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Libanon

Was ist Hisbollah?

Martin Mittner, Neue Internationale 113, August/September

Die Wörter „Islamismus“ oder „islamistisch“ haben in den letzten Jahren eine wahrlich inflationäre Entwicklung in den bürgerlichen Medien durchgemacht. Schon der Gebrauch des Wortes und die Kennzeichnung einer Organisation oder Gruppe von Moslems reicht aus, um sich jede genauere Analyse zu sparen. Auch der Mainstream der Linken - von den „Anti-Deutschen ganz zu schweigen - meint, schon mit ein zwei Begriffen alles gesagt zu haben.

Ob es sich um eine islamische Republik wie Pakistan, um eine Monarchie wie Saudi-Arabien, um einen Brückenkopf des Imperialismus wie diese Staaten oder ein anti-westliches Regime wie die Mullahs in Teheran handelt; ob islamistische oder islamische Bewegungen mit den imperialistischen Mächten verbündet sind oder an der Spitze anti-imperialistischer und anti-zionistischer nationaler Widerstandsbewegungen stehen; ob es sich um elitäre, zahlmäßig relativ kleine Netzwerke oder um Massenbewegungen mit großen Anhang unter den ärmsten Bevölkerungsschichten handelt - das alles scheint zweitrangig, ja irrelevant, ist eine Bewegung oder eine Organsisation erst einmal als „islamistisch“ abgestempelt.

Für die bürgerlichen Medien und die hinter ihnen stehende herrschende Klasse macht das natürlich Sinn. Wenn die Berliner BZ eine Anti-Kriegs-Demonstration von fast 10.000 Menschen als „ Hassdemonstration“ denunziert und der Polizeigewalt gegen arabische Jugendliche, die eine Hisbollah-Fahne trugen, zujubelt, ist das nicht weiter verwunderlich. Es geht dabei darum, die öffentliche Meinung zuzurichten, den Umfragen, die eine mehrheitliche Ablehnung des israelischen Angriffs zeigten, entgegenzuarbeiten und die Bevölkerung auf einen Bundeswehr-Einsatz im Libanon einzustimmen.

Doch der Anti-Islamismus ist eine imperialistische rassistische Leitideologie geworden, die auch weit in die Linke und die organisierte Arbeiterbewegung reicht - um so imperialistische Interventionen und die expansionistische Politik Israels zu rechtfertigen.

War wollen daher einen kurzen Überblick über die Geschichte der Hisbollah geben.

Entstehung

Die Hisbollah ist eine Massenbewegung, die sich auf die Schiiten im Süden des Libanon, im Bekaa-Tal und in den südlichen Stadtteilen Beiruts stützt (wenn auch nicht ausschließlich).

Hinter der religiösen Spaltung des Landes steht jedoch keineswegs nur eine Glaubensfrage, sondern vor allem auch eine soziale. Hinzu kommt die Benachteiligung der Schiiten in den politischen Institutionen des Landes und im Wahlrecht. So fällt unter den zentralen Staatsämtern des Landes den Schiiten nur der vergleichsweise unbedeutende Parlamentspräsident zu.

Die Hisbollah ist im libanesischen Parlament mit 14 von 128 Sitzen vertreten und stellt zwei Minister in der Regierung.

Kampf gegen Besatzung

Das Anwachsen des Hisbollah zur dominierenden Kraft unter den Schiiten muss vor dem Hintergrund mehrerer Faktoren gesehen werden. Zuerst der israelischen und imperialistischen Besatzung des Landes in den 1980er und 1990er Jahren.

Der Islamismus unter den Schiiten erhielt erst nach der iranischen Revolution starken Zulauf. Davor war die Libanesische Kommunistische Partei unter den Schiiten sehr einflussreich gewesen. Aber die Krise des Stalinismus schwächte diese Partei in den 1980er und 1990er Jahren und führte zu mehreren Spaltungen. Die Islamisten lösten sie als Hauptvertreter des radikalen, kämpferischen libanesischen Widerstandes gegen die israelische Besatzung zwischen 1982 und 2000 ab.

Wie viele andere islamistische Gruppierungen organisierte die Hisbollah beachtliche Fürsorgeprogramme, baute Schulen und Krankenhäuser. So konnte sie unter den Armen tiefe Wurzeln schlagen. Das sozial-politische Programm übernahm sie dabei weitgehend von linken Parteien wie der Libanesischen KP, von der sie auch viele Militante gewinnen konnte.

Während des Bürgerkrieges und der israelischen Besatzung des Südens konnte die Hisbollah mehr und mehr der pro-syrischen Amal-Miliz den Rang als dominierende Kraft unter den Schiiten ablaufen (auch wenn sie seit 1991 mit dieser kooperiert, z.B. mit gemeinsamen Wahllisten). Der Grund dafür liegt sowohl in der Militanz der Hisbollah wie in ihrer Sozialpolitik.

