Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Die SAV und der Generalstreik

Sind 24 Stunden genug?

Hannes Hohn, Neue Internationale 87, Februar 2004

Derzeit formiert sich der Widerstand gegen die Agenda 2010. Dabei sind zwei miteinander verbundene Fragen zu lösen. Welche Kampfmaßnahmen sind nötig, um die Agenda zu kippen? Wie kann aus dem sehr differenzierten, nur ansatzweise vernetzten Widerstandsspektrum eine schlagkräftige Bewegung formiert werden?

Die zentrale Losung der Sozialistischen Alternative Voran (SAV) dafür ist der 24stündige Generalstreik. "Wer glaubt, diese Regierung würde sich von weniger beeindrucken lassen, der irrt. Eine eintägige Arbeitsniederlegung aller Beschäftigten wäre eine Demonstration der Stärke, Geschlossenheit und Entschlossenheit der abhängig Beschäftigten in Deutschland, die der Regierung und den Damen und Herren in den Chefetagen der Konzerne das Fürchten lehren würde." (SAV-Homepage)

Ohne Frage: die Generalstreiklosung ist populär, wie die Demo am 1.11.03 in Berlin zeigte. Dort waren Schilder und Transpis mit dieser Losung gleich zu Dutzenden zu sehen. Die SAV hat auch damit recht, dass Kampfaktionen unterhalb des Levels von Massenaktionen der ganzen Klasse oder von entscheidenden Sektoren nicht ausreichen. Es ist richtig, dass ein 24-Stunden-Generalstreik ein Fortschritt im Kampf wäre - gerade in Deutschland.

Doch MarxistInnen gehen bei der Festlegung einer Kampftaktik nicht nur davon aus, was der nächste Schritt der Bewegung sein kann, sondern vor allem davon, was zum Sieg objektiv notwendig ist. Revolutionäre Politik ist insofern nicht nur "radikaler" oder "linker" als andere politische Vorschläge; sie muss aufzeigen, wie die Klasse das Kampfziel erreichen kann - und welche Rolle die Vorhut der Klasse dabei spielt.

Entschlossener Kampf oder leere Geste?

Kann ein 24stündiger Generalstreik die Agenda verhindern? Nein! Kapital und Regierung würden einfach abwarten, bis die Gefahr vorbei ist - und 24 Stunden sind keine lange Wartezeit. Wie die Erfahrungen z.B. aus Italien zeigen, wo es fast jedes Jahr mehrere solche Eintagesstreiks gibt, ist der Effekt solcher Maßnahmen begrenzt. Für das Kapital ist ein Eintagesstreik natürlich eine Drohung, doch gleichzeitig ist in der zeitlichen Begrenzung auch eine Entwarnung enthalten - nach einem Tag gehen wir ja wieder nach Hause.

Ein eintägiger Streik könnte absolut nicht bewirken, dass die Profitproduktion so (lange) unterbrochen wird, dass Kapital und Regierung zum Einlenken gezwungen wären. Er wäre eine radikale Geste, aber keine reale Gefahr.

Die SAV verschweigt, dass ein Generalstreik die Frage der Macht im Staate aufwirft: welche Klasse bestimmt die Geschicke der Gesellschaft? Erzwingt die Arbeiterbewegung, dass "alle Räder stille stehn" oder erzwingt das Kapital, dass sie sich für Profite weiter drehn?

Eine Blockade der Produktion und des öffentlichen Lebens durch einen Generalstreik kann natürlich nicht ewig dauern. Sie wird beendet werden - entweder dadurch, dass der Kapitalismus insgesamt (gegen mehr oder weniger große Zugeständnisse des Kapitals) weiter besteht oder der Streik sogar per staatlicher Gewalt niedergeschlagen wird. Oder aber die Arbeiterbewegung drängt weiter und nutzt ihre Macht, um den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und ihre eigene Räteherrschaft zu errichten und schrittweise eine geplante Gebrauchswertproduktion in Gang zu setzen.

Diese im - nicht auf 24 Stunden begrenzten - Generalstreik enthaltene Dimension verschweigt die SAV aber und blendet damit das revolutionäre Element aus. So werden die Arbeiterklasse und besonders ihre bewußteren Teile über die Ziele, Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Kampfes im Unklaren gelassen. Diese Klarheit zu vermitteln, zu sagen, "was ist", unterschiedet den revolutionären Marxismus aber gerade von allen anderen reformistischen oder zentristischen Vorstellungen.

Was bedeutet die Politik der SAV nun angesichts des Grundproblems der deutschen Arbeiterbewegung und jedes einzelnen ihrer Kämpfe - der Herrschaft des Reformismus über die Klasse?

