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Tarifrunde 2004

Kapital auf Kollisionskurs

Markus Lehner, Neue Internationale 87, Februar 2004

Mit ihrem Stuttgarter Angebot vom 23.1. haben die Metall-Unternehmer der IG-Metall den Fehdehandschuh hingeworfen:

zweistufige Erhöhung unterhalb des Produktivitätswachstums von je 1,2%;

mehr als zweijährige Laufzeit;

"Erhöhung" nur bei gleichzeitigem Abschluss eines weiteren Tarifvertrags, der eine Öffnungsklausel zur Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit enthält: Betriebsleitung und Betriebsrat sollen ohne Genehmigung der Tarifparteien die wöchentliche Arbeitszeit bis auf 40 Stunden erhöhen können - ohne jeden Lohnausgleich.

Bei diesem "Angebot" zerplatzt die Hoffnung vieler IGM-Funktionäre, dass es nach den Turbulenzen des letzten Jahres in dieser Tarifrunde möglichst ruhig und unspektakulär zugehen wird. Das Taktieren mit der "Forderung mit Augenmaß" (4% mit einjähriger Laufzeit; "Arbeitszeit ist kein Thema") erwies sich nicht nur als Rohrkrepierer - es hat die Kapitalisten nur noch angriffslustiger gemacht.

Insbesondere der Versuch, die Arbeitszeit über Öffnungsklauseln flächendeckend wieder auf 40 Stunden zu heben, bedeutet nicht nur einen Schlag ins Gesicht der Arbeitslosen. Er bedeutet, dass erstmals in der Nachkriegsgeschichte der IG Metall eine handfeste Absenkung der Brutto-Stundenlöhne aufgezwungen werden soll, statt der bisherigen bescheidenen Erhöhungsschrittchen. In Großbetrieben reden Betriebsleiter schon jetzt Klartext (natürlich nicht für die "Öffentlichkeit" bestimmt), dass ihnen Arbeitszeitverlängerung bei gegebener Produktivitätsentwicklung weiteren Personalabbau ermögliche - angeblich, "um damit den Bestand der restlichen Arbeitsplätze sichern zu können".

Tatsächlich hätte das Thema "Arbeitszeit" von der IG Metall von Anfang an zum zentralen Thema gemacht werden müssen. Gerade nach dem verlorenen 35 Stunden-Streik im Osten und den massiven Angriffen von Bundes- und Landesregierungen auf Arbeitslose und abhängig Beschäftigte, wäre eine Kampagne für radikale Arbeitszeitverkürzung (30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich plus Rückführung von Flexibilisierung) ein Mittel gewesen, mit dem die Gewerkschaften wieder in die Offensive gekommen wären. Diese Kampagne hätte zugleich die soziale und gewerkschaftliche Bewegung und die Arbeitslosen in ganz Europa mit einbeziehen können und müssen.

Dazu ist die bestehende Gewerkschaftsführung aber weder fähig noch willig. "Unsere" Vertreter ergingen sich statt dessen in Appellen an die Unternehmer, doch den Wert des Flächentarifs für den sozialen Frieden zu erkennen und seine vielen Möglichkeiten für "flexible Regelungen" zu würdigen. Statt der Öffnungsklauseln wollen die IG-Metall-"Tarifexperten" a la Hofmann eine "flexible Anpassung der Arbeitszeiten" an die Auftragslage in einem Korridor von 30 bis 40 Stunden, und eine generelle Öffnung auf 40 Stunden für Beschäftigte mit besonderen Qualifikationen in innovativen Bereichen.

Hofmann, Huber und Peters mögen wirklich glauben, damit "taktisch klug" den "betrieblichen Normalzustand" einfach in eine tarifvertragliche Form zu gießen (denn Langzeitkonten und tarifvertragswidrig hohe Zahlen von 40-Stundenverträgen in bestimmten "strategischen" Bereichen sind heute ohnehin schon die Regel). Doch einerseits wird damit der betriebliche Widerstand gegen die verschiedenen Formen flexibler und verschleierter Arbeitszeitverlängerung noch schwieriger. Andererseits führen Intensivierung der Arbeit und immer kürzere Innovationszyklen zu realer Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Kurzum, immer mehr Arbeit wird auf immer weniger Hände und Köpfe verteilt.

