Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Hamburger Bürgerschaftswahl 2011

LINKE wählen, aber Widerstand organisieren

Jürgen Roth, Neue Internationale 156, Februar 2011

Anlass für die vorgezogenen Landtagswahlen ist die Aufkündigung der Koalition durch die Grünen. Damit versuchen sie, die Krise der Bundesregierung, v.a. der FDP auszunutzen und ihre Rolle als Zünglein an der Waage zu stärken und ihre Chancen auf eine Regierungsbeteiligung zu verbessern.

Wir wollen hier nicht weiter auf die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen oder das neue Wahlrecht eingehen, bei dem JedeR bis zu fünf Stimmen hat, die verteilt oder gehäuft, panaschiert oder kumuliert, werden können. Es bietet unter den hiesigen Umständen keinen Vorteil für die Lohnabhängigen. Stattdessen signalisiert es einen Trend Richtung USA, wo die politischen Inhalte durch „personelle Vorlieben“ verdrängt werden. Insofern gilt unsere kritische Unterstützung der Liste der Partei DIE LINKE, keine Person ist auf ihr zu bevorzugen.

Die Grünen

Die GAL hatte ihre Rolle bisher ganz im Sinne der herrschenden Klasse ausgefüllt: Zustimmung zum Kohlekraftwerk Moorburg, Subventionen für Möbel-Höffner und Ikea, U-Bahn Hafen-City, Gebührenerhöhungen für Kitas, Ausgliederung von Schulbau und -wartung aus dem Haushalt, Schließung und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, Untätigkeit beim HSH-Nordbank-Skandal. Damit ist die GAL voll Mitverantwortlich für die arbeiterfeindliche Bilanz der Hamburger Regierung. Zudem ist sie mit ihrem zweigliedrigen Schulprojekt kläglich gescheitert. Als einzig positive Hinterlassenschaft ihrer Amtszeit bleiben Elektroautos und Stadtfahrräder.

Die GAL ist eine etablierte bürgerliche Partei des ‚gehobenen Mittelstands'. Ihr Ausstieg aus der Koalition mit der CDU ist ein rein taktisches Manöver, das nicht durch wirkliche inhaltliche Differenzen motiviert ist, sondern durch die Tatsache, dass sie in Hamburg als CDU-Juniorpartner dem derzeitigen Aufwärtstrend der Grünen als bürgerliche Opposition im Bund entgegensteht. Aus klassenkämpferischer Sicht verbietet sich daher eine Koalitionsoption mit der GAL. Politik im Interesse der Arbeiterklasse, der Jugend und RentnerInnen kann nicht mit ihnen, sondern nur gegen sie gemacht werden.

Die SPD

Die Wunschpartnerin der Grünen ist die SPD. Ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz hatte schon als Arbeitsminister der Schröder-Regierung fleißig für seine erstrebte Hauptrolle als Hamburger Bürgermeister geübt: Hartz IV-Gesetze, Rente mit 67, Kampfeinsätze der Bundeswehr. 2001 erwarb er sich als Hamburger Innensenator den Titel „Brechmittel Scholz“ für seine Einführung von Reizgas bei der Polizei.

Die SPD hat in der Bürgerschaft den meisten kapitalistischen Kürzungs- und Subventionsprojekten brav zugestimmt. In der Opposition hat sie praktisch kein nennenswertes eigenes, auch nur halbwegs fortschrittliches Vorhaben gestartet. Das einstige Modell „soziale Stadtteilpolitik“ ist nie neu in Gang gesetzt worden. Die SPD hält den generellen Kurs der kommunalen Sparpolitik für alternativlos. Ihr Programm enthält tw. noch reaktionärere Punkte als CDU und FDP, so der Ruf nach mehr Polizei, schärferen Gesetzen und mehr Abschiebungen von MigrantInnen.

Dennoch ist die SPD im Gegensatz zur rein bürgerlichen GAL immer noch eine bürgerliche Arbeiterpartei - bürgerlich in Programm und Praxis, aber sozial stützt sie sich auf die Lohnabhängigen mit organischen Verbindungen ins gewerkschaftliche Milieu bis in die unteren Ränge.

