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Bildungsbewegung

Ergebnisse und Perspektiven

Theo Tiger, Neue Internationale 145, Dezember 2009/Januar 2010

Die Uni-Besetzungen, der internationale Protesttag am 17.11, die Proteste zur Kultusministerkonferenz (KMK) am 10.12. haben für einen heißen Herbst gesorgt.

Ausgelöst von den Besetzungen im Oktober in Österreich hat die Bildungsbewegung international viel Dynamik entwickelt. Dutzende Unis in Deutschland, Italien, Polen, USA und der Schweiz waren bzw. sind besetzt. Die Proteste richten sich gegen die Einführung der BA/MA-Reform und die fortschreitende Privatisierung der Universitäten. Seit mehreren Jahren gibt es globale Aktionstage, welche vom International Students Movement (ISM) weltweit organisiert werden. Sie richten sich hauptsächlich gegen die Privatisierung der Bildung. Der 17.11. war dabei der bisher erfolgreichste mit Protesten auf allen Kontinenten.

In Deutschland gibt es seit den Besetzungen und den Protesten am 17.11. mit 90.000 StudentInnen und SchülerInnen von vielen Seiten Verständnis für die Protestierenden. Doch Leute wie Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) oder Bundespräsident Horst Köhler, heucheln entweder, weil sie es selbst sind, die seit Jahren nichts tun, um die Misere im Bildungsbereich zu beheben, oder aber sie nutzen die Bewegung nur, um - wie die Rektoren - mehr Geld für ihre Uni rauszuschlagen. Mit diesen Leuten, mit bürgerlichen Parteien überhaupt, kann jedoch die Bewegung nicht aufgebaut werden. Warum? Ganz einfach, weil unsere Forderungen nur auf Kosten des Kapitals und gegen deren Interessen durchgesetzt werden können. Schon die einfache Frage, wer bessere Bildung bezahlen soll, macht die Sache klar: entweder die Reichen und das Kapital bezahlen sie oder aber die Arbeiterklasse und die ärmeren Schichten.

Wie laufen die Besetzungen?

In Österreich, speziell in Wien waren anfangs Hunderte AktivistInnen an der Besetzung beteiligt. Die Besetzungen weiteten sich schnell aus, so dass innerhalb weniger Tage alle Unis Österreichs besetzt waren. Die Großdemo am 27.10. mit 50.000 in Wien war ein Initialfunke für die anschließenden Besetzungen in Deutschland. Bis heute sind teilweise über 50 Unis besetzt, die Solidarität mit Österreich und die gleichen Forderungen waren die Basis für diese Dynamik der letzten Wochen.

Heute müssen wir aber feststellen, dass die Dynamik bei den Besetzungen zurückgeht. Dies liegt nicht an den AktivistInnen, die teils mit großem persönlichen Engagement die Besetzungen aufrecht erhalten. Dies liegt an der mangelnden politischen Perspektive der Bewegung.

Zwar wird öfter gefordert, dass die Reichen für die Bildung bezahlen sollen, dass die Milliarden für die Bildung  und nicht für die Banken ausgegeben werden sollen. Doch erstens stößt schon das bei einer großen Minderheit von Studierenden auf Ablehnung. Vor allem aber ist vielen nicht klar, dass diese Forderungen etwas mit Kapitalismus und Klassenherrschaft zu tun haben.

Die politische Mehrheit der AktivistInnen kann klar dem libertär-anarchistischen Flügel zugerechnet werden, daneben gibt es noch den „unpolitischen“ bildungsbürgerlichen reformistischen Teil, welcher im Einklang mit den libertären Kräften jede weitergehende Organisierung und jeden weitergehenden Kampf be- und verhindert. Diese beiden Fraktionen stellen auch meist die Asten (Allgemeiner Studierendenausschuss) an den Unis. Sie halten sich meist im Hintergrund, aber kontrollieren Ressourcen und ziehen oft im Hintergrund die Fäden.

Die Vorgehensweise dieser Strömungen ist unterschiedlich. Die autonom/libertären Kräfte und ein Teil der Reformisten (SDS) wollen zwar mit dem Bildungsprotest den Kapitalismus in Frage stellen oder zumindest auch ein breiteres gesellschaftliches Bündnis aufbauen - allerdings verneinen sie alle konkreten Schritte für einen kämpferischen antikapitalistischen Widerstand, der über die Bildungsproteste hinaus geht. Die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen blieb meist auf der Solidaritätsebene stehen. So waren Studierende mit dem Putzstreik solidarisch und die IG BAU entsandte Sprecher auf die VV an den Unis und zur Demo am 17.11. in Berlin. Zudem gab es gemeinsame Aktionen mit den Beschäftigten der Studentenwerke.

Bilanz der Proteste

Bei den Protesten am 17.11. waren alle Medien auf die Unis und die StudentInnen gerichtet. Von der SchülerInnenbewegung, welche seit Jahren aktiv ist und die letzten beiden bundesweiten Bildungsstreiks organisiert hatte, war in den Medien wenig zu hören. In Düsseldorf wurde eine besetzte Schule, nach Anweisung der Rektorin von der Polizei geräumt. In der Öffentlichkeit sind wenige Forderungen der SchülerInnen bekannt, zumeist nur die Forderung nach mehr LehrerInnen und der Sanierung maroder Schulgebäude.