Die von den USA gestützte israelische Invasion 1982 richtete sich vor allem gegen die PLO-Kräfte im Libanon. Die von der verbündeten Phalange-Miliz verübten Massaker von Sabra und Shatila kosteten 1.700 PLO-KämpferInnen und Tausenden ZivilistInnen das Leben. Dieser Massenmord wurde direkt von der israelischen Armee unter Sharon gelenkt.

Die Hisbollah übernahm jedoch rasch die Rolle der PLO als Vorhut des Kampfes gegen die Besatzung. Im April 1983 verübte sie einen erfolgreichen Anschlag auf die US-Botschaft in Beirut, bei dem 63 Menschen getötet wurden. Im Oktober desselben Jahres starben 241 US-Marines nach einem Bombenanschlag und 56 französische Fallschirmjäger nach einem Anschlag auf eine Kaserne.

Die Hisbollah griff auch erfolgreich das Hauptquartier der IDF (der israelischen Armee) in Tyros an. Diese beachtlichen Schläge gegen die Besatzer führten zum Abzug der US-amerikanischen und französischen Besatzer aus Beirut und zum Rückzug der israelischen Truppen in die südlichen Grenzregionen des Landes. Auch nach dem Ende des Bürgerkrieges verweigerte die Hisbollah ihre Entwaffnung mit dem Argument, dass Israel noch immer den Süden des Landes besetzt hält. Die Aktionen der Hisbollah spielten eine zentrale Rolle dabei, dass sich Israel schließlich im Jahr 2000 fast ganz aus dem Libanon zurückzog.

Es ist kein Wunder, dass die USA und ihre zionistischen Verbündeten bis heute diese offene Rechnung begleichen wollen.

Und es ist auch nur verständlich, dass viele LibanesInnen und AraberInnen die Hisbollah als eine der wenigen effektiven bewaffneten Kräfte sehen, die in der Lage war, Israel, den USA und ihren imperialistischen Verbündeten schmerzliche Niederlagen zuzufügen.

Hinzu kommt, dass der Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah versuchte, Verbindung zu anderen, anti-imperialistischen Bewegungen herzustellen, die keinen schiitischen oder muslimischen Hintergrund haben. So erklärte sie sich mit Hugo Chavez und dessen bolivarischer Bewegung solidarisch. Überhaupt kombiniert die Hisbollah von Beginn an den arabischen und libanesischen Nationalismus mit dem Islamismus. Sie ist eine nationale Widerstandskraft mit islamistischer Ideologie.

Der Islamismus von Hisbollah

Der von Nasrallah vertretene Islamismus unterscheidet sich sehr vom wahabitischen Fundamentalismus eines Bin Laden. So verurteilte Nasrallah die Anschläge vom 11. September 2001 und die Tabliban-Herrschaft als „widerliches Regime, das den Islam diskreditiert“. Er selbst war auch Ziel eines Al-Quaida-Anschlages. Er verurteilte außerdem öffentlich Kämpfe und Anschläge zwischen Schiiten und Sunniten im Irak, weil sie den Widerstand gegen die Besatzung schwächen.

Die politische, materielle und militärische Unterstützung Syriens und Irans ist für die Hisbollah zweifellos sehr wichtig. Hinzu kommt, dass die Hisbollah in letzter Zeit auch die Unterstützung bekannter christlicher Politiker im Libanon gewinnen konnte, darunter des ehemaligen Premiers Michel Aoun.

Auch die Bombardierung christlicher Wohngebiete durch die israelische Luftwaffe - dazu gedacht, die Konflikte in der libanesischen Bevölkerung anzuheizen - hat sich für die Aggressoren als Bumerang erwiesen.

Obwohl Hisbollah eine beachtliche Geschichte des Widerstandes gegen die israelische Besatzung und deren Versuche hat, den Libanon zu einem willfährigen Pufferstaats zu machen, darf der Radikalismus der Hisbollah auch nicht überschätzt und einfach in die Zukunft verlängert werden.

Die Ideologie und das Programm der Hisbollah sind ganz und gar bürgerlich und pro-kapitalistisch.

So wie die Hamas im Januar 2006 durchaus damit geliebäugelt hat, den Staat Israel implizit anzuerkennen und so den Weg zu einer Verhandlungslösung auf Abbas-Linie vorzubereiten, so könnte sich auch die Hisbollah im Austausch für eine bessere Position im Rahmen des libanesischen politischen Systems zu einer stärkeren Integration bereit erklären.

