Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Bildungsstreik

Die Bewegung wächst

Hannes Hohn, Neue Internationale 141, Juli/August 2009

Der Kontrast konnte nicht größer sein: während die Kultusministerkonferenz vom 19.6. den Medien kaum eine Randnotiz wert war, gab es über den Bildungsstreik am Tag davor Meldungen zuhauf.

Mehr als 265.000 SchülerInnen, Studierende und PädagogInnen gingen am 17. Juni bundesweit gegen die Misere im Bildungswesen auf die Straße - mehr als doppelt so viele wie beim Bildungsstreik 2008. Die größte Demonstration gab es mit 30-40.000 in Berlin, in Hamburg waren es 13.000, in Stuttgart 15.000, in Freiburg und Bremen jeweils 10.000 usw.

Insgesamt wurde in über 70 Städten demonstriert. An einigen Universitäten gab es Besetzungen. In Mainz wurde der Landtag gestürmt.

Die Demonstrationen waren der Höhepunkt einer bundesweiten Aktions- und Protestwoche mit verschiedenen Aktivitäten, darunter am 18.6. die Aktion „Banküberfall“. Die symbolische Besetzung von Bankfilialen machte auf den krassen Widerspruch zwischen der Sparpolitik im Bildungsbereich und den Milliarden-Subventionen für die Banken aufmerksam. Bei der Banken-Aktion wie in den Redebeiträgen und Diskussionen wurde immer wieder auf den Zusammenhang von Bildungsmisere und aktueller Wirtschaftskrise hingeweisen. Am Freitag, dem 19.6. gab es in Berlin noch eine Demonstration gegen die dort tagende Kultusministerkonferenz, gegen die auch in mehreren anderen Städten mobilisiert wurde.

Warum war der Bildungsstreik im Juni 2009 deutlich größer als in den Jahren zuvor? Der Hauptgrund war, dass deutlich mehr Studierende daran beteiligt waren. So stellten sie z.B. in Hamburg das Gros der Denmonstration, während in Berlin erneut SchülerInnen dominierten. Auch die in einigen, wenn auch wenigen Orten wie Stuttgart gelungene Koordinierung mit dem Kita-Streik vergrößerte das Potential.

Erfahrungen an der Basis

Nicht nur in Berlin zeigte sich aber auch, wie wichtig es ist, dass es schulische Streikkomitees und regionale Koordinierungsstrukturen gibt, die auch zwischen den Streiks Aktionen durchführen, AktivistInnen sammeln und Diskussionen initiieren. Wo das gelingt, kann man von Monat zu Monat nicht nur eine breitere Basis aufbauen, sondern auch sicherstellen, dass die Beteiligten längerfristig planen und aus Aktionen lernen können.

Die Schaffung solcher kontinuierlicher, regional wie bundesweit - ja möglichst international - koordinierter Basisstrukturen ist entscheidend dafür, dass die Bewegung nicht nach jedem Streik wieder „bei Null“ anfangen muss.

Diese Basisstrukturen müssen in sich demokratisch sein, d.h. keine Organisation soll sie sich unterordnen, die Basis muss ihre VertreterInnen/Delegierten bestimmen und festlegen, für welche Ziele/Aktionen sie eintreten sollen.

Nur so ist es möglich, neue Kräfte in die Bewegung zu ziehen und einen politischen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang zu setzen. Dabei können und sollen verschiedene Auffassungen und politische Positionen offen diskutiert und Differenzen ausgetragen werden.

Potential

Die Demonstrationen zeigen das große und weiter wachsende Potential einer Massenbewegung gegen die Misere im Bildungssystem und für dringend notwendige Veränderungen. Die erneut ausbleibende Reaktion des Staates in Form von Veränderungen im Bildungsbereich zeigen aber auch, dass mehr und entschiedenere Aktionen notwendig sind, um wirkliche Veränderungen, ja selbst das Verhindern weiterer Verschlechterungen zu erzwingen.

Verbindungen zur Arbeiterklasse

Nur wenn sich die Bewegung radikalisiert und in demokratischen Aktionskomitees an den Schulen, Unis usw. organisiert; nur wenn sie zu einer Bewegung wird, die nicht nur Aktionstage und -wochen organisiert, sondern mit Besetzungen und Streiks den Bildungssektor wirklich lahm legt, kann sie ihre Ziele erreichen. Nur, wenn sich SchülerInnen und Studierende mit den Kämpfen der Beschäftigten v.a. in den Betrieben verbinden, kann eine Bewegung entstehen, die potentiell stark genug ist, Regierung und Kapital Zugeständnisse abzuringen.

