Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Schweizer Minarett-Verbot

Anti-Islamismus: der Rassismus unserer Zeit

Martin Mittner, Neue Internationale 145, Dezember 2009/Januar 2010

57,5 Prozent der SchweizerInnen stimmten am 29. November für das Verbot des Baues von Minaretten. Das ist ein Alarmsignal für alle MigrantInnen, für die Arbeiterklasse und die Jugend in ganz Europa.

Die extrem rechten Parteien, die „Schweizer Volkspartei“ (SVP) und die „Eidgenössisch-Demokratische Union“ (EDU), schafften es als Initiatoren des Volksbegehrens, Hunderttausende über ihre eigentliche Anhängerschaft und Wählerschaft hinaus mit einer offen rassistischen, anti-islamischen Kampagne zu mobilisieren.

Reaktionäre Mobilisierung

Dass es sich dabei um eine wirklich Massenmobilisierung handelte, zeigt die Tatsache, dass beide Parteien nicht nur 100.000 Unterschriften gesammelten haben, um die Volksabstimmung zu erzwingen, sondern auch, dass die Beteiligung mit 54 Prozent ungewöhnlich hoch war.

Während die Rassisten und Rechtsextremen aller Länder das Ergebnis feiern, bemühen sich bürgerliche Politiker aller anderen Länder und Parteien, ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Die Schweizer Regierungsparteien, die „natürlich“ auch weiterhin mit der SVP in einer Koalition regieren wollen und werden, verweisen darauf, dass sie gegen den Volksentscheid und gegen das Verbot gewesen wären. Sie hätten sich schon immer „gesorgt“. Um wen? Um die Muslime? Nein! Um das „Ansehen der Schweiz“ in Europa und der Welt im Allgemeinen und die Geschäftsinteressen in den islamischen Ländern im Besonderen.

Frankreichs Außenminister Kouchner zeigt sich entsetzt. In Frankreich wäre „so etwas“ natürlich nicht möglich. Klar. Dort gibt sich Regierungschef Sarkozy mit Minarettverboten nicht ab - er will die Banlieues überhaupt „säubern“.

Selbstredend regt sich auch in Deutschland „Entsetzen“ bei bürgerlichen Politikern und Kommentatoren.

Gleichzeitig hetzen dieselben VertreterInnen von Regierung wie von SPD und Grünen gegen die „Integrationsunwilligkeit“ der MigrantInnen, gegen Kopftücher und „Islamisierung“. Mal geschieht das in gutmenschlich-verständiger Form, mal in offen rassistischer wie z.B. von Berlins Bezirksbürgermeister Buschkowsky oder von Bundesbanker Sarazin. Dann fragen TV-Moderatoren, warum Migrantenfamilien nicht das Kindergeld gestrichen werden kann, wenn sie „nicht integrationswillig“ sind.

Repression

Fakt ist: Die Hetze gegen Muslime, der anti-islamische Rassismus sind samt Forderungen nach Einschränkung der Religionsfreiheit bis zur systematischen Überwachung islamischer und „islamistischer“ Vereine, von pauschaler Terrorverdächtigung und Bespitzelung bis hin zur Verschärfung der europäischen Grenzkontrollen in allen Ländern der EU an der Tagesordnung.

Dass sich der staatliche, rechtsextreme, aber auch der „zivilgesellschaftliche“ Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“ v.a. gegen Muslime wendet, ist dabei kein Zufall. Nur ein Narr oder ein Chauvinist, der die politischen Hindergründe verwischen will, kann allen Ernstes behaupten, dass es sich bei Fragen wie dem Minarett-Verbot oder der Kopftuch-Hysterie um „religiöse“ Fragen handeln würde. Natürlich geht es beim Minarett-Verbot auch um die Diskriminierung einer bestimmten Religionsgemeinschaft, die KommunistInnen und ehrliche DemokratInnen ablehnen müssten. Aber v.a. geht es um eine wachsende, systematische rassistische Diskriminierung nicht nur von Muslimen, sondern von AraberInnen, TürkInnen, PerserInnen, KurdInnen. Es ist dabei letztlich sogar zweitrangig, ob diese Menschen tief religiös sind, nur pro forma oder gar kein ein Bekenntnis haben. Die Kritik am Islam (inkl. einer ihm unterstellten besonderen Rückständigkeit im Vergleich zu anderen Religionen) ist dabei ein bequemes Mittel, der rassistischen Niedermache und der Legitimierung staatlicher Diskriminierung bis zur Entrechtung eine „religionskritische“ oder „demokratische“ Weihe zu verleihen.

