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Anti-Atom-Bewegung

Castor blockieren, Regierung atomisieren!

Bruno Tesch, Neue Internationale 154, November 2010

Er rollt wieder, der Transport von hoch radioaktiven Verbrennungsrückständen aus Kernspaltungsmaterial. Er kommt aus dem französischen Atomkraftwerk La Hague und soll in Gorleben im Wendland eingelagert werden. Die Sicherheitswaggons des Zuges, die Castor-Behälter, werden Anfang November erneut im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von AtomkraftgegnerInnen und staatlichen Atomkrafthütern stehen.

Vor zwei Monaten wurde die Anti-Atomkraftwerkbewegung in einer großen Demonstration in Berlin für alle wieder sichtbar. In Wut gebracht hatte sie die schwarz/gelbe Bundesregierung, welche die Laufzeiten der AKWs verlängert hat.

Blaues Wunder mit den Grünen

Heute plustern sich v.a. die Grünen als aufrichtige und führende Opposition gegen den energiepolitischen Kurs der Regierung auf. Im Verein mit der SPD waren sie es aber, die 2000 an der Regierung einen oberfaulen Deal mit den AKW-Betreibern eingefädelt haben. Unter dem Etikett „Atomkonsens“ handelten sie - ohne finanzielle Forderungen an die Energiekonzerne zu stellen - gestaffelte Laufzeiten für AKWs aus. Sofort still gelegt wurde kein einziges.

Damals lösten sich gerade im Wendland-Umkreis ganze Ortsverbände der Grünen aus Protest gegen die Entscheidung der Gesamtpartei auf, die auch die Demonstrationen und teilweise militanten Aktionen gegen den Castor missbilligte. Die Grünen mussten sich bei den Anti-Castor-Demos und Kundgebungen im März 2001 vor aufgebrachten DemonstrantInnen verstecken. Auch in Hamburg haben die Grünen in der Regierung dem Bau des umweltschädlichen Kohle-Kraftwerks Moorburg zugestimmt und die sofortige Schließung des AKWs Krümmel im Hamburger Umland abgelehnt. Dass die Politik dieser selbsternannten UmweltschützerInnen wirklich keinerlei Vertrauen verdient, muss gerade angesichts des derzeitigen Grünen-Hypes klar gemacht werden.

Alle Gewalt geht vom Staate aus

Seit 40 Jahren dreht sich die unsägliche Debatte über „Gewalt“ wie ein Kinderkarrussell im Kreis. Stets wird jegliche Art von zivilem Ungehorsam gegen staatliches und privatkapitalistisches Vorgehen kriminalisiert und gemaßregelt. Die Vorwürfe des Staatsapparats reichen bis hin zur absurden Begrifflichkeit der „passiven Gewalt“, die nur einem bürgerlichen Juristenhirn entsprungen sein kann.

Wer „Gewaltfreiheit“ zum obersten Prinzip erhebt und sein eigenes Denken und Handeln einengt und mit dem Gesetzbuch rechtfertigen will, hat schon verloren. Er betreibt, wenn vielleicht auch unbewußt, so das Geschäft des Gegners, der eine Widerstandsbewegung immer in „gewalttätige“ und „friedliche“ Teile spalten will.

Er ist in der bürgerlichen  Logik befangen und erkennt das staatliche Gewaltmonopol und damit auch die Ideologie vom Staat als klassenneutralem Wächter über die Gesellschaft an. Der Staat dient jedoch nur einem einzigen Zweck, dem Schutz der herrschenden Klasse, den Kapitalisten, und des Kapitalismus als System.

