Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Programm gegen die Krise

Arbeiterkontrolle erst nach der Verstaatlichung?

Martin Suchanek, Neue Internationale 141, Juli/August 2009

Der Kampf um Arbeiterkontrolle ist für revolutionäre KommunistInnen ein wichtiger Bestandteil jedes Aktionsprogramms, das den Kampf um Tagesforderungen mit der Mobilisierung zum Sturz des Kapitalismus verbindet.

Gerade im Kampf gegen die Krise nimmt sie eine wichtige Stellung ein - aus zwei Gründen: Erstens geht es darum, dass Maßnahmen, die Regierung oder Staat abgerungen werden, nicht durch kapitalistisches Management oder bürokratische Verwaltung hintertrieben und unwirksam gemacht werden.

Die Banken- und Finanzkrise zeigt schlagend, was passiert, wenn der Staat z.B. über die Banken- und Finanzaufsicht die Finanzmärkte „kontrolliert“. Nichts!

Ebenso wissen alle, dass die besten Arbeitsschutzgesetze, die beste Arbeitszeitregelung wenig wert sind, wenn es keine Organe gibt, die deren Einhaltung überprüfen.

Zweitens nimmt der Kampf um Arbeiterkontrolle eine zentrale Stellung ein, weil er unmittelbar mit der Schaffung von Kontrollorganen, Organisationsformen der Beschäftigten verbunden ist, die die Macht des Kapitalisten, seine Verfügungsgewalt in Frage stellen. Sprich: es sind auf betrieblicher, branchenweiter oder schließlich nationaler Ebene Organe der Doppelmacht zwischen Arbeit und Kapital.

Es sind Organe, die daher auch nicht dauerhaft neben den Institutionen und der Herrschaft des Kapitals existieren können, Organe, die entweder vernichtet oder inkorporiert werden (wie z.B. die Betriebsräte, die aus der Novemberrevolution hervorgingen, in die „Betriebsverfassung“ eingebunden wurden) oder sie müssen die Doppelmacht schließlich durch die Machtergreifung der Arbeiterklasse zu ihrer progressiven Auflösung bringen.

Am ersten Tag der Kasseler Konferenz des „Bündnis 28. März“ trat u.a. eine Streitfrage zur Forderung nach Arbeiterkontrolle, wie von der Gruppe Arbeitermacht vertreten, auf.

Einwände auf der Kasseler Konferenz

Erstens, so hieß dagegen, könne diese nur auf der Ebene der gesamten Gesellschaft erkämpft werden, während sie auf der Ebene des einzelnen Betriebs nur in die Irre führen könne.

Dahinter steckt zum einen eine Verwechslung von „Arbeiterkontrolle“ und „Arbeiterselbstverwaltung“.

Während Arbeiterselbstverwaltung bedeutet, dass die Beschäftigen als Leiter des Betriebes, also auch als Verantwortliche für seine Konkurrenzfähigkeit agieren, so bedeutet Arbeiterkontrolle „nur“, dass die ArbeiterInnen die Entscheidungen der Betriebsleitung und des Managements blockieren können, dass sie die Bilanzen, Geschäftsführung- und Pläne einsehen und jederzeit ablehnen können.

Zum anderen steckt dahinter aber auch eine abstrakte und dogmatische Vorstellung vom Verlauf des Klassenkampfes. Ob die ArbeiterInnen den Kampf um die Kontrolle über den Betrieb aufnehmen (oder ob sie sogar gezwungen sind, die Leitung der Produktion zu übernehmen), bestimmen ja die Beschäftigen nicht einfach aus freien Stücken.

In Argentinien wurden nach dem revolutionären Aufstand 2001 über hundert Betriebe besetzt und unter Arbeiterkontrolle weitergeführt. Zweifellos blühten dort auch viele Illusionen in die Möglichkeiten der Selbstverwaltung und die meisten Betriebe wurden in die „normale“ Wirtschaftsführung inkorporiert.

Aber auch solche Betriebe wie die Keramikfabrik ZANON in Rosario, wo die ArbeiterInnen bzw. deren Führung keine solche Illusionen hatten, dauerhaft eine „Insel“ der Arbeiterverwaltung oder Kontrolle im Kapitalismus aufzubauen, mussten den Betrieb nicht nur besetzen. Sie kämpfen seither für die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle. Aber sie produzieren seither auch für den lokalen Markt unter eigener Kontrolle.

Zweifellos ist das ein Provisorium, letztlich ein unhaltbares. Aber es ist auch ein aufgezwungenes. Was sonst hätten die ArbeiterInnen 2001 tun sollen, als den Betrieb zu besetzen, für die Verstaatlichung zu kämpfen und, solange diese Forderung nicht erfüllt ist, in Eigenregie die Produktion wieder aufzunehmen und zu reorganisieren?! Alles andere hätte nur die Schließung der Fabrik oder das Verrotten der Produktionsmittel und die Arbeitslosigkeit der ZANON-ArbeiterInnen bedeutet.

