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Klassenkampf und soziale Bewegung

Welche Perspektive?

Peter Lenz, Neue Internationale 113, August, September 2006

Die Angriffe des Kapitals nehmen unter der Großen Koalition an Schärfe zu. Die Arbeiterbewegung steht vor einer entscheidenden Auseinandersetzung.

Gegen die Politik der Großen Koalition regt sich Widerstand. Was indirekt über die katastrophalen Umfragewerte für die Parteien sichtbar wird, muss sich nun auch in einer politischen Bewegung niederschlagen.

Wir wollen in diesem Beitrag genauer darauf eingehen, wie sich sozialer und politischer Widerstand formiert.

Zuerst eine kritische Bestandsaufnahme. In Hinblick auf die Demo am 16.9.06 und die geplanten DGB-Mobilisierungen im Herbst stellt sich akut eine Frage: Wie aus der Schwäche der sozialen Bewegungen und des gewerkschaftlichen Widerstands heraus kommen?

Es gibt durchaus Potential für Gegenwehr: die Streiks bei AEG Nürnberg, GATE Gourmet, CNH u.a. waren Beispiele dafür. Es gab den wochenlangen Streik der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst.

Es gab auch zwei exemplarische Aktionen, die in die richtige Richtung weisen: der Hafenarbeiterstreik in ganz Europa und die Demos der Opel-Arbeiter im Juni 2006. Die ArbeiterInnen in den europäischen Standorten des GM-Konzerns sind gegen die Schließung des Werkes in Portugal in fast allen europäischen Standorten auf die Strasse gegangen und haben Warnstreiks durchgeführt. Auch für CNH in Berlin gab es Unterstützung aus anderen Betrieben und gewerkschaftlichen Strukturen. Doch dies sind leider Ausnahmen.

Widerstandsaktionen gibt es viele. Doch für die meisten gilt: „Jeder stirbt für sich allein.“ Die Aktivitäten blieben örtlich und branchenmäßig meist isoliert.

Hinzu kommen zwei zentrale Probleme. Der Gewerkschaftsapparat bzw. die sozialdemokratisch geprägten Betriebsratsstrukturen blockieren zumeist den Widerstand oder führen ihn in eine Sackgasse. Viele sind durchaus bereit zu kämpfen, warten aber auf einen Anlass, auf eine Perspektive, die wirklich einen wirksamen Widerstand ausmacht, der dem Kapital weh tut und die Angriffe stoppen kann.

Derzeit existieren nur schwache oder gar keine handlungsfähigen Basisstrukturen auf betrieblicher Ebene, die in der Lage wären, unabhängig oder gar gegen die bürokratischen Apparate den Kampf zu organisieren und ihn national und international zu vernetzen.

Im Endeffekt können nur eine Basisbewegung in den Betrieben und Gewerkschaften, verbunden mit anderen gesellschaftlichen Widerstandspotentialen und eine klare politische Orientierung  verhindern, dass die Gegenwehr über symbolische oder isolierte Aktionen hinauswächst. Weder die „Gewerkschaftslinke,“ noch die WASG oder die Linkspartei haben dazu bisher einen substantiellen Beitrag liefern können (und teilweise auch gar nicht liefern wollen).

Mit dem Attribut „kämpferischer“ ist auch wenig getan - auch der beste Aktionismus führt nur in die Niederlage, wenn er nicht mit einer klaren Konzeption zur Ausweitung der Bewegung verbunden ist und letztlich auf eine gesamtgesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus abzielt. So kommt auch das SAV-nahe ver.di-Netzwerk real nicht über einen überschaubaren „Runden Tisch“ heraus.

Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung ist mit einem dreifachen Dilemma konfrontiert.

Dilemma Parlamentarismus:

Reformistische Organisationen hoffen auf parlamentarischen Antikapitalismus. Damit schaden sie den AktivistInnen und der Bewegung. Sie setzen nicht auf eine klassenkämpferische revolutionäre Bewegung, sondern auf die Versprechen der bürgerlichen Demokratie. Sie ordnen die Bewegung und konkrete Aktionen den „demokratischen Prozessen“ unter.

Dilemma Reformismus:

Es wird darauf vertraut, dass sich ein Interessenausgleich finden lässt. In der Vergangenheit hat dies partiell noch funktioniert. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die soziale Sicherheit orientiert sich nicht mehr an einem „vernünftigen“ Profit.

Dilemma Streikrecht:

Ein politisches Streikrecht haben die Herrschenden in Deutschland unter Verbot gestellt. Die Unterstützung von Kämpfen einzelner Belegschaften sowie Streikmaßnahmen aus politischen Gründen sind formell illegal. Die Absicht ist ganz klar: Es gilt, jeglichen „Flächenbrand“ zu verhindern. Die reformistische Gewerkschaftsbürokratie stellt dies als essentiellen Bestandteil bürgerlicher Demokratie, als „gegeben“ hin, nicht zuletzt, um ihre Kontrolle über die Belegschaften aufrecht zu erhalten. Wenn die Entscheidungen infolge eines aufgegebenen Flächentarifvertrags zunehmend auf die betriebliche Ebene verlagert werden, dann muss es auch ein „Streikrecht für Betriebsräte“ geben.