Bei den industriellen Kernschichten der Arbeiterklasse hat sie weiterhin den größten Einfluss. Auch wenn wir eine Wahl der SPD nicht empfehlen, sollten auch diese Teile, die nach wie vor sozialdemokratisch wählen wollen, aber durchaus kampfbereit sind, ihre Führungen mit ihren Forderungen, z.B. nach Abschaffung von Leiharbeit und voller Unterstützung ihrer Kämpfe, konfrontieren.

DIE LINKE

Die Linkspartei kritisiert den Kurs der anderen Parteien teilweise korrekt und betont, nicht „Arzt am Krankenbett von SPD und GAL“ spielen zu wollen, sondern eigene politische Schwerpunkte in den Mittelpunkt zu stellen, so u.a. die Abschaffung von Ein-Euro-Jobs, Kita- und Studiengebühren. Stattdessen sollen tariflich bezahlte Arbeitsplätze im öffentlichen Bereich, soziale Einrichtungen und Netzwerke in Stadtteilen,  sozialer und genossenschaftlicher Wohnungsbau, Rekommunalisierung der Energie- und Wasserversorgung sowie höhere Grund- und Gewerbesteuern gefördert werden.

Allerdings wird dabei geschickt verschwiegen, dass die Linkspartei auf den Oppositionsbänken nicht gerade geglänzt hat oder gar durch große Mobilisierungen auf Straßen und in Betrieben hervorgetreten ist. Allein das Beispiel ihrer Haltung zur Schulreform spricht Bände. Zunächst vertrat sie das Modell „Eine Schule für alle“. Als die ultrareaktionäre Scheuerl-Initiative zur Beibehaltung des dreiklassigen Schulsystems gegen das grüne Konzept der besseren Anpassung an kapitalistische Ausbildungsanforderungen mobil machte, ließ DIE LINKE ihre eigenen Vorstellungen fallen und trottete im Verein mit SPD und GAL ihrem Reformvorschlag zur zweiklassigen Schule hinterdrein.

Die Linkspartei ist eine reformistische, also bürgerliche Arbeiterpartei. Ihr Programm verbleibt im kapitalistischen Rahmen, sie hat wie die SPD Verbindungen in die Gewerkschaften, kritisiert und bekämpft aber nicht offen deren Führung und die sozialdemokratische, staats- und systemtragende Ideologie. Auch DIE LINKE verbreitet die Illusion, dass der Kapitalismus reformierbar sei. So ist sie selbst ein Hindernis für eine wirkliche Überwindung dieser Gesellschaft. Das ist neben der Passivität, die auch die eigene Mitgliedschaft erfasst hat, der Hauptgrund, weswegen sie sich in der Krise nicht hat stärken können.

Da weder auf parlamentarischer noch außerparlamentarischer Ebene eine greifbare organisierte Alternative in Sicht ist, setzen aber viele unzufriedene und auf Veränderung bedachte Elemente der Arbeiterklasse immer noch Hoffnungen in sie.

Aufbau von Alternativen

Die Linke will „ihre Partei- und Basisgruppen stärken“ - als Voraussetzung dafür, „die Unzufriedenheit und den sozialen Protest in Druck zu verwandeln, denn nur dadurch ändert sich die Senatspolitik“.

Fakt ist jedoch, dass sich die Mandatsträgerfraktion auf Kosten von Mitgliederentscheiden hat stärken können. Die Beschlusslage von Parteitagen ist auch in Hamburg verschiedentlich in eklantanter Art von den LINKEN-ParlamentsverterInnen missachtet worden, so z.B. 2008 bei den Hartz IV-Regelsätzen.

Deshalb dürfen sich die AktivistInnen und die Arbeiterklasse nicht auf DIE LINKE verlassen. Alle, die sie wählen wollen, sollten selbstbewusst einfordern: Wenn wir Euch wählen, verlangen wir von Euch, dass Ihr unsere Forderungen nicht nur im Parlament einbringt, sondern dass Ihr unsere Auseinandersetzungen im Klassenkampf  täglich organisatorisch, personell und finanziell bedingungslos unterstützt! Das wäre ein Test. Nur so können die Reformisten unter Druck gesetzt und als Bremser enttarnt werden. Nur so können die ArbeiterInnen und AktivistInnen von ihr weggebrochen und für eine revolutionäre Arbeiterpartei gewonnen werden.

