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Hafenarbeiter gegen Lohndumping

Internationale Streiks sind machbar!

Markus Lehner, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Am 19. November 2003 brachten zehntausende Hafenarbeiter in 14 Ländern durch ihre Aktionen die Hauptschlagadern des europäischen Kapitalismus zum Stillstand. Von der Biscaya bis zur Ostsee und zum schwarzen Meer sagten die KollegInnen "Nein!" zum "Port Package" der EU-Kommission.

Nicht nur der größte europäische Hafen in Rotterdam stand still, auch 4.000 Hafenarbeiter und Lotsen in deutschen Häfen beteiligten sich an diesem internationalen Aktionstag. Am 20.November wurde das "Port Package" durch die Ablehnung im europäischen Parlament vorerst begraben.

Erstmals seit langer Zeit fand ein internationaler Streik gegen Lohndumping und Standortkonkurrenz statt, der auch erfolgreich gewesen ist. Und doch gab es kaum Berichte und Diskussionen darüber – nicht einmal der verdi-Zeitung "publik" war dieser Erfolg eines ihrer Fachbereiche einen Artikel wert. Da der Konflikt in den europäischen Häfen bis heute anhält, ist dies Grund genug, dieses wichtige Ereignis zu analysieren.

Ursachen

Was waren die Ursachen für den Konflikt mit der EU-Kommission? War früher Hafenumschlagsarbeit eine typische Domäne für Tagelöhner-Beschäftigung, so entwickelte sie sich in der Nachkriegszeit durch gute gewerkschaftliche Organisierung zu einer stark regulierten und gut bezahlten Arbeit. Auch für kurzfristig anfallende Arbeit, für die sonst "Leiharbeit" herangezogen wird, muss in deutschen Häfen Arbeitskraft aus "Sammelpools" bezogen werden, in denen die Beschäftigten genauso tariflich entlohnt werden, wie der Rest der HafenarbeiterInnen.

Diese Sammelpools werden zu 50% von den Gewerkschaften kontrolliert. Auf diese Weise ist Billiglohnkonkurrenz ausgeschlossen. Im Vergleich zu den Seeleuten (insbesondere auf Billigschiffen) verdienen Hafenarbeiter inzwischen oft ein Vielfaches. Kein Wunder, dass die "Privilegien" der Hafenarbeiter seit einigen Jahren dem Kapital ein Dorn im Auge sind. In diesem Zusammenhang ist der Angriff der EU-Kommission zu sehen: Im Jahr 2002 verabschiedete die Kommission eine Richtlinie zur "Wettbewerbsliberalisierung" für die europäischen Häfen, das "Port Package".

Kernstück dabei ist es, die Verpflichtung zur Beschäftigung tariflich gebundener Hafenarbeiter beim Löschen von Schiffsladungen abzuschaffen. Insbesondere soll es möglich werden, dass die wesentlich schlechter bezahlten Seeleute nun zu ihren miesen Arbeitsbedingungen zusätzlich auch noch zur Hafenarbeit herangezogen werden sollen. Dazu soll auch die Beschäftigung von Billig-Firmen in den Häfen möglich werden.

Kurz: hinter dem umständlichen EU-Richtlinien-Kauderwelsch stand nichts anderes als ein schroffer Versuch zur Brechung des gewerkschaftlichen Tarifkartells in den europäischen Häfen und damit zur Eröffnung eines gnadenlosen Lohndumpings auf dem ökonomisch wichtigen Gebiet der Transportwirtschaft.

Angesichts der "Globalisierung" hat sich der Umfang des Schiffsverkehrs seit 1975 verdoppelt und erreicht heute ein Volumen von 5,8 Milliarden Tonnen. Mit über 800 Millionen Tonnen gibt es gerade in den Häfen an der Küste von Le'Havre bis Hamburg, dem sogenannten "nord range" die weltweit gigantischste Konzentration an Schiffsverkehr und Hafenumschlag, die Hälfte davon allein in Rotterdam und Antwerpen. Diese Häfen stellen (mit Ausnahme von Britannien und Skandinavien) die Hauptschlagader des europäischen Exportkapitals dar. Denn 90% des EU-externen Handels werden durch Schiffsverkehr abgewickelt, selbst der intra-EU-Handel beruht zu 42% auf diesem Transportweg.

