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Die MLPD und die Montagsdemos

Alle für die Einheit?

Martin Mittner, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Keine Ausgrenzung, keine Spaltung, die nicht im Namen der "Einheit der Bewegung" vollzogen wird.

In den letzten Wochen hat sich die Spaltung der Bewegung vertieft. In Berlin wurde sogar der Einsatz der Polizei gegen das MLPD-dominierte Bündnis "Montags gegen 2010" vom Konkurrenten "Weg mit Hartz IV" am 20. September billigend in Kauf genommen.

Die MLPD-Vertreterin Engel-Gärtner zog ihrerseits vor Gericht und reichte am 15.9. Klage gegen zwei VertreterInnen des Leipziger Sozialforums wegen "übler Nachrede" ein. Nun soll der Staatsanwalt die verlorene Ehre der MLPD wieder herstellen.

Mit allen Mitteln

Den Einsatz der Polizei in Kauf nehmen, vor Gericht gehen, die "Bündnispartner", bei jeder Gelegenheit beschimpfen, um hinterher ein "Angebot zur Einheit" zu machen - diese Methoden sind mittlerweile normal.

So gibt es auch zwei bundesweite Demonstrationen in Berlin - eine am 2., eine am 3. Oktober. Beide Demos treten mit derselben Hauptlosung an - "Weg mit Hartz IV".

Die Demo am 3. Oktober wird von der MLPD und den von ihr dominierten Bündnissen organisiert, jene am 2. Oktober vor einem sehr viel größeren Spektrum, das lokale und regionale Gewerkschaftsverbände, PDS, attac, Erwerbslosenorganisationen, Sozialbündnisse- und foren, linke Organisationen, AnarchistInnen und anti-faschistische Organisationen umfasst.

Warum kam es trotzdem zur Spaltung und wem nützt sie? Die bundesweite Spaltung ging von der MLPD aus. Von Beginn an insistierte sie auf ihren Termin und ihre Hauptlosung "Weg mit Hartz IV - das Volk sind wir!". Die Losung "Wir sind das Volk" wurde von allen anderen abgelehnt. Der Termin 3. Oktober blieb bundesweit eindeutig in der Minderheit.

Die MLPD oder jede andere Organisation hat selbstverständlich jedes Recht zu eigenen Vorschlägen. Vollkommen sektiererisch ist es jedoch, eine eigene Demonstration am nächsten Tag abzuhalten und so zur Schwächung der Bewegung beizutragen.

Schließlich werden der 2. und 3. Oktober auch eine Art Entscheidung darstellen über den weiteren Verlauf der Montagsdemo-Bewegung, vor allem jene am 2. Oktober. An ihrer Größe werden nicht nur die Regierung und die Kapitalisten bestimmen, ob in der Bewegung ein aktuelles Gefahrenpotential für sie liegt. Auch für Hunderttausende, die in den letzten Wochen auf der Straße waren, stellt sich die Frage, ob hier noch was geht oder der Dampf aus der Bewegung ist. Schließlich werden auch die lokalen und regionalen Gewerkschaftsbürokraten abwägen, ob die Bewegung noch genug Kraft hat, sie weiter zur Mobilisierung oder wenigstens zur Unterstützung zu zwingen oder nicht.

Gerade in dieser Situation ist die Spaltung in zwei Demonstrationen kontraproduktiv und für den Kampf gegen Hartz politisch schädlich - für alle DemonstrantInnen.

Who is who?

Die MLPD rechtfertigt ihre eigene Mobilisierung damit, dass die andere Demonstration "politisch weichgespült" wäre und eigentlich gar nicht bis zum Rücknahme von Hartz IV kämpfen wolle.

Zweifellos trifft diese Kritik die wichtigsten reformistischen Kräfte in der Montagsdemo-Bewegung - die PDS und Teile der Gewerkschaftsbürokratie. So will die PDS in Berlin und Schwerin Hartz IV "natürlich" umsetzen und ohne Wenn und Aber weiter mit der SPD koalieren. So wollen Teile der Gewerkschaften - z.B. verdi Berlin - möglichst rasch aus der Bewegung raus und die Bewegung auf "Betreuung der Betroffenen" statt auf den Kampf orientieren.

