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Der palästinensische Nationalismus und die PLO

XXII. Der Boden, auf dem ein spezifisch palästinensischer Nationalismus gedeihen konnte, war in der Mandatszeit unter den Intellektuellen innerhalb der arabischen - hauptsächlich christlichen - Händlerbevölkerung zu finden. Sie entwickelten ein äußerst verwestlichtes Erscheinungsbild, wobei Zeitungen und Zeitschriften bei den Kampagnen zum Widerstand gegen den Zionismus und bei der Entwicklung eines palästinensischen und arabischen Nationalbewusstseins eine führende Rolle spielten.

Zu den äußeren Schlüsselfaktoren bei seiner Herausbildung zählte die Weigerung der britischen Imperialisten, den Bewohnern Palästinas das Selbstbestimmungsrecht oder eine eigene Regierung zu gewähren, und die Trennung Palästinas im Jahr 1918 von Syrien (das französisches Mandatsgebiet war) und von Transjordanien (eine Marionettenmonarchie der Engländer). Handelsrouten wurden als Ergebnis davon unterbrochen und die Wirtschaft durch die Mandatsregierung entscheidend umorientiert. Landwirtschaftliche Exportgüter begannen in den fruchtbarsten Gebieten, der Küstenebene, vorzuherrschen. Die Ausfuhr von Zitrusfrüchten, hauptsächlich nach Großbritannien, nahm gewaltig zu.

Nicht weniger bedeutend war die Auswirkung der zionistischen Kolonisierung. 1935 besaßen jüdische Organisationen und Einzelpersonen 12% allen bebaubaren Landes. Angesichts der ausgelaugten Kleinparzellen der arabischen Bevölkerung (die mit Schulden belastet und unfähig zur Unterhaltung von Bewässerungsanlagen, Maschinen und Düngemittein zur Produktionssteigerung war) verstärkte sich noch der Landhunger der arabische Bauernschaft.

Dieser äußere Druck schuf zusammen mit der Zerstörung vorkapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse die Grundlage für die Geburt eines Nationalbewusstseins unter der arabischen Bevölkerung Palästinas. Bis zur Demaskierung solcher panarabischer Bewegungen wie des Nasserismus war jedoch ein spezifisch palästinensischer Nationalismus zum Schweigen verurteilt.

Heute ist die PLO ("Palestine Liberation Organisation") zu der Dachorganisation geworden, die alle Hauptkräfte im Kampf gegen den Zionismus für die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser einschließt. Als Bündnis von politischen, kulturellen und militärischen Massenorganisationen ist sie zum Zentrum des nationalen Widerstandes geworden und spielt die Rolle eines "Ersatzstaates" in der ganzen palästinensischen Diaspora.

Sie besitzt eigene Streitkräfte, ein Parlament und eine "Regierung", aber sie übt über kein bestimmtes Territorium Souveränität aus; letzten Endes ist sie von der Unterstützung oder Duldung der anderen arabischen Staaten abhängig. Von Nasser und den arabischen Regierungen 1964 gegründet, war die "offizielle" PLO unter Ahmed Shukeiri nicht imstande, auch nur innerhalb der palästinensischen Massen eine Vormachtstellung zu erreichen und blieb ein willfähriges Werkzeug der umliegenden bürgerlichen Araberstaaten. in Wirklichkeit wurde Shukeiri bald vom Wachstum der Fatah ("Palästinensische Nationale Befreiungsbewegung") überholt, die nach ihrem ersten Guerilla-Anschlag gegen Israel 1965 bald an Popularität gewann und schließlich die Kontrolle der PLO 1969 übernahm.

Die Fatah wurde mit finanzieller Unterstützung der palästinensischen Bourgeoisie im Exil gegründet. Sie kehrte das frühere strategische Schema - zuerst die panarabische Befreiung, dann Freiheit für die Palästinenser - um. Angesichts des offensichtlichen Versagens von Ägypten und Syrien 1967 und der erfolgreichen Guerillakämpfe in den 60er Jahren - so die FLN in Algerien, die NLF in Vietnam, die "Bewegung des 26. Juli" in Kuba - schlug die Fatah einen ähnlichen Kampf zur Destabilisierung und internen Erschütterung des Zionistenstaats vor. Die Angriffe sollten von den Nachbarstaaten - Jordanien, Libanon und Syrien - aus geführt werden.

