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Arbeitskampf an der Charité Berlin

Klinikleitung erzwingt Schlichtung

Esther Hufnagel / Martin Suchanek, Infomail 735, 14. März 2014

Verhandeln will die Leitung der Berliner Charité mit den Beschäftigten nicht. Einen Warnstreik soll es aber auch nicht geben. Seit Beginn der Verhandlungen der ver.di-Tarifkommission mit dem Vorstand war ein Auf und Ab zu beobachten.

Noch in den letzten Wochen hatten die „Arbeitgeber“ versucht, einen möglichen Arbeitskampf kleinzureden. Zugleich wurden einige Bonbons angedeutet wie z.B. ein Entgegenkommen beim Wirtschaftsplan 2014 mit einer angeblichen Unterstützung des Nachtdienstes. Doch das waren alles nur Nebelkerzen, um eine entschlossene Aktion des Personals zu verhindern.

Als sich abzeichnete, dass ganze Stationen vollständig beteiligt sein und der Streik breit unterstützt werden würde, zog die Klinikleitung einen weiteren Trumpf. Sie erklärte am Donnerstag, dem 13. März, nicht nur die Verhandlungen mit ver.di für gescheitert - sie rief auch gleich die Schlichtung an.

Dieses Mittel steht den Tarifpartnern im Öffentlichen Dienst zu. Die Unternehmerseite kann einen Warnstreik u.a. Arbeitskampfmaßnahmen gesetzlich verhindern, da mit der „Schlichtung“ auch die „Friedenspflicht“ verbunden ist.

Es zeigt sich hier deutlich, dass auch ein „ganz normaler“ Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, wie er an der Berliner Charité geführt wird, eine politische Dimension hat - nicht nur, weil es hier um weitere Kommerzialisierung und Profitmacherei im Gesundheitswesen geht, sondern auch, weil das Streikrecht der Beschäftigten massiv eingeschränkt ist. Nicht nur bei Polizei, Justiz, Arbeitsgericht usw. sondern auch schon im „Tarifrecht“ gibt es eine unerträglich Einschränkung des Streikrechts.

Beim Kampf an der Charité geht es außerdem nicht nur um ein einzelbetriebliches Problem, sondern um eine Auseinandersetzung, die exemplarisch steht für die Gesundheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Worum geht es den Beschäftigten?

„Die Einführung des Systems diagnosebezogener Fallgruppen (DRG-System) als leistungsorientiertes Entgeltsystem war richtig.“ So steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, im Zusammenhang mit der Planung besserer Qualitätskontrollen in deutschen Krankenhäusern.

Gebracht hat das DRG-System tatsächlich einen massiven Personalabbau, eine beispiellose Arbeitsverdichtung und einen verschärften Konkurrenzkampf unter den Krankenhauseignern um den größten Gewinn.

Die Tätigkeiten, für die wir Pflegekräfte jeden Morgen aufstehen - Krankheit erkennen, heilen oder lindern, Gesundheit fördern - sollen möglichst gut und kostengünstig verkauft werden!

Der grundsätzliche Unterschied zwischen einem Produkt und einem Menschen mit individuellen  physischen und psychischen Voraussetzungen wird im immer weiter verwischt. Und die, die mit Menschen arbeiten, sollen ihren Job einfach mal schneller schaffen und mehr „Fälle“ fertig abliefern. Mit dem bekannten Ergebnis, dass man einfach nicht mehr so genau hin sehen kann und dadurch auch mehr Fehler passieren.

Die Forderung der Charité-MitarbeiterInnen nach einer gesetzlichen Personalbemessung von 1:2 Beschäftigten zu PatientInnen auf Intensiv- und 1:5 auf Normalstationen, ist in diesem Zusammenhang richtig und wichtig! Das gleiche gilt für die Forderung, dass mindestens zwei Kräfte pro Nachtschicht zum Einsatz kommen müssen. Alles andere wäre verantwortungslos und gefährlich!

Ebenso unterstützen wir die Forderungen nach Gesundheitsschutz und besserer Ausbildung! Es kann nicht sein, dass Auszubildende sich bereits vor Abschluss ihres Examens vor der Arbeit auf einer Pflegestation fürchten!

Der Arbeitskampf an der Charité und die Aktionen anderer Kliniken zeigen jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Direkt unter den Folgen gefährlicher Pflege leiden auch die Beschäftigte ambulanter Dienste, die diese wieder "ausbügeln" dürfen (z.B. chronische Wunden,"Durchgangssyndrom" etc.). Nicht zuletzt kommt auf die Altenpflege in den nächsten Jahren eine steigende Klientenzahl bei schrumpfender Personaldecke zu, die weitere Kämpfe erforderlich macht.

Das grundsätzliche Recht, seinen erlernten Beruf nach bestem Wissen und nicht im Schweinsgalopp ausüben zu dürfen, muss offenkundig erst erkämpft werden! Gerade in der Pflege!

Für eine ausreichende Personaldecke in allen Einrichtungen der Pflege!