Im Vorfeld des Atommüll-Transports hat der Aufruf „Castor schottern“ bereits die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. 500 Strafanzeigen gegen die UnterzeichnerInnen sind bereits ergangen. Darunter befinden sich auch Angehörige der Linkspartei. Deren Vorsitzender Klaus Ernst hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als sich von Aufrufen zu „Straftaten“ und von Aktionen gegen den Castor zu distanzieren. Die Linkspartei will und muss ja schließlich noch ihre für den kapitalistischen Staat tragbare Regierungsfähigkeit beweisen! Nicht zufällig ist in diesen Vor-Castor-Tagen auch ein Gesetzentwurf durchgesetzt worden, wonach Widerstand gegen die Ordnungskräfte des Staates härter bestraft werden soll. Drei Jahre Gefängnis  drohen nun jenen, die sich gegen Polizeieinsätze zur Wehr setzen. Dieses Jahr steht ein „gesunder Energiemix“ aus 16.500 Prügelpolizisten und eine unbekannte Zahl von bezahlten Provokateuren bereit, um den Atommüll der Atomgutsherren mit aller Gewalt zu schützen und die Anti-Castor-Bewegung zu zerschlagen. Das soll zugleich präventiv auch eine Warnung an alle sein, die gegen sonstige Angriffe der Regierung kämpfen.

Von Gorleben zum Atomtod?

Gorleben und Castor erhitzen die Gemüter und sind hierzulande seit 20 Jahren zu Symbolen des Widerstands gegen eine menschenverachtende Umweltpolitik kapitalistischer Regierungen geworden, obwohl sie nur „Abfallprodukte“ der zentralen Frage nach einer allgemeinen Ausrichtung von Forschung, Energieversorgung, Ressourcenwirtschaft sind. Die friedliche Nutzung der Kernenergie hatte sich besonders die Sozialdemokratie auf die Fahnen geschrieben, als sie in den 1950ern ihre Kampagne „Kampf dem Atomtod“ durchführte.

Atomkraftwerke, die in der Bundesrepublik kein waffenfähiges Material produzieren durften, schossen wie Pilze aus dem Boden und waren, je länger sie betrieben wurden, für die Energiekonzerne ein Riesengeschäft. Eine neue lukrative Industrie mit geringem Personalbedarf entstand. Noch in den 70er Jahren veranstalteten die Gewerkschaften Pro-Atomkraft-Demos, gegen den aufkommenden Unmut über Sicherheitsrisiken und schädliche Langzeitwirkungen von Atomkraftwerken.

Die Frage Wohin mit den radioaktiven Rückständen? wurde damals noch wenig beachtet, musste aber schon von staatlichen Instanzen gelöst werden. So wurde in den 1970ern eine Wissenschaftskommission eingerichtet, die zunächst geeignete Zwischenlagerstätten für diesen Atommüll erkunden sollten.

Ursprünglich stand Gorleben gar nicht auf dieser Vorschlagsliste, wurde aber kurzer Hand von der damaligen Albrecht(CDU)-Regierung in Niedersachsen ohne Rücksprache mit den Wissenschaftlern eingefügt und eine politisch motivierte Entscheidung (grenznah zur DDR) zu ‚Gunsten' dieses Standorts gefällt. Die Erkundung, ob sich der Salzstock auch als Endlager eignet, zieht sich schon Jahrzehnte zäh hin und hat aus der Zwischen- schon fast eine Endlösung gemacht, obwohl immer mehr fachlich fundierte Vorbehalte dagegen vorgebracht werden, v.a. Hinweise zu irreparablen Strahlungsschädigungen für die gesamte Region und künftige Generationen.

Internationalistisches Handeln

Der Widerstand gegen den Castor, der insbesondere von von jungen UmweltaktivistInnen getragen wird, ist in jeder Hinsicht gerechtfertigt und unterstützenswert. Jede Minute, die der Castor aufgehalten wird, ist ein Erfolg für die Bewegung.

Allerdings muss sie sich auch fragen lassen - mag der Widerstand an der Stelle auch noch so unerschütterlich, mutig und einfallsreich sein -, warum wird erst dort angefangen, wo es schon fast zu spät ist? Warum wird nicht mit aller Macht versucht, den Zug schon vorher aufzuhalten, am besten noch, bevor er überhaupt rollt? Zwar ist die Anti-AKW-Bewegung in Frankreich nicht so stark, aber es ist eine dringende Aufgabe, den Widerstand zu internationalisieren und zu koordinieren.  Es muss z.B. Kontakt zur NPA in Frankreich aufgenommen werden und von ihr Mobilisierung und Unterstützung von Aktionen zur Verhinderung von Atommüll-Transporten quer durch Europa gefordert werden. Notwendig ist auch, das Begleitpersonal, EisenbahnerInnen, TechnikerInnen dafür zu gewinnen, dass solche Transporte verhindert werden. Also stellt sich auch hier die Frage des  Klassenbezugs auf Aktionen mit und im Interesse der Arbeiterklasse.