Schließlich sollte man nicht vergessen, dass - anders als in den israelischen und westlichen Mythen verbreitet - die Hisbollah mit der Festnahme von zwei israelischen Soldaten tatsächlich nur einen Gefangenenaustausch herbeiführen und keineswegs einen Krieg gegen Israel beginnen wollte.

In den letzten Monaten gab es tatsächlich erste Gespräche, die Hisbollah-Milizen in die libanesische Armee zu integrieren, falls sich Israel zu einem Frieden unter UN-Aufsicht bereit erklären würde.

Die Widerstandskraft der Hisbollah ist entgegen - allen westlichen Mythen - nicht der Ausdruck fanatischen „islamistischen Irrsinns,“ sondern vielmehr Ausdruck des Widerstandswillens der Bevölkerung im Südlibanen und der sozialen Notlage der schiitischen Massen.

Daraus speist sich - wie in der palästinensischen Bevölkerung - in letzter Instanz auch die Entstehung militanter anti-imperialistischer Bewegungen.

Aufgrund der politischen Diskreditierung und Schwächung der bürgerlich-nationalistischen Kräfte wie der Linken orientieren sich diese Regungen heute oft auf islamistische Parteien und Gruppierungens - also auf Strömungen, die den Widerstand letztlich in eine Sackgasse führen werden. Das verdeutlicht auch die strategische Zielsetzung der Hisbollah.

Hisbollahs erklärtes Ziel ist es, die soziale Ungerechtigkeit und die nationale Unterdrückung durch die Errichtung einer Islamischen Republik im Libanon zu überwinden. Auch wenn sie diesen mit demokratischen Mitteln, also per Mehrheit, errichten will, so ist das Ziel ganz und gar reaktionär.

Gottesstaat

Ein Staat, der sich durch vorgeblich „göttliches Recht“ legitimiert, verabsolutiert damit nur die Herrschaft einer bestimmten Schicht von Großgrundbesitzern und Kapitalisten, die politisch von einer religiösen Kaste, einer klerikalen Hierarchie ausgeübt wird.

Ein solcher Staat wäre - wie der Iran zeigt - eine Hölle für Frauen, die zur gesellschaftlichen Unterordnung und Minderwertigkeit verdammt wären, für Schwule und Lesben, die von menschenverachtenden Gesetzen unterdrückt würden, für die Arbeiterklasse, deren gewerkschaftliche und politische Organisationen verboten und unterdrückt und deren Militante brutal verfolgt werden.

Es wäre ein Staat, der das Privateigentum an Produktionsmitteln, und damit den Kapitalismus, heilig sprechen würde. Die islamische Republik wäre eine besondere Form bürgerlicher Herrschaft, die auf kapitalistischer Ausbeutung beruht.

Revolutionäre KommunistInnen müssen daher die Unterstützung des Widerstandes gegen die Aggression Israels oder die drohende imperialistische Besatzung durch UN-Truppen mit dem politische Kampf gegen den Islamismus verbinden und danach trachten, den Einfluss der Islamisten unter den Armen und Unterdrückten zu brechen.

Dazu sind zeitweilige Allianzen im Kampf gegen die Besatzer sicherlich notwendig.

Aber die klassenbewussten ArbeiterInnen und die Linken dürfen dabei keine Minute aus den Augen verlieren, dass sie nicht nur dem strategischen Ziel der Hisbollah ganz und gar feindlich gegenüberstehen, sondern auch alle Schritte in diese Richtung bekämpfen müssen: z.B. Versuche, Parteien oder Gewerkschaften zu „islamisieren“, demokratische Rechte der Frauen oder die Trennung von Staat und Religion anzugreifen.

Die politische Voraussetzung für jede zeitweilige Allianz mit Islamisten muss die Bewahrung oder Herstellung der eigenen politischen Unabhängigkeit sein, d.h. das Ziel, eine Klassenpartei der ArbeiterInnen und Unterdrückten im Libanon aufzubauen.

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Nr. 113, August/Sept. 2006

*  Libanon: Protektorat des Imperialismus?
*  Israel/Palästina: Antizionismus = Antisemitismus?
*  Heile Welt
*  Libanon: Was ist Hisbollah?
*  Klassenkampf und soziale Bewegung: Welche Perspektive?
*  Schmiergeldskandale: Korruption mit System
*  Venezuala: Gegen Bosse und Bürokraten
*  WASG-Linke: Stunde der Integratoren
*  Hisbollah-Verbot droht: Weg mit den Antiterrorgesetzen!
*  Linkspartei.PDS: "Der Anfang ist gemacht ..."
*  Wahlen in Berlin: WASG wählen, Widerstand formieren