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Programmentwurf der Wahlalternative

Das Wunder der Binnennachfrage

Martin Suchanek, Neue Internationale 95, November 2004

Im November 2004 wird die erste Bundesdelegiertenkonferenz der "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) beschließen, eine neue Partei für die Bundestagswahlen 2006 aufzubauen. Jede Partei, jede Parteigründung ist aber vor allem daran zu messen, welchen Beitrag sie zu den Mobilisierungen gegen Sozialraub, Massenarbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, Aufrüstung und imperialistischen Krieg leistet.

Deshalb ist gerade ein politisches Programm so wichtig, weil es eine Richtschnur für das eigene Handeln liefert, eine zusammengefasste Einschätzung der aktuellen Lage, der wichtigsten Lösungsmittel, Forderungen, Taktiken und Schwerpunkte einer neuen Partei. Es gibt eine Antwort darauf, auf welche Klasse, welche Strategie, welche Zukunftsperspektive sich eine politische Kraft orientiert.

Die WASG eröffnet nun diesen Prozess. Der Bundesvorstand hat dazu das bislang bekannteste Dokument "Vorschläge für programmatische Grundlagen" auf der Homepage der Wahlalternative (www.wahlalternative-asg.de) veröffentlicht, das auch in Nürnberg zur Diskussion stehen wird.

Das Beste an dem Dokument ist, dass es die Notwendigkeit einer offenen, programmatischen Debatte in der Wahlalternative verdeutlicht. Darin erschöpft sich aber auch schon die "Stärke" des Entwurfs. Auf der politischen Grundlage dieses Programmentwurfs wird der Aufbau einer wirklichen politischen Alternative zu SPD und PDS blockiert, ist eine Wiederholung der Fehler diese beiden Parteien vorprogrammiert.

Ursachen von Krise und Massenarbeitslosigkeit

Das Programm der Wahlalternative verspricht eine Lösung zentraler Probleme der Masse der Bevölkerung - allen voran die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und die Rettung sozialer Sicherung, die "Wiederherstellung des Sozialstaates".

Wie alle Lösungen fußen auch die programmatischen Vorschläge der Wahlalternative in einer bestimmten Analyse der Krisenursache: Ursache ist der Neoliberalismus, genauer: die "neoliberale Politik".

"Die Politik" hätte es seit den 1970er Jahren versäumt, in Phasen wirtschaftlicher Krise und Stagnation "gegenzusteuern" und statt dessen die Umverteilung von unten nach oben vorangetrieben. Sie hätte damit "einseitig" die Gewinninteressen exportorientierter Großunternehmen bedient und alle anderen Klassen sowie die "nicht exportorientierten" Unternehmer benachteiligt. Während die rot-grüne Regierung, CDU/CSU und Unternehmerverbände in zu hohen Kapitalkosten das Problem sehen, haben die Autoren des Programmentwurfs der Wahlalternative, die eigentliche "Krisenursache" lokalisiert: zu geringe Binnennachfrage.

"Die Wahrheit ist: Nicht zu hohe Löhne, Steuern oder Sozialkosten oder zuviel Regulierung sind das Problem, sondern zu geringe Massenkaufkraft und zu wenig Aufträge für öffentliche und private Investitionen. (...) Das Problem ist die schwache Entwicklung der Nachfrage im Inland. Denn hier sind Löhne nicht nur Kosten, sie bilden zugleich den größten Nachfrageblock."

Und weiter unten:

"Indem die herrschende Politik die Binnennachfrage weiter schwächt, blockiert sie die wirtschaftliche Entwicklung."

Nachdem die Wahlalternative die Ursachen für die gegenwärtige Misere in einer falschen Politik und nicht etwa in der Krise des kapitalistischen Systems ausgemacht hat, ist auch ihre politischer Therapie rasch gefunden: eine "andere" Politik. Diese sei nicht nur sozial und gerechter, sondern auch "wirtschaftspolitisch" besser.

Ganz einfach. Die Unternehmer hätten bei Steigerung der Binnennachfrage endlich wieder KäuferInnen, die ihre Produkte abnehmen - und das wäre allemal der Stachel zu neuen Investitionen und Ausdehnung des Produktionsapparates.