Auch die Frage der Endlagerung von radioaktivem Abfall muss gelöst werden. Auch das darf keinesfalls kapitalistischen Regierungen und Atomkonzernen, die immer über die Bevölkerung hinweg entscheiden werden, überlassen bleiben. Diese müssen entmachtet und gestürzt werden!

Dazu brauchen wir eine Arbeiterregierung, die u.a. ein demokratisch erarbeitetes Programm für eine zukunftweisende Energie- und Umweltpolitik umsetzt. Letzten Endes ist eine Umstellung auf eine nicht am Profit orientierte, die Ressourcen schonende, umweltgerechte und an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Wirtschaft im Rahmen des Kapitalismus unmöglich. Eine solche Perspektive ist nur real, wenn die Beschäftigten und die KonsumentInnen über gesellschaftliche Prozesse entscheiden und nicht Konzerne, die staatliche Bürokratie oder manipulierte „ExpertInnen“. Eine  solche Perspektive ist nur durch eine - letztlich internationale - Planwirtschaft möglich.

 Was wäre dringend geboten für eine sinnvolle Weiterführung des Widerstands und einen nachhaltigen Umweltkurs im Interesse der Arbeiterklasse und der Unterdrückten?

Sofortige Rücknahme aller Strafanträge gegen AktivistInnen von „Castor schottern“! Keine Repressalien gegen den Castor-Widerstand!

Internationale Kontakte zu UmweltaktistInnen und antikapitalistischen Parteien (z.B. NPA) zur Mobilisierung gegen AKWs und Atommülltransporte!

Aufforderung an reformistische Massenorganisationen (Gewerkschaften, SPD, LINKE), Umweltschutzaktivitäten mobilisierend, logistisch und finanziell zu unterstützen!

Arbeiterinspektionen und -kontrollen in allen Energieeinrichtungen, insbesondere den AKWs!

Schnellstmöglicher geplanter Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland und anderswo!

Offenlegung aller Verträge und Geschäftsunterlagen der Atomindustrie!

Entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne unter Arbeiterkontrolle!

Umstellung von Produktions- und Transportsystemen in Richtung auf Energieeinsparung, massive Erforschung und Einsatz von umweltschonenden und erneuerbaren Energieträgern!

Erforschung, Festlegung von Eignung und Sicherheitsstandards und Entscheid für atomare Endlagerung unter Kontrolle der Arbeiterbewegung und der örtlichen Bevölkerung!

Ersatzarbeitsplätze für freigesetzte Arbeitskräfte der Atomindustrie in gesellschaftlich sinnvollen Bereichen!

Bezahlung aller Maßnahmen aus Unternehmerprofiten und Spekulantengewinnen!

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Nr. 154, Nov. 2010
*  Angriffe in Europa: Kämpfen wie in Frankreich!
*  Heile Welt
*  Massenbewegung am Scheideweg: Verhandeln oder Besetzen?
*  Stuttgart 21: Wie kann die Bewegung siegen?
*  Stuttgart 21: Bullen knüppeln, Regierung lügt
*  Gewerkschaftliche Aktionswochen: Kühler Herbst
*  Behr Werk 8: Der Kampf geht weiter
*  Aktionstag Esslingen: Weg mit der Agenda!
*  Autoindustrie: Kapitalistische Wunder?
*  Die Grünen: Bald stärkste Opposition?
*  Integrationsdebatte: Christdemokratische Hassprediger
*  Frankreich: Bewegung am Scheideweg
*  Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Zwischen Boom und Massenelend
*  Venezuela: Opposition gewinnt an Boden
*  Pakistan: Widerstand gegen Privatisierung
*  Anti-Atom-Bewegung: Castor blockieren, Regierung atomisieren!