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Österreich

Mit einem blauen Auge davongekommen?

Martin Suchanek, Neue Internationale 210, Juni 2016

Hauchdünn - rund 30.000 Stimmen - war der Vorsprung Van der Bellens bei der Stichwahl zum österreichischen Präsidenten. Grund zur Freude oder gar Entwarnung ist das nicht.

Der FPÖ-Kandidat Hofer erzielte am 22. Mai mit 49,7 Prozent das beste Wahlergebnis einer rassistischen, rechts-populistischen Partei seit dem Zweiten Weltkrieg.

Sicherlich haben viele WählerInnen Hofer gewählt, weil sie den Kandidaten einer um Grüne erweiterten „Großen Koalition“ nicht wollten, weil sie von Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft frustriert sind.

Der FPÖ-Wahlsieg speist sich neben offenem Rassismus aus der demagogischen Ablehnung der „Systemparteien“, des „Establishments“, der „Ausgegrenzten“. Das ist ebenso wirksam wie verlogen. Die FPÖ ist selbst eine Partei, die einige Wandlungen durchgemacht hat, um als Juniorpartner am Futtertrog der Macht mitzuwirken.

Kontinuität haben allerdings ihre politische Verortung am rechten Rand des parlamentarischen Spektrums und, dass sie immer schon einen, wenn auch kleineren Teil des österreichischen Kapitals, repräsentiert. Es sollte sich daher auch niemand darüber hinwegtäuschen, dass die FPÖ bei allem Abfeiern des „kleinen Mannes“ eine Partei seines „Arbeitgebers“, des vorzugsweise österreichischen Unternehmers ist. Als Feind des „kleinen Mannes“ muss daher der korrupte Staat herhalten, der seine Steuern klaut, und der Ausländer, der ihm den Arbeitsplatz wegnimmt.

Mit dieser rassistischen Demagogie konnte die FPÖ neben einem größer werdenden Teil der Kapitalistenklasse, der auf eine Zerschlagung der Restbestände des „Sozialstaates“, auf Privatisierungen, Sozialkürzungen und eine FPÖ-ÖVP-Koalition drängt, einen großen Teil der ArbeiterInnenklasse gewinnen. Unter den statistisch als „Arbeiter“ Ausgewiesenen erhielt Hofer erschreckende 84 Prozent. Es handelt sich dabei vor allem um männliche, weiße, „österreichische“ Handarbeiter, deren Lebensverhältnisse von der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus tatsächlich stark bedroht sind. Hinzu kommt, dass es vor allem jene aus ländlichen und kleineren Städten sind, die sich der FPÖ zuwenden.

Auch wenn viele dieser Lohnabhängigen den FPÖler aus „Protest“ gewählt haben mögen, so sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass Rassismus und Chauvinismus gerade unter diesen ArbeiterInnenschichten nicht weit verbreitet sind - sind sie doch in jedem Fall bereit, bei ihrer „Protestwahl“ den Sieg eines extremen Rassisten billigend in Kauf zu nehmen und nicht nur die „Systemparteien“, sondern auch die migrantischen ArbeiterInnen und v.a. die Flüchtlinge als Feind zu betrachten.

Van der Bellen als Alternative?

Kein Wunder, dass viele Anti-RassistInnen, die klassenbewussteren Teile der ArbeiterInnenklasse den „unabhängigen“ Kandidaten Van der Bellen wählten. Unterstützt wurde er nicht nur von den Grünen, sondern auch von der Regierung (resp. wichtigen VertreterInnen der Regierungsparteien), den meisten linke Organisationen, aber auch von wichtigen Teilen des österreichischen Kapitals. Wie Hofer eine klassenmäßig gegensätzliche WählerInnenschaft rassistisch und sozial-demagogisch verband, so vereinte auch Van der Bellen gegensätzliche Klassenkräfte.

Dass viele Linke und Anti-RassistInnen und generell die klassenbewussteren Lohnabhängigen Van der Bellen gewählt haben, ist angesichts des schockierenden Rassismus der FPÖ nachvollziehbar. Es wäre albern zu behaupten, dass es für die politische Lage „egal“ wäre, ob ein offener Rassist oder ein sozialpartnerschaftlich  orientierter bürgerlicher „Humanist“ das Amt des Präsidenten bekleidet; ob jemand diese fragwürdige Institution mit ihren beachtlichen autoritären Machtbefugnissen „beleben“ will wie Hofer oder das Amt eher „repräsentativ“, als Grußdirektor des österreichischen Imperialismus ausfüllen will wie Van der Bellen.