Die Kita-Streiks waren ein gutes Beispiel dafür, dass das möglich ist. In etlichen Orten gab es gemeinsame Aktionen der streikenden ErzieherInnen mit SchülerInnen und Strudierenden, so z.B. in Stuttgart, wo sich rund 2.000 streikende ErzieherInnen an der Demonstration beteiligten.

Aber trotz dieser Ansätze zu gemeinsamem Widerstand ist das Hauptproblem nach wie vor die absolut unzureichende Politik der Gewerkschaftsführungen. Bisher haben sie außer einigen wenigen symbolischen Protesten im Kampf gegen die Krise und deren soziale Folgen nichts zuwege gebracht.

Doch die weiter um sich greifende Krise wird Regierung und Kapital dazu zwingen, nach der Bundestagswahl massive Angriffe gegen die Massen zu starten. Die Debatte über eine Mehrwertsteuer-Erhöhung auf 25% läßt ahnen, was da geplant ist. Auch die von allen Parteien beschworenen „Investitionen in die Bildung“ werden sich unter dem Diktat der leeren Staatskassen zum großen Teil als heiße Luft erweisen.

Die Bewegung, die hinter den Bildungsstreiks steckt, kann einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer breiten Kampffront gegen die Krise und deren Folgen leisten, wenn sie sich bundesweit demokratisch koordiniert und klassenkämpferisch ausrichtet.

Für eine solche Perspektive kämpfen auch die Jugendorganisation REVOLUTION und Arbeitermacht in der Bildungsbewegung. Wir beteiligten uns in Berlin, Hamburg, Kassel, Frankfurt/M., Stuttgart, Freiburg, Nürnberg, Jena, Eberswalde und Bremen an den Aktionen.

REVOLUTION arbeitete aktiv in mehreren Streikkomitees und regionalen Bündnissen mit. Sie verteilte über 2.000 Flugblätter. In verschiedenen Städten gab bzw. gibt es Veranstaltungen von REVOLUTION zur Bilanz und den Perspektiven des Bildungsstreiks.

Wie weiter?

Die Entwicklung der Bildungsstreik-Bewegung der letzten Jahre hat bewiesen, dass es v.a. unter SchülerInnen ein großes Potential für Aktionen gibt. Ein erheblicher Teil davon hat auch keine Berührungsängste mit linken und sozialistischen Losungen und Organisationen. Das liegt weitgehend auch daran, dass Jugendliche viel weniger als „Erwachsene“ vom Reformismus geprägt sind und außerdem die bürokratischen Apparate schwächer sind. Selbst den Einfluss, der bestenfalls (links)reformistischen oder kleinbürgerlich-autonomen Asten an den Unis haben, gibt es an Schulen nicht.

Eine Schwäche der Bewegung besteht aber sicher darin, dass sie nur über relativ schwache regionale und bundesweite Koordinierungsstrukturen verfügt.

Diese müssten auch dafür genutzt werden, alle im Bildungsbereich relevanten Kräfte - v.a. SchülerInnen, Studierende, Azubis, Gewerkschaften (GEW, ver.di) aber auch Lehrkräfte, Eltern, Beschäftigte - zusammen zu bringen. Eine solche bundesweite Koordinierung müsste in erster Linie einen Mobilisierungsfahrplan erarbeiten. In diesen Rahmen würde auch die Vorbereitung eines alternativen „Bildungsgipfels“, verbunden mit einer zentralen Demonstration, gut passen.

An den Schulen geht es v.a. darum, bis zum nächsten Streik-„Höhepunkt“ die Mühen der Ebene zu meistern, d.h. durch Diskussionen und Aktionen die Strukturen am Laufen zu halten, neue aufzubauen und dafür weitere MitstreiterInnen zu gewinnen. So könnte z.B. für „Freiräume“ an der Schule mobilisiert werden. Damit ist gemeint, dass SchülerInnen in der Freizeit Schul-Räume selbst verwaltet nutzen können: für Feten, für Diskussionen, für Veranstaltungen usw.

