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Die VSP-Pleite und die Lehren im RSB

Zur Delegiertenkonferenz des "Revolutionär Sozialistischen Bundes" (RSB) im Herbst 1994 wurde ein Papier mit dem Titel "Das Projekt VSP - die richtigen Lehren ziehen" als Resolutionsentwurf vorgelegt.

Es gehört zu den Selbstverständlichkeiten einer Organisation, die sich ernsthaft auf marxistisch/trotzkistisches Erbe beruft, nicht mit der eigenen politischen Vergangenheit nach dem Motto zu verfahren "was kümmert mich mein Geschwätz von gestern". Um so mehr gilt das, wenn es sich dabei um eine mehrjährige Periode handelt, die am Anfang zu einer organisatorischen Trennung (Arbeit in den Grünen) und am Ende zur Neuformierung einer Gruppe, dem RSB, geführt hat. Mit dem Titel hat sich allerdings auch schon das Feld ungeteilter Zustimmung zu den "Lehren" erschöpft.

In der "Vorbemerkung" wird der Anspruch schon wieder heruntergeschraubt:

"Eine Bilanz... wäre schön und nützlich, ist aber nicht unerläßlich....Unerläßlich... ist dagegen, daß die richtigen Lehren aus dem siebenjährigen Projekt VSP gezogen werden."

Wie die "richtigen Lehren" ohne eine solche Bilanz gezogen werden können, bleibt freilich das Geheimnis des Autors dieser Zeilen. Schon hier führt er einen ersten Fehler ein, der sich wie ein roter Faden durch die "Lehren" durchzieht: Eine Bilanz wäre schön, das wir uns aber nicht darauf einigen werden können, wollen wir zumindest die "gemeinsamen Schlußfolgerungen" daraus ziehen.

Die Diskussion innerhalb der GIM und des VS, wie dort überhaupt der Gedanke an eine Fusion mit einer Organisation aus fremder Tradition aufkommen konnte und begründet wurde, wird daher gleich gar nicht rekapituliert. Ebenso hätten die Mitglieder des RSB das Recht und die Verantwortung, eine Bestandsaufnahme der VSP-Gegner über ihren organisatorischen (Irr)Weg (in den Grünen) einzufordern. Auch hier findet sich kein Bezug auf ein entsprechendes Dokument. Wenn man zu wirklichen Lehren kommen will, müssen die Voraussetzungen und Erwartungshaltungen an eine heute als falsch erkannte Politik säuberlich und lückenlos offengelegt werden.

Statt dessen beginnt der Autor gleich mit den Schlußfolgerungen aus dem Scheitern des VSP-Projekts:

"Das Kapitel VSP ist für die Vierte Internationale in Deutschland zu Ende."

"Unabhängig von den Gründen für diese Entwicklung oder einer Vereinheitlichung in der Analyse muß diese Schlußfolgerung die erste verbindliche Lehre der Vierten Internationale in Deutschland aus dem Projekt VSP im Jahre 1994 sein. Wenn es nicht einen ausdrücklich neuen Beschluß der Mitglieder der Vierten Internationale gibt, auch die heute veränderte VSP aufzubauen, dann ist dieses Projekt der deutschen Sektion beendet. Für einen solchen neuen Beschluß gibt es keine Mehrheit, noch nicht einmal einen Antrag, sondern nur eine Unterstützergruppe, von denen sich mehrere bewußt außerhalb der Vierten Internationale in Deutschland stellen."

Die politischen Lehren reduzieren sich hier auf die Feststellung politischer Mehrheiten. Hinzu kommt, daß der Autor unterschlägt, daß der RSB trotz der Tatsache, daß er die überwiegende Mehrheit der VS-Mitglieder in Deutschland vereinigt, um seine Anerkennung auf dem Weltkongreß des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale als offizielle Sektion zittern muß und die Frage nicht als bloße Formalie abtun kann. Schließlich befinden sich innerhalb der Reihen der Vereinigten Sozialistischen Partei gleichfalls Mitglieder des VS; jene "Unterstützergruppe", deren Repräsentanten wie W. Wolf ebenso wie J. Moneta von Seiten der internationalen Führung unverhohlen als deutsche Vorzeige-Trotzkisten gefeiert werden.