Derzeit gibt es an einigen Unis Verhandlungen zwischen den Protestierenden und den Rektoraten, zwischen Vertretern der Landesregierung und BesetzerInnen. Dies verweist darauf, dass dieser Protest seine Ziele nicht erreichen wird. Hier wird von denen, die die BA/MA-Reformen verbrochen haben, erwartet, dass diese nun „studierendenfreundlich“ umgestaltet werden. Die Ministerien und deren Vollstrecker, die Rektorate, sind verantwortlich für die fortschreitende Privatisierung der Unis, für das Outsourcing ganzer Beschäftigungsbereiche in den Studentenwerken, für die Öffnung von Lehre und Wissenschaft für die Profitinteressen des Kapitals.

Diese Situation kennzeichnet die grundsätzlichen Probleme dieser Bewegung. Seit der Einführung von Studiengebühren in verschiedenen Bundesländern seit 2003 sind die Bildungsproteste v.a. durch eine mangelnde Konstanz geprägt. Demonstrierten damals die StudentInnen von Bundesland zu Bundesland den Studiengebühren hinterher, so versackte der Protest völlig, als Hessen die Studiengebühren zurück nahm. In den meisten anderen Bundesländern gibt es weiterhin Studiengebühren.

Es fehlt eine Vereinheitlichung der Proteste, eine Zusammenführung der Bewegung von StudentInnen und SchülerInnen. Auch bei den Schülerstreiks haben wir immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass nach einem Protesttag oder einer Bildungskonferenz die meisten Organisationen sich wieder aus den Bündnissen zurück zogen und die politische Arbeit nicht verstetigten.

Wir von der Gruppe Arbeitermacht sind gemeinsam mit der Jugendorganisation REVOLUTION seit den ersten Schulstreiks in Berlin 2006 Teil der Bildungsbewegung. Wir haben mit dafür gekämpft, dass sich die Bildungsbewegung ausbreitet, gemeinsame Protesttage veranstaltet und sich politisch organisiert.

Wie weiter?

Wir müssen dort ansetzen, wo die Bildungskonferenzen im letzten Jahr schon mal waren. Dort wurde ein Delegiertenmodell für die Bildungsbewegung beschlossen, als erste Stufe der Organisierung der SchülerInnen- und StudentInnenbewegung. Es gab auch eine Mehrheit für eine kämpferische Perspektive, d.h. eine Verbindung der Aktionen von SchülerInnen, StudentInnen und Azubis, d.h. Weiterführung der Arbeit in Streikkomitees, Zusammenarbeit mit antikapitalistischen Gruppen im Kampf gegen die Auswirkungen der Krise.

Um die Kämpfe zu vereinen, um die Kräfte zu bündeln und auch, um die politische Diskussion weiterzuführen, ist eine gemeinsame Kampforganisation notwendig: eine SchülerInnen- und StudentInnengewerkschaft!

Wir wissen allerdings, dass gerade bei den Studierenden eine Gewerkschaft nicht ein Klasseninteresse vertreten kann - zu unterschiedlich ist die Klassenlage der Studierenden, die heute auch noch stärker als früher aus den Mittelschichten oder gar der Bourgeoisie stammen. Aber eine Gewerkschaft kann den kämpferischen Elementen eine Basis geben, kann den Kampf um die Rechte an der Bildung auf eine neue Stufe stellen, kann den hunderttausenden AktivistInnen in Deutschland eine Perspektive geben.

Unser Vorbild sind dabei nicht die reformistischen und bürokratischen Gewerkschaften des DGB, wir wollen eine Gewerkschaft aufbauen, die sich von unten nach oben strukturiert, sich eine Delegiertenstruktur gibt und deren Basis die aktiven Streikkomitees und Bündnisse vor Ort sind.

Wir von Arbeitermacht und REVOLUTION wollen für dieses Ziel MitstreiterInnen finden, wollen mit Euch dem Bildungsstreik einen stetigen organisatorischen und politischen Ausdruck geben.

Gerade weil dieser Bildungsprotest einen internationalen Charakter hat, ist die europäische und globale Vernetzung wichtig. Auch dort brauchen wir mehr als E-mail-groups und gelegentliche Austauschtreffen, auch dort brauchen wir eine internationale Organisation der BildungsaktivistInnen!

Für eine klassenkämpferische Perspektive der Bildungsbewegung!

Für den Aufbau einer SchülerInnen- und StudentInnen-Gewerkschaft!

Für den gemeinsamen Kampf gegen die Auswirkungen der Krise!

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Nr. 145, Dez./Jan. 2009/10
*  Koalitionsprogramm: Countdown läuft
*  Bildungsbewegung: Ergebnisse und Perspektiven
*  Daimler Sindelfingen: C-Klasse und Arbeiterklasse
*  Rot-Rot in Brandenburg: Gewählte LINKE, gelinke Wähler
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 2: Halbe politische Revolution, ganze Konterrevolution
*  Afghanistan: Die Strategie wechselt, der Imperialismus bleibt
*  Venezuela: Chavez ruft für Fünfte Internationale auf
*  Schweizer Minarett-Verbot: Anti-Islamismus, der Rassismus unserer Zeit
*  Heile Welt
*  USA: Erste Konferenz von Workers Power (US)
*  Klimagipfel Kopenhagen: Sozialismus oder Klimakatastrophe!