Wir rufen zur kritischen Wahlunterstützung der Linkspartei und nicht zu der der SPD auf, obwohl beide bürgerliche Arbeiterparteien sind, weil seit mehr als fünf Jahren die fortgeschrittensten Elemente der Arbeiterbewegung - insbesondere aus der Arbeitslosenbewegung - nach links gegangen sind, mit der SPD gebrochen haben, aber noch nicht mit dem Reformismus insgesamt, sondern ihre Hoffnungen vorerst noch in DIE LINKE setzen.

Den traditionellen SPD-WählerInnen, die ‚ihrer' Partei die Treue halten, sagen wir: Geht wählen! Sorgt dafür, dass die SPD nur mit der LINKEN regiert - keine Koalitionen mit Schwarz, Gelb oder Grün!

Für Hamburg legen wir als Vorschlag zur Diskussion folgende Grundelemente eines Aktionsprogramms vor. Es bezieht sich auf die drängenden aktuellen Probleme, beginnt mit Sofort- und Teilforderungen, fordert darüber hinaus aber auch Organe von Arbeiterkontrolle, die Bildung einer Arbeiterregierung und eine neue, revolutionäre, kommunistische Arbeiterpartei, einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung in Händen einer antibürokratischen oppositionellen Basisbewegung. Kurz: es soll ein Programm sein, das ausgehend von den unmittelbaren Problemen den Kampf für Arbeitermacht entwickelt.

Gegen die soziale Misere!

Weg mit allen prekären Jobs und Leiharbeit! Mindestlöhne für jeden Beschäftigten (auch in Unternehmen außerhalb von Tarifverbänden) in Höhe von 11 Euro netto!

Keine Zwangsmaßnahmen und Einschränkungen gegen Erwerbslose! Weg mit dem Hartz-Gesetz! Grundeinkommen für Arbeitslose, Studierende, RentnerInnen von 1.600 Euro netto!

Automatische Anpassung der Einkommen an die Inflationsrate!

Sofortiges Beschäftigungsprogramm von öffentlichen, gesellschaftlich sinnvollen Arbeiten unter Arbeiterkontrolle - sowohl der Beschäftigten wie der Gesamtklasse!

30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Aufteilung der Arbeit auf Alle, gleitende Skala der Arbeitszeit!

Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen unter Arbeiterkontrolle, beginnend mit denen, die entlassen bzw. nutzlose, schädliche Produkte erzeugen!

Schule und Bildung

Ausbildungsplätze für alle SchulabgängerInnen zu tariflichen Bedingungen, finanziert vom Kapital (Umlage)!

Volle Lehrmittelfreiheit! Freier Zugang zu allen Bildungseinrichtungen! Keine Schließung von Kulturstätten!

Verteidigt demokratische Rechte gegen Polizei, Faschismus und Rassismus!

Für Selbstverteidigungskomitees zum Schutz von MigrantInnen und Arbeiterorganisationen gegen Faschismus, staatlichen und rechtsradikalen Rassismus!

Gegen jede Aufrüstung des polizeilichen und richterlichen Gewaltapparats und die Einschränkung demokratischer Rechte, insbesondere der Versammlungsfreiheit! Gegen die geplante Abschaffung von Volksentscheiden!

Gegen Umweltzerstörung, Privatisierung und Bodenspekulation!

Belegung des Gebäudeleerstands, Schaffung von menschenwürdigem Wohnraum zu Mieten von nicht mehr als 25% des Einkommens. Für die Abschaffung des Immobilienmaklerwesens! Kommunalisierung von Grund und Boden mit Nießbrauchrecht für kleine Haus- und Wohnungseigentümer! Stadtplanung unter Arbeiterkontrolle unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen dieser Organe genießen!

Sofortiger Bau- und Planungsstopp für Luxusprojekte der Bourgeoisie wie Elbphilharmonie, Elbvertiefung usw.! Umwidmung der Haushaltstitel für Wohnungs-, Schulbau und Renovierung gesellschaftlich zentraler Versorgungseinrichtungen!

Aufdeckung von Produktion und Vertrieb von Rüstungsgütern! Keine Fördermittel für Rüstungsbetriebe!

Entschädigungslose Enteignung, Untersuchung aller Vorgänge und Auszahlungsstopp von Managergehältern bei HSH-Nordbank u.a. Finanzhäusern!