Statt nach den politischen Ursachen dieser Entwicklung zu suchen und der Frage nachzugehen, ob diese nicht schon in der Art und Weise der VSP-Gründung selbst angelegt war, will der Autor vor allem zeigen, daß keiner gewußt haben kann, zu welch unerfreulichem Resultat die Fusion mit der KPD führte:

"Die alten Einwände (gegen die VSP-Gründung, d. Red.) sind kein Bezugspunkt mehr."

Natürlich ist es sehr bequem, die damaligen Kritiken gegen das Projekt VSP aus den eigenen Reihen oder "grundsätzlich befreundeten Kreisen" (?) oder aber aus dem "Reich der Toten" den Vorwurf, "die Trotzkisten hätten den Marxismus-Leninismus weggeputscht" als historisch belanglos zu entkräften. Aber die These "Die VSP ist gescheitert, aber aus Gründen und Entwicklungen, die von keiner Seite erkannt wurden" unterschlägt die "Stellungnahme der GAM zur Gründung der VSP", die in einer Flugschrift aus 1987 separat und dann in Arbeitermacht Nr.8 Winter 1987/88 nochmals erschien.

In dieser Schrift legen wir dar, daß nicht etwa ausschlaggebend ist, ob mit der Fusion chemische Risikoelemente (Trotzkisten und Maoisten) aufeinandertreffen würden, sondern die opportunistische Methode, mit der die Vereinigung vollzogen wurde. Wir schrieben damals als Quintessenz aus unserer Einsichtnahme in die Diskussionsabläufe der verschiedenen Arbeitsgruppen beim Gründungskongreß der VSP: "Differenzen werden offengelegt, um sie anschließend untern Teppich zu kehren." Dies betraf v.a. drei Punkte: das Verhältnis zu den degenerierten Arbeiterstaaten, das Verständnis von Aktionsprogramm und die Frage der Notwendigkeit einer Internationale. Sonst die "heilige Kuh" für die GIM-Anhängerschar, wurde die Organisierung beim VS auf die individuelle Mitgliedschaft abgeschoben, für die Gesamtorganisation aber ausgeklammert. Ein Normalsterblicher würde hier unter Garantie als Fall von schwerer Schizophrenie in die Psychiatrie eingeliefert werden. Ein VS-Zentrist aber dichtet sich seinen politischen Bankrott in eine "Dialektik der partiellen Errungenschaften" um.

Ansonsten vertraute man auf die "innere Dynamik", die es in Analogie zum "objektiven Geschichtsprozeß", der für Revolution arbeitet, schon richten würde. Das ist genau die Logik, die der Schreiber der Bestandsaufnahme auch heute noch verbreitet. Wie hat es faktisch später in der VSP ausgesehen? Der Autor beklagt zentral, daß die Programmdebatte nur innerhalb Inprekorr geführt wurde. Nicht jammern, schonungslos die Wahrheit aufdecken - nur das hilft weiter. Und die lautet: die Folgen sind sonnenklar, wenn man sich auf die Vorbedingung des Ausklammerns einläßt. Nur logisch, daß nie die Verpflichtung herausgearbeitet wurde, die Debatte bis zur Klärung der ungelösten Fragen zu führen, weil von Anfang an die Einheit der VSP über die politische Klarheit der Organisation gestellt wurde. Die Abarbeitung allein der offiziell als ungeklärt geltenden Differenzen wie Internationale, Stalinismus, Verteidigung der degenerierten Arbeiterstaaten, ganz zu schweigen von den unter der Oberfläche rumorenden Spannungen, die z.B. sichtbar wurden bei den Schwierigkeiten, eine gemeinsame Gruppenposition bei aktuellen Themen zu finden, mußte auf dieser opportunistischen Grundlage zwangsläufig immer wieder aufgeschoben werden, wollte man die "Einheit der Revolutionäre", die "partielle Errungenschaft" nicht gefährden.

