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Die Juden: "Rasse", Nation oder "Volksklasse"?

I. Die Juden stellen ganz klar keine „Rasse“ dar. Das ursprüngliche hebräische Volk und seine Sprache gehörten der semitischen Familie an, aber zweieinhalb Jahrtausende der Ansiedlung unter nichtsemitischen Völkern, die weit verbreitete Bekehrung zum Judaismus in früheren Zeiten und Fremdverheiratung haben diese Gemeinwesen - wie bei den meisten anderen Völkern - mit anderen vermischen lassen.
Massenhafte Übertritte absolut nichtsemitischer Völker zum Judaismus - die Chasaren der russischen Steppe und die Falashas in Äthiopien sind dafür die schlagendsten Beispiele. Aber die jüdischen Gemeinden missionierten in den Jahrhunderten vor ihrer Verfolgung im Mittelalter und in der Neuzeit regelmäßig in ähnlichem Umfang unter den Völkerstämmen, die die gleichen wirtschaftlichen Funktionen wie sie selbst ausübten. Nur die bösartigen Phantasten des Antisemitismus und die ultrarechten rassistischen Elemente der zionistischen Bewegung behaupten, dass die Juden eine "besondere Rasse" seien. Die Juden sind auch keine Nation.
Moderne Nationen sind das Produkt der bürgerlichen Epoche und keine Jahrtausende alten, geschweige denn ewigen Gemeinschaften. Der bürgerliche Nationalismus erhebt meist den Anspruch, alte Nationen dort wiederzubegründen, wo er tatsächlich eine neue Nation formt. Das gilt auch für den jüdischen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Dass ein althebräischer Staat in der ersten Hälfte des vorchristlichen Jahrtausends existierte, ist unbestreitbar. Dieser Staat, aus dem dann zwei Staaten hervorgingen, wurde jedoch von den Assyrern und Babyloniern zerstört. Die herrschenden Klassen der Hebräer und ihre Priesterklasse (nicht das ganze Volk) wurden nach Babylon verschleppt, wo ihre soziale Funktion und deren religiös-ideologischer Ausdruck einem vollständigen Wandel unterworfen wurden. Die monotheistische Religion des Judaismus entstand. Eine Ausbeuterklasse von Priestern und Kaufleuten entwickelte sich, die eine wirtschaftliche Funktion im persischen, mazedonischen und römischen Imperium erfüllte. Die Diaspora - die verstreuten jüdischen Gemeinden des Mittelmeerraumes und der fruchtbaren Landstriche seiner Umgebung - war kein Produkt eines erzwungenen Exils, sondern der Funktion des Handelskapitals. Die religiöse Ideologie mit ihrem Mythos des verstreuten Volkes und der Bewahrung des Hebräischen als heiliger Sprache diente als Bindeglied zwischen diesen Gemeinden.
Der priesterliche Rabbinermagistrat erhielt die Befugnis, Autorität über diese verstreuten Gemeinden auszuüben - in einigen Fällen, wie in Ägypten und Palästina in beachtlichem Ausmaß. Nach der babylonischen Deportation lebte die Mehrzahl der Juden außerhalb Palästinas, und die Mehrheit der Bevölkerung Palästinas bestand nicht aus Juden (obwohl sie zweifellos Nachfahren der alten hebräischen Bauernschaft, jedoch auch der Kanaaniter, Philister, etc. waren).
Die von orthodox-religiösen Juden und Zionisten als Ausdruck einzigartiger Treue zur Nation gepriesene Nichtassimilierung dieser Gemeinden ist wenig verwunderlich. In der Antike und Mittelalter gab es noch keine Nationen, an die sich die jüdischen Gemeinden assimilieren hätten können. Sie waren weder abweisend noch im Widerspruch zu jener Welt, in der sie eine lebenswichtige Rolle spielten. Andere "exilierte" oder minoritäre Gemeinwesen haben eine vergleichbare Stellung eingenommen; so die armenischen, koptischen, indischen und chinesischen Gemeinschaften in Asien und Afrika.

