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Autoindustrie

Kapitalistische Wunder?

Frederik Haber, Neue Internationale 154, November 2010

Anderthalb Jahre Kurzarbeit und nun - Überstunden. Von 9 oder 10 Schichten pro Woche auf 18 oder gar 21, was soviel heißt wie Montag bis Sonntag rund um die Uhr. Derzeit kein ungewöhnliches Bild vor allem in der Auto-Industrie.

Diese abrupte Beschleunigung hatte kaum jemand erwartet, genauso wenig wie den knirschenden Halt der Produktion vor zwei Jahren. Nehmen wir das Beispiel LKW. Damals merkten die Firmen, die LKW verkaufen oder verleasen, dass die Baufirmen oder Speditionen keine Kredite mehr von den Banken bekamen und daher sofort alle Bestellungen kündigten. Die Hersteller hatten noch genug Maschinen in Arbeit, sie stoppten sofort alle Teile-Bestellungen bei den Zulieferern, letztere bei den Sub-Lieferanten. Die Produktion halbierte sich.

So ähnlich entstehen Staus auf der Autobahn: der erste bremst leicht und weil alle dahinter zu dicht unterwegs sind, bremst jeder folgende ein kleines bisschen mehr - bis alles steht. In den Unternehmen waren die Controller die „Bremskraft-Verstärker“. Sie sorgten dafür, dass nicht die reduzierten Aufträge abgearbeitet wurden, sondern noch weniger: In jedem gefertigten Teil steckt Kapital, und flüssiges Geld ist gerade in der Krise knapp - die Kreditklemme wirkt. In der Praxis hieß das, lieber ein paar Wochen länger Kurzarbeitergeld vom Staat abzocken und die Lager schnell leer machen.

Aber wenn der Aufschwung wieder einsetzt, wollen ein paar Kunden wieder neue LKW. Jeder Hersteller muss sofort wieder lieferfähig sein. Aber seine Teilelager sind leer, die der Zulieferer auch und die der Sublieferanten erst recht, falls sie überhaupt die Krise überlebt haben. Dazu kommt, dass die Produktion von Autoteilen hoch automatisiert ist. Große verkettete Anlagen, in denen automatische Belade-Systeme das Teil von Maschine zu Maschine führen, prägen das Bild. Wenn eine Anlage nur für ein ganz bestimmtes Teil ausgelegt ist, ist das organisatorisch kein Problem. Wenn die Anlage verschiedene Typen produzieren kann, sieht es anders aus. Je komplexer die Anlage, desto länger die Zeit für die Um- oder Einstellung der Maschinen. Je größer die Pufferlager für die verschiedenen Typen sind, desto weniger muss umgerüstet werden.

Aber zum Jahreswechsel 2009/10 waren diese Pufferlager fast leer. Aber alle LKW-Typen waren plötzlich wieder gefragt. Die Produktion muss nicht nur den aufgestauten Bedarf befriedigen, sondern auch dauernd umrüsten. Die Wut auf die Controller nimmt zu. Und in deren Berichten steht natürlich nicht drin, wer wirklich an den gestiegenen Produktionskosten schuld ist.

Aber letztlich ist es auch nicht die Ignoranz des einzelnen Controllers, der von Produktion und Organisation keine Ahnung hat. Finanz- und Kreditwesen haben die Produktion auch innerhalb des einzelnen Unternehmens noch stärker im Griff als je zuvor. So wie die Finanzsphäre das kapitalistische System dominiert, gerade auch die „Realwirtschaft“, so ist es auch in jedem einzelnen Produktionsschritt.

Die ungeheuer vorangetriebene Rationalisierung tut ein Übriges. Die Herstellzeiten von Minutenbruchteilen haben den Wert und damit den Preis der Produkte verfallen lassen. Da können schon die Umstellzeiten den Gewinn auffressen. Trotz inzwischen verdoppelter Produktion machen etliche Zulieferer daher kaum Profit.

Zurecht bezweifeln auch viele Kapitalisten und Manager in der Industrie die Nachhaltigkeit des „Aufschwungs“. Sie misstrauen dem Wunder. Sie haben zwar immer noch keine Ahnung, woher die Krise wirklich kam, aber sie ahnen, dass sie selbst die Mechaniken betreiben, die alles schlimmer machen.

Die hier geschilderten Probleme widerspiegeln drastisch die Anarchie der kapitalistischen Ökonomie, sie verweisen darauf, welche immensen produktiven Potentiale verschleudert werden, sie zeigen, dass der Wahnwitz kapitalistischer Produktion v.a. zu Lasten der Beschäftigten geht.

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Nr. 154, Nov. 2010
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