So wurden Dokumente zu wichtigen Fragen, wie zur Perspektive des Imperialismus, niedergelegt in den "Deutschland-Thesen", namentlich gezeichnet. Diese Thesen wurden aber nur von einem Teil der Gruppe geteilt. Es gab jedoch kein Alternativdokument, so daß man darauf als Organisationsposition Bezug nehmen mußte. Oft genug wurden im VSP-Organ "Sozialistische Zeitung" auch mehrere konträre Positionen veröffentlicht. Übrigens eine langgeübte Praxis auch in der GIM. Nun ist es immer schlecht, wenn eine Organisation mit mehr als einer Stimme spricht und kein klares Positionsprofil zeigt. Der Hinweis auf eine "lebendige Streitkultur" in der Gruppe verbirgt allerdings das in Wahrheit monadistische statt kollektive Antlitz der Diskussionsprozesse. In den Publikationen werden nur Schaustellungen geboten nach dem Prinzip: "jeder darf mal seinen Senf dazu geben". Mit zielgerichteter Debatte, die der Organisation wirkliche Fortschritte in Bezug auf Gruppenkonsolidierung und Interventionsfähigkeit im Klassenkampf bescheren soll, hat das nicht das Geringste zu tun.

Die Unlust an theoretischen Auseinandersetzungen wird durch die Schaffung von Spezialforen natürlich weiter gefördert. Diese Maßnahme ist nur die logische Konsequenz in eine Sackgasse, wenn die programmatische Debatte in luftdichte Exklusivgremien verlagert wird, statt sie breit angelegt in der Gesamtorganisation zu führen, oder wenigstens ihre Ergebnisse dorthin zurückzutragen. Auch hier hat der angeblich politisch bewußtere Teil der VSP konzeptionell auf der ganzen Linie versagt, immer davon ausgehend, daß die Einheit der VSP überhaupt gewollt war.

Zu brauchbaren Ergebnissen scheint aber auch die Inprekorr-Strömung nicht gekommen zu sein, denn es existiert kein Manifest, das zu wesentlichen Fragestellungen des Klassenkampfs Stellung bezieht: Imperialismus, neue Weltordnung, Herausforderung durch die Rechte, Stand der Arbeiterbewegung. Gründe für positionelle Klarstellungen hat es allemal gegeben. Auf einer VSP-Veranstaltung in Hamburg prallten Meinungen zu elementaren Fragen, wie dem Verhältnis von Revolutionären zu Gewerkschaften in der VSP, diametral aufeinander. Wenn der Schreiber der Resolution zur VSP konstatiert, es fand keine ideologische Schlacht statt, sondern die "VSP litt von Anbeginn an einer fast hundertprozentigen Nichtwahrnehmbarkeit des einen (ex-stalinistischen) Partners der Vereinigung in allen Fragen der Theorie, des Aufbaukonzepts und des Programms", so unterstreicht dies nur, daß eine stillschweigende Arbeitsteilung, oder besser noch: Hobbypflege, sämtlichen möglichen Differenzen nicht nur aus dem Wege ging, sondern damit auch jede gemeinsame Weiterentwicklung, in welchen Belangen auch immer, praktisch ausschloß.

Weil es nirgends ein Feld echter Herausforderung gab, mußten sich die verschiedenen Teile neutralisieren und schließlich sogar in eine gegenseitige Blockade münden. Aber man vertraute sich lieber den Mysterien der "inneren Dynamik" an, die das Fusionsschiff schon über den schwierigen Kurs steuern würden. Wie aber sollte die Passivität in theoretisch-propagandistischer Hinsicht durch den Kitt einer gemeinsamen Praxis ausgeglichen werden können? Auf der Basis von bloßen Grundsatzerklärungen und einem Parteistatut ohne die angeleitete Zusammenarbeit in allen Bereichen des Organisationslebens konnte gar keine wirkliche kooperative (Außen)Interventionspraxis entstehen. Im Gegenteil, weil zu viele uneingestandene Meinungsverschiedenheiten herrschten, auch v.a. weil die Gruppe über keine gemeinsames Instrumentarium verfügte, sich die Tragweite dieser Unterschiedlichkeiten überhaupt erst begreiflich zu machen und Methoden zu entwickeln, sie zu überwinden, war der Weg in die Katastrophe vorgepflastert. Meistens kam gar keine kollektive Praxis mehr zustande. Die Unerträglichkeit der Klimastörung innerhalb der VSP gipfelte darin, daß bspw. in Hamburg ein Teil der Ortsgruppe (mit maoistischer Herkunft) jegliche Gemeinsamkeit offen sabotierte. Das bedeutete die faktische jahrelange Lähmung einer der wichtigsten Hochburgen der VSP. Anderswo führten die Ortsgruppen in Bezug auf eine willkürliche Kampagnenpraxis ein Eigenleben.