Alles einfacher auf staatlicher Ebene?

Die Beschäftigten bei ZANON haben sich zum Glück nicht an solche Ratschläge gehalten. Die Lösung der prekären Form der Arbeiterkontrolle auf einzelbetrieblicher Ebene besteht nicht darin und kann auch gar nicht darin bestehen, dem Kampf einen „Zeitplan“ vorzuschreiben, dem zufolge „zuerst“ die Verstaatlichung des Betriebes oder gar ganzer Branchen und dann - durch wen? - die Arbeiterkontrolle über selbige einzuführen wäre.

In Wirklichkeit ist die Arbeiterkontrolle über ganze Branchen oder gar die Gesamtwirtschaft im Kapitalismus nämlich ebenso wenig dauerhaft durchführbar wie im einzelnen Betrieb. Auf ganze Branchen oder gar die Gesamtwirtschaft bezogen, bedeutet die Arbeiterkontrolle nämlich eine permanente Infragestellung der Entscheidungsgewalt der Klasse der Eigentümer (oder der Manager in den Betrieben, die dem bürgerlichen Staat gehören), die die herrschende Klasse auf Dauer nicht dulden kann.

Wie die Geschichte zeigt, wurden solche Organe der Kontrolle oder Doppelmacht im Betrieb entweder blutig zerschlagen oder durch den Staat mithilfe der reformistischen und zentristischen Parteien und der Gewerkschaftsbürokratie inkorporiert, so dass z.B. aus die Betriebsräte in Deutschland von Organen der Doppelmacht zur solchen der Kooperation und Unterordnung unter das Kapital wurden.

Das heißt aber nur, dass die Forderung nach Arbeiterkontrolle wie jede andere Übergangsforderung letztlich nur Sinn macht, wenn sie in ein ganzes System von Forderungen, in ein Programm eingebunden ist, das den Kampf für Arbeiterkontrolle als Teil des Kampfes um die politische Machtergreifung durch das Proletariat begreift.

Darin aber besteht der unschätzbare Wert des Kampfes für Arbeiterkontrolle. Er kann und soll die Klasse genau darauf vorbereiten, indem sie beginnt, wirtschaftliche Vorgänge als Klasse im Gegensatz zu den Kapitalisten und den Managern zu kontrollieren; zweitens, indem sie zur Durchführung dieser Kontrolle eigene Organe aufbaut, die die Selbstorganisation und Kampffähigkeit der Klasse vorantreiben, also dazu beitragen, dass die Arbeiterklasse von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich wird.

Und worin besteht die Alternative der Reformisten? Horst Schmidthenner vom IG Metall-Vorstand, „Verbindungsmann“ zu den „sozialen Bewegungen“ und zur SPD, spricht sich in Kassel für den Kampf um „Macht“ aus, worunter er die „Stärkung der Gewerkschaften und Betriebsräte in den Aufsichtsräten (!) versteht. Janine Wissler von der Hessischen Landesfraktion der Linkspartei und Marx21 stellt dem Kampf für Arbeiterkontrolle allen Ernstes den Kampf für Verstaatlichung und eine „andere Ausrichtung der Geschäftspolitik“ entgegen.

Diese „Alternativen“ bringt das Konzept der Reformisten, rechten Zentristen und Gewerkschaftsbürokraten auf den Punkt. Ihre Alternative besteht in bürgerlicher Reformpolitik, darin, dass der bestehende Staat und die bestehenden Organe der Klassenkollaboration (wie die Aufsichtsräte) gestärkt und durch die Parlamente, also per Gesetz ebendieses bürgerlichen Staates, auf „eine andere Geschäftspolitik“ verpflichtet werden sollen.

Das ist ihre Alternative zum Kampf um Arbeiterkontrolle, die sie ablehnen, ja letztlich ablehnen müssen - nicht weil diese auch ins Leere laufen kann, sondern weil diese, um ihren Zweck zu erfüllen, mit dem Kampf um die sozialistische Revolution verbunden werden muss. Und davon wollen sie ums Verrecken nichts wissen!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 141, Juli/Aug. 2009
*  Politische Lage: Heißen Herbst vorbereiten!
*  Heile Welt
*  Kitas: Unbefristeter Streik!
*  Programm gegen die Krise: Arbeiterkontrolle erst nach der Verstaatlichung?
*  Berlin: Alle reden von Bad Banks - die Linkspartei saniert eine
*  Bildungsstreik: Die Bewegung wächst
*  Sri Lanka: Gewerkschafter enthüllen Wahrheit über die Lager
*  Befreiungskampf: Solidarität mit den Tamilen!
*  Honduras: Nieder mit dem Putsch!
*  Afghanistan-Mandat: Bundeswehr raus - sofort!
*  Afghanistan: Widerstand und revolutionäre Arbeiterpolitik
*  1934: Streik in Minneapolis: Kämpfen in Zeiten der Krise
*  Iran: Massenproteste und ihre Perspektive