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Weltsozialforum

"Raum" oder aktive Bewegung?

Augenzeugenbericht von Kuldip Bajwa,
Neue Internationale 87, Februar 2004

Mit einer sechs Kilometer langen Demonstration endete das vierte Weltsozialforum, das vom 16.-21. Januar in Mumbai (Indien) stattgefunden hatte.

Der lautstarke Marsch, der sich vor allem gegen US-Präsident Bush und den Irak-Krieg richtete, verursachte ein riesiges Verkehrschaos im Süden Bombays, dem Finanzzentrum und der größten Stadt des Landes.

Rund 100.000 TeilnehmerInnen aus 152 Ländern hatten sich versammelt. Insgesamt fanden rund 1200 Seminare, Workshops, Konferenzen und Diskussionen statt, die ein breites Themenspektrum - vom imperialistischen Krieg gegen den Irak bis zu sexuellen Rechten - umfasste.

Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden kam aus allen Teilen des Subkontinents und vertrat verschiedene Ziele, wie die Landrechte der indigenen Bevölkerung, die Forderungen der Daliten (unterste, unterdrückte Kaste der indischen Gesellschaft), Selbstschutzorganisation gegen den zunehmenden Kommunalismus, Arbeiterorganisationen und Gruppierungen zum Schutz der Kinder. Vielleicht eines der eindrucksvollsten Merkmale war die große Zahl der verschiedener Frauengruppen: von Kampagnen gegen häusliche Gewalt und Vergewaltigung bis hin zu Organisationen von Sex-Arbeiterinnen.

Viele Mensche reisten aus anderen Teilen Asien zum WSF, vor allem aus Süd-Korea und Indonesien. Viele EuropäerInnen waren dabei ebenso einige Süd-AmerikanerInnen - viele von ihnen als Veteranen der drei vorangegangenen Treffen des WSF in Porto Alegre.

Stark unterrepräsentiert waren Menschen aus Afrika.

Eröffnung

Die Eröffnungsreden wurden am Freitag Abend gehalten, als die Sonne sich hinter der riesigen Bühne vor Zehntausenden senkte, die bereits früher gekommen waren, um MusikerInnen und DarstellerInnen zu erleben.

Viele der Reden behandelten die Voraussagbarkeit des Mantras des WSF, des "Eine andere Welt ist möglich", das der Brasilianer Chico Whittaker wiederholte. Er betonte, dass das Forum die Bildung horizontaler Beziehungen erleichtern muss, respektvoll gegenüber der Verschiedenheit und den Unterschieden, so dass dieser neue Prozess neuer kontinuierlicher Netzwerke "die neue Welt bilden" könnte.

Shiri Abadi, Friedensnobelpreisträgerin aus dem Iran, rief zur Reform der WTO und der UNO auf und glaubte, dass dies der Schlüssel zur Verringerung der globalen Armut sei. Ihre Botschaft an das WSF war, dass wir für die "Demokratisierung der Globalisierung" arbeiten müssten.

Jeremy Corbyn, Parlamentsmitglied aus Großbritannien und Unterstützer von Antikriegskampagnen, lieferte eine feurige Rede und forderte ein Ende der Besetzung des Irak und beschrieb diese als den "Ausverkauf eines Landes".

Mustafa Barghouti, ein palästinensischer Politiker, appellierte, nicht neutral zu sein und den Kampf der PalästinenserInnen zu unterstützen, wie diese den Unabhängigkeitskampf von Indien und Algerien und den Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika unterstützten.

Amir Al Rekabi, Sprecher der nationaldemokratischen Opposition im Irak, und die Autorin und Kampagnenunterstützerin Arundhati Roy, gingen über bloße Rhetorik hinaus und riefen zur Aktion auf.

Al Rekabi rief zu einer Solidaritätskampagne mit den Menschen im Irak auf (ebenso wie der französische Bauernführer Jose Bové zur Unterstützung des Kampfes PalästineserInnen aufforderte).