Revolutionäre Kommunisten (Trotzkisten) sind gegen den Guerilla - Krieg als S t r a t e g i e aus den folgenden Gründen: Unsere Strategie besteht in der Mobilisierung der Massen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse. Gerade die tapfersten Kämpfer aus der Produktion, aus den Städten und sogar aus den dichtest besiedelten Landgebieten abzuziehen, ihre Aktivitäten allein auf ein Kampftraining zu beschränken, heißt das unterdrückte Volk und die ausgebeuteten Klassen ihrer Kader für direkte Massenaktionen zu berauben. Es entwaffnet und schwächt den wirtschaftlichen und politischen Kampf zugunsten der militärischen Aktion, die mehr oder minder episodisch und unzusammenhängend ist. Daher vernachlässigten die Fraktionen der PLO, obwohl sie seit mehr als zwanzig Jahren auf den Flüchtlingslagern basierende bewaffnete Milizen aufgebaut haben, die Organisierung und Mobilisierung der Palästinenser innerhalb des Zionistenstaates. Das Ergebnis dessen war, eine Elite ausgebildeter Kämpfer, aber keine Avantgarde des Massenkampfes hervorgebracht zu haben.

De facto waren PLO und Fatah niemals fähig, den Guerillakrieg in massivem Ausmaß zu entwickeln oder in den zionistischen Staat mit Ausnahme wagemutiger, aber immer selbstmörderischer Missionen einzudringen. Der einzige Sieg, den die Fatah errang, wurde auf jordanischem Boden in Karamah ausgefochten, wo sie den Angriff israelischer Sturmtruppen auf ein Flüchtlingslager aufhielt. Mehr noch, da die Guerillagruppen in ihren Finanzen und Operationsbasen von den arabischen Regierungen, ob konservativ oder "radikal", abhängig sind, wurden sie von diesen Regimes wiederholt eingeschränkt, diszipliniert und auch vertrieben und entwaffnet. Dazu wurden sie noch zu wiederholten Versuchen einer diplomatischen Lösung unter Druck gesetzt. Die Fatah, die die engsten Verbindungen mit ihren Unterstützern in Saudi-Arabien und in den Golf-Staaten besitzt, hat sich wiederholt diesen Projekten zugänglich gezeigt.

Die Grenzen dieser bürgerlich-nationalistischen Strategie wurden in Jordanien 1970 auf tragische Weise enthüllt. Als sich die Macht der PLO über die Palästinenserlager hinaus auf die Institutionen des jordanischen Staates selbst auszudehnen begann, startete das Haschemitenregime eine blutige Attacke auf den PLO-Widerstand. Trotz eines Generalstreiks und der weit verbreiteten Forderung nach einem Sturz der Monarchie brachte die Politik der Nichteinmischung und der ausdrücklichen Unterstützung für die jordanisch-palästinensische Bourgeoisie des Königreiches sie dazu, die Demobilisierung der palästinensischen und jordanischen Massen angesichts König Husseins Angriffs zu versuchen. Das darauf folgende Massaker an 2-3 000 palästinensischen Kämpfern - der so genannte "Schwarze September" - muss als direktes Ergebnis dieser Strategie der Abhängigkeit und Allianz mit den arabischen Regimes angesehen werden.

Eine Organisation innerhalb der PLO, die zumindest in Worten das Prinzip der Nichteinmischung ablehnt, ist die PFLP ("Popular Front of the Liberation of Palestine" - Volksfront zur Befreiung Palästinas). Von ehemaligen Führern der "Arabischen Nationalbewegung", unter ihnen am bekanntesten George Habash, gegründet, entwickelte sich die PFLP schnell in Richtung Stalinismus. Obwohl sie selbst 1970 zum Widerstand aufrief, um die Macht in Jordanien zu ergreifen, konnte dies in Anbetracht der Führung der Bewegung nur als ein Aufruf zur Errichtung eines bürgerlich-demokratischen Regimes verstanden werden. Tatsächlich ist die PFLP völlig der stalinistischen Etappentheorie verpflichtet, die das unmittelbare Ziel des nationalen Kampfes auf die Verwirklichung demokratischer Forderungen begrenzt. Keine verankerte Tendenz in der palästinensischen Bewegung kämpfte 1970 in Jordanien für eine Revolution, die Räte der Arbeiter, Bauern und Soldatendelegierten benötigt hätte, um die Macht zu ergreifen. Damit wurde eine entscheidende Gelegenheit verabsäumt, dem Imperialismus und seinen lokalen Agenten einen wirklichen Schlag zu versetzen.