Politisch war es jedoch falsch und kurzsichtig, dass linke SozialdemokratInnen, linke GewerkschafterInnen, die KPÖ oder ZentristInnen wie die SLP (Sozialistische Linkspartei, Schwesterorganisation der SAV) zur mehr oder minder unkritischen Unterstützung Van der Bellens aufgerufen haben.

Van der Bellen repräsentiert die Große Koalition, das System der Sozialpartnerschaft und Klassenzusammenarbeit, das seit Jahrzehnten unterhöhlt wird - und zwar auf Kosten der LohnarbeiterInnen. Außer Filz, Pfründen für FunktionärInnen und eine kleiner werdende „Klientel“ kommt praktisch nichts mehr rum. Das ganze System wird zunehmend durch „partnerschaftliche“ Kürzungen auf dem Rücken der LohnarbeiterInnen - und hier oft den FacharbeiterInnen oder angelernten ArbeiterInnen aufrechterhalten.

Die SPÖ und die Gewerkschaften - traditionell die Organisationen dieser Bevölkerungsgruppe - umgekehrt sind jene, die am stärksten an diesem „Modell Österreich“ festhalten. Die SPÖ und die Gewerkschaften tragen daher auch die politische Hauptverantwortung dafür, dass sich mehr und mehr Lohnabhängige demoralisiert aus jeder politischen Aktivität zurückziehen oder gar den reaktionärsten Kräften, der FPÖ, hinterherlaufen.

Van der Bellen repräsentiert eine Fortsetzung dieser Politik und dieses Systems der Klassenzusammenarbeit, die zum fruchtbaren Nährboden der FPÖ wurde. Der Kampf gegen den Rassismus und die reaktionäre Politik der FPÖ erscheint auf diesem Boden nicht als Klassenfrage, sondern als Kampf der „DemokratInnen“ gegen die „ehrlichen ÖsterreicherInnen“, ...

Es fällt dabei der FPÖ durchaus leicht, die wirkliche Verlogenheit des Kampfes der „DemokratInnen“ vorzuführen. Das trifft insbesondere auch auf den Vorwurf des Rassismus zu. Wie ernst ist dieser denn zu nehmen, wenn die „weltoffene“ Regierung aus SPÖ und ÖVP die Grenzen für Geflüchtete auf der „Balkanroute“ dicht macht und Grenzzäune am Brenner errichtet?

Was ist vom Antirassismus einer Koalition und eines Präsidenten zu halten, die die FPÖ-Politik an den Grenzen in letzter Konsequenz umsetzen, um dann über die „Gefährdung des inneren Friedens“ durch die Rassisten zu jammern?

Die Fortsetzung dieser Politik und der SPÖ/ÖVP-Regierung, der sog. „Großen Koalition“, wird fast automatisch der FPÖ Zulauf bringen. Das bedeutet nicht nur, dass es der FPÖ leichter gemacht wird, rückständige ArbeiterInnen weiter sozialdemagogisch und rassistisch an sich zu binden.

Es bedeutet vor allem, dass jene soziale Kraft, die diese Bindung aufbrechen könnte - die fortschrittlicheren, anti-rassistisch gesinnten, kämpferischeren Teile der Lohnabhängigen - weiter über die Politik von SPÖ und Gewerkschaften an die herrschende Klasse gebunden werden.

Krise der SPÖ und die Linke

Immerhin hat das Abschneiden Hofers zu einer tiefen inneren Erschütterung der Sozialdemokratie geführt.

Die Parteispitze und Bürokratie sind in zwei Flügel gespalten. Beide wollen „natürlich“ an der Sozialpartnerschaft festhalten. Der rechte um den burgenländischen Landeshauptmann (Ministerpräsident) Niessl will die Partei auch für Koalitionen mit der FPÖ auf Bundesebene „öffnen“, um sie so zu „entzaubern“ wie im Burgenland, wo Hofer weit überdurchschnittlich abschnitt.

Der „linke“ Flügel lehnt eine Koalition mit der FPÖ ab, teils aufgrund des Drucks der eigenen Basis, teils weil er befürchtet, dass die SPÖ dann erst recht ununterscheidbar von den Rassisten würde. Dieser Flügel ist in Wien relativ stark, wo eine SPÖ-Grünen-Koalition regiert und wo Van der Bellen deutlich besser als im Bundesdurchschnitt abschnitt.