Mit dieser "Krisenerklärung" wird unterstellt, dass die Krise des Kapitalismus heute i.w. eine Absatzkrise wäre. Gäbe es ein "Gleichgewicht" von Angebot und Nachfrage - also durch staatliche Politik, öffentliche Beschäftigungs- und Investitionsprogramme sowie Lohnsteigerungen erzeugte größere kaufkräftige Nachfrage - würde auch die Wirtschaft wieder "brummen".

Überproduktion

In der kapitalistischen Produktionsweise wird jedoch nicht für den "Verkauf" der Produkte und zur "Befriedigung der Nachfrage" produziert, sondern zur Vermehrung des Profits. Der Grund für das Umschwenken aller Kapitalistenklassen in den imperialistischen Ländern zu Neoliberalismus war und ist selbst Resultat einer zunehmend krisenhaften Entwicklung, in die der Kapitalismus weltweit seit den 1970er Jahren eingetreten ist: die strukturelle Überakkumulation von Kapital.

Immer mehr Kapital ist notwendig, um dieselbe Masse Profit zu schaffen (genauer: aus der Arbeit der Lohnabhängigen anzueignen). Der Fall der Profitrate schlägt um in ein Fallen der Masse des Gesamtprofits. Das führt zu verschärfter Konkurrenz und zu verschärfter Ausbeutung, zur stärkeren Jagd nach Profiten auf dem Weltmarkt, zur "Flucht" in die Spekulation, um dieser Tendenz, die aus der Kapitalbewegung selbst folgt, zumindest zeitweilig entgegenzuwirken.

Natürlich ist es in dieser Lage den größeren Kapitalen möglich, den verschärften Druck auch auf kleiner Kapitale abzuwälzen, wie es z.B. die großen Automobilkonzerne gegenüber den Zulieferern praktizieren.

Natürlich lässt sich durch verschärfte Ausbeutung, durch Ausdehnung von Sweatshops, Schaffung von Billiglohnsektoren usw. die Ausbeutungsrate erhöhen und auch der Fall der Profitrate zeitweilig kompensieren.

Aber die verschärfte Konkurrenz führt rasch dazu, dass sich diese Faktoren verbrauchen. In allen wichtigen Sparten der Weltwirtschaft wurden riesige Überkapazitäten aufgebaut - sei es in der Autoindustrie, in der Chemie, auf dem IT-Sektor usw.

Das Resultat ist ein immer schnellerer Wettlauf um Profite, die i.w. aus Rationalisierungsvorsprüngen entstehen, die daher auch eine dramatische Ausdehnung von Maschinenlaufzeiten, Arbeit rund um die Uhr, Erhöhung der Produktivität erfordern. Ausgedrückt wird das nicht zuletzt auch in einem dramatischen Preiswettbewerb.

Vom Standpunkt des Kapitals ist eine nachhaltige, tragende Periode des Aufschwungs daher nur unter der Bedingung der Vernichtung überschüssigen Kapitals möglich - ein weiterer Faktor, der den Konkurrenzkampf anheizt.

Daher ist das Kapital in seiner Gesamtheit (und nicht nur die "Exporteure", wie das WASG-Programm unterstellt) gezwungen, die Arbeiterklasse auf breiter Front anzugreifen und eine grundlegende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu erreichen. Daher verschärft sich auch die Konkurrenz unter den imperialistischen Ländern, was sich in Europa darin ausdrückt, dass Deutschland und Frankreich unter ihrer Führung einen Konkurrenz-Block zur USA - die EU- aufbauen.

Aus unserer Einschätzung ergeben sich natürlich auch wichtige politische Folgerungen für den Charakter und die Ziele der neuen Partei, die es aufzubauen gilt. Sie muss proletarisch, anti-kapitalistisch, internationalistisch und revolutionär sein. Sie muss den Kampf gegen den Generalangriff mit dem Kampf zum Sturz des bestehenden Systems und für eine Arbeiterregierung, die sich auf Räte stützt, verbinden.