Dieses förderalistische Laissez faire-Prinzip, gepaart mit der Wundergläubigkeit an eine "innere Eigendynamik", deren Ausbleiben dann durch Administration statt Mobilisierung ersetzt wurde, ist ein weiteres Erbübel der GIM und potenzierte sich noch in der Allianz mit einem Zerfallsprodukt des entwurzelten Maoismus. Die Konzepte der VSP und des Eintritts in die Grünen, so unterschiedlich sie sich auf der Ebene der organisatorischen Konsequenz auch auswirkten, hatten eins gemeinsam: sie waren Produkte einer krampfhaften Suche nach Abkürzungswegen im Parteiaufbau, getrieben von einer tief sitzenden Selbstunsicherheit und einem krassen Opportunismus. Das ist auch bei einer Organisation wie der GIM, die ja Erfolg an "Politikfähigkeit", d.h. Mitgliederstatistiken und Promikult mißt, ganz naturwüchsig.

Als dritte Lehre zieht der Resolutionsinitiator den Schluß, "...daß die Fehlentwicklung der VSP weitestgehend unabhängig von diesen äußeren Vorgängen begründet ist und fast vollständig nur subjektives (Fehl-)Verhalten der VSP-Mitglieder, VSP-Führung und Vierte Internationale-Mitglieder als Ursache hat." (Mit "diesen äußeren Vorgängen" ist die Klassenkampfsituation gemeint.)

Wenn das mal kein Irrtum ist! Erst einmal gilt allgemein, daß der Umbruch in der Weltlage mit seinen ideologischen Folgen, speziell auch in Deutschland, innerhalb der Linken einen rapiden Umgruppierungsprozeß in Gang gebracht hat. Wer keinen Zusammenhang zwischen Klassenkampfbedingungen und dem Werdegang von politischen Gruppen unterstellt, ist entweder ein Schelm oder ein Apologet von Fehlkonstruktionen wie der VSP. Wenn die Formation der VSP schon nicht selber als Moment im Teilchenbeschleuniger Klassenkampf angesehen wird, können dessen Auswirkungen auf die VSP jedenfalls kaum geleugnet werden.

Die verheerende Politik zum "Aufbau Ost", wo einem Genossen, der korrekterweise die Gründung von VSP-Verbänden in der Noch-DDR befürwortete und betreiben wollte, der Ausschluß aus der Organisation angedroht worden ist, beweist wohl zur Genüge, daß hier durch die deutsche Wiedervereinigung die Organisation von außen vor eine Zerreißprobe gestellt worden ist, was der Verfasser an anderer Stelle im 2. Absatz seiner 3. These dann auch eingesteht.

Auch bei der subjektiven Verhaltensschelte ist eine gleichrangige Schuldzuweisung bequem und verschleiert die Ursachenforschung nur. Als Gründungsfundament der VSP wird stolz das "Selbstverständnis als demokratisch-zentralistische Klassenpartei" hervorgehoben. Eine solche Charakterisierung legt u.E. fest, daß die bewußtesten Kräfte, v.a. die Führung, aber auch die Elemente, die sich auf den Trotzkismus berufen, Verantwortung für alles, was im Namen der Organisation geschieht, zu übernehmen haben und den Mitgliedern Rechenschaft schulden. Wenn alle ein bißchen Schuld haben, kann am Ende niemand wirklich haftbar gemacht werden für den Scherbenhaufen und eine weitere Wesensfrage des Organisationsaufbaus, nämlich die der politischen Leitung, bleibt unbeantwortet.

Die 4. These rührt nun scheinbar ans Eingemachte. Jedenfalls ist die Erwartung nach der Überschrift "Bruch mit den zwei wichtigsten Prinzipien der revolutionär-sozialistischen Arbeiterbewegung" hochgespannt. Und was lesen wir da:

"Die ungleiche und kombinierte Entwicklung hat der Arbeiterbewegung ihr heterogenes und in Strömungen und Fraktionen gespaltenes Dasein beschert; die Dialektik der partiellen Errungenschaften führte zudem zum 'Normalfall', daß die revolutionären Sozialisten darin eine Minderheit sind. Daraus folgt das erste wichtige Prinzip der revolutionären SozialistInnen- KommunistInnen: Mehr werden!"