Dieser Riss geht nicht nur durch die SPÖ, sondern auch durch die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften. Die Krise der SPÖ hat zum Rücktritt des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden Faymann Mitte Mai und seine Ersetzung durch den politisch farblosen Macher und vormaligen Chef der staatlichen Bahngesellschaft ÖBB, Christian Kern, geführt. Dieses Manöver hat zwar kurzfristig die Koalition und die SPÖ stabilisiert - auf Dauer wird es die Gegensätze nicht überbrücken können.

So haben sich auch linkere Oppositionelle in der SPÖ sichtbar gezeigt, wenn auch ohne offen als eine politische Strömung und Fraktion auf einem alternativen Programm zur Regierung oder den „linkeren“ BürokratInnen zu agieren.

Dieser Teil der SPÖ ist auch mit einem „Neuorganisierungsprojekt“ der österreichischen Linken konfrontiert, dem „Aufbruch“ (aufbruch - so kann es nicht weitergehen), das seit einigen Jahren von linken SozialdemokratInnen (Mosaik-blog) unter Einbeziehung von Einzelpersonen oder ganzen Gruppen aus dem Spektrum der KPÖ, der „Postautonomen“ wie der radikalen Linken (SLP, Funke, RSO) vorbereitet wird.

Seine Plattform, die das Projekt in die Linie von Syriza, Podemos, der Linkspartei einreihen will, ist vage und reformistisch. Als erster Schritt werden einige Kampagnen unter dem Motto „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!“ vorgeschlagen. Es fehlt dabei jedoch eine Kampagne, die sich offen gegen die rassistische Politik der Regierung und der FPÖ richtet.

Bemerkenswert ist nicht, dass unterschiedliche Teile der Linken eine Konferenz vorbereitet haben und dass das zahlreiche politische Schwächen aufweist. Aber anders als frühere Initiativen trifft es auf ein reales Bedürfnis: dem nach einer politischen Alternative zur Sozialdemokratie, zu einer abgewirtschafteten, verrotteten Partei, die seit dem Zweiten Weltkrieg die ArbeiterInnenbewegung politisch monopolisiert hat. Diese Vorherrschaft kann in der gegenwärtigen Lage aufgebrochen werden - sowohl indem der Kampf im Parteiinneren forciert und ein Bruch vorbereitet wird, als auch durch die Aufbau-Initiative, wenn sie ihr Potential realisiert.

Am 3./4. Juni soll in Wien eine erste bundesweite „Aktionskonferenz“ stattfinden. Dazu haben sich hunderte Menschen aus ganz Österreich angemeldet. In vielen Stadtteilen Wiens und der größeren Städte, aber auch in zahlreichen Kleinstädten fanden Vorbereitungstreffen statt, formieren sich lokale Gruppen.

Die Situation schreit nach der Initiative für eine neue ArbeiterInnenpartei. Das heißt, es müsste sowohl offen die Lage in der SPÖ, die Möglichkeiten und Unterstützung eines Flügelkampfes diskutiert werden wie auch die rasche Initiative für die Schaffung einer politischen ArbeiterInnenpartei.

Die Initiatoren sind sich aber darüber uneins, was aus dem Aufbruch werden soll. Der „postautonome“ Teil will gar keine Partei, sondern nur ein „Netzwerk der Netzwerke“. Andere wollen die guten alten Zeiten der „echten“ Sozialdemokratie wieder beleben. Wiederum andere wollen eine Partei, die revolutionäre und reformistische Strategie versöhnt, kombiniert, also eine zentristische Organisation. Wieder andere wollen die Diskussion aufschieben, weil sonst alles im Streit endet.

Letzteres wäre die schlechteste aller Lösungen. Gerade in der tiefen Krise der ArbeiterInnenklasse müssen nicht nur gemeinsame Aktionen verabredet, sondern alle Fragen offen angesprochen werden. Vor allem muss offen die Parteifrage diskutiert werden. Nur so ist es möglich, überhaupt zu einem Anziehungspol für unzufriedene SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen zu werden, die nach einer politischen Alternative zur SPÖ suchen und nicht nur nach einer „Kampagne“. Und nur so ist die Diskussion dafür zu öffnen, was strategisch als Alternative zur SPÖ gebraucht wird - eine neue revolutionäre, internationalistische ArbeiterInnenpartei!

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Nr. 210, Juni 2016
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