Weltweit wird bereits über die Hälfte des Containerhandels über die Agenturen internationaler Reedereien abgewickelt. Dies wiederum bringt die Hafengesellschaften in einen gnadenlosen Wettbewerb um die Kosten ihrer riesigen Terminalanlagen. Gerade in Nordwest-Europa ist es leicht, Ersatz-Terminals zu finden, die über ebenso gute Eisenbahn- bzw. Straßenanschlüsse verfügen. Schiffsgesellschaften und Verlader gewinnen an Macht, während Hafenbetreiber, Terminaleigner und Hafenbeschäftigte auf dem ökonomisch schwächeren Ast sitzen. Der ökonomische "Zwang" hinter dem Port-Package ist also ebenso offensichtlich, wie auch die Aussichtslosigkeit eines nur national begrenzten Widerstandes.

Liverpool

Dabei ist dieser Angriff bei weitem nicht der erste. Vielen in Erinnerung ist wohl noch der mehr als 2-jährige Kampf der Liverpooler Docker, der im Jahr 1995 begann. Letztlich ging es auch hier um das selbe Thema: das Tarifkartell der TGWU sollte gebrochen werden und Zeitarbeit ("casual labour") eingeführt werden. Die TGWU-Führung wollte damals um jeden Preis dem Konflikt ausweichen, glaubte nicht an einen möglichen Erfolg bzw. lehnte den Arbeitskampf aufgrund der "Anti-Gewerkschafts-Gesetze" aus der Thatcher-Zeit ab.

Stattdessen wurde für die 500 Gekündigten ein fauler Deal ausgehandelt, mit Abfindungen für die meisten, sowie Wiedereinstellung von 40 KollegInnen mit praktisch der Hälfte ihres bisherigen Einkommens. Der Deal wurde von den Dockern nicht akzeptiert, die entgegen ihrer Führung den Streik beschlossen. Aufgrund der Haltung der TGWU unterstützte die ETF (Europäische Transportarbeiter Föderation) den Streik nicht und versäumte es, ihn durch internationale Solidaritätsaktionen zu helfen. Aufgrund dessen drohte der Streik schon bald ökonomisch wirkungslos zu werden.

Nur durch äußerste Anstrengungen gelang es, internationale Solidarität von unten aufzubauen, und trotz der Haltung der Gewerkschaftsverbände ein gewisses Maß an Solidaritätsaktionen zu erzielen (insbesondere in Nord-Amerika).

Dies ließ sich aber nicht beliebig steigern und über so lange Zeit aufrecht erhalten. Anfang 1998 mussten die Liverpooler aufgeben, nachdem ihre Front zu bröckeln begann und selbst die nord-amerikanischen Solidaritätsaktionen ausblieben. Heute gibt es kaum noch eine Handvoll gewerkschaftlich organisierter "Normal-Beschäftiger" in den Liverpooler Terminals. Auch in der Port-Package-Aktion beteiligten sich die britischen KollegInnen nur mit symbolischen Aktionen und Informationsveranstaltungen - ein Resultat dieser Niederlage.

Ähnliche Erfahrungen wurden auch im Hamburger Hafen gemacht, im sogenannten "Krieg der Schlepperfahrer" 1996. Auch wenn es hier um eine weitaus kleinere Gruppe von Betroffenen ging, die durch Billigarbeiter ersetzt werden sollten, so machten die Hamburger Hafenarbeiter damals eine entscheidende Erfahrung: als sie mit Solidaritätsaktionen mit den Schleppern begannen (Boykott eines der größten Containerschiffe der Welt), wurden sie mit Umlenkung des Schiffsverkehrs in andere europäische Häfen bedroht. Die Aktionen brachen angesichts mangelhafter Koordinierung mit den europäischen KollegInnen binnen Kurzem zusammen.

Erste Lehren

Offensichtlich haben auch die Funktionäre der Hafenarbeitergewerkschaften aus diesen negativen Erfahrungen gelernt. Inzwischen ist die europaweite Koordinierung von Aktionen zur Selbstverständlichkeit geworden, und der Informationsfluss funktioniert auch auf der Ebene der Verbände in der notwendigen Geschwindigkeit. Dies wäre jedoch nutzlos, wenn nicht auch das Bewusstsein der Arbeiter in den verschiedenen Häfen vorhanden wäre, dass die Solidarität mit den belgischen, niederländischen, etc. KollegInnen immer auch unmittelbar ein Kampf für die eigene Sache ist. Nur so kann es gelingen, in der nötigen Eile Versammlungen einzuberufen, die internationale Aktionen beschließen und organisieren. Die Anti-Port-Package-Aktion war dafür sicherlich ein wesentlicher Durchbruch.