Die "guten" Unternehmer

Der Programmentwurf der WASG geht hier notwendigerweise in eine ganz andere Richtung. Ist die "Krisenursache" einmal falsch diagnostiziert, so auch das Subjekt der Veränderung:

"Ob innerhalb oder außerhalb des Parlaments: Die Aufgabe besteht darin, gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnisse zu verändern: zugunsten der abhängig Arbeitenden und sozial Benachteiligten, aber auch der kleinen Selbständigen und Unternehmen, die unter der Massenkaufkraft und der Stärkung der Konzerne leiden."

Daraus ergibt sich natürlich auch, dass führende VertreterInnen der Wahlalternative immer wieder darauf bestehen, keine Klassenpartei, keine "linke Partei", sondern eine "breite" Partei aufzubauen, die bis hin zum "linken Flügel der CDU" reichen solle, also alle, die einen "vernünftigen Klassenkompromiss" zur Sicherung des "sozialen Friedens" wollen.

Ganz praktisch bedeutet eine solch "breite Front" die Unterordnung der Interessen der Lohnabhängigen unter die "nicht-exportorientierten" Teile des Kapitals, unter die "binnenwirtschaftlich" ausgerichteten Unternehmer.

Ein solches Programm ist ökonomisch reaktionär, weil es den Kapitalismus dadurch zu bekämpfen trachtet, dass seine innere Entwicklung "zurückgedreht" werden soll; dass den inneren Entwicklungstendenzen zu fortgeschrittener Zentralisation künstlich Einhalt geboten werden soll durch Schutz der schwächeren Kapitale.

Diese Versuche wie z.B. die Anti-Trustbewegung in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren immer zum Scheitern verurteilt. Der Trend zur immer größeren Konzentration und Zentralisation des Kapitals kann und darf nicht durch die Beschwörung "kleinerer" Unternehmen, die Entwicklung des Weltmarktes kann und darf nicht durch die Beschwörung des "Binnenmarktes" bekämpft werden.

Eine solche Position bedeutet, sich letztlich auf den Standpunkt der kleinen und mittleren Unternehmen zu stellen. Eine politische Partei, die für den Fortschritt der Menschheit eintritt, kann jedoch nur einen Standpunkt einnehmen, die großen Konzerne und Monopole so zu bekämpfen, dass die zunehmende Konzentration, Zentralisation und Internationalisierung ihrer kapitalistischen Form entkleidet wird. Daher sind Forderungen wie die Enteignung der Großen Konzernen und der Banken durch den Staat, verbunden mit der Arbeiterkontrolle über die Betriebe und letztlich die Schaffung eine demokratischen Planwirtschaft zentral in jedem Programm, das sich irgendwie "fortschrittlich" nennen kann.

Kurzum: nicht das Bündnis und der Schutz der überholten Formen des Kleineigentums oder der "kleinen" Kapitalisten bietet eine Lösung für die Masse der Lohnabhängigen, sondern die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln.

Die Vorstellung der WASG ist nicht nur ökonomisch reaktionär. Sie bedeutet notwendigerweise auch im aktuellen Tageskampf, Zugeständnisse an das Kapital zu machen.

Für ein strategisches Bündnis, das zwei gegensätzliche Klassen umfassen soll - die Lohnabhängigen und die "binnenmarktorientierten" Unternehmen - ist natürlich auch ein Preis zu entrichten, ein Preis, der einem Teil der herrschenden Klasse, in diesem Fall die kleinen und mittleren Unternehmen, zufallen soll.

Aufgrund der verschärften Konkurrenz klagen diese bekanntlich besonders stark über "zu hohe Löhne", "Lohnnebenkosten" usw. usf. Dort "drückt" es diesen Unternehmern bekanntlich besonders stark.

Das ist ein Ausdruck der schwächeren Konkurrenzposition dieser Kapitale, die mehr und mehr an die Wand gedrückt oder ihrerseits zu größeren Konzernen aufsteigen müssen. Klar stehen die Beschäftigten in diesen Unternehmen oft unter besonderem Druck, die Macht und der Schutz durch Gewerkschaften und Betriebsräte - wie zwiespältig er auch sein mag - existiert schon nicht mehr. Längere Arbeitszeiten usw. sind die Norm.