Zum einen bedeutet sie die Absage an den Versuch, die Vorhut der Klasse für eine revolutionäres Programm im allgemeinen und für eine revolutionäre Kampftaktik im besonderen zu gewinnen und sich dafür zu organisieren. Zum anderen wird der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie oder "linken" Reformisten wie Gysi oder Lafontaine ermöglicht, die Bewegung für ihre Zwecke zu missbrauchen und deren Dynamik zu bremsen.

Politische Dimension

Ein Generalstreik kann auch von den Reformisten ausgerufen werden, wenn sie unter Druck stehen. Um nicht vollends ihren Einfluss in der Klasse zu verlieren, können sie dann auch einmal die radikale Karte ausspielen. Doch es wird dabei ihre Absicht sein, den Kampf zu begrenzen und ihn jeder weitergehenden Dynamik zu berauben. Dabei spielt ihnen die Begrenzung des Kampfes auf "24 Stunden" in die Hände.

Der Kampf gegen die Agenda sprengt den Rahmen der sonst üblichen Tarifrundenrituale und der bisweilen damit verbundenen begrenzten ökonomischen Streiks. Insofern enthält er von vornherein eine politische, direkt die Regierung betreffende Komponente; deshalb sind in diesem Fall auch politische Massenstreiks die einzig wirklich effektive Kampfmethode. Alle Maßnahmen der ReformistInnen - auch ein 24stündiger (!) Generalstreik - zielen aber darauf, den Kampf zu begrenzen. Die "24 Stunden" der SAV wären als Zwischenschritt, als erste größere Mobilisierung noch diskutabel, doch für die SAV markiert die "24" das Ende der klassenkämpferischen Fahnenstange. Daran ändert auch nichts, dass die SAV selbst vielleicht eine darüber hinausgehende Perspektive hat - entscheidend ist, dass sie diese der Klasse nicht mitteilt und sie damit den Manipulationen der Bürokratie gegenüber "dumm" lässt.

Eines ist klar: jede größere Kampfaktion der Klasse muss an der Basis - in den Betrieben - vorbereitet werden. Die Aufforderung an die Gewerkschaftsführung, zum Streik aufzurufen, reicht bei weitem nicht! Selbst wenn die Reformisten der Forderung der SAV nachkämen, ist die Mobilisierung der Basis damit längst nicht gesichert. Und selbst wenn die Mobilisierung gelänge, wäre die Bewegung auf Gedeih und Verderb den Manövern der Bürokratie ausgeliefert. Auf diese entscheidenden Fragen bleibt die SAV die Antwort schuldig!

Dadurch, dass die SAV die Frage der Macht und die dazu notwendige Ausweitung des Kampfes - d.h. hieße auch, für einen unbegrenzten (!) Generalstreik einzutreten - verschweigt, verhindert sie auch, dass die Vorhut der Klasse sich der vor ihr liegenden objektiven Aufgaben und den reformistischen Widerständen bewusst wird. So aktiv die SAV in der Anti-Agenda-Kampagne involviert ist - trotzdem behindert sie politisch die Formierung der Führung der Klasse.

Die betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen, die Vertrauensleute usw. müssen sich in einer organisierten klassenkämpferische Basisbewegung organisieren. Das heißt: bewusster Bruch mit reformistischen "Gewohnheiten". Die SAV-Forderung nach "24 Stunden" ist hingegen nur eine linksreformistische Variante und kein Bruch mit dem Reformismus.

Die Vorhut der Klasse hat eine entscheidende Scharnierfunktion, um die gesamte Klasse oder wenigstens die "schweren Bataillone" in Bewegung zu setzen. Die SAV schwadroniert zwar viel von Klassenkampf, von Klasse und Generalsstreik - doch bezüglich der Vorhut der Klasse ist ihre Politik gerade kein Öl fürs Scharnier, sondern Wasser auf die Mühlen des Linksreformismus.

Zentrismus konkret

Die Methode der SAV läuft darauf hinaus, den Reformismus nach links zu drücken. "Wir rufen dazu auf, den Gewerkschaftsführungen Dampf zu machen, damit sie zu einer Massendemonstration am 17. Mai in Berlin mobilisieren, und wir rufen dazu auf, Druck für die Forderung nach einem eintägigen Generalstreik zu machen." (ebenda)

Daran ist richtig, dass an die reformistischen Führungen Forderungen gestellt werden, um diese zum Kampf zu zwingen und sie zu testen, um die Illusionen der Arbeiterinnen in sie zu brechen. Doch das funktioniert nur dann, wenn die Forderungen wirklich ein klares Ziel formulieren (z.B. Streik, bis die Agenda fällt), so dass den Reformisten kein Spielraum für Manöver und Ausreden bleibt.