Zum Gelingen der mehrfachen internationalen Aktionstage und der zentralen Demonstrationen (z.B. am 29.9.03 in Rotterdam) war es notwendig, nicht nur Gewerkschaften aus 14 Ländern auf einen Nenner zu bringen. In verschiedenen Ländern gibt es jeweils auch mehrere Gewerkschaften, die auch teilweise anderen internationalen Dachverbänden angehören (neben der ETF besteht auch noch das "International Dockworkers Comitee" (IDC), das Gewerkschaften aus dem ehemaligen stalinistischen "Lager" zusammenfasst).

Die internationale Koordinierung musste also quer zu bestehenden internationalen bürokratischen Strukturen, in einer Art "Aktionskomitee" aufgebaut werden. Außerdem mussten äußerst verschiedene Handlungsmöglichkeiten in den einzelnen Ländern berücksichtigt werden. Während z.B. in Britannien, Rumänien und Litauen vor allem symbolische Aktionen bzw. Informationsveranstaltungen stattfanden, war es in Spanien, Belgien und den Niederlanden möglich, Vollstreiks durchzuführen. In Deutschland wurde aufgrund des Verbots politischer Streiks die bekannte Methode der "Demonstrationen während der Arbeitszeit" gewählt, mit vierstündiger Arbeitsunterbrechung, gefolgt von einer Arbeitsstunde.

Nord-Range

Entscheidend war, dass durch koordiniertes Vorgehen die ökonomisch entscheidende Nord-Range an den angekündigten Aktionstagen lahmgelegt werden konnte. Damit wurde klar, dass die Drohung der Gewerkschaften, bei Verabschiedung des Port-Package jedes Schiff, das sich nicht an die alten Regeln hält, international zu boykotierten, auch jederzeit wahr gemacht werden kann. Schließlich wurden die Aktionen der Hafenarbeiter immer militanter. Schon am 29. September lieferten sich 8.000 Arbeiter in Rotterdam mit der Polizei eine Straßenschlacht. Im November drohten belgische Docker mit dem Sturm des EU-Hauptquartiers in Brüssel.

In Folge dieser machtvollen internationalen Aktionen stimmten die EU-Abgeordneten am 20.11.03 zum zweitenmal gegen die EU-Richtlinie und brachten damit das Vermittlungsverfahren mit der Kommission zum Scheitern.

Das Port-Package ist damit erst mal vom Tisch. Doch ist klar, dass das Kapital sicht damit nicht geschlagen gibt. Schon unmittelbar danach begannen die betreffenden Lobbyvereine (die ECSA für die Schiffseigner und die ESPO für die Hafenbetreiber) mit wütenden Ausfällen gegen Gewerkschaften und Parlament: Aufgrund einer "unverantwortlich aggressiven Gewerkschaftskampagne" hätten die Parlamentarier gegen "jede wirtschaftliche Vernunft" gehandelt, hätten Monopole und "Privilegien" kleiner Gruppen über das geheiligte Prinzip des "Wettbewerbs" gestellt, etc. Es müssten daher raschest möglich neue Entwürfe der Kommission gemacht werden. Der Kampf ist also lange nicht vorbei.

Das Kapital versucht es inzwischen mit der Salami-Taktik: Hafen um Hafen soll nun für Billigarbeit geöffnet werden. Gerade erst in den letzten Monaten wurde und wird dies ausgerechnet in Rotterdam versucht.

Doch wieder funktionierte die europäische Koordinierung – der Widerstand der niederländischen KollegInnen wurde durch den Boykott aller von Rotterdam umgelenkten Schiffe unterstützt.

Die Strategie der ETF-Mitgliedsgewerkschaften ist es, die jeweiligen Regierungen zu zwingen, das Hafenarbeits-Tarifkartell gesetzlich zu fixieren (formell, indem die entsprechende branchenspezifische ILO-Norm 137 ratifiziert wird).

Dies ist ein wesentlicher Punkt der Auseinandersetzung in Rotterdam, durch die nicht nur die niederländische Regierung in Zugzwang gebracht werden soll. Solche gesetzlichen Mindestbedingungen auf EU-Ebene wären sicher ein Erfolg, können aber nur einen Wert haben, wenn sie durch unabhängige Organe der ArbeiterInnenbewegung überwacht und durchgesetzt werden.

Insofern kann es auch nicht nur um Bezahlung, sondern ebenso um Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Sicherheit, Qualifizierung etc. gehen. Eine solche offensive Durchsetzung internationaler Mindeststandards wäre ein Beispiel für viele andere Branchen.

