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Öffentlicher Dienst

Tarifritual planmäßig zu Ende geführt

Martin Suchanek, Neue Internationale 188, April 2014

Sind die Verhandlungsführer und -kommissionen beider Seiten zufrieden, so riecht es nach einem faulen Kompromiss. So auch beim Abschluss im Öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen.

Die Arbeit“geber“ einerseits, ver.di und Beamtenbund andererseits einigten sich auf eine Lohnerhöhung von 3 Prozent, mindestens jedoch 90 Euro für die 2,1 Millionen Beschäftigten im Jahr 2014. Außerdem soll es 30 Urlaubstage für alle Beschäftigen, also auch für jüngere ArbeiterInnen, Angestellte und Beamte geben.

Das hört sich angesichts der Forderung, mit der ver.di in die Auseinandersetzung ging (100 Euro Mindesterhöhung, 3,5 Prozent für alle, verbindliche Übernahme der Azubis, 30 Urlaubstage), nicht so schlecht an - gäbe es da nicht einen ganz großen Haken. Es wurde nämlich auch gleich für 2015 ein Abschluss erzielt: eine Gehaltssteigerung von 2,4 Prozent ohne „soziale Komponente“, also ohne Erhöhung der unteren Einkommensgruppen.

Pferdefuß

Hier zeigt sich auch, warum die Öffentlichen Arbeit“geber“, die natürlich wie immer an ihre angebliche „Schmerzgrenze“ gegangen sind, mit dem Ergebnis zufrieden waren - und es auch sein können.

Erstens sollte nicht vergessen werden, dass die Forderungen von ver.di ohnedies schon recht bescheiden waren. In den unteren Lohngruppen liegen die 90 Euro zwar deutlich über den 3 bzw. 3,5 Prozent. Aber eine „fette“ Erhöhung stellt das insgesamt keineswegs dar. Vielmehr bewegt sich der Abschluss im Rahmen der schon seit Jahren gepflegten zurückhaltenden Lohnpolitik.

Das wird v.a. durch die magere Einkommenssteigerung für 2015 festgeschrieben. Aktuell ist die Inflationsrate zwar niedrig, doch selbst wenn es dabei bleiben sollte, bleibt für 2015 kaum eine nominale Lohnerhöhung übrig. Hinzu kommt, dass die Inflation keinesfalls die Steigerung wichtiger Konsumgüter, insbesondere der Mieten widerspiegelt. Erst recht gehen jene Kosten nicht ein, die im Zuge von weiteren Kürzungen von Leistungen im Gesundheitswesen als Ausgaben für die privaten Haushalte anfallen.

Der Abschluss schreibt wesentlich den Reallohnverlust fort, den viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst in den letzten 10, 15 Jahre hinnehmen mussten. Ebenso wenig stellt er eine Sicherung dar gegen die fortschreitende Verdichtung der Arbeit, gegen Personalabbau usw. im Öffentlichen Dienst. Die Übernahme der Auszubildenden reicht hier keineswegs, um Personalkürzungen gerade in jenen Bereichen, die für die Lohnabhängigen wichtig sind, auszugleichen.

Tarifritual statt Arbeitskampf

Zufriedenheit ist entgegen den offiziellen Verlautbarungen der ver.di-Oberen nicht angesagt. Erst recht nicht angesichts der Kampfbereitschaft, die die Beschäftigten bei den Warnstreiks v.a. in Nordrhein-Westfalen oder in städtischen Zentren wie Stuttgart und Hannover demonstriert haben. Ver.di selbst spricht von über 100.000 KollegInnen, die sich an den Aktionen beteiligt haben und für die Forderungen und einen einjährigen (!) Abschluss kämpfen wollten.

Die gute Mobilisierung und Tatsache, dass bei Bund und Kommunen trotz jahrelanger Ausgliederungen und Privatisierungen (z.B. im Öffentlichen Nahverkehr) noch immer etliche schwere Bataillone vorhanden sind, hätten einen wirklichen Erfolg in dieser Runde möglich gemacht.

Statt jedoch diese Situation auszunutzen und in die Offensive zu gehen, hat die ver.di-Führung schon früh die Auseinandersetzung auf ein traditionelles Tarifritual festgelegt. Ihr kam dabei entgegen, dass auch die Arbeitgeber diesmal nur dieses Spiel wollten und keine in den Augen der Gewerkschaftsbürokratie „überzogenen“ Gegenforderungen stellten.

So konnte die Tarifrunde planmäßig-bürokratisch durchgezogen werden. Vor dem Abschluss war noch einmal eine Steigerung der Mobilisierung sichtbar, gewissermaßen als Theaterdonner vor dem Verhandlungsfinale. Die Beschäftigten durften marschieren - und die ver.di-Spitze konnte mit der dritten Verhandlungsrunde den „Erfolg“ verkünden.

Die Statements angesichts des Ausgangs sind so vorhersehbar, wie die Nacht auf den Tag folgt: „Man konnte nicht alles erreichen, aber das Ergebnis könne sich sehen lassen.“ Dass man - was auch vorhersehbar war - erst gar nicht versucht hat, alles zu erreichen, stört bei der gewerkschaftsoffiziellen Betrachtung nicht. Von den von ihr verhandelten Abschlüssen muss die Bürokratie schließlich schon lange nicht mehr leben.

Auf der Strecke bleibt dabei selbstredend auch die Gewerkschaftsdemokratie. Nicht nur die ChefverhandlerInnen, auch die Tarifkommissionen sind jeder wirklichen Kontrolle durch die Basis, jeder realen Arbeiterdemokratie längst entzogen. Über das Ergebnis entscheidet die Bürokratie. Und damit gibt's Ruhe für die nächsten zwei Jahre.

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Nr. 188, April 14
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