Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Daimler-Sindelfingen

C-Klasse und Arbeiterklasse

Frederick Haber, Neue Internationale 145, Dezember 2009/Januar 2010

In Sindelfingen herrscht der Ausnahmezustand (...) nach der Entscheidung, die C-Klasse zu verlagern, gehen die Beschäftigten auf die Barrikaden. Aus Wut über den Vorstand lassen Tausende von Mitarbeitern über Tage immer wieder die Arbeit ruhen. Diese spontanen Arbeitsniederlegungen außerhalb von Tarifkonflikten bewegen sich jenseits der Legalität, weil sogenannte wilde Streiks verboten sind. Tage wie diese in Sindelfingen haben wir in der Republik seit Jahren nicht mehr und in der jüngeren Daimler-Geschichte sogar noch nie erlebt.“

So beginnt der Kommentar auf Seite 1 der Stuttgarter Zeitung. Alle, die in der ersten Dezemberwoche im oder am Daimlerwerk waren, wissen, dass Autor Schiermeyer nicht nur vorm Bildschirm sitzt. Und man spürt, dass es den Kapitalisten und ihren Helfern schon kalt den Rücken runterläuft. „Es ist die Stunde der unbekannten Revoluzzer aus den hinteren Reihen, die es den Bossen davorne schon immer mit geballter Faust zeigen wollten. Sie stacheln die Kollegen am Fließband zur Untätigkeit an und spielen ein wenig Klassenkampf. Dabei finden sie große Resonanz, weil die Stimmung wegen des dauerhaften Personalmangels und der Sparpakete ohnehin aufgeladen ist.“ (Stuttgarter Zeitung, 4.12.)

Offenbar haben manche die Situation unterschätzt - der Daimler-Vorstand um Zetsche ebenso wie der Betriebsratsvorsitzende von Sindelfingen, Klemm, mussten davon ausgehen, dass es Protest gibt. Vermutlich haben aber beide erwartet, dass die Ankündigung von Zetsche, dass keiner entlassen wird, die Gemüter beruhigt. Es ist ja nicht so, dass morgen Bänder abgebaut werden. Das nächste Modell der C-Klasse wird in Tuscaloosa, Alabama, (sowie Bremen und Südafrika) anlaufen. Bis 2014 wird das jetzige Modell noch in Sindelfingen und in Bremen und Südafrika gebaut. Und etwas Protest hat Klemm, der auch Vorsitzender des Gesamt-Betriebsrates bei Daimler ist, sicher auch gewollt.

Denn anders als bisher hat das Management ihn nicht wirklich in die Entscheidung einbezogen. Das mögen Co-Manager in dieser Liga, in der auch Klaus Franz von Opel oder Klaus Volkert von VW spielte, nicht so sehr.

Bisher lief das Spiel anders. Schon 1996 wurde mit Abzug der C-Klasse gedroht, der Betriebsrat verhandelte ein Verzichtspaket. 2004 war die Drohung mit der C-Klasse der eigentliche Auslöser für die „Zukunftssicherung“, wo Lohnverzicht, der Entfall von Pausen und drastische Einschnitte für alle, die seitdem eingestellt worden sind, über alle Daimler-Werke in Deutschland hinweg vereinbart wurden. „Die verhandeln nicht mal mit uns“, klagt Klemm jetzt und meint mit „uns“, dass er verhandeln will und die Belegschaften zahlen sollen.

Ein geplanter Protest waren die Kundgebungen am Dienstag, dem 1. Dezember, in jeder Schicht eine. Während morgens Klemm noch wohlgelaunt die Belegschaft aufforderte, nach der Mittagspause wieder zu arbeiten, flehte es sie abends schon an, „dem Management zu zeigen, dass wir arbeiten wollen“. Da war wohl was schief gelaufen.