All das zeigt, dass die Gesellschaft nach einer grundsätzlich anderen wirtschaftlichen Ordnung, nach Planung drängt, dass die kleinen Unternehmen in einer vernünftig organisierten Wirtschaft in größere Einheiten im Rahmen eines gesellschaftlichen Plans zusammengefasst werden müssten, statt sie im einem aberwitzigen, irrationalen und letztlich hoffnungslosen Konkurrenzkampf weiterwursteln zu lassen.

Der bürgerliche Staat und die Hegemonie

Anders der Programmentwurf der WASG. Er setzt darauf, dass die "kleinen" Unternehmen durch staatliche Aufträge und höhere Löhne gefördert werden sollen. Die "Großen" sollen mehr an die kleinen Kapitalisten abgeben. Dieser populistische Kurs macht dann natürlich auch vor den Lohnabhängigen nicht halt. Höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten - ja. Aber nur, solange es "die Wirtschaft" auch tragen kann. Kein Wunder, dass aus diesem Grund von der WASG Nordrhein-Westfalen der Antrag angenommen wurde, dass der Kündigungsschutz für Kleinbetriebe "differenziert" zu handhaben sei. Kein Wunder, dass die Forderung nach eine 30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich bei vielen SprecherInnen der Wahlalternative als "linksradikaler" Affront gilt, der "die Wirtschaft" kaputt machen würde.

Die Programmautoren der WASG begründen ihre Strategie etwa folgendermaßen. Je mehr Klassen und Schichten hinter einem "Projekt" vereint würden, umso stärker wäre die politische Kraft, die sich darauf stützt. Auf ein solches Bündnis müsse sich eine "gesellschaftliche Hegemonie" gründen, die dann dieses "Projekt" als staatliche Politik umsetzt.

Dummerweise drängen die Hauptklassen in der bürgerlichen Gesellschaft - Lohnarbeit und Kapital - in unterschiedliche Richtungen. Das ist selbst im ökonomischen Kampf der Fall, ganz zu schweigen vom politischen Klassenkampf, vom Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Unterdrückung.

So wie Kräfte, die in gegensätzlich Richtung drängen, auch in der Physik, ihre Kraft aufheben und nicht verstärken, so kombiniert ein klassenübergreifendes Bündnis nicht einfach die gesellschaftlich Kraft von Lohnabhängigen und Unternehmer. Die Arbeiter werden vor den Karren der Unternehmer gespannt. Bestenfalls (!) paralysieren sich die beiden Kräfte.

Eine "gesellschaftliche Hegemonie" kann daraus nur entstehen, wenn ein Teil des Kapitals auf diese Weise einen Teile der Arbeiterklasse und der Mittelschichten hinter sich vereint und in eine bestimmt Strategie zur Beherrschung der bürgerlichen Gesellschaft einbaut.

"Sozialstaat", "Demokratie", "Vollbeschäftigung" waren Formeln, die in den 60er und 70er Jahren die Lohnabhängigen in einen breiten "hegemonialen" Block und ein System der Sozialpartnerschaft einbinden konnten. Möglich war das auf der ökonomischen Grundlage einer dynamischen Expansion des Kapitals, das hohe Gewinne, Expansion, Produktivitätszuwachs und Lohnsteigerungen in den imperialistischen Zentren miteinander kombinieren konnte. Diese Phase ist jedoch vorbei.

Nicht so für die Autoren des Programmentwurfs. Der bürgerliche Staat, die "richtige" Politik sollen es richten.

"Sozialstaat" und "Demokratie" - dieses magische Duo - soll schaffen, was unter allen sozialdemokratischen Regierung des letzten Jahrshunderts nicht möglich war: Wohlstand und gedeihliches Auskommen für alle Gesellschaftsklassen.

Daher taucht im Programm der Wahlalternative der "Staat" nie als Instrument der Klassenherrschaft aus. Liest man den Entwurf, so scheint es als, hätte sich das "exportorientierte" und "spekulierende" Kapital in den letzten Jahrzehnten den "Staat" erschlichen.

"Die Bürgerinnen und Bürger, die Mitglieder der Parteien sind bei der Suche nach Lösungen für unsere brennenden Gegenwartsfragen ausgeschlossen. Die Parteien sind hierfür nicht offen. Die Politik wird vielmehr von Führungszirkeln der Regierung und Parteien bestimmt. Entwickelt wird sie nicht in gesellschaftlichen Debatten, sondern in handverlesenen Beratergremien, in denen Vertreter neoliberaler Positionen den Ton angeben."

