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Konflikt bei VW

Immer wieder Hartz?

Peter Lenz, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Peter Hartz - der personifizierte Sozialabbau - ist dabei, auch bei VW, wo er Personalvorstand ist, zum absoluten Buhmann zu werden. Verständlich, denn was er im Auftrag des VW-Vorstands den 103.000 VW-ArbeiterInnen vorlegt, ist ein Horrorkatalog.

Forderungen des Kapitals

Unverhohlen drohen die höchst bezahlten VW-Bosse mit dem Abbau 10.000er Arbeitsplätze, wenn ihr Forderungskatalog zur Tarifrunde nicht durchkommt. Danach sollen nur noch 70% des Lohnes Festgeld sein, 30 % sollen vom "Erfolg" des Unternehmens abhängig werden. Da in der gegenwärtigen Krise auch die Autokonzerne mit Absatzproblemen und enormen Überkapazitäten zu kämpfen haben, werden nicht nur der "Unternehmenserfolg", sondern auch die ertragsabhängigen Lohnteile eher bescheiden ausfallen.

Diese Aufteilung des Lohnes soll das wirtschaftliche Risiko direkt an die ArbeiterInnen abwälzen und eine Interessengleichheit zwischen Lohnabhängigen und Bossen vortäuschen. Doch die gibt es nicht, denn die Unternehmenspolitik - ganz zu schweigen von der Wirtschaftskrise - hängt nicht von den Beschäftigten, sondern von den Millionären und deren Spitzenmanagern ab. Die sind im Fall des Falles immer fein raus, während die ArbeiterInnen meist nicht fein raus sind, sondern raus fliegen.

Die Forderungen des Vorstands beinhalten weiterhin: Kürzung der Entgelte, keine Übernahmegarantie mehr für Auszubildende, Kürzung des Weihnachtsgeldes, längere Arbeitszeiten. Zwei Jahre lang soll keine Erhöhung der Löhne erfolgen. Alle Neueingestellten sollen nur noch nach dem Normal-Tarif der Metallindustrie bezahlt werden, die unter dem von VW liegt. Damit nicht genug: Weiterbildung und Kommunikationszeiten sollen nicht mehr voll bezahlt werden, Ausweitung der Arbeitszeitkonten auf 400 Stunden Plus/Minus, Mehrarbeitszuschläge erst ab 40 Std. pro Woche.

Begründet wird dieses Programm mit der "schwierigen Absatzlage", vorwiegend auf dem deutschen Markt. So seien die Verkäufe des VW Golf V im Sommer drastisch zurückgegangen, was zu einem weiteren "Gewinneinbruch" des Konzerns geführt habe.

Dabei hatte der Konzern sich mit dem Programm "ProMotion" gerade das Ziel gesetzt, die Profitrate deutlich zu erhöhen und die Weltmarktstellung auszubauen. Zurecht betont die Gewerkschaft dagegen, dass die Probleme bei VW u.a. daher rühren, weil Unsummen in die Entwicklung fragwürdiger Edelkarossen gesteckt wurden. Wie immer sollen nun die Beschäftigten für die Idiotien ihrer Chefs zahlen.

Die Forderung der IG Metall - 4 % Lohnerhöhung und Arbeitsplatzgarantien - ist völlig berechtigt. Die 4% orientieren sich an den realen Entwicklungen von Produktivität und Lebenshaltungskosten. Sie sind eher zu niedrig, denn zu hoch!

Der Tarifkonflikt berührt mehr als nur die Beschäftigten selbst. Für Kassel und Umgebung z.B. kann das gravierende Auswirkungen haben, da rund 60 Prozent der Industriearbeitsplätze am Fahrzeugbau hängen: VW, Daimler-Chrysler, Bombardier, dazu viele Zulieferbetriebe. Allein 15.000 arbeiten bei VW Baunatal. Die Stadt Baunatal ist von den immer spärlicher fließenden Steuern des VW-Konzerns abhängig. Im Arbeitsamtsbezik Kassel sind fast 35.000 Arbeitssuchende gemeldet, Tausende müssen von Sozialhilfe leben.