Weg mit endlosen Überstunden und ständiger Bereitschaft!

Freizeit muss wieder der Erholung dienen und sicher sein!

Keine Leiharbeit, dagegen Vollzeit-Festverträge und Teilzeit nur, wenn gewünscht!

Ausbildung, die Sicherheit schafft, nicht „Lückenstopfen“ durch Azubis!

Wie kann der Kampf erfolgreich geführt werden?

Dass die Klinikleitung die Schlichtung anruft, zeigt nicht nur, welche Gesetze die Beschäftigten einschränken. Es zeigt auch, dass die „Arbeitgeber“ den Arbeitskampf, die Solidarität der Beschäftigten und auch jene von PatientInnen und Bevölkerung fürchten.

Die Frage ist daher, wie dieser Kampf erfolgreich geführt und gewonnen werden kann? Es ist klar, dass die Klinikleitung mit harten Bandagen kämpfen wird. Der Anruf der Schlichtung ist nur ein weiteres Mittel, um Kampfkraft und Entschlossenheit der Lohnabhängigen zu brechen.

Auf einen solchen groben Klotz hilft nur ein grober Keil.

In den nächsten Tagen sollten an allen Kliniken Betriebsversammlungen organisiert werden, um die Beschäftigten über die neue Situation zu informieren, alle ausführlich zu Wort kommen zu lassen und das weitere Vorgehen zu diskutieren. Solche Versammlungen können von den Personalräten ganz legal während der Arbeitszeit einberufen werden. Alle Beschäftigten haben das Recht, daran teilzunehmen. Da es offenkundig viel zu besprechen gibt, können und sollen sie auch lange dauern, gegebenenfalls auch unterbrochen und an anderen Tagen fortgesetzt werden.

Die Tarifkommission soll sich in der Schlichtung auf keine lange Verhandlung einlassen, weil diese ohnedies nur mit einem faulen Kompromiss enden kann - genau deshalb wurde sie ja von der Klinikleitung angerufen. Vielmehr soll diese so schnell wie möglich für gescheitert erklärt und ein unbefristeter Streik vorbereitet werden.

Ein solcher Streik soll gerade angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, wo Arbeitskämpfe abgebrochen wurden ohne ausführliche Diskussion unter der Belegschaft, von Beginn an unter Kontrolle der Beschäftigten stattfinden. Dazu sind regelmäßige, tägliche Streikversammlungen notwendig. An den Klinikstandorten und Stationen sollen Delegierte für die Streikleitung gewählt werden, die auf den Vollversammlungen rechenschaftspflichtig und abwählbar sind. Nur so ist ein Kampf unter Kontrolle der Basis wirklich möglich. Dasselbe gilt von der Tarifkommission und den Verhandlungsdelegationen. Auch diese müssen wähl- und abwählbar sein. Die Verhandlungen selbst müssen öffentlich geführt und live übertragen werden.

In den letzten Monaten wurde ein Bündnis aufgebaut, das den Kampf der Beschäftigten unterstützt, Solidarität organisiert und nun verbreitert werden kann. Hinzu kommt, dass andere Einrichtungen ähnliche Forderungen erwägen. Ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen würde die Situation aller Beschäftigten stärken. Hinzu kommt, dass aktuell auch die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen stattfindet. Was liegt da näher, als den Kampf an der Charité damit zu koordinieren?!

Die Anrufung der Schlichtung zeigt aber auch, dass die Rechte der Beschäftigten durch das aktuelle „Streikrecht“ - wohl eher ein Streik-Verhinderungsrecht - beschnitten werden. Die faktische Zwangsschlichtung richtet sich gegen die Interessen der Beschäftigten. Die Bundesregierung plant in den kommenden Monaten im Zuge der „Tarifrechtsreform“ eine weitere Einschränkung dieses Rechts. Hier sind alle Gewerkschaften gefordert! Hier brauchen wir eine Kampagne gegen jegliche Einschränkung des Streikrechts, gegen jede Zwangsschlichtung und jede Form der „Friedenspflicht“! In den nächsten Jahren werden wir nur mit den Mitteln des Klassenkampfes, mit Streiks und Besetzungen unsere Interessen durchsetzen können - wir müssen daher auch um die rechtliche Möglichkeit dieser Mittel kämpfen müssen.

Anhang: Kein Warnstreik an der Charité - Jetzt erst recht: Soli-Aktion am 17. März

Das Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus ruft weiterhin zu einer Solidaritätsaktion auf. Wir treffen uns am 17.3. um 12:00 Uhr  vor dem Campus Charité Mitte (Kreuzung Luisenstr./Schumannstr.), um ein sichtbares Zeichen für mehr Personal im Krankenhaus zusetzen.

Wann: 17. März 2014, 12:00 Uhr

Wo: Vor dem Campus Charité Mitte (Kreuzung Luisenstr/Schumannstr.)

Weitere Infos über den Arbeitskampf: www.mehr-krankenhauspersonal.de

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Nr. 188, April 14
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