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Dresden: Anti-Nazi-Mobilisierung

Blockadetaktik und Klassenkampf

Theo Tiger, Neue Internationale 156, Februar 2011

Im Februar 2010 waren die Massenblockaden in Dresden sehr erfolgreich. Mehr als 12.000 AktivistInnen gelang es, den europaweiten Nazi-Aufmarsch zu verhindern, indem sie deren Demo in Dresden-Neustadt blockierten. Diese Aktion war eine deftige Niederlage für die Faschisten.

Dieses Jahr haben die Nazis gleich zwei Aktionen angemeldet: einen Fackelmarsch am 13.2. und eine Großdemo am 19.2.

Die Bündnisse „Dresden nazifrei“ und „No pasaran“ rufen zu Blockaden gegen beide Aktionen auf. Die stärksten Kräfte im ersteren sind die Linkspartei, der SDS, ver.di, die Grünen, die DKP und Gewerkschaftsjugendverbände (IGM, IG BCE, ver.di) sowie bei „No pasaran“ die Interventionistische Linke (IL). Wie auch 2010 unterstützen auch die Gruppe Arbeitermacht und die Jugendorganisation REVOLUTION aktiv die Blockaden in Dresden.

Die Nazis sollen gemeinsam blockiert werden. Dazu soll eine breite Aktionseinheit aller aktionsbereiten Organisationen geschaffen werden - in Abgrenzung von Kirche u.a. Kräften, die 2010 mit einer Menschenkette, fernab vom Geschehen, protestiert hatten.

Der Erfolg im letzten Jahr wie die Koordination der Bündnisse in diesem Jahr verweisen darauf, dass diese „breite“ Orientierung grundsätzlich richtig ist. Sie hebt sich durchaus positiv von der meist üblichen autonomen Taktik ab und sichert eine große Mobilisierung, die teilweise über den „linksextremen“ Rahmen hinausgeht.

Hintergrund

In den letzten Jahren hatte es verstärkt Attacken von Nazis auf Linke und GewerkschafterInnen gegeben. So wurden 2009 mehrere Reisebusse auf dem Rückweg von Dresden von Nazis attackiert und mehrere AktivistInnen teils schwer verletzt. Im selben Jahr wurden am Ersten Mai DGB-Demos in NRW von Nazis angegriffen. Die Militanz der Nazi-Szene nahm spürbar zu.

Gegen die Aufmärsche der Nazis entwickelten sich zwei „Proteststrategien“: die Menschen- und Lichterketten, die auch von Kirchen, Landesregierungen und bürgerlichen Parteien unterstützt wurden, sowie die „Blockade-Orientierung.“

So subjektiv ehrlich die Haltung der TeilnehmerInnen der Menschenketten gegen Nazis auch sein mag - ihre Protestform ist im Grunde wirkungslos. Zudem wird sie von bürgerlichen Kräften bewusst dazu missbraucht, die AntifaschistInnen zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Gemäß der Logik der „Extremismusdebatte“ werden militante AntifaschistInnen als „Krawallmacher“ denunziert, um Leute abzuschrecken, sich an ihren Aktionen zu beteiligen. Die „aufrechten bürgerlichen DemokratInnen“ sollen von den „Linksextremisten“ isoliert und eine breitere, koordiniertere antifaschistische Bewegung verhindert werden. 2010 war es z.B. so, dass die Elbbrücken von der Polizei abgesperrt wurden, so dass die Leute aus der Menschenkette auch gar nicht nach Dresden-Neustadt kommen konnten. Oft genug leisten die reformistischen Kräfte in den Bündnissen dieser Spaltungsstrategie Vorschub.

Das Blockadekonzept

Die Bündnisse „Dresden nazifrei“ und „No pasaran“ rufen zum „zivilen Ungehorsam“ auf, die Blockaden seien ein „geeignetes Mittel, um möglichst viele AktivistInnen in die Aktion zu integrieren“. In der Tat konnte ein sehr breiter Konsens gefunden werden, der von den Grünen bis zur „Interventionistischen Linken“ (IL) reicht. Dieses Konzept wurde auch am 1. Mai in Berlin umgesetzt, dort war z.B. auch Wolfgang Thierse (SPD) bei den Blockaden dabei.

Wir unterstützen natürlich jede Form von aktivem Massenwiderstand gegen die Nazi-Pest. Auch für uns bedeuten Widerstand und Protest auch Aktion! Sich den Nazis entgegen zu stellen und dabei auch die Konfrontation mit den Bullen in Kauf zu nehmen, erfordert aber auch eine Diskussion darüber, wie die Organisationen der Arbeiterklasse, wie die Linke und die Antifa-Szene, wie die Jugend Antifaschismus praktizieren kann.

Bei der Blockadetaktik und dem „zivilen Ungehorsam“ sehen wir die Versöhnung von reformistischer und autonomer Ideologie und Taktik. Die Blockaden werden „gewaltfrei“ organisiert, d.h. es gibt keine Verteidigung der Blockaden gegen die Bullen. Die Bilder des Abtransports von Sitzblockaden sind bekannt - ob aus Heiligendamm, von den Anti-Castor-Protesten oder dem 1. Mai. Dieser passive Widerstand soll die juristischen Folgen abmildern, schließlich ist er nur eine Ordnungswidrigkeit.