Der bundesweite Aufruf zum 2. Oktober vertritt diese Stoßrichtung jedoch nicht. Klar, das Motto "Soziale Gerechtigkeit statt Hartz IV - Wir haben Alternativen!" ist schwammig. Im Aufruf wird jedoch klar die "die Rücknahme der Hartz-IV-Gesetzgebung" gefordert. Dieses Motto ist außerdem mit folgenden Losungen verbunden:

"Tarif- und Mindestlöhne gegen Niedriglohn- und Armutsarbeit; ein menschenwürdiges Grundeinkommen, ohne diskriminierende Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang; Arbeitszeitverkürzung statt Verlängerung der Arbeits- und Lebensarbeitszeit; 60 Milliarden Euro sofort für Jobs zu menschenwürdigen Löhnen im Bereich Gesundheit, Bildung, Soziales, Kultur, Umwelt und öffentlicher Verkehr statt Arbeitszwang für 1 Euro; angemessene Besteuerung großer Konzerne und Kapitalgesellschaften sowie der großen Vermögen; gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen, statt Festung Europa! Die Grenze verläuft nicht zwischen Ost und West, nicht zwischen Nationen, sondern zwischen oben und unten. Unser Protest ist international."

Diese Forderungen sind sicher nicht revolutionär und z.T. unklar (was heißt z.B. "angemessene" Besteuerung?) - sie richten sich aber eindeutig gegen die Regierungspolitik, gegen zentrale Angriffe.

Wie klar ist die Politik der MLPD?

Vor allem aber müsste die MLPD erklären, warum ihre Losung "Wir sind das Volk" so viel klarer ist als alle anderen.

Tatsächlich muss die MLPD-Losung "Wir sind das Volk" abgelehnt werden. Anders, als von der MLPD behauptet, bringt sie nicht die Kluft zwischen "oben" und "unten" zum Ausdruck, sondern verwischt diese in Wirklichkeit.

Zum "Volk" gehört der Unternehmer ebenso wie der "Arbeiter". Nicht die internationale Einheit der Ausgebeuteten über alle nationalen Grenzen hinaus, sondern die Einheit des "Volkes", der Arbeiter und "nicht-monopolistischen" Unternehmer (also oft der Eigentümer der schlimmsten Ausbeutungs-Schwitzbuden) steht hinter der MLPD-Losung. Die Losung "Wir sind das Volk" trägt nicht zur Erhöhung von Klassenbewusstsein bei, es vernebelt es.

Die Losung der MLPD ist tief im programmatischen Verständnis dieser Organisation verwurzelt. Im Programm der MLPD heißt es:

"Sie (die Arbeiterklasse) steht im unversöhnlichen Gegensatz zum Monopolkapital."

Entscheidend an dieser Passage ist die Begrenzung des Gegensatzes zwischen Lohnarbeit und Kapital auf das Monopol. Das wird auch noch in anderen Passagen deutlich, wo die MLPD ihre Forderungen zur Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen präsentiert:

"Die MLPD fordert, dass die Sozialversicherungsbeiträge vollständig von den Unternehmern getragen werden. Um dabei die kleinen und mittleren Unternehmer zu entlasten, müssen sie in Form einer Unternehmersteuer bezahlt werden, und zwar anteilig am Umsatz!"

Was auf den ersten Blick als populistisches und altbackene Schrulle der MLPD erscheint - die exzessive Beschwörung des "Volkes" hat eine programmatische Wurzel im Stalinismus: Die "Einheit des Volkes" gegen die Monopole führt zur Einheit der "nichtmonopolistischen Kapitalisten" mit den ArbeiterInnen, zum Verwischen der Klassenlinie.

Diese Konzeption hat ihre historische Wurzeln auch in der Politik der stalinisierten KPD unter Thälmann. In einer Replik darauf erklärte Leo Trotzki sehr zutreffend:

"Natürlich werden 95, wenn nicht 98 Prozent der Bevölkerung vom Finanzkapital ausgebeutet. Aber diese Ausbeutung ist hierarchisch organisiert: es gibt Ausbeuter, Nebenausbeuter, Hilfsausbeuter usw. Nur dank dieser Hierarchie herrschen die Oberausbeuter über die Mehrheit der Bevölkerung. Damit sich die Nation tatsächlich um einen neuen Klassenkern reorganisieren kann, muss sie ideologisch reorganisiert werden, und das ist nur möglich, wenn sich das Proletariat selbst nicht im "Volk" oder in der "Nation" auflöst sondern im Gegenteil ein Programm seiner proletarischen Revolution entwickelt und das Kleinbürgertum zwingt, zwischen zwei Regimen zu wählen. Die Losung der Volksrevolution lullt das Kleinbürgertum ebenso wie die breiten Massen der Arbeiter ein, versöhnt sie mit der bürgerlich-hierarchischen Struktur des "Volkes" und verzögert ihre Befreiung." (Aus: Trotzki, Thälmann und Volksrevolution)

Die unfreiwillige Ironie an der Spaltung beider Demos liegt gerade darin, dass sich das MLPD-geführte Bündnis und das von attac und linken Gewerkschaftsbürokraten in der strategischen Ausrichtung viel näher stehen, als beide selbst glauben. Ebenso wenig wie die MLPD eine proletarische Bewegung gegen Hartz und Agenda aufbauen will, ebenso wenig wollen das attac und Co. Wo die MLPD etwas altbacken vom "Volk" spricht, tauchen bei den anderen nur noch "Menschen", aber keine Klassen auf.