Arbeitsmarktreform und VW

Die "Arbeitsmarktreformen" der Regierung sind ein ständiges Drohpotential gegen alle, die noch Arbeit haben. Agenda 2010 und Hartz-Reformen sollen zu einer Kostensenkung für die Kapitalisten führen und die Belegschaften gehörig unter Druck setzen und sie gefügig machen. Auf diesem Boden können dann die Vereinbarungen für eine "Arbeitsplatzgarantie" durchgedrückt werden. Doch wer sollte denn praktisch eine Garantie für Arbeitsplätze geben - im Kapitalismus, wo nichts und niemand "sicher" ist?! Nicht formelle Zusicherungen, die das Papier nicht wert sind, sondern nur der Kampf der Beschäftigten gegen die "Arbeitsplatzabbauer" kann Arbeitsplätze sichern. Zudem: was ist mit den Tausenden, die ihre Arbeit schon verloren haben oder in irgendeinen Billiglohnjob arbeiten?!

Wie überall wird auch bei VW mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer gedroht. Darauf gibt es zwei Antworten. Entweder wir geben dieser "Standortlogik" nach, was zu einer nie endenden Lohnabwärtsspirale und dazu führt, dass jede Belegschaft mit jeder anderen erpresst wird. Oder aber die ArbeiterInnen aller Standorte kämpfen gemeinsam gegen ihre jeweiligen Standortapostel. Im ersten Fall können alle gemeinsam nur verlieren, im zweiten Fall können alle gewinnen. Anstatt also den Hartz und Co. auf den Leim zu gehen, müssen die VWlerInnen den Kontakt zu den slowakischen KollegInnen suchen, um den gemeinsamen Abwehrkampf zu organisieren. Verlagerung verhindert man am besten dadurch, dass die slowakischen KlollegInnen so viel verdienen, wie ihre KollegInnen in Deutschland. Die Konzerne denken und handeln global, genauso muss es auch die Arbeiterklasse tun.

Die europäischen ArbeiterInnen müssen sich unter gemeinsamen Forderungen zusammenschließen: gegen den Sozialabbau, für Verteilung der Arbeit auf alle, gegen Lohndrückerei, für Anhebung auf das jeweils höchste Niveau!

Keine Zeit für Illusionen

Im Automobilbau tobt ein erbitterter Kampf um die Weltmärkte. Ford, General Motors (GM), Daimler Chrysler, VW stehen in scharfer Konkurrenz. Vor allem die EU-Autokonzerne wollen jetzt über die Senkung der Lohnkosten ihre Marktstellung behaupten und ausweiten.

Nach Daimler-Chrysler wird daher mit den VW-Beschäftigten eine nächste Bastion der organisierten Arbeiterbewegung angegriffen. Gleichzeitig wird von GM Druck auf die Beschäftigten in Rüsselsheim gemacht, es wird versucht, sie gegen die ArbeiterInnen bei Saab (auch Teil von GM) in Schweden auszuspielen.

Die VW-ArbeiterInnen können und müssen kämpfen, sie haben nichts zu verschenken. Erst im Dezember 2003 hatten sich z.B. viele an der Demonstration der 7000 gegen die Agenda in Kassel beteiligt Auch am Jugendstreiktag im Juli waren Hunderte VW-Auszubildende dabei. Die Bewegung gegen Agenda und Hartz muss sich jetzt mit dem Kampf der Belegschaften gegen Ausweitung der Arbeitszeiten und Lohndrückerei verbinden, damit sie Erfolg haben kann.

Der VW-Konzern darf mit diesen Angriffen nicht durchkommen! Und er ist verwundbar! In Mexiko haben die VW-ArbeiterInnen vor kurzem 4% Lohnerhöhung durchgesetzt. Es gibt bei VW einen IGM-Organisationsgrad von 97%, es gibt eine starke Vertrauensleutestruktur. Doch neben dieser potentiellen Kampfkraft gibt es zugleich auch einen Schwachpunkt: die IG Metall-Führung und die Konzernbetriebsräte bereiten hinter geschlossenen Türen einen faulen Kompromiss vor. Oft genug hat sich gezeigt, dass die Führungen der IG Metall und die Gesamtbetriebsräte den Kampf nicht energisch führen wollen und ihn oft genug ausverkaufen. So war es bei vor wenigen Monaten bei Siemens, so war es vor wenigen Wochen bei Daimler, so war es beim Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten. Imme dasselbe Bild: die Basis ist entschlossen und kämpft - die Führungen, der Apparat kneifen, um dann hinterher umso aktiver zu versuchen, die Niederlage und den "Kompromiss" auf Kosten der Belegschaften noch schön zu reden!