Roy erklärte, dass es nicht mehr ausreiche, über Erfolge zur berichten und forderte dazu auf, nicht nur Unterstützer, sondern Teil des Widerstandes zu werden. Sie sprach sich unter tosendem Beifall dafür aus, gegen jede Spaltung des Widerstandes gegen die Besatzung in einen "gewalttätigen" und "friedlichen" aufzutreten (wofür sie unter anderem von der Berliner Tageszeitung taz auch gleich in eine "terroristische" Ecke gestellt wurde).

Der Kampf gegen die Besetzung Iraks und Palästinas, die Solidarität mit dem Widerstand und der Intifada waren zentrale Themen des WSF.

Die Rede und die Vorschläge Roys bringen aber auch ein zentrales Problem des Weltsozialforums (wie auch der kontinentalen Foren) ans Tageslicht. Den Worten und der Zustimmung durch die Masse der AktivistInnen folgte praktisch - wenig oder nichts.

Tatsächlich hatte das Forum in vielerlei Hinsicht oft den Charakter eines politischen Musik- und Theaterfestivals. Die zahlreichen KünstlerInnen thematisierten Fragen wie Gewalt in der Familien, die Überausbeutung in den Sweat-Shops der multi-nationalen Konzerne oder die Politik von Konzernen wie Coca Cola.

Die größten und sichtbarsten Stände hatten die zahlreichen NGOs und der "Internationale Bund freier Gewerkschaften" (der internationale Gewerkschaftsdachverband, dem auch der DGB angehört).

Die Foren und großen Seminare in Mumbai waren zwar nicht so sehr von "Prominenten" dominiert wie in Paris oder Porto Alegre. Trotzdem waren auch dort ein klares Übergewicht von NGOs, von reformerischen und reformistischen Organisationen zu spüren.

Rolle der NGOs

Viele der RednerInnen waren direkt von NGOs finanziert, deren Gelder selbst wiederum teilweise von den Regierungen stammen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Die bekannteren Sprecher waren neben oben genannten EröffnungsrednerInnen Walden Bello, der frühere Weltbank-Chef Joseph Stiglitz, der US-amerikanische Anarchist und Herausgeber des Z-net-Magazins, Michael Albert, oder der britische Guardian-Journalist und Buchautor George Mombiot.

Die Dominanz der NGOs in der Vorbereitung und die berechtigten Kritikpunkte des Gegenforums am intransparenten und undemokratischen Charakter der Organisation des WSF hatten auch in der indischen Bewegung zu einer Spaltung und zu einem Gegenforum - Mumbai Resistance 2004 - geführt. Dieses wurde i.w. von einigen maoistischen Gruppierungen getragen und fand direkt gegenüber dem WSF, auf der anderen Straßenseite statt. Die Abhaltung eines eigenen Forums, ohne in das WSF zu intervenieren, stellt sich jedoch als taktische Fehlentscheidung heraus, da zum Gegenforum an sechs Tagen nur insgesamt 1000 bis 1500 Leute auftauchten.

Vom Geist von Seattle oder der Demonstrationen von Genua war am Welt-Sozialforum nur wenig zu spüren. Gleichzeitig fanden unter der vagen Formel "Eine andere Welt ist möglich", unter der jeder verstehen kann, was ihm gerade in den Kram passt, mehr kontroverse Debatten statt.

Das war vor allem in den kleineren (bis zu 300 oder 400 Menschen großen) Workshops und Seminaren der Fall, während die großen Foren kaum Möglichkeit zur Publikumsdiskussion boten und auch relativ schlecht besucht waren.

Aber auch in den großen Plena kam es z.T. zu heftigen Kontroversen. Auf einem Forum unter dem Titel "Die Zukunft der Bewegung: wie radikal soll sie sein?" attackierte George Monbiot die SWP (in Deutschland Linksruck) wegen ihres "Totalitarismus" (und meinte damit auch andere subjektiv revolutionäre oder sozialistische Organisationen).