Lassen wir einmal die auch nicht unumstrittene Prämisse beiseite, so liegt hier eine schlimme Vertauschung von Methode und Ziel vor. Das Prinzip, das in Wirklichkeit von der VSP mißachtet worden ist, war das von "Klarheit vor Einheit".

Bevor zur Jagd auf numerische Rekorde geblasen werden kann, muß man erst einmal die eigenen Reihen stabilisieren und aus 600 Karteikarten 600 Parteikader schmieden, die die Überzeugungs- und Tatkraft aufbringen, um selber rekrutieren zu können. Gerade dieser Ausbildungssektor aber wurde in der VSP vernachlässigt. Dann erst, mit gefestigten Kadern, hat man einen Gradmesser für Erfolg und nicht kurzfristige Gewinne, wie die VSP, die sich nur als eine äußerlich stattliche Erscheinung, innen aber hohles und künstlich aufgeblasenes Gebilde entpuppte. Deswegen ist es auch müßig darüber zu spekulieren, wieviel die VSP in der Ex-DDR hätte gewinnen können. So wie die VSP war, mit ihrer Politik des Ausweichens vor einer dezidierten Stellungnahme zum Stalinismus, hätte sie die Leute gar nicht oder nur an ihre eigene Verwirrung binden können. Das eigentliche Problem wollen offenbar auch diejenigen nicht ansprechen, die jetzt die VSP verlassen haben und damit "weniger" geworden sind, denn nicht die Größe einer Organisation, sondern deren Verankerung in den Klassenkämpfen und ihr Beitrag zur Lösung der Führungskrise der Arbeiterbewegung ist allein ausschlaggebend.

Als zweites Hauptprinzip wird die "Partizipation des oder der Einzelnen an Planung, Entwicklung und Umsetzung der Gesamtzielsetzung" vorgestellt. Als Verletzung dieses Prinzips wird moniert: "statt Entscheidungen, die eine Entwicklung ermöglicht hätten, gab es eine Inflation an kompetenzlosen Konferenzen und sorglos daherfabulierenden EinzelautorInnen bei der Zeitungsmache, mit entsprechendem Nomadentum bezüglich konkreter politischer Positionen,... statt die Mitglieder zur Krisenlösung zu mobilisieren, wurden sie verstärkt ausgeschaltet." Nach dieser halbwegs korrekten Aufzählung von Symptomen verblüfft der Autor mit folgendem Kernargument: "bewährte und gerade von der Vierten Internationale systematisch entwickelte Parteimechanismen wie Tendenz- und Fraktionsstrukturen, die ja vor allen anderen Spaltungen verhindern, also Einheit wahren sollen, wurden verteufelt."

Wenn Tendenz- und Fraktionsrecht dahingehend pervertiert wird, daß sein Zweck die Wahrung von Einheit sei, dann verdient es allerdings auch, verteufelt zu werden. Eine so schwerwiegende Maßnahme wie Fraktionsbildung kann in trotzkistisch-leninistischem Vermächtnis natürlich nur ein letztes Mittel sein, die Mehrheit hinter sich zu bringen, die Führung zu erringen und das Ruder für den Gesamtkurs der Organisation herumzuwerfen. Und dieser Kampf muß auf eine alsbaldige Klärung drängen, an dessen Ende in der Regel ein Führungs- und Kurswechsel oder aber ein organisatorischer Bruch (also die Spaltung!) stehen muß. Als Dauereinrichtung aber verkommen Tendenzen und Fraktionen zu einem scheindemokratischen Stillhalteabkommen, das den eingefleischten heimlichen Dirigismus der Zentrale in Wahrheit zementiert. Dieses (Miß)verständnis von Tendenz- und Fraktionsfunktion ist ein typisches Merkmal des VS-Zentrismus.

