache mit den Losungen Banderas „Ruhm und Ehre der Ukraine, Ruhm und Ehre den Gefallenen“ beendete, ist dann keine Überraschung mehr.

Andererseits spitzen sich innerhalb des Putschregimes die Widersprüche zu: der Rechte Sektor will eine komplette Legalisierung seiner Tätigkeiten durchsetzen (Überfälle im Donbass, Zigarettenschmuggel in den Karpaten), zur Not auch gegen die Regierung Poroschenkos. Diese faschistischen Bataillone fordern ihren Teil der Herrschaft ein. Dies kann auch zu kurzfristigen militärischen Auseinandersetzungen innerhalb des Putschistenlagers führen. 

An den Grenzen der EU herrscht Bürgerkrieg. Auch die Entwicklungen in Mazedonien zeigen eine Zunahme an nationalistischer Gesinnung. Dies ist zum einem dem Expansionsdrang der EU geschuldet, welche diese Regionen kontrollieren wollen - aber auch der Krise und dem gesellschaftlichen Niedergang in diesen Ländern.

Neuwahlen in Griechenland

Die Kapitulation von Tsipras, welche nach dem OXI bei der Volksabstimmung vom 5. Juli nochmals dramatischere Züge annahm, führte letztlich zur Spaltung von Syriza. Die Verabschiedung des 3. Memorandums wurde von Tsipras mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien durchs Parlament gejagt: in PASOK, To Potami und ND fand Tsipras willige „Ja-Sager“ zum EU-Sparpaket.

Zuvor wurden schon die eigenen Reihen gesäubert, die „überzeugten“ linken Reformisten wie Varoufakis und Lafazanis von ihren Ministerposten gejagt. Tsipras als Ministerpräsident und Syriza-Vorsitzender leitete diesen Kurs gegen Teile der eigenen Partei direkt an.

Dieser war dann letztlich auch für die „Linke Plattform“ nicht mehr tragbar, welche endlich gegen die Vereinbarungen von Tsipras mit der EU im Parlament stimmte. Den Machtkampf um die Partei Syriza hatte die „Linke Plattform“, welche nun den Kern der neu gegründeten Partei „Volkseinheit“ bildet, in dieser Situation verloren.

Zu lange hatte sie zugeschaut bei dem verräterischen Spiel der „eigenen“ Regierung. Sie hatte nicht den Bruch mit Tsipras eingeleitet, als sie im Mai die Mehrheit in den Führungsgremien besaß und schon gar nicht im Februar, als Syriza die Rechtspopulisten von ANEL zum Koalitionspartner machte und den EU-Bedingungen erstmals zustimmte.

Die Zeit war überfällig für einen Sonderparteitag von Syriza: jetzt wird dieser Anfang September stattfinden, nachdem Tsipras seine Gegner aus der Partei jagte und alle Wahlprogramme feststehen. Die „Volkseinheit“ tritt erst mal mit einer Sammlung der linken, reformistischen Kräfte aus Syriza und verschiedener kleinerer Gruppen aus der OXI-Kampagne an. Bislang ist nur bekannt, dass Lafazanis & Co. das Wahlprogramm von Syriza behalten wollen, wahrscheinlich mit eigener GREXIT-Variante.

Die Neuwahlen vom September sollen die KritikerInnen von Tsipras schwächen und einer pro-imperialistischen Regierung ein demokratisches Mandat geben. Das Diktat der Euro-Gruppe soll so praktisch noch einmal abgesegnet werden, bevor seine Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten, und die Grundlage für eine breite Regierung der „nationalen Einheit“ bilden, die v.a. Vollzugsorgan der Imperialisten sein wird.

Als Regierungschef Papandreou von der PASOK 2011 eine Volksabstimmung zu den Spardiktaten ankündigte, zerfiel seine eigene Partei und Fraktion - Finanzminister Venizelos leitete den „internen“ Putsch gegen den Regierungschef. Eine Übergangsregierung aus ND und den Rechtspopulisten der LAOS mit dem ehemaligen EZB-Vizechef Papadimos an der Spitze wurde installiert. Syriza haben nun ähnliche Vorgänge ereilt, nur dass nun die Spaltung vom Regierungschef ausging und dieser selbst das Bündnis mit den offen bürgerlichen Parteien zur Umsetzung der Spardiktate suchte.

Egal wie das Ergebnis vom 20. September aussehen und welche Regierung danach als Büttel des Kapitals und der EU-Bürokratie auftreten wird, diese Regierung wird das schärfste Spardiktat der letzten Jahre gegen die griechische ArbeiterInnenklasse durchsetzen müssen. Jede Nibelungentreue zu Syriza wie von Teilen der Europäischen Linkspartei ist fehl am Platz. Die ArbeiterInnenklasse und die Jugend müssen sich ohne Wenn und Aber auf die Seite des Widerstandes gegen die EU-Diktate und die kommende Regierung stellen und anstehende Kämpfe und Mobilisierungen unterstützen.

Der Rassismus der EU

Die aktuelle Krise und der Kampf um eine Neuaufteilung der Welt haben in den letzten Jahren Chaos und Destabilisierung verschärft, vor allem im Nahen und Mittleren Osten und Afrika - die Regionen des arabischen Frühlings haben mehrere konterrevolutionäre Wellen erleben müssen. Der syrische Bürgerkrieg, der Zerfall des Irak, das Auseinanderbrechen Libyens, die Neuinstallation des Militärregimes unter as-Sisi in Ägypten - dies sind die Ergebnisse von verstärkter Konkurrenz innerhalb eines imperialistischen Systems, das Millionen Menschen in diesen Regionen vertreibt. So flüchteten Millionen aus Syrien in den Libanon und die Türkei und Millionen befinden sich in Afrika auf der Flucht vor den Folgen von Imperialismus, Diktaturen, Krieg, Elend, Hunger und barbarischer Reaktion.

Sie versuchen in ein Europa zu kommen, in dem ihnen derzeit vielerorts blanker Hass und Rassismus entgegenschlagen und eine EU, die für Frontex und Grenzzäune mehr Geld ausgibt als für die Seenotrettung bedürftiger Menschen. Speziell in den osteuropäischen Staaten wie Ungarn und der Slowakei treten offene rassistische und proto-faschistische Akteure auf. Rechtpopulistische und rassistische Parteien wie die FPÖ, die Front National und UKIP verbreiten massiv nationalistische und rassistische Hetze und kooperieren mehr oder weniger offen mit faschistischen Kräften. In Deutschland tritt der offene Rassismus sowohl staatlicherseits auf wie auch in Bewegungen à la Pegida und rassistischen Ausschreitungen und Anschlägen wie in Heidenau, Nauen und vielen Orten.

Krise der EU

Ein Bild, welches derzeit öfter innerhalb der linken Bewegung kursiert, bringt die Zuspitzung der Hetze anschaulich auf den Punkt. Ein Kapitalist, eine ArbeiterIn und eine AsylantIn sitzen an einem Tisch, in der Mitte liegen 20 Kekse. Der Kapitalist nimmt sich 19 davon und sagt der ArbeiterIn, dass die Asylsuchende ihr/ihm den letzten Keks klauen will.

Die soziale, ökonomische und politische Krise spitzt sich gerade in der EU derzeit massiv zu. Die herrschende Klasse, gemeinsam mit ihren politischen Lakaien, setzt auf Spaltung und Hetze, um diejenigen gegeneinander in Stellung zu bringen, welche tatsächlich ihrer Herrschaft gefährlich werden können - die Lohnabhängigen der verschiedenen Länder. Und so wundert es nicht, wenn in Deutschland die „besorgten „Klein“bürger in Dresden ihre politischen Verwirrungen auf die Straße bringen, wie auch der rassistische „Mob“ sich ermuntert fühlt, pogromartige Stimmung zu verbreiten und entsprechend zu handeln.

Perspektive der EU

Die Ereignisse des Jahres 2015 haben sehr plastisch gezeigt, welchen Charakter die EU hat. Es ist ein imperialistische Projekt des deutschen und französischen Großkapitals, welches nicht nur die Ausbeutung und strategische Niederwerfung der europäischen ArbeiterInnenklasse zum Ziel hat, sondern auch wieder Nationalismus und Rassismus in der EU sät - vor allem aber geht es darum, die EU „fit“ zu machen für die globale Konkurrenz um die Neuaufteilung der Welt.

Ein soziales, demokratisches oder nachhaltiges Europa ist auf kapitalistischer Basis eine Utopie. Selbst jede noch so kleine Umverteilungsidee der keynesianischen Wirtschaftspolitik scheitert, wenn sie nicht im Zusammenhang mit dem Sturz des Kapitals in der EU gedacht und erkämpft wird.

Die Krise der EU zeigt aber auch trotz der Erfolge des deutschen Imperialismus, dass sich die inneren Konflikte und Spaltungstendenzen zuspitzen werden - bis hin zu einem möglichen Auseinanderbrechen von EU und Eurozone selbst. Die Einigung der EU/Eurozone unter deutsch-französischer Vorherrschaft (mit Deutschland als Führungsmacht dieses ungleichen Duos) ist auf kapitalistischer Basis nur durch die Unterordnung eines großen Teil des Kontinents unter den deutschen Imperialismus und seine engeren Verbündeten möglich - und trägt damit schon den Keim neuer Konflikte in sich. Die Alternative eines Auseinanderbrechens auf Basis des kapitalistischen Systems wäre freilich keineswegs weniger beunruhigend für die ArbeiterInnenklasse. Es würde dem Kampf um die Reorganisierung des Kontinents, der innerimperialistischen Konkurrenz letztlich nur eine andere, eventuell sogar eine weitaus explosivere, ja noch kriegerischere Form geben.

Stattdessen müssen wir für eine antikapitalistische und sozialistische Perspektive in der EU kämpfen, für eine breite Klassenmobilisierung gegen Rassismus, Spaltung und Spardiktate. Die „Selbstermächtigung“ der ArbeiterInnenklasse gegen dieses Europa ist derzeit die einzige Alternative zu diesem Kontinent des Kapitals. Nur die Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa kann eine fortschrittliche Alternative weisen.

Dementsprechend unversöhnlich muss derzeit auch der Kampf gegen jede Art von neuem Reformismus und Populismus innerhalb der Klasse und Bewegung geführt werden. Aber Unversöhnlichkeit darf nicht verwechselt werden mit Passivität und Abstentionismus - die Aufgabe der revolutionären Kräfte liegt darin, die Bildung der größten Kampfeinheit mit allen Teilen der ArbeiterInnenbewegung und der Unterdrückten gegen die herrschenden Klassen mit dem Kampf für neue revolutionäre Parteien und eine neue, Fünfte Internationale zu verbinden.

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Nr. 202, September 2015
*  Faschisten und Rassisten mobilisieren: No Pasaran!
*  Europa: Festung gegen Flüchtlinge
*  Abschluss Tarifrunde Handel: Ein Ritual - und das ist das Problem
*  Kita: Nein zur Schlichtung - unbefristeter Streik!
*  Netzpolitik: Von NSA bis NSU - Geheimdienste zerschlagen
*  Roto-Frank, Leinfelden: Frauen kämpfen gegen Kündigung
*  Griechenland: Syriza nach dem Verrat - Handlanger der EU-Diktate
*  Türkei: Erdogans reaktionäre Ambitionen
*  China: Abwertung fördert weltweite Instabilität
*  Britannien: Wirbel in der Labour Party
*  Krise der EU: Stagnation und imperialistische Formierung