II. Dieses Phänomen ist von dem belgischen Trotzkisten Abraham Leon in seinem 1946 erschienenen Werk "Die jüdische Frage: Eine marxistische Darstellung" aufs systematischste untersucht worden. Er taufte diese Formation "Volksklasse". Die zentrale Achse der jüdischen Gemeinden stellte die Ausübung der Funktion des Handels- und Wucherkapitals in den vorkapitalistischen Produktionsweisen dar. Um die Großkaufleute und Geldverleiher gruppierten sich Schichten von Schiffsarbeitern, Handwerkern, fahrenden Händlern, Hausierern, Ladenbesitzern, die die jüdische Gemeinde bildeten. Juden wanderten nicht in andere Gewerbe und Tätigkeiten ab; aber in dem Maß, in dem sie der Geldwirtschaft entfremdet wurden, neigten sie zur Assimilierung - allerdings nicht in andere "Nationen", sondern in andere Religionsgemeinschaften.
Diese Analyse erklärt die Zählebigkeit der jüdischen Gemeinschaften und die Bewahrung von Religion und geheiligter Sprache. Leon zeigt, dass "weil die Juden sich als soziale Klasse bewahrt haben, haben sie gleichermaßen mehrere ihrer religiösen, ethnischen und sprachlichen Wesenszüge erhalten". "Judaismus", stellt er fest, "spiegelt die Interessen der vorkapitalistischen Kaufmannsklasse wider".
Diese "Volksklasse" errichtete eine Reihe von selbstverwalteten Gemeinwesen, die von Schriftgelehrten und später von Rabbinern in direkter Verbindung mit den örtlichen Herrschern regiert wurden. Das Gesetz (Torah) und die Lehren der Rabbiner (Talmud) bildeten eine Grundlage, die weitverstreuten Gemeinden miteinander zu verbinden und sie vor der Auflösung in die sie umgebenden Völker zu bewahren. Die Gemeinden dieser "Volksklasse" konnten jedoch nur innerhalb einer Ökonomie, die sonst auf Subsistenz-Landwirtschaft beruhte, bestehen. Die erstarrten wirtschaftlichen Verhältnisse im Nahen Osten und am Südrand des Mittelmeeres ließen diese Gemeinschaften bis in die Gegenwart überleben. In Europa jedoch erfolgte im Mittelalter ein Prozess der Zerstörung und Vertreibung der jüdischen Gemeinden.
Mit der Entwicklung des Handels- und dann des Bankkapitals in den Städten Europas vom 13. bis zum 15. Jahrhundert wurden die Juden mehr und mehr auf den Geldwucher beschränkt. Das gleichzeitige Auftauchen der Zinsknechtschaft für die Bauern und den niederen Adel, als der Feudalismus zu zerfallen begann, förderte die bösartigen Pogrome und Vertreibungen der Juden in diesen Jahrhunderten.
Die deutschen Juden, die einen mittelhochdeutschen Dialekt (das Jiddisch, wie es später genannt werden sollte) sprachen, zogen ostwärts in das noch weniger entwickelte Polen. Hier erlebten sie unter der polnischen Monarchie zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert einen anhaltenden Aufschwung, wobei ihnen völlige Autonomie und Selbstverwaltung in dem Netzwerk kleiner Städte (den Stetl) gewährt wurde.
Die wirtschaftliche Entwicklung holte sie jedoch ein. Ihre Rolle als Schankwirte, Ladenbesitzer, Pfandleiher, aber vor allem als Verwalter der Feudalherren und Könige bewirkte, dass zwischen ihnen und der ukrainischen und polnischen Bauernschaft sich Klassenhass entwickelte. Daher erlebten alle großen Bauernaufstände des 17. und 18. Jahrhunderts Judenmassaker. Das dunkle Zeitalter der osteuropäischen Juden, der Aschkenasim, hatte begonnen. Am anderen Ende des Kontinents vertrieb die spanische Monarchie 1492 die alten jüdischen Gemeinden Spaniens oder zwang sie zur Bekehrung. An die 150 000 Juden wanderten nach Europa, Nordafrika und ins Osmanische Reich aus, wo sie jene sephardischen Gemeinden bildeten, die bis zur Ankunft des Zionismus unbehelligt blieben.