Den Reformisten müssen wir damit die Möglichkeiten nehmen, Aktionen unter Berufung auf das Betriebsverfassungsgesetz zu verhindern.

Diese Forderungen müssen wir sowohl an den Staat stellen, gleichzeitig müssen wir uns dieses Recht nehmen und es erkämpfen.

Der formelle Rahmen der Tarifkalender für „legale“ Kämpfe muss durchbrochen werden! Für die Verteidigung sozialer Rechte darf es keine Bindung an die vorgegebene „Friedenspflicht“ geben! Gerade in Zeiten inflationärer Tendenzen, die sehr schnell die Lebenslage der Lohnempfänger und „Leistungsempfänger“ verschlechtern können, muss schnell geantwortet werden können.

Weitere objektive Hindernisse

Ein anderes Problem ist die lokale Zersplitterung. Die traditionellen Arbeiterwohngebiete und die damit einhergehenden lokalen/überbetrieblichen Kommunikationsstrukturen gibt es kaum noch bzw. sie sind bürokratisch geregelt.

Zunehmend zeigt sich auch eine innerbetriebliche „Zersetzung“ bzw. Differenzierung der Belegschaften. Es gibt schon Betriebe, wo weniger Beschäftigte zur „Stammbelegschaft“ gehören als zu ausgegliederten Bereichen.

„Nicht-Normal-Arbeitsverhältnisse“ zersetzen den Widerstand durch die Atomisierung der Betroffenen. Es bauen sich verstärkt Fronten zwischen Erwerbslosen und „Arbeitsplatzbesitzern“ auf. In den DGB-Gewerkschaften wird dies inhaltlich und organisationspolitisch nur zögernd angegangen. Ansätze, Erwerbslose und prekär Beschäftigte effektiv zu organisieren, sind bisher nur schwach entwickelt und von den Gewerkschaften auch nicht gewollt; deren Interesse gilt v.a. den „Arbeiteraristokraten“, den verbliebenen Stammbelegschaften der Großindustrie, die auch genug Beitrag in die Gewerkschaftskassen zahlen.

Gegenwehr

Eine Hauptfrage ist die Vernetzung bestehender Ansätze von Widerstand - aber nicht nur auf der Grundlage gegenseitiger Information. Sie sollte Züge einer embryonalen Rätedemokratie tragen, sie muss ihre Wurzeln in der Basis haben, sich aber auf betriebs-, gebiets-, und branchenübergreifender Ebene koordinieren. Mit demokratischen, verbindlichen Strukturen und klarer Zielsetzung.

Es müssen Kampforgane aufgebaut werden, die einer solchen Bewegung entsprechen und Aktionen bündeln und koordinieren können:

Aktionskomitees, Sozialforen oder Bündnisse, die regional, bundesweit, international verbunden sind und als permanente Aktionsbündnisse dienen;

Streikkomitees und eine klassenkämpferische Basisbewegung in Betrieben und Gewerkschaften, die alle Beschäftigten einbezieht, für eine klassenkämpferische Politik eintritt und als politische Alternative gegen den bürokratischen Apparat in Gewerkschaften und Betriebsräten agiert;

europaweite und internationale Koordinierung aller Aktionen gegen die Agenda von Lissabon, die Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitszeitregelungen der EU-Kommission!

Die inhaltliche Klammer dafür ist ein Programm, das der Bewegung eine politische Perspektive weist. Die Jugend, soziale und politische Bewegungen sollten ebenso wie Frauen und MigrantInnen einbezogen werden. Sie muss GewerkschafterInnen und Unorganisierte umfassen.

Wir setzen bewusst ein rätedemokratisches Modell gegen eines, dass am bürgerlichen Parlamentarismus orientiert ist. Wir setzen die Forderung nach Planwirtschaft auf hohem Niveau gegen die Anerkennung des formellen Rahmens kapitalistischer Anarchie. Wir treten für eine internationalistische Grundlage ein, weil nur sie als Antwort auf den international agierenden Kapitalismus taugt.

Internationalismus

Gegen den nationalistischen Mief sozialdemokratisch-reformistischer Standortpolitik und gegen jegliche nationalistischen Modelle!

Keine soziale Bewegung kann angemessen reagieren, wenn sie sich nicht auch mit der Frage der inneren und äußeren Reaktion auseinandersetzt. „Heuschrecken“ sind eben nicht nur ein Angriff „ausländischer“ Kapitale, sondern zunehmend eine Aggressionsform bundesdeutscher Kapitalstrukturen.