Das ist nicht neu. Als vor 10 Jahren im Zuge der damaligen Krise im Automobilbau die Arbeitszeit auf 28,8 Stunden gesenkt wurden, wurde dies ohne Lohnausgleich vollzogen. Das 5000x5000 Modell, dem die IGM zugestimmt hat, führte zu einer Spaltung innerhalb der Belegschaft. All das geschah mit Peter Hartz als Personalvorstand, der wohl immer noch Mitglied der IG Metall ist - und gleichzeitig der personifizierte Sozialabbau ist. Solche Leute gehören aus der IGM rausgeschmissen!

Doch heute, unter dem doppelten Druck der Krise und der strategischen Angriffe auf die sozialen Systeme sind diese "Kompromisse" früherer Jahre nicht mehr möglich. Regierung und Kapital wollen und können sich keine Kompromisse mehr leisten. Sie wollen sie Entscheidung. Jedes Zurückweichen, jedes Ausweichen vor dem Kampf ermuntert sie nur, noch weiter zu gehen. Die Gewerkschaftsspitzen haben diese Zeichen der Zeit nicht erkannt bzw. sie wollen sie nicht sehen, weil sie immer schon davor zurück scheuten, das Kapital energisch anzugreifen und die Basis wirklich voll zu mobilisieren.

Welche Schlüsse müssen wir daraus ziehen? Zunächst ist allerhöchste Wachsamkeit gegenüber den Verhandlungsführern geboten. Doch das allein reicht nicht. Wir müssen für die volle Transparenz der Verhandlungen eintreten. Kein Beschluss, keine Position darf ohne vorherige demokratische Diskussion und Beschlussfassung durch die Belegschaft zustande kommen.

Ob, wann, wie und wofür gestreikt wird - all das muss von der Belegschaft selbst offen und demokratisch beraten und festgelegt werden! Dazu müssen Streikräte gebildet werden, die von der Basis gewählt, kontrolliert und notfalls auch abgewählt werden können.

Die von der Gewerkschaftsbürokratie "vorgegebenen" Streiktaktiken und -führungen haben sich allzu oft als unzureichend und "selbstherrlich" erwiesen; sie waren allzu oft bereit, irgendeinem faulen Kompromiss zuzustimmen.

Falls die VW-Chefetage nicht auf den Vorschlag der IG Metall - ohne Abstriche (!) - eingeht, muss gestreikt werden, bis die 4% voll durchgesetzt sind!

Interview

 

Kollege A. aus Kassel, hat schon bei VW gelernt, ist im Betrieb seit über 30 Jahren.

Neue Internationale (NI): Wie stehen die KollegInnen zu den Forderungen des VW-Vorstands?

A: Alle sind sauer, besonders über die ständigen Drohungen mit Produktionsverlagerung in die Slowakei. Seit Jahren wird ständig damit gearbeitet. Doch jetzt geht es ans Eingemachte, denn wir haben in den letzten Jahren schon einiges an Einkommensverlusten zu verkraften gehabt.

NI: In der Presse heißt es, ihr seit privilegiert und überdurchschnittlich bezahlt.

A: Das ist eine Frechheit! Hier in der Getriebeproduktion habe ich mir meine Gesundheit ruiniert, wer so etwas schreibt, würde hier keine drei Wochen durchhalten.

NI: Werdet ihr streiken, um die Forderungen des VW-Vorstandes zurückzuweisen?

A: Die Bereitschaft dazu ist da, aber wir haben ja auch gelesen, was bei Daimler passiert ist. Die KollegInnen wollten kämpfen, aber plötzlich hat die IG-Metall-Spitze eingelenkt. Letzten Endes hat der Daimler-Vorstand das bekommen, was er von vornherein gewollt hat. Diese Gefahr besteht natürlich auch bei VW.

NI: Hast du schon an Montagsdemos gegen Hartz IV in Kassel teilgenommen?

A: Ja, einmal. Durch die Schichten ist das ein Problem. Aber es haben viel zu wenig KollegInnen daran teilgenommen. Wenn sich das ändert, die Unruhe in den Betrieben wächst - wird es gefährlich für Schröder.

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Nr. 94, Oktober 2004

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*  Gewerkschaftsbürokratie sabotiert Widerstand: Auf zum Winterschlaf?
*  Die MLPD und die Montagsdemos: Alle für die Einheit?
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