Bildung und Krise

Mit der Krise nimmt der Druck, nehmen die Angriffe auf die Arbeiterklasse und ihre sozialen Errungenschaften zu. Die bürgerlichen Parteien blasen schon jetzt, vor der Bundestagswahl zur Offensive, um uns auf die kommenden heftigeren Attacken „einzustimmen“. Auf diesen Generalangriff von Kapital und Staat kann nicht nur mit Kämpfen einzelner Betriebe oder Sektoren geantwortet werden - diese Strategie würde nur bedeuten, dass jeder für sich allein stirbt.

Auch die Bewegung im Bildungssektor - die zudem viel weniger ökonomischen Druck erzeugen kann als etwa streikende ArbeiterInnen - kann nur Erfolg haben, wenn sie sich mit dem (noch schwachen, aber beginnenden) allgemeinen Abwehrkampf gegen die Krise verbindet.

Eine sehr gute Möglichkeit, diese Verbindung herzustellen, ist der bundesweite Kita-Streik, der kurz vor der Bundestagswahl stattfinden soll. Dieser Streik muss mit bundesweiten Aktionen im gesamten Bildungssektor verbunden werden!

Rolle des Reformismus

GEW und ver.di sind die im Bildungsbereich zentralen Gewerkschaften. Auch ihre Führungen und Apparate haben trotz einzelner Streiks und Proteste bisher dabei versagt, die Kämpfe zu koordinieren und für politische Massenstreiks - das einzige Mittel, das Kapital und Regierung wirklich zu etwas zwingen könnte - einzutreten. Deshalb muss jeder Kampf im Bildungsbereich auch mit der Kritik an der Politik des reformistischen Apparates verbunden werden.

Auch daher ist es notwendig, dass die Frage des Aufbaus einer Gewerkschaft für SchülerInnen und Studierende ernsthaft diskutiert wird.

Nicht viel anders als die Gewerkschaften verhält sich auch die Linkspartei. Sie fordert zwar massive Investitionen in die Bildung, doch von einer „alternativen“ Bildung, welche die Grundstrukturen des bürgerlichen Bildungswesens in Frage stellt, ist bei ihr nichts zu spüren. Auch bei der Unterstützung der bisherigen Bildungsstreiks war sie nur wenig aktiv.

In Berlin, wo sie mitregiert, hat sie auch nichts dafür getan, dass z.B. die Bullen, die gegen streikende SchülerInnen teils brutal vorgingen, oder gegen Schulleiter, die ihre SchülerInnen rechtswidrig im Schulhaus einschlossen, um sie an der Demo-Teilnahme zu hindern, zur Verantwortung gezogen wurden.

Angesichts dessen müssen v.a. der SDS und solid, die beide der Linkspartei nahe stehen, deutlich kritischer und fordernder ihr gegenüber auftreten! Gleiches gilt auch für die „Linken“ in der Linkspartei wie Marx21, die SAV u.a.

Die bisherigen Erfahrungen mit der Bildungsstreikbewegung zeigen ganz klar, dass linke Organisationen und AktivistInnen in ihr eine zentrale Rolle spielen. Ohne sie würden viele Mobilisierungsstrukturen nach dem Streik wieder kollabieren. Hier erweist sich erneut, dass auch die besten Aktionsstrukturen und Mobilisierungen nicht eine politische Organisation ersetzen, die kontinuierlich und systematisch arbeitet, deren Wirkungsbereich, deren politischer Horizont über die spezifischen Fragen von Bildung, Schule und Uni hinausgeht - daher muss die Ausweitung der Bildungsbewegung auch mit dem Aufbau der Jugendorganisation REVOLUTION verbunden werden!

Infos: www.onesolutionrevolution.de

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 141, Juli/Aug. 2009
*  Politische Lage: Heißen Herbst vorbereiten!
*  Heile Welt
*  Kitas: Unbefristeter Streik!
*  Programm gegen die Krise: Arbeiterkontrolle erst nach der Verstaatlichung?
*  Berlin: Alle reden von Bad Banks - die Linkspartei saniert eine
*  Bildungsstreik: Die Bewegung wächst
*  Sri Lanka: Gewerkschafter enthüllen Wahrheit über die Lager
*  Befreiungskampf: Solidarität mit den Tamilen!
*  Honduras: Nieder mit dem Putsch!
*  Afghanistan-Mandat: Bundeswehr raus - sofort!
*  Afghanistan: Widerstand und revolutionäre Arbeiterpolitik
*  1934: Streik in Minneapolis: Kämpfen in Zeiten der Krise
*  Iran: Massenproteste und ihre Perspektive