In der 5. These "Verlust der Einheit von Form und Inhalt" wird gesagt, erst hätte die "(Selbst)Zerstörung des organisatorischen Projektes" stattgefunden, was die VSP in Widerspruch "zu ihrer revolutionären Programmatik" hätte geraten lassen. Das sind jedoch Behauptungen. Dazu gehören Beweise auf den Tisch; Beweise, worin denn die revolutionäre Programmatik der VSP gelegen haben soll. Soziale Orientierung auf die Arbeiterklasse, Ausnützen gesellschaftlicher Widersprüche und Partei als verschworene Gemeinschaft sind bei x-beliebigen anderen Organisationen von der DKP bis zur Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands anzutreffen. Außerdem wird vom Verfasser ja immerhin selber bemängelt, daß die Programmdebatte innerhalb der VSP zumindest stagniert hat. Auf welches Programm will man sich also beziehen? Bliebe höchstens das der GIM, aber über die Illusion ihres revolutionären Programmgehalts haben wir sehr ausführlich in unserer "Stellungnahme der GAM zur Entstehung der VSP" Bericht erstattet.

Wenn der Urheber dieser Bilanzierung kritisiert, daß wieder "altbekannte reformistische Vorstellungen mit einer entsprechenden Partei der Trennung von Maximal- und Minimalprogramm" aufgetaucht wären, und von da nur ein kurzer Schritt war, um bei einer Debatte um einen "neuen Parteitypus" (wie bei der PDS) anzugelangen, soll das dann etwa heißen, daß revolutionäre Methodik der Übergangsforderungen anfangs bei der VSP Konsens gewesen wäre? Dieser Punkt gehört nämlich genauso wie andere Grundfragen einer revolutionären Organisation zu den Themen, die bei Gründung entweder gar nicht erst angeschnitten wurden, oder die man mit der Strategie des Aussitzens einfach wegzuzaubern hoffte. Bei Anzeichen von Krise kehren diese ungelösten Probleme durch die Hintertür wieder ein, und der totgeglaubte Stalinismus ist doch gar nicht so tot, um seine verschimmelte Version der Trennung von Maximal- und Minimalprogramm nicht wieder frisch überzuckert auftischen zu können. Es verhält sich eben doch vielmehr so, daß das organisatorische Projekt trotz der Erkenntnis über gravierende Defizite an inhaltlichen Gemeinsamkeiten (und methodischer Klarheit fügen wir hinzu) zusammengeschustert wurde.

Mit dem nächsten Kapitel "Die Kontinuität der Vierten Internationale" führt der Protagonist der VSP-Rückschau die eigene These vom Bruch der Einheit von Form und Inhalt ins Absurde. Er legt dort dar: "Zum Gelingen der VSP-Gründung hat die Vierte Internationale einer organisatorischen Regelung zugestimmt, die ihre unabhängige Organisation... suspendierte zugunsten einer Organisierung innerhalb der neuen Organisation.... Dies selbstverständlich nur als Übergangsregelung bis zur tatsächlichen Auflösung der Vierten Internationale in Deutschland oder eben bis zur Selbsterklärung der Gesamt-VSP zur Sektion." Dieser Darstellung wird im übrigen in anderen Aussagen führender RSB-Vertreter widersprochen, wonach dieser organisatorische Schritt zur Verschmelzung von GIM und KPD zur VSP nicht mit Billigung des VS der IV. Internationale vonstatten gegangen sei.

Erstaunt zeigt sich dann der Autor über den Sinneswandel bei den eigenen Genossen: "Was niemand bei der VSP-Gründung für möglich gehalten hatte, daß ohne Diskussion, ohne Druck eine Reihe von GenossInnen sich gegen die Vierte Internationale stellen würde, war eingetreten." An diesem Verhalten läßt sich v.a. eins ablesen, nämlich daß das vielbeschworene besondere, enge Verhältnis zur IV. Internationale bei Licht besehen ein äußerliches, von Opportunismus geprägtes ist. Wer die Chance zum "Mehr werden" eben außerhalb des VS wittert, der braucht sich um solche organisatorischen Hülsen, denen jeglicher inhaltlicher Kodex fehlt, nicht mehr zu scheren. Der Schreiber dieses Papiers strickt selber fleißig an der Aufdeckung dieser Legende mit, indem er sich in seiner Enttäuschung über diesen "Verrat" zu der Äußerung hinreißen läßt, die letzte Möglichkeit, "die Reste der VSP in eine aktive(re) Zukunft zu retten", wäre eine "Abstimmung über den Anschluß an die Vierte Internationale ohne vorherige Debatte" gewesen. Hier vollführt der Autor Purzelbäume. Putschismus ersetzt den prinzipienfesten Fraktionskampf. Wie ernst soll man da seine Klagen über den undemokratischen manövristischen Charakter des VSP-Organisationslebens, über Diskussionsdefizite und über die Abkapselung der Inprekorr-Strömung eigentlich noch nehmen?