Wir meinen, dass eine Basisbewegung ohne programmatische Vorstellungen, ohne zumindest die Auseinandersetzung darüber zu führen, eine hohle Phrase bleiben wird.

Aktuelle Anknüpfungspunkte

Für eine Basisbewegung gibt mehr als genug Anknüpfungspunkte: Inflation, Mehrwertsteuererhöhung, steigende Energiekosten, Fahrpreiserhöhungen, steigende Krankenkassenbeiträge, Lohnkürzungen, Kürzungen von Renten und Geldern für Erwerbslose.

Hinzu kommen die ständige Angst in den Betrieben vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und eine permanente Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Die Privatisierung öffentlicher Bereiche wird immer weiter vorangetrieben. So steht in Kassel die Privatisierung der Stadtwerke zur Diskussion, in Niedersachsen der Verkauf der Landeskrankenhäuser. In NRW, Niedersachsen und Hessen sind zurzeit die Auswirkungen privatisierter Abfallentsorgung zu sehen: eine verzweigte private Müll-Mafia hat Abfälle zu Dünger verarbeitet, viele Felder wurden mit Krebs erzeugenden PFT-Chemikalien verseucht, Trinkwasser und Nahrungsmittel sind verseucht. Die Aufsichtsbehörden, personell durch Sparprogramme ausgedünnt, reagieren hilflos und versuchen zu verharmlosen.

Basisbewegung und neue Arbeiterpartei

Der Aufbau einer Basisbewegung kann und muss von jenen GewerkschafterInnen und KollegInnen, von Jugendlichen und Erwerblosen begonnen werden, die den Kampf führen wollen oder ihn schon führen. Doch der Klassenkampf darf nicht auf der Ebene betrieblicher und ökonomischer Kämpfe stehen bleiben. Er braucht zugleich auch eine gesellschaftliche Perspektive und muss alle wichtigen Felder der nationalen und internationalen Politik und des Klassenkampfes abdecken. Dazu braucht es eine politischen Kampforganisation: einer Arbeiterpartei.

Die Linkspartei hatte bei den Bundestagswahlen unter Gewerkschaftsmitgliedern mit 12% überdurchschnittlich abgeschnitten. Nun wird von ihr eine Antwort und eine Alternative erwartet: nicht nur zur SPD, sondern auch zur Anpassung und Unterwerfung der Gewerkschaftsführung unter die SPD, die Regierung, den Staat und das Kapital.

Die Führungen von Linkspartei und WASG geben falsche Antworten. Deshalb ist auch die eigenständige Kandidatur der WASG zu den Berliner Wahlen eine richtige und wichtige Entwicklung.

 

Kampfprogramm

Zum Kampf gegen Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Sozialraub schlagen wir folgende Ausrichtung für die Gewerkschaftslinke und die sozialen Bewegungen vor:

Nein zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung: Für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für eine europaweite Kampagne zur Einführung der 35-Stunden-Woche! Gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro/Stunde!

Rücknahme der Hartz- und Agendagesetze! Nein zu Billigjobs und Leiharbeit! Mindestunterstützung von 1000 Euro netto für Arbeitslose und RentnerInnen!

Kampf gegen alle Entlassungen! Für die entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Entlassungen oder Schließungen durchführen wollen - unter Kontrolle der Beschäftigten! Gegen alle Privatisierungen!

Freier und kostenloser Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle! Umlagefinanzierung zur Sicherung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes für alle Jugendlichen!

Diese Forderungen können nur durch gemeinsame Aktionen in den Betrieben und auf der Straße erreicht werden - durch politische Massenstreiks, Besetzungen, Großdemos, Blockaden. Sie können nur durchgesetzt werden, wenn wir die Isolierung der Abwehrkämpfe auf einzelne Betriebe, Unis oder Sektoren überwinden, wenn der Abwehrkampf politisch, mit einer gesamtgesellschaftlichen und internationalen Ausrichtung geführt wird. Das bedeutet, dass obige Forderungen je nach Situation ergänzt und die AktivistInnen eines solchen Kampfes auch gegen rassistische Angriffe und imperialistische Politik des deutschen und europäischen Kapitals kämpfen müssen.

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Nr. 113, August/Sept. 2006

*  Libanon: Protektorat des Imperialismus?
*  Israel/Palästina: Antizionismus = Antisemitismus?
*  Heile Welt
*  Libanon: Was ist Hisbollah?
*  Klassenkampf und soziale Bewegung: Welche Perspektive?
*  Schmiergeldskandale: Korruption mit System
*  Venezuala: Gegen Bosse und Bürokraten
*  WASG-Linke: Stunde der Integratoren
*  Hisbollah-Verbot droht: Weg mit den Antiterrorgesetzen!
*  Linkspartei.PDS: "Der Anfang ist gemacht ..."
*  Wahlen in Berlin: WASG wählen, Widerstand formieren