Zweifellos wird dieser Rassismus als Resultat der kapitalistischen Krise weiter gezielt angeheizt und verschärft. So wird dann z.B. die größere Arbeitslosigkeit von MigrantInnen aus allen Ländern nicht auf eine besondere, rassistische Diskrimininierung durch den Staat und in der Gesellschaft zurückgeführt, sondern auf mangelnde „Integrationsbereitschaft“ und die „Abschottung des Islam“.

Es greift jedoch zu kurz, im wachsenden Rassismus „nur“ ein Spaltungs- und Ablenkungsmanöver von der inneren Krise und der zunehmenden Klassenpolarisierung in Deutschland u.a. europäischen Staaten zu sehen.

Rechtfertigungsideologie

Der „Anti-Islamismus“ ist auch eine zentrale rassistische, imperialistische Rechtfertigungsideologie für die Politik in Nahost, Nordafrika und Zentralasien. Er ist ein Kernbestandteil der Rechtfertigung kapitalistischer Ausbeutung dieser „Schlüsselregionen“ und zur Legitimierung von Krieg und Besatzung in Ländern wie Afghanistan, Libanon oder am Horn von Afrika. Der Anti-Islamismus dient dabei als ideologischer Kitt, die Notwendigkeit „zivilisierender“ Missionen, von Besatzungsregimen zum Aufbau der „Demokratie“ nach Zuschnitt von US- und EU-Strategen zu begründen und die wahren ökonomischen und geo-strategischen Interessen des Imperialismus zu verschleiern.

Der „Anti-Islamismus“ ist schließlich auch ein Mittel zur Rechtfertigung der Einschränkung demokratischer Rechte in der EU und zu ihrer Abschottung durch mörderische Grenzkontrollen gegen MigrantInnen und Flüchtlinge.

All das verdeutlicht, warum die rassistische Mobilisierung in der Schweiz so gefährlich ist. Wer sich für das Verbot von Minaretten im Kampf gegen eine angebliche „Islamisierung“ und zur „Verteidigung der abendländischen Kultur“ einsetzt, für den ist es nur ein kleiner Schritt, diesen Kampf auch gleich am Hindukusch, an den EU-Außengrenzen oder am Horn von Afrika zu führen. Für die imperialistischen Aggressoren in Washington, Berlin oder London erleichtert das die Sache allemal, liefert sie doch eine Rechtfertigungsideologie für zunehmend unpopulärere Kriege, die letztlich keiner „demokratischen“ Maskerade mehr bedürfen soll, sondern unverhüllt rassistisch daherkommt.

Den Rassisten und extremen Rechten vom Schlage der SVP muss daher mit einem gemeinsamen Kampf der ArbeiterInnen und MigrantInnen gegen alle Formen des Rassismus, der Diskriminierung wie auch deren gesellschaftlichen Ursachen begegnet werden:

Weg mit allen Formen der Diskriminierung und Entrechtung von MigrantInnen! Nein zu allen Formen der Diskriminierung des Islam und zum rassistischen „Anti-Islamismus“!

Gegen alle Formen der Diskriminierung in Bildung/Ausbildung, am Arbeitsplatz und im Beruf! Für ein Programm öffentlicher Arbeiten und eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit, um allen MigrantInnen eine berufliche Perspektive zu gleichen, tariflich gesicherten Arbeitsbedingungen und Löhnen zu schaffen!

Schluss mit Überwachung, Einreisekontrollen und -beschränkungen durch die EU! Für offene Grenzen! Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!

Schluss mit imperialistischen Krieg und Besatzung - ob im Namen der „Demokratie“ oder des „Kampfes gegen den Islamismus“! Sofortiger Abzug aller deutschen, NATO- und US-Truppen aus Afghanistan u.a. Ländern!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 145, Dez./Jan. 2009/10
*  Koalitionsprogramm: Countdown läuft
*  Bildungsbewegung: Ergebnisse und Perspektiven
*  Daimler Sindelfingen: C-Klasse und Arbeiterklasse
*  Rot-Rot in Brandenburg: Gewählte LINKE, gelinke Wähler
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 2: Halbe politische Revolution, ganze Konterrevolution
*  Afghanistan: Die Strategie wechselt, der Imperialismus bleibt
*  Venezuela: Chavez ruft für Fünfte Internationale auf
*  Schweizer Minarett-Verbot: Anti-Islamismus, der Rassismus unserer Zeit
*  Heile Welt
*  USA: Erste Konferenz von Workers Power (US)
*  Klimagipfel Kopenhagen: Sozialismus oder Klimakatastrophe!