Doch er verstärkt auch die pazifistischen Illusionen beim Kampf gegen den Faschismus. In gefährlicher Weise wird suggeriert, dass der bürgerliche Staat den Kampf gegen die Nazis toleriert oder gar unterstützt. Doch meist ist das genaue Gegenteil der Fall! Eine Orientierung, die in dieser zentralen Frage Verwirrung stiftet, kann nichts taugen!

Was der „demokratische Rechtsstaat“ über Blockaden denkt, ist bekannt. Den Rechtsstaat konnten wir am besten bei der gewalttätigen Räumung des Stuttgarter Schlossparks in Aktion erleben. Dem Rechtsstaat ist Pazifismus eher unbekannt, vertraut ist er dagegen mit Pfefferspray, Schlagstock und Wasserwerfer.

Die „Versöhnung“ von reformistischer und autonomer Taktik endet meist so, dass die Autonomen versuchen sich zu verteidigen, während dies die pazifistischen und reformistischen Kräfte ablehnen.

Diese „Arbeitsteilung“ ist aber genau das Gegenteil davon, was wir wollen. Wir wollen eine disziplinierte, organisierte Massenaktion mit organisierter Selbstverteidigung, die - wenn möglich und taktisch sinnvoll - direkt gegen die Nazis vorgehen kann und darauf vorbereitet ist.

Volksfrontstrategie

Die Blockadetaktik entpuppt sich in Wahrheit als Strategie. Die Bündnisse haben einen klaren „Volksfrontcharakter“, d.h. sie vereinen klassenübergreifend proletarische und bürgerliche Kräfte und versuchen, deren grundsätzliche Interessenswidersprüche politisch zu überbrücken - durch den „kleinsten gemeinsamen Nenner“. Praktisches Ergebnis dieser Strategie? Der antifaschistische Kampf wird unter kleinbürgerlich/reformistischer Dominanz geführt, die linken Gruppen darin folgen diesem Kurs, die „Radikalen“ bilden die linke Flanke.

Außer dem Blockade-Konsens gegen Nazi-Demos haben diese Bündnisse auch kaum weitergehende Forderungen z.B. dazu, was Faschismus ist und wie dieser bekämpft werden kann. Dort mischen sich dann „aufklärerische“ Bildungsbürger, Gewerkschaftsbürokraten und Pazifisten mit der autonomen Antifa. Ergebnis ist dann eine passive Blockade, die zum einen die „Aktion“ integriert und zum anderen die pazifistische Illusion der Gewaltlosigkeit im Widerstand aufrecht erhält - eine gefährliche Mischung.

Rassismus und Faschismus in Deutschland sind nicht nur Sache der Nazis, wie das Beispiel Sarrazin zeigt. Gerade im letzten halben Jahr haben wir eine massive Zunahme von sozialer, rassistischer und antiislamischer Hetze erleben können. Dies zeigt, dass Rassismus und Faschismus nicht allein durch Blockaden bekämpft werden können, sondern dass deren soziale Grundlage bekämpft werden muss: das kapitalistische System von Konkurrenz, Ausbeutung, Unterdrückung und Nationalismus.

Orientierung auf wen?

Diese Klassenfrage wird beim aktuellen Antifaschismus aber bewusst ausgeklammert. Entweder lehnen die Akteure den Klassenbegriff ab oder verschleiern diesen durch Floskeln wie „alle Demokraten und Antifaschisten“. So heißt es im Aufruf zu Dresden: „Dieses Ziel eint uns über alle sozialen, politischen oder kulturellen Unterschiede hinweg. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen“.

Hier werden bewusst jede Perspektive und alle Differenzen ausgeklammert. Dies dient scheinbar der Schaffung einer breiteren Aktion oder Bewegung. In Wahrheit verhindert sie diese aber. Warum?

Erstens, weil sie der Illusion anhängt, bürgerliche Kräfte würden aktiv an Blockaden o.a. Formen militanter Aktion mitwirken. Doch diese Vorstellung von Militanz kollidiert grundsätzlich mit deren politischen Interessen und Methoden! Zweitens lenkt diese Methode von der Orientierung auf jene Kräfte ab, die wirklich gewonnen werden können und müssen: die Arbeiterklasse, die Masse der MigrantInnen und der Jugend.

Rolle der Arbeiterklasse

Die Antifa bietet den Kampf gegen Nazi-Strukturen an, jedoch ohne jeden Zusammenhang zu anderen Klassenkämpfen. Sie verstehen sich als Elite als Vorhut des Kampfes, verstehen aber nicht, dass kein Krieg und auch nicht der Klassenkrieg oder Kampf gegen die Nazis von der Vorhut allein, sondern nur durch die schweren Bataillone, durch die Massen gewonnen werden kann. Um diese Massen muss gekämpft werden, was auch bedeutet, gegen deren unbrauchbare politische Führungen zu kämpfen. Die Antifa hat darauf keine Antwort, ja sie begreift noch nicht einmal die Fragestellung!