Obwohl in ihrem Programm die Notwendigkeit einer "revolutionären marxistisch-leninistischen Partei" enthalten ist, hat die PFLP keine Strategie zur Organisierung der palästinensischen Arbeiter für den Massenkampf gegen den Zionismus. Tatsächlich sank sie nach dem "Schwarzen September" auf die Strategie des individuellen Terrors, der kleinbürgerlichen Verzweiflung, herab und initiierte eine Welle von Flugzeugentführungen und Geiselnahmen. Während Trotzkisten jene Militanten, die solche Methoden anwenden, bedingungslos gegenüber der staatlichen Repression verteidigen, weisen wir ebenso die Anwendung dieser Kampfform zurück und bekämpfen sie, da sie gänzlich ungeeignet zur Erlangung des Sieges im nationalen Befreiungskampf ist und die Massen zur Rolle des passiven Zuschauers verurteilt, anstatt sie zum Subjekt ihrer eigenen Befreiung zu machen.

XXIII. Das Versagen der PLO-Strategie dabei, Ergebnisse zu zeitigen, zusammen mit der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens, förderte innerhalb der PLO die Unterstützung für die Gründung eines palästinensischen Staates auf den neu besetzten Territorien; ein derartiger "Mini-Staat" sollte neben dem Zionistenstaat existieren. Zwischen 1967 und 1973 argumentierte die PDFLP (Popular Democratic Front for the Liberation of Palestine - Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas; später auch einfach DFLP genannt), welche eine von Naif Hawatmeh geführte Abspaltung der PFLP war, für eine befreite Zone auf der West-Bank, frei von israelischen Truppen und nicht länger unter jordanischer Bevormundung. Unter dem Einfluss der Niederlage im Krieg von 1973 wurde von der Fatah diese Idee in jene eines "Mini-Staates" umgewandelt. Trotz der Opposition der DFLP gegenüber der zunehmenden Abhängigkeit der Fatah von den arabischen Regimes hat die Politik des "Mini-Staates" geradewegs zu Manövern mit dem "demokratischen" Imperialismus, der arabischen Bourgeoisie, den Vereinten Nationen und der UdSSR geführt - alles in dem Versuch, die Zionisten dazu zu überreden, dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen eine beschränkte Autonomie zu gewähren.

Alle konsequenten Verfechter der Selbstbestimmung für die Palästinenser müssen diese Losung als eine reaktionäre Sackgasse für den Kampf um nationale Befreiung zurückweisen. Eine Art Bantustan, das wirtschaftlich und militärisch von Israel beherrscht wird, ist für jene Mächte, die die Situation in der Region "stabilisieren" möchten, indem sie die Perspektive für eine aufrechterhaltene antiimperialistische Revolte untergraben und von ihr ablenken, eine verlockende Aussicht.

Die Unterstützung innerhalb der PLO dafür kommt weitgehend aus Kreisen, die begierig danach sind, sich die Macht und materiellen Vorzüge von Amtsposten anzueignen. Für die palästinensischen Massen wäre eine derartige Lösung der Verrat an ihrem gerechtfertigten Bestreben, in ihr Heimatland als freie und gleiche Bürger eines nichtkonfessionellen und demokratischen Staates zurückzukehren. Bislang hat nur die "Kommunistische Partei Palästinas" die Linie des Kompromiss und Rückzugs bis zu ihrem logischen Schluss zu Ende gezogen und dass Existenzrecht Israels anerkannt.

Seit Husseins Entscheidung, auf das Westjordanland zu verzichten, hat die PLO ihre gestiegene Bereitschaft bekundet, den Staat Israel anzuerkennen und eine politische Lösung auf der Grundlage eines Staates im Westjordanland anzustreben. Die Wahl einer Labour-Regierung könnte die Kapitulation und den Verrat der PLO an den legitimen Zielen der Palästinenser für einen Staat in Gesamt-PaIästina beschleunigen.

Die Opposition gegenüber dem "Mini-Staat"-Projekt wurde von der so genannten "Ablehnungsfront" palästinensischer Organisationen, unter ihnen am bekanntesten die PFLP, angeführt. Diese Haltung ist jedoch nur quantitativ fortschrittlicher als die der Fatah und der DFLP. Alle palästinensischen Organisationen (mit Ausnahme des "Islamischen Jihad"), ob sie nun "Realisten" oder "Ablehner" sind, unterstützen die zentrale Losung der PLO nach einem "demokratischen, weltlichen Staat" in Palästina. Unsere Ablehnung dieser Losung gründet nicht hauptsächlich auf ihrer Mehrdeutigkeit (die verschiedene Interpretationen einschließlich des "Mini-Staates" zulässt), noch etwa auf ihrem klar fortschrittlichen Aspekt, eine nichtkonfessionelle Basis für einen künftigen Staat in Palästina festzulegen.