Zum anderen müssen diese Forderungen auf die Ausweitung des Kampfes zielen, damit die Basis sehen kann, dass die Reformisten die Ausweitung der Mobilisierungen in letzter Instanz verhindern. Wobei Ausweitung hier im Sinne der Übergangsmethodik meint, die Machtfrage aufzuwerfen (Arbeiterkontrolle, Streikkomitees, Milizen, Räte usw.). Gerade daran scheitert die SAV jedoch komplett.

Ihr Maximum (24-Stunden-Generalstreik) liegt - wie schon gesagt - nicht nur unterhalb dessen, was zum Sieg nötig ist; es geht auch qualitativ nicht über den Rahmen reformistischen "Krisenmanagements" hinaus.

Dass die Methode der SAV in der Generalstreikfrage mit der Übergangsmethode - auf die sie sich selbst beruft (!) - über Kreuz liegt, ist kein Zufall. Ein Blick auf das SAV-Grundsatzprogramm offenbart nämlich, dass dort gerade jene Forderungen, die den Übergangscharakter, den revolutionären Gehalt des Programms ausmachen, fehlen. Alles, was den Rahmen von Reformen sprengt, was die Machtfrage aufwirft, was damit zu tun hat, dass das Proletariat die Herrschaft der Bourgeoisie bricht und ihre eigene Macht errichtet, sucht man im SAV-Programm vergebens (hier ist ein Vergleich mit Trotzkis Programm von 1938 oder dem aktuellen der Gruppe ARBEITERMACHT aufschlussreich). Gerade da, wo es drauf ankommt, sind die SAV-TrotzkistInnen ganz untrotzkistisch.

Schon Marx wies aber darauf hin, dass ein Kampf weniger daran gemessen werden müsse, welche zeitweiligen und begrenzten Erfolge er zeitigt, sondern daran, wie er Bewusstsein und Organisation der Klasse weiter entwickelt hat. Die 24-Stunden-Losung wirkt sehr radikal - im Vergleich zur Blockadetaktik der Reformisten; sie ist aber unzureichend, um der Klasse und deren Vorhut eine weiterführende Kampfperspektive aufzuzeigen.

Wie soll sich die gesamte Kampfkraft der Klasse entfalten - an einem Tag? Andererseits: Wenn die Klasse in der Lage ist, diesen Streik von unten vorzubereiten, warum sollte sie dann nach 24 Stunden schon wieder aufhören? Oder denkt die SAV etwa, wenn die Streikforderung nicht so radikal (auf 24 Stunden begrenzt) ausfällt, ist sie leichter durchsetzbar? Welche(r) ArbeiterIn will für eine Losung entschlossen kämpfen, von der von vornherein klar ist, dass sie wenig bis nichts bewirkt?

Streik auf Knopfdruck

Natürlich: jeder Massenstreik und umso mehr ein Generalstreik ist eine Heerschau der eigenen Kräfte, eine Präsentation der eigenen Stärke. Aber wie in jedem Krieg wird auch der Krieg zwischen Klassen genauso wenig durch Paraden entschieden, wie durch ein einzelnes Scharmützel.

Wenn der Streik jedoch auch oder eventuell sogar vor allem von der Gewerkschaftsführung ausgerufen und nach 24 Stunden beendet wird - wie soll die Klasse sich selbst formieren, wie soll sie im Kampf lernen, wie soll sie die Reformisten testen - in 24 Stunden?!

Massenaktionen und die Klasse selbst lassen sich nicht wie ein Heißwasserboiler per Knopfdruck an- und abschalten. 24 Stunden Streik am Montag und dann - ganz nach Bedarf - vielleicht noch mal donnerstags?

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 87, Februar 2004

*  Kampf gegen Agenda: Von der Vernetzung zur Basisbewegung
*  Basisbewegung: Welche Opposition braucht die Gewerkschaft?
*  Aktionskonferenz in Frankfurt: Ein Schritt vorwärts
*  Tarifrunde 2004: Kapital auf Kollisionskurs
*  Die SAV und der Generalstreik: Sind 24 Stunden genug?
*  Europäische Linkspartei: Linker Opportunismus
*  Weltsozialforum: "Raum" oder aktive Bewegung?
*  80. Todestag Lenins: "Leninismus" contra Lenin
*  Heile Welt
*  Auf nach München! Stoppt die "Sicherheitskonferenz"!