Damit wird auch die Position der Kapitalverbände stärker, dass es bei Arbeitszeit, Entgelt und sonstigen tariflichen Bedingungen darum gehe, günstigere Bedingungen für den "deutschen Standort" gegenüber der "Konkurrenz" zu bieten, die dem deutschen Kapital weiter die "Exportweltmeisterschaft" garantieren sollen. Letztlich werden die Argumente rund um "Stärkung der Binnennachfrage" und "Sicherung der Innovationsfähigkeit" unter Bedingungen des "sozialen Friedens", wie sie von den Gewerkschaftsführungen seit Jahren vorgetragen werden, angesichts der realen Kapitalströme und der ihnen folgenden Arbeitsplatzverlagerungen immer absurder.

Illusion

Wer heute noch versucht, den Kampf gegen Entlassungen, Lohndumping und Arbeitszeitverlängerung im Rahmen eines national beschränkten "Sozialkompromisses" zu führen, ist schon auf der Verliererstraße. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung und Sicherung sozialer Standards kann in der Phase der verschärften globalisierten Überakkumulationskrise nur als internationaler Kampf Klasse gegen Klasse geführt werden.

Die bestehende Gewerkschaftsführung ist durch ihre Funktion als Mittler zwischen der Arbeiterklasse und der deutschen Bourgeoisie mit Haut und Haaren (und ihrer sozialen Existenz) an Mechanismen des nationalen Klassenkompromisses gebunden. Wie ausweglos die Lage auch immer ist, sie kann nicht anders, als entgegen allen Realitäten immer noch irgendwelche ausgeklügelten Kompromiss-Angebote zu machen. Dabei steht die Hoffnung Pate, dass der alte Gesamtkompromiss doch noch irgendwie existiere - und das Kapital endlich wieder "zur Vernunft" komme.

Der Gewerkschaftsbasis und den anderen betroffenen Schichten, denen diese "Kompromisse" nur immer schlimmere Bedingungen zumuten, bieten diese Formen der "Auseinandersetzung" immer weniger Perspektive. Angesichts der Heftigkeit der Angriffe und der allgemeinen Arbeitsplatzvernichtung trotz Rekordgewinnen, erscheinen Tarifrituale um ein paar Prozentpunkte und um Langzeitkonten statt Öffnungsklauseln wenig motivierend, um sich bei Minusgraden vors Werktor zu stellen und evtl. dafür noch Repressionen seitens der Geschäftsleitung ausgesetzt zu sein.

Trotzdem wissen besonders die aktiven KollegInnen, dass es bei dieser Tarifrunde tatsächlich um viel mehr geht. Die faktische Arbeitszeitverlängerung und die damit verbundene Stundenlohnabsenkung stellen Provokationen dar, die der gewerkschaftlichen Kampfkraft nach verlorenem Ost-Streik und Agenda 2010 einen weiteren schweren Schlag versetzen sollen. Die Bereitschaft zur Aktion ist daher sehr viel stärker, als es sich bisher öffentlich dargestellt hat. Die Vertrauenskörper sind angesichts des Arbeitgeber-Angebots in Schwung gekommen. Durch die Verbindung der Gesamtmetall-Provokation mit dem Sozialkahlschlag der Regierung könnte eine kräftige Streikbewegung organisiert werden, die dem Generalangriff der Bourgeoisie eine klare Abfuhr erteilt.

Gleichzeitig sind viele KollegInnen aber auch misstrauisch gegenüber der Verhandlungsführung der Gewerkschaftsspitze und deren wahrscheinlicher Kampfführung. Viele Vertrauenskörper lehnen die Arbeitszeit-Flexibilisierungs-Angebote der Verhandlungskommissionen ab. Sie befürchten zudem, dass Hofmann, Huber und Peters einen vorschnellen Abschluss mit fatalen Zugeständnissen wollen. Es kommt daher jetzt darauf an, neben der konsequenten Mobilisierung für den Arbeitskampf im Betrieb, über die Vertrauenskörper, Verwaltungsstellen und Tarifkommissionen Druck auf die Verhandlungsführungen auszuüben, nichts anderes als die 4%-Forderung mit 1-jähriger Laufzeit zu verhandeln und keinen Kompromiss bei der Arbeitszeit einzugehen - andernfalls muss es zum Vollstreik kommen!