Die Antwort der SWP und ihres Hauptredners, Alex Callinicos, fiel allerdings schwachbrüstig aus. Statt den Sozial-Liberalen Monbiot und seine reformistische Politik anzugreifen, wies Callinicos nur darauf hin, dass solche "Untergriffe" in der Bewegung nichts zu suchen hätten.

In Wirklichkeit findet hier ein politischer Kampf zwischen "Reform" und "Revolution" statt, der nicht aufgeschoben, sondern von Anti-KapitalistInnen gesucht und forciert werden muss.

Eine entscheidende, damit verbundene Frage, der die Organisatoren des WSF gerne auswichen, war jedoch die, was aus dem Weltsozialforum überhaupt werden soll. Ihrer Auffassung zufolge soll das Forum ein "Raum" sein, der Vernetzung, Reflektieren und Erfahrungsaustausch ins Zentrum stellt. Einige der Initiativen und Sprecher - wie z.B. Christoph Aguiton aus Frankreich (von attac und LCR) - gingen so weit, die Frage als entschieden zu betrachten - für den "Raum".

In der Tat ist eine solche Tendenz bemerkbar und sie ist auch eine der Ursachen dafür, dass das Weltsozialforum wie auch das europäische Sozialforum reformistischen Kräften breiteren Raum lässt.

Organisatorisch macht sich diese Spannung zwischen "Raum" und "Akteur" in der Separierung von Sozialforum und "Versammlung der Sozialen Bewegungen" fest.

Diese tagte in Mumbai täglich parallel zum Sozialforum, um eine gemeinsame Abschlusserklärung zu erarbeiten und zu verabschieden. Sie geriet allerdings recht dürftig, d.h. zu einer Sammlung von Aktionstagen für das Jahr 2004: Internationaler Frauentag am 8. März, Aktionstag gegen Krieg und Besatzung am 20. März, Solidaritätstag mit Palästina am 30. März, Aufruf zu Solidaritätsaktionen am 17. April für die Kämpfe der Bauern und Landlosen …

Eine heftige Debatte entzündete sich an der Frage, um Massenproteste gegen den nächsten Gipfel der Welthandelsorganisation in Hong Kong initiiert werden sollten oder nicht. Hinzu kam, dass diese Erklärung trotzdem fast noch am "Konsens"-Prinzip scheiterte.

Falls das WSF jedoch nicht zu einem Forum wird, das Entscheidungen über internationale Kampagne und Aktionen trifft und diese initiiert, falls es nicht gegen Imperialismus und Kapitalismus agiert, wird es zu einem unverbindlichen Debattierclub im Schatten der NGOs und der "linken" reformistischen Parteien und Gewerkschaften werden.

Seine aktuelle politische Breite - wiewohl unvermeidlich im frühen Stadium einer internationalen Bewegung - ist nicht nur eine Tugend, sondern auch eine Schwäche, wenn sie zum Hindernis für die politische Aktion wird.

Es heißt nichts anderes, als entweder per "Charta" oder per "Konsensprinzip" den NGOs und den staatstragenden reformistischen Parteien und Gruppierungen ein Vetorecht gegen jede "zu radikale" oder "missliebige" Forderung oder Aktion einzuräumen. Es heißt, die Bewegung selbst mit jenen Ketten zu fesseln, die es zu sprengen gilt.

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Nr. 87, Februar 2004

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*  Basisbewegung: Welche Opposition braucht die Gewerkschaft?
*  Aktionskonferenz in Frankfurt: Ein Schritt vorwärts
*  Tarifrunde 2004: Kapital auf Kollisionskurs
*  Die SAV und der Generalstreik: Sind 24 Stunden genug?
*  Europäische Linkspartei: Linker Opportunismus
*  Weltsozialforum: "Raum" oder aktive Bewegung?
*  80. Todestag Lenins: "Leninismus" contra Lenin
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