Letzte Lehren

Welche Lehren lassen sich aus dem (momentanen) Erfolg der europäischen Hafenarbeiter ziehen? Sicher haben sie eindrucksvoll bewiesen, dass gegen internationale Standorterpressung die international koordinierte Aktion möglich und eine scharfe, wirksame Waffe ist!

Klar wird auch, dass eine solche internationale Koordination nur durch Überwindung von bürokratischen Strukturen möglich ist. Bei aller Berücksichtigung nationaler Besonderheiten (was z.B. Aktionsformen betriff) müssen über-nationale, entscheidungsbefugte Aktions-Koordinierungen geschaffen werden.

So wichtig der Aufbau internationaler Verbindungen auch an der Basis ist, so wenig kann dies (wie der heroische Kampf der Liverpooler Docker zeigt) genügen, um einen internationalen Kampf auch zu gewinnen: Noch mehr wie in betrieblichen oder regionalen Kämpfen ist es hier unumgänglich, in den gewerkschaftlichen Gremien und ihren Führungen die Perspektive des internationalen Kampfes und ihre Durchführung durchzusetzen.

Im Fall der ETF waren die bestehenden Gewerkschaftsgremien durch außergewöhnliche Umstände selbst bis zu einem gewissen Grad zu einer solchen internationalen Aktion in der Lage: Einerseits ist die Transportarbeiter-Föderation seit ihrer Gründung eine der am internationalsten organisierten Gewerkschaften und die internationale Kampferfahrung in ihrer Basis ausgeprägt.

Andererseits ist kaum in einem anderen Wirtschaftszweig die Internationalisierung derart handgreiflich und aggressiv am Werk, so dass national-beschränkte Gewerkschaftsarbeit fast schon dem Selbstmord gleich kommt. Schließlich handelte es sich beim Port-Package um einen klaren internationalen politischen Angriff, der auch nur international zurückgeschlagen werden konnte.

Mit ihrer Orientierung auf das EU-Parlament blieb die Gewerkschaftsbürokratie schließlich im Rahmen ihrer system-begrenzten Perspektiven und bleib auf der Ebene bürokratisch kontrollierter Aktionen.

Es ist klar, dass in anderen Branchen oft nicht mal diese Voraussetzungen gegeben sind. Hier wird die Orientierung auf eine internationale Kampfführung noch viel stärker von einem Kampf gegen die vorherrschenden Standort-Verteidiger und Co-Manager in den Gewerkschaftsführungen abhängen.

Wie die Reaktion auf die Standort-Erpressungen bei Siemens oder Daimler-Chrysler zeigt, ist die Bürokratie hier nicht einmal in der Lage, es der internationalen Koordination der Hafenarbeiter-Gewerkschaften gleich zu tun. Ein Erfolg, wie beim Port-Package ist daher unmöglich, der Rückzug auf immer schlechtere Bedingungen die logische Konsequenz.

Auch der Kampf der Hafenarbeiter wird letztlich nicht durch die bisherige Form der internationalen Koordinierung erfolgreich zu Ende geführt werden können.

Für das alte Port-Package mögen die bürokratisch kontrollierten Aktionsformen (von der 24-stündigen Arbeitsniederlegung bis zur 4-stündigen Demo während der Arbeitszeit) genügt haben. Für eine wirkliche Gegenoffensive gegen das Projekt "Billighäfen" des Kapitals werden dagegen wirksame politische Streiks bis zu Besetzungen notwendig sein, die mit einem klaren internationalen Aktionsprogramm verbunden sind.

Schließlich kann es nicht darum gehen, immer wieder neue Dämme gegen die Einbrüche von Billigarbeit in den Häfen aufzurichten. Wesentliche Eckpunkte müsste einerseits die Durchsetzung von gleichen Tarifbedingungen für Seeleute und Hafenarbeiter sein. Das muss auch einen entschiedenen Kampf gegen den Rassismus z.B. gegenüber "Billig"-"Asiaten" und -"Ost-Europäern", die massenhaft auf den Welthandelsflotten ausgebeutet werden, beinhalten.

Andererseits die Wiederverstaatlichung der Häfen unter Arbeiterkontrolle, da nur diese eine Absicherung vernünftiger Arbeits- und Entlohnungsbedingungen gegen die internationalen Reedereien und ihre Erpressungsmethoden ermöglichen wird.

All dies wird sich mit den bestehenden ETF-Gewerkschaftsführungen nicht machen lassen.

Auch für die HafenarbeiterInnen wird der Sieg gegen das Port-Package nur eine Episode bleiben, wenn sie nicht für eine klassenkämpferische, internationalistische Gewerkschaftsführung kämpfen.

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Nr. 94, Oktober 2004

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