Um diese Linie durchzusetzen und mit der Perspektive eines allgemeinen Kampfes gegen die Sozialraubpolitik von Kapital und Regierung zu verbinden, müssen die kampfbereiten Vertrauensleute und andere BasisaktivistInnen zu einem gemeinsamen Vorgehen finden. Hier kommt besonders der bundesweiten Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken eine wichtige Rolle zu, da sie bereits über eine gewisse Verankerung und Erfahrung mit dem Eingreifen in Tarifkämpfen verfügt. Die Koordinierung von Resolutionen, der Austausch von Informationen und die gegenseitige Unterstützung muss in noch weit organisierterer und breiterer Form als in der Tarifrunde 2002 gelingen!

Über die Tarifrunde hinaus müssen wir jedoch an einer grundlegenden politischen Alternative zur bestehenden Gewerkschaftspolitik arbeiten. Dies erfordert eine klassenkämpferische Basisbewegung, welche die gewerkschaftlichen Tageskämpfe mit einer klaren antikapitalistischen und internationalistischen Perspektive verbindet.

 

IG Metall Berlin: Streikvorbereitung?

Am 26.1. trafen sich in Mariendorf etwa 350 FunktionärInnen aus Berliner Großbetrieben der Metall- und Elektroindustrie zur Diskussion der anstehenden Tarifrunde 2004. Die Botschaft war eindeutig: die Unternehmer sehen sich schon klar auf der Siegerstraße und die IG Metall derart am Boden, dass es jetzt darauf ankommt, mit aller Mobilisierungsmacht zurückzuschlagen!

Den KollegInnen vor Ort muss klar gemacht werden, dass es hier nicht mehr um ein gewöhnliches "Tarifritual" geht, sondern um die Handlungs- und Tariffähigkeit der gesamten Gewerkschaftsbewegung. Zu den Besonderheiten der Berliner Situation zählt, dass die Tarifrunde mit einem eventuellen Abschluss etwa in Baden-Württemberg noch lange nicht zu Ende sein wird - die Arbeitgeberverbände haben schon angekündigt, dass sie im "Osten" einen solchen Abschluss nicht übernehmen und den Flächentarifvertrag endgültig beerdigen wollen.

Hier hat die IG Metall vom letzten Sommer noch einiges wieder gut zu machen: Es darf keinen Abschluss vor dem Einlenken der Arbeitgeber auch im Osten geben! Die Vertreter der Gewerkschaftsspitze im Bezirk und der Verwaltungsstelle, Hasso Düvel und Arno Hager, versprachen eine konsequente Tarifrunde und dementierten die in der Berliner Presse verkündeten möglichen Abweichungen vom Flächentarifvertrag als üble Medienpropaganda, die sich nahtlos in die Pressekampagnen von letztem Sommer einfügen würden.

Sie erklärten demgegenüber, dass sie angesichts der scharfmacherischen und überheblichen Arbeitgeberpositionen in den Verhandlungen einen Streik in aller Härte für unvermeidlich halten. Wir wollen, dass ihren Worten auch Taten folgen!

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Nr. 87, Februar 2004

*  Kampf gegen Agenda: Von der Vernetzung zur Basisbewegung
*  Basisbewegung: Welche Opposition braucht die Gewerkschaft?
*  Aktionskonferenz in Frankfurt: Ein Schritt vorwärts
*  Tarifrunde 2004: Kapital auf Kollisionskurs
*  Die SAV und der Generalstreik: Sind 24 Stunden genug?
*  Europäische Linkspartei: Linker Opportunismus
*  Weltsozialforum: "Raum" oder aktive Bewegung?
*  80. Todestag Lenins: "Leninismus" contra Lenin
*  Heile Welt
*  Auf nach München! Stoppt die "Sicherheitskonferenz"!