Die Geschichte lehrt uns, dass eine faschistische Massenbewegung nur durch die Arbeiterklasse gestoppt werden kann - oder gar nicht. Dazu ist die Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen, der MigrantInnen, der Linken und der Antifa erforderlich.

Diese ist aber nur herstellbar - und größere Massen von ArbeiterInnen und Jugendlichen sind auch nur gewinnbar -, wenn auch gemeinsame Kämpfe um soziale Fragen geführt werden, wenn der Kampf gegen den Faschismus in den Kontext des Kampfes gegen Rassismus, Imperialismus und Ausbeutung gestellt wird.

Spätestens da wäre es aber vorbei mit einer Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften. Denn diese mögen ja gegen die Faschisten sein, aber gegen Ausbeutung und Überausbeutung, also gegen ein „gewisses Maß“ an Nationalismus und Rassismus haben sie weniger einzuwenden.

Bezeichnenderweise gibt es weder eine Kritik an den Gewerkschaftsspitzen, an deren nationalistischer Standortpolitik, noch an deren Untätigkeit im antifaschistischen Kampf. Es gibt auch keine gemeinsame Position gegen die antiislamische Hetze, noch einen gemeinsamen „Aufstand“ gegen die Sarrazin-Hetze. Diesem „Antifaschismus“ reichen Demos und Blockaden als Strategie!

Die Blockadetaktik erweist sich also gerade nicht als Strategie, die dazu geeignet wäre, größere Teile der Arbeiterklasse und der Jugend für den antifaschistischen und den Klassenkampf überhaupt zu gewinnen.

Gerade seit der Wirtschaftskrise 2008 nimmt der Rassismus in den kapitalistischen Metropolen zu, Rechtspopulisten wie Wilders in Holland, Strache in Österreich oder die SVP in der Schweiz sind Vorreiter beim Antiislamismus und inzwischen in die Regierungen dieser Staaten integriert. Während die Staaten monströse Sparpakete schnüren, die innerkapitalistische Konkurrenz massiv zunimmt und einige Staaten an den Rand des ökonomischen Zusammenbruchs treiben, versucht die herrschende Klasse zu spalten, wo nur irgend möglich.

Antifaschistischen AktivistInnen muss daher klar sein, dass Rassismus und Faschismus stets eine Option kapitalistischen Herrschaft sind.

Antifa heißt Klassenkampf!

Rassismus und Faschismus haben ihre Ursache im Kapitalismus, diese Analyse muss Grundlage für einen kämpferischen Antifaschismus sein. Dazu gehört die Organisation von Selbstverteidigungsorganen gegen die Faschisten, nicht im elitären autonomen Sinn v.a. für die eigenen Projekte, sondern als gemeinsame Antwort von Jugend, MigrantInnen und Arbeiterklasse in der Schule, im Betrieb und im Stadtteil.

Es ist kein Zufall, dass gerade AktivistInnen der Gewerkschaften in den letzten Jahren vermehrt Opfer von Angriffen wurden, gerade bei den reformistischen Organisationen herrscht die pazifistische Illusion, inklusive Verbotsverfahren gegen die NPD als  Hauptlösung vor. Gleichzeitig hatten die Gewerkschaften den Antifaschismus zumeist einigen Jungfunktionären überlassen, zum anderen betreibt die Führung konsequente Politik für den nationalen Standort, für Antifaschismus stehen die Gewerkschaften meistens als Zahler für Antifa-Projekte.

Wir glauben, dass die meisten AktivistInnen der Bewegung durchaus ihre Blockade verteidigen wollen. Deshalb muss allen reformistischen und pazifistischen Überzeugungen der Kampf angesagt werden. Die Illusionen vom „zivilen Ungehorsam“ müssen attackiert werden, anstatt sie noch zu bedienen!

Bewegung aufbauen

Wir müssen diskutieren, wie wir mehr als nur Blockaden organisieren können, wie wir den Rassismus von Sarrazin ebenso bekämpfen können wie die Kameradschaft auf der Straße. Dabei müssen wir Internationalismus praktizieren, nicht in Grußbotschaften, sondern gegen die imperialistische Hetze in Deutschland gegen GriechInnen und „Südländer“ während der Euro-Krise.

Solidaritätsdemos, Kundgebungen und Streiks für die kämpfenden Völker gegen die Krise sind angebracht und keine Fortführung der Standortpolitik für einen immer kleiner werdenden Teil der Klasse. Oft genug sucht man bei diesen Gelegenheiten die (autonomen) antifaschistischen AktivistInnen leider umsonst.

Die Bewegung, die nach Dresden mobilisiert, darf nicht damit zufrieden sein, (wieder) einmal eine Demo zu verhindern; sie muss zugleich auch dazu beitragen, eine soziale Bewegung gegen Faschismus und Kapitalismus aufzubauen!

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Nr. 156, Februar 2011
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