Schon wahr. Aber was ist daran neu? Ist denn irgendwann in der Geschichte der Demokratie in Deutschland "die Politik" in "gesellschaftlichen Debatten" bestimmt worden? Hat nicht durchweg in der Geschichte des Kapitalismus die herrschende Klasse "den Ton angegeben"? Herrschen die "neoliberalen Positionen" in den "handverlesenen Beratergremien" nicht vor, weil alle Flügel der herrschenden Klasse einschließlich der "binnenmarktorientierten" Unternehmer aus wohlverstandenem Klasseninteresse heraus auf diese Position übergegangen sind?

Die Wunder des bürgerlichen Staates

Der Programmentwurf behandelt "Demokratie" und "Politik" als über den Klassen stehende Sphären. Das trifft natürlich auch auf den Sozialstaat zu. Dieser wird nicht als eine spezifische, historische Ausprägung des bürgerlichen Staates, des Herrschaftsapparates des Kapitals, sondern als scheinbar über allen Klassen schwebende "wesentliche zivilisatorische Errungenschaft" dargestellt. Keine Rede davon, dass auch der "Sozialstaat" Instrument der herrschenden Klasse, dass die bürgerliche Demokratie auch bei größter "gesellschaftlicher Debatte" die mehr oder minder gut verhüllte Herrschaft des Kapitals sein muss.

Und natürlich werden die ökonomischen und klassenmäßigen Grundlagen des Sozialstaates nicht genannt, schon gar nicht die imperialistische Ausbeutung durch das deutsche Kapital und ihre Absicherung durch den deutschen Staat.

Im Gegenteil! Würde er zu seinen "zivilisatorischen" Höhen, zurückkehren, so könnten am deutschen Sozialstaat nicht nur Demokratie und Wohlstand im Inneren, sondern auch die ganze Welt genesen.

So wie der Sozialstaat den Klassenkampf im Inneren "ausgleichen" soll, so soll sich Deutschland auch nach außen für "soziale Gerechtigkeit" und "den Frieden" einsetzen.

"Deutschland muss sein Gewicht in die Wagschale werfen, um eine Politik des Schutzes der Menschen und der Natur, des sozialen Ausgleichs und der solidarischen Zusammenarbeit international voran zu bringen."

Was Josef Fischer nur verspricht, will die Wahlalternative schaffen. Daher darf auch die Reform sämtlicher internationaler Ausbeuterinstitutionen von WTO bis zum IWF zur Regulation des Weltkapitalismus für das imperialistische Kapital nicht fehlen.

Nicht nur Deutschland, auch die EU soll in diesem Zusammenhang eine weltweit zivilisierende Rolle spielen.

Der Wahlalternative schwebt zwar keine "neoliberale" EU vor. Aber sie will auch am Kapitalismus in Europa nicht rütteln. Der Sozialstaat soll gewissermaßen in größerem Rahmen neu entstehen.

Eine solche Perspektive könnte freilich nur auf Grundlage eines "starken" europäischen Kapitals und massiver Ausbeutung der "Dritten Welt" realisiert werden. Kurzum, nur durch einen humanitär verbrämten Sozialchauvinismus und Imperialismus.

Auch hier lässt das Programm der WASG Schlimmes befürchten. Weder Ablehnung imperialistischer Kriege noch die Entlarvung des sog. "Krieges gegen den Terrorismus" als imperialistische Interessenspolitik finden sich im Programm.

Am "Krieg gegen den Terror" wird nur kritisiert, dass er mit den falschen Mitteln geführt würde. "Antwort auf den Terrorismus heißt nicht Krieg, sondern Durchsetzung internationalen Rechts. Dies kann allein Sache der Vereinten Nationen sein, die mit polizeilichen Sanktionsrechten auszustatten sind."

Vor solchen Kritikern muss sich der deutsche Imperialismus a la Fischer/Schröder wahrlich nicht fürchten!

Reformismus

Der Programmentwurf der Wahlalternative hat politisch nichts Neues zu bieten. Die Forderungen, Anschauungen und