Während von den Gewerkschaften, PDS, attac und Wahlalternative die Kirchen, Wohlfahrtsverbände usw. als bevorzugte bürgerliche Bündnispartner beschworen werden, hält sich die MLPD an die Volksfront von unten. Das zeigt sich z.B. in ihrer Kommunalpolitik, wo sie in Gelsenkirchen, dem Sitz ihres Zentralkomitees - eine "Kryo-Recycling- Bürgerbewegung" mit der bürgerlichen rechten ÖDP unterhält!

Die MLPD und die Reformisten

Weder die MLPD noch eine andere Organisation ist gezwungen, den Aufruf zur Demo am 2. Oktober zu unterschreiben. Jede Organisation kann und wird mit eigenen Losungen mobilisieren und auf den Demos auftreten. Es hätte also in diesem Fall gereicht, sich auf ein gemeinsames Ziel "Weg mit Hartz IV" zu verständigen und ansonsten seine eigene Propaganda zu machen.

Diesen Weg hat die MLPD nicht beschritten. Sie hat statt dessen richtige Kritikpunkte an den Reformisten, an Gewerkschaftsbürokraten, attac, PDS mit einem Wust haltloser Unterstellungen und Angriffen gegenüber dem Bündnis verbunden. Das stärkt zwar die "Identifikation" der eigenen Anhängerschaft, die MLPD baut sich als "ausgegrenzte Gruppe" auf. Es führt aber auch dazu, dass die Mitgliederbasis der Gewerkschaften in die Hände der Gewerkschaftsbürokraten, der PDS, kleinbürgerlicher Linke zurückgetrieben werden.

Was hält die MLPD dem manipulativen Treiben von PDS, attac und diversen Gewerkschaftsbürokraten entgegen? Ihr eigenes manipulatives Verhalten!

So werden pseudodemokratische Abstimmung durchgeführt und "Mandate" auf den Montagsdemos vergeben, von denen die meisten TeilnehmerInnen nie etwas erfahren oder die sie später auf der Homepage der MLPD nachlesen können.

Damit wird auch die Idee diskreditiert, dass demokratische, beschließende Massenversammlungen überhaupt möglich sind. Damit wird bei der Masse der TeilnehmerInnen auch das Empfinden gestärkt, dass die "Parteien", dass politische Organisierung an sich immer manipulativ sei.

Daran ist auch das politische Versteckspiel der MLPD und anderer Linker - DKP, Linksruck, isl ... - schuld. So erscheinen die Beschlüsse der "selbstständigen Montagsdemos" in der Darstellung der MLPD als spontaner Ausdruck der Massen, der erst später vom ZK der MLPD unterstützt wird, obwohl jeder weiß, dass die MLPD natürlich jene Resolutionen "einbringt", die dann abgesegnet werden.

Im übrigen unterscheiden sich hier auch die Methoden der anderen Strömungen nicht. Von der Gewerkschaftsbürokratie abwärts maskieren sich auch dort möglichst alle Strömungen als "Einzelpersonen", denen es - natürlich - nur im die Bewegung und nie um den eigenen Laden geht. Abgesehen davon, dass solche Begründungen immer verlogen sind, so sind sie auch politisch falsch.

Eine Bewegung wird immer aus mehreren Strömungen bestehen, sie ist immer auch ein Kampf verschiedener Auffassungen, die selbst wiederum den Standpunkt verschiedener Schichten und Klassen zum Ausdruck bringen. Für MarxistInnen wäre es daher fahrlässig, gegenüber der Zukunft der Bewegung, den "Parteienstreit" rauslassen zu wollen. Eine solche Forderung läuft im Grunde nur darauf hinaus, dass das bestehende vorherrschende Bewusstsein, dass die etablierten vorherrschenden politischen Kräfte bis zum St. Nimmerleinstag das Sagen haben.

Ein politischer Kampf muss also geführt werden. Aber wie? Dazu ist es erstens notwendig, dass keine Strömung der Arbeiterbewegung und der Linken ausgegrenzt wird. Zweitens muss mit offenem Visier gekämpft werden, so dass sachlich anhand der Vorschläge jeder Gruppierung entschieden werden kann, wer die Bewegung wirklich weiter bringt.

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Nr. 94, Oktober 2004

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*  Gewerkschaftsbürokratie sabotiert Widerstand: Auf zum Winterschlaf?
*  Die MLPD und die Montagsdemos: Alle für die Einheit?
*  Frauen und Hartz IV: Küche oder Klassenkampf?
*  Heile Welt
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*  Europäisches Sozialforum: EGB vereinnahmt ESF
*  Hafenarbeiter gegen Lohndumping: Internationale Streiks sind machbar!
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