Rückführung aller privatisierten Einrichtungen in Gemeineigentum! Entschädigungslose Enteignung der privaten Versorgungskonzerne (Krankenhäuser, Energieträger, Wasser, Abfallwirtschaft, Verkehr, Logistik)! Für einen gesellschaftlich nützlichen und ineinander verzahnten Gesamtplan unter Arbeiterkontrolle!

Keine Dreckschleudern wie Moorburg! Sofortige Stornierung der Laufzeit des AKW Krümmel! Einsatz und Erforschung nachhaltiger und sicherer Energiesparformen, umweltverträglicher Energieerzeugung und Endlagerstätten!

Nulltarif im HVV!

Aufbringung aller Mittel für ein solches Programm durch progressive Besteuerung von Einkünften der Kapitalisten, Spekulanten und Großgrundeigentümer. Erfassung der Bilanz- und Vermögenswerte aller Großbetriebe, Banken und Versicherungen durch Offenlegung ihrer Bücher und Daten vor Arbeiterinspektionen und durch von der Arbeiterbewegung kontrollierte Sachverständige!

Die Abgeordneten der bürgerlichen Arbeiterparteien müssen jederzeitig Rechenschaft über ihre Handlungen geben. Insbesondere muss von ihnen verlangt werden, dass sie keine Zugeständnisse an offen bürgerliche Parteien machen, ihre Regierungsbildung tolerieren oder sich gar an ihr beteiligen. Auch in der Opposition müssen die Reformisten ständig unter Zugzwang gesetzt und bekämpft werden.

Alternative

Dies kann nur gelingen, wenn die Methoden des Klassenkampfs mit selbstständiger Organisierung verbunden werden. Kontrollausschüsse - letztlich Keimformen von Räten - müssen gebildet werden, um Einsicht über politische Verhandlungen, Geschäftsvorgänge, Betriebsabläufe, die Grundversorgung der Bevölkerung und die Überwachung von gesetzlichen Regelungen in Betrieben, Einrichtungen und Wohnvierteln zu haben.

Es müssen Aktionskomitees gebildet werden, um die nötigen Kampfmaßnahmen wie Streiks, Besetzungen und Demonstrationen vorzubereiten, zu fördern, zu koordinieren und damit auch die Bürokratie in Gewerkschaften und reformistischen Parteien, die diese verhindern wollen, anzugreifen. Sie selbst müssen größtmögliche Transparenz haben, ihre VertreterInnen müssen  Massenversammlungen einberufen, jederzeit rechenschaftspflichtig, wähl- und abwählbar sein.

Doch nötig ist v.a. eine politische Alternative zum Reformismus von SPD und Linkspartei. Wir kämpfen daher für den Aufbau einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei. Nur sie kann eine klare Perspektive zum Sozialismus weisen, Organe zum Schutz der Klassenkämpfe und zum Sturz des kapitalistischen Staats aufbauen.

Diese Perspektive muss mit den „Tagesforderungen“ zu einem Aktionsprogramm verbunden werden. Die Kernelemente eines solchen Programms für Hamburg haben wir oben skizziert. Wir rufen alle GewerkschafterInnen, Mitglieder linker Parteien, Jugendliche, MigrantInnen auf, die mit uns eine revolutionäre Alternative aufbauen wollen, darüber mit uns in Diskussion zu treten und gemeinsam zu kämpfen!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 156, Februar 2011
*  Ägypten: Tage des Zorns
*  Nordafrika: Permanente Revolution
*  Tunesien: Ben Alis Ende ist der Anfang
*  Asien-Kongress der L5I: Ein voller Erfolg
*  SiKo-München: Mehr Sicherheit für Profit
*  Demobündnis: Keine Kniefall vor Opportunisten!
*  Bundeswehrreform: Beruf(en) zum Kriegen
*  Tarifrunde/Länder im Öffentlichen Dienst: Kein Selbstläufer
*  Ende der Krise in der Metallindustrie? Fachkräftemangel?
*  Frauen, Krise, Klassenkampf: Revolutionäre Frauenpolitik tut Not
*  Hamburger Bürgerschaftswahlen 2011: LINKE wählen, aber Widerstand organisieren
*  Heile Welt
*  Dresden: Anti-Nazi-Mobilisierung: Blockadetaktik und Klassenkampf