Kehren wir noch einmal zurück zum zentralen Argument, was der VSP den Garaus gemacht hat. Da heißt es in These 3:

"Tödlich für solche (Propaganda)Organisationen sind allerdings Fehler in der Beziehung der Propaganda zu den PropagandistInnen (Widersprüche im Parteileben) im Umgang mit Unklarheiten und offenen Posten in der Propaganda (Lebendigkeit und Überprüfbarkeit von Politik und Programm) und im Umgang der eigenen Kräfte untereinander (innere Demokratie, Bürokratisierung, Verhältnis formeller zu informellen Strukturen."

Waren diese Faktoren nicht von Anfang an auf den Treibsand einer Vereinigungshysterie gebaut und nicht ein einziges Versteckspiel in Bezug auf Parteiaufbaukonzept, Programmverständnis und Prioritätensetzung bei der Intervention im Klassenkampf? Das Scheitern der VSP wird von vielen RSB-Mitgliedern letztlich auf die starke Demoralisierung eines Teils der Mitgliedschaft reduziert. Wer das annimmt, hat ein Interesse daran, Spuren zu verwischen. Individuelle Demoralisierungstendenzen sind auch in gesunden revolutionären Organisationen nicht auszuschließen. Aber wenn sie als Gruppenphänomen epidemisch auftreten, zumal noch an einem bestimmten politischen Teil, nämlich der KPD, festzumachen sind, müssen sie rückreichende Ursachen haben.

Ein Blick auf den Werdegang dieser Ex-Maoisten hätte schon darauf aufmerksam machen müssen, daß diese Gruppierung sich im Niedergang befunden hat. Verluste ihrer einstigen Leitbilder und Mitgliederschwund müssen ihre negativen Spuren in der politischen Gemütsverfassung hinterlassen haben, so daß die Fusion für sie ein Platz im Rettungsboot war, aber rudern sollten andere. Die Ex-KPD glänzte von Anbeginn, nicht erst im Laufe der VSP-Geschichte, durch Nichtwahrnehmbarkeit in Theorie, Aufbaukonzept und Programm. Bei beiden Teilen stand nur der Wunsch, durch die Spritze des Mitgliederzuwachses die eigene Degeneration zu betäuben, im Mittelpunkt. Konnte bei der VSP-Gründung noch niemand diese Krisenzeichen vorausahnen? Doch, man konnte:

"Hinter der propagierten Aufbruchstimmung steckt in Wirklichkeit ein tiefliegender Pessimismus, ein Pessimismus, der sich mit 'revolutionärer' Ungeduld paart.." (Arbeitermacht 8, 'Stellungnahme der GAM zur Entstehung der VSP')

Wenn wir immer wieder die Notwendigkeit des "Programms zuerst" betonen, machen wir damit unser Programm keineswegs zur Ikone, sondern wir haben das Verständnis, daß ein Programm nur so viel wert ist, wie es seine Korrektheit in der Praxis beweist und zur Leitschnur des politischen Handelns wird. Wird jedoch keine klare Methode der Programmerarbeitung verfolgt, muß auch der Parteiaufbau auf der Strecke bleiben. Genau das war bei der VSP der Fall.

Das vorgelegte Dokument läßt nicht erkennen, daß die Lektion aus dem "Betriebsunfall" VSP gelernt worden ist. Es besteht andererseits jedoch kein Grund, bei einem Scheitern des RSB heute sich genüßlich zurückzulehnen mit der selbstgerechten Pose, "es ja schon immer gewußt zu haben". Gerade deshalb ist es notwendig, die Lehren aus dem Scheitern der VSP ernsthaft und schonungslos zu ziehen, um deren Wiederholung zu vermeiden.

 

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