Am Mittwoch wurde die Entscheidung des Managements veröffentlicht. Ab dann rauschte es im Karton. Wenn Schiermeyer schreibt, dass „Revoluzzer die Kollegen zur Untätigkeit anstacheln“, dann heißt das, dass es spontane Versammlungen von mehreren hundert Menschen gab, dass Vorgesetze es mit der Angst zu tun bekamen und Betriebsräte, die die „Leute zur Vernunft bringen“ wollten, sich sehr sehr unbeliebt machten.

In Sindelfingen arbeiten 28.000 in der Produktion, 10.000 in der Entwicklung. Wenn die sich versammeln oder demonstrieren, dann spüren sie selbst und alle anderen die Macht, die sie haben, wenn sie gemeinsam handeln. Diese Belegschaft hat zwar eine Kampftradition, sie sind bei jeder Tarifrunde ein gewichtiger Faktor, aber sie sind nicht politisch radikal. Keine Kämpfe um politische Fragen, bei Demonstrationen an Samstagen sind sie nicht zu sehen, da sind sie verteilt in Kleinstädte und Dörfer bis tief in den Schwarzwald. Opposition gegen die Betriebsratsspitze, die es in unterschiedlicher Stärke und Form in den Daimler-Werken Untertürkheim/Mettingen, Kassel, Wörth, Berlin und Bremen gibt, hat es in Sindelfingen nicht weit gebracht. Ein bis zwei Sitze gehen gelegentlich an oppositionelle Listen bei Betriebsratswahlen, aber eine dauerhafte alternative Gruppierung hat sich nicht entwickelt.

Das könnte jetzt anders werden! Bis Freitag hat sich schon einiger Unmut gegen den Betriebsrat angesammelt und bei der selbstherrlichen Dominanz eines Klemm, konzentriert sich naturgemäß die Wut auf ihn. Wütende Sprechchöre empfingen ihn bei den Kundgebungen am Freitag. Gut möglich, dass eine alternative MetallerInnen-Liste bei der Wahl zu einem Faktor wird, der nicht mehr an die Wand gespielt werden kann. Ein wirklicher Fortschritt wäre das aber nur, wenn um eine Betriebsräte-Fraktion sich eine Betriebsgruppe wie die „Alternative“  in Untertürkheim entwickelt, die eine systematische Informations- und Mobilisierungsarbeit betreibt.

Ausblick

Wie geht der aktuelle Konflikt weiter? Bei Redaktionsschluss ist die große Frage, ob und wie die spontane Revolte weitergeht. Wenn Betriebsräte und IG Metall die Bewegung eindämmen wollen, müssen sie einerseits Verhandlungen mit Aussicht auf Ergebnisse vorweisen, zum anderen Mobilisierungstermine planen, die in immer größeren Abständen die Kraft der Massen erschöpfen.

Die Alternative wäre, dass auf einer der nächsten Versammlungen der Beschluss für einen unbefristeten Streik fällt. Das wäre die einzige Möglichkeit, dass aus Verhandlungen ein befriedigendes Ergebnis herauskommt. Das wäre zugleich ein ungeheurer Katalysator für die Belegschaften der anderen Betriebe im Südwesten, die gegen Stilllegungen und Entlassungen kämpfen müssen: Behr, Mahle, Mann + Hummel, Eberspächer usw. Immerhin an die 400 Betriebe hängen nach Aussage der IG Metall in der Region Stuttgart am Fahrzeugbau.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 145, Dez./Jan. 2009/10
*  Koalitionsprogramm: Countdown läuft
*  Bildungsbewegung: Ergebnisse und Perspektiven
*  Daimler Sindelfingen: C-Klasse und Arbeiterklasse
*  Rot-Rot in Brandenburg: Gewählte LINKE, gelinke Wähler
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 2: Halbe politische Revolution, ganze Konterrevolution
*  Afghanistan: Die Strategie wechselt, der Imperialismus bleibt
*  Venezuela: Chavez ruft für Fünfte Internationale auf
*  Schweizer Minarett-Verbot: Anti-Islamismus, der Rassismus unserer Zeit
*  Heile Welt
*  USA: Erste Konferenz von Workers Power (US)
*  Klimagipfel Kopenhagen: Sozialismus oder Klimakatastrophe!