Unsere Ablehnung fußt auf der Abwesenheit einer jeglichen Angabe, welche Klasse in der palästinensischen Gesellschaft fähig zum Sturz des Zionismus ist und welche Klasse in dem künftigen Staat herrschen muss. Wenn alle ideologischen Verkleidungen der religiösen und nationalen Mythologie einmal abgerissen sind, dann bleibt jeder Staat nichts als ein Instrument des Zwanges in den Händen einer bestimmten Klasse zur Verteidigung ihrer besonderen Eigentumsverhältnisse. Die Frage des Klassencharakters der palästinensischen Republik kann nicht durch betrügerische Phrasen versteckt werden.

Es ist einzig da-. Proletariat, unterstützt von der Bauernschaft und Teilen des städtischen Kleinbürgertums, das die Macht hat, den Zionistenstaat zu zerschlagen. Bei diesem Prozess muss es sicherstellen, dass es keine Rückkehr zur Herrschaft der Imperialisten über die Wirtschaft, ihre Banken und Landwirtschaft geben kann. Die Forderung eines demokratischen, weltlichen Staates bleibt auf der Ebene der Ideologie äußerst utopisch und würde in der Praxis zu einem kapitalistischen Palästina führen. Ein derartiger Staat würde sich vom ersten Tag an in dem eisernen Griff des Imperialismus - wie heutzutage jeder arabische Staat - befinden.

Obwohl die PLO einen wichtigen Kampfplatz, auf dem die Militanten und Kader einer künftigen revolutionären Partei der palästinensischen Arbeiter gesammelt werden, darstellen wird, ist sie nichtsdestotrotz eine Volksfront verschiedener Klassenkräfte, die durch eine bürgerlich-nationalistische Ideologie zusammengehalten und von den Agenten der palästinensischen und arabischen Bourgeoisie beherrscht wird. Sie muss politisch und organisatorisch ersetzt werden, soll die palästinensische Revolution zu ihrem endgültigen Sieg voranschreiten.

Wegen des Versagens der PLO, den Prozess der Selbstbestimmung vorwärts zu bringen, wird der palästinensische Nationalismus in seiner Hegemonie über die Massen innerhalb der West-Bank und Gaza in steigendem Maße von den islamischen Fundamentalisten herausgefordert. Jede Bewegung in Richtung Anerkennung Israels durch die PLO wird es den islamischen Vertretern erlauben, sich als unnachgiebige Feinde Israels auszugeben und dadurch Ansehen zu gewinnen.

Diese Bewegung bekommt ihre Inspirationen von der islamischen Revolution, welche den Schah im Iran niederrang. In den Flüchtlingslagern von Gaza wie auch im Libanon beruht die Verbreitung des islamischen Einflusses sowohl auf der Bereitstellung von Finanzen und anderer Mittel als auch auf Befreiungsvisionen, die die islamischen Fundamentalisten heraufbeschwören können. In der Realität hat der islamische Fundamentalismus eine reaktionäre Ideologie, die den Antisemitismus beinhaltet. Dies veranlasste den israelischen Staat, das Wachstum der islamischen Gruppen zu fördern, um ihrer repressiven Politik Glaubhaftigkeit zu verleihen und den palästinensischen Widerstand zu spalten.

Das Ziel einer islamischen Republik für Palästina würde ein Desaster für die Juden, aber auch für die palästinensischen Massen ergeben. Das gegenwärtige Beispiel des iranischen Staates ist ein Beweis dafür; eine islamische Republik würde (wie jene im Iran) die Versklavung der Frau, die Unterdrückung anderer religiöser Gruppen wie der christlichen Araber und die vollständige Verneinung der demokratischen Rechte der Massen beinhalten.

Obwohl es möglich und notwendig ist, mit diesen Militanten gegen die israelische Unterdrückung in den besetzten Gebieten zu kämpfen, schließt ein wirklich konsequenter Kampf für demokratische Rechte für die Palästinenser die scharfe Kritik der Verneinung solcher Rechte, was der Fundamentalismus als Ergebnis mit sich bringt, und einen Kampf zur Verteidigung und Ausdehnung solcher Rechte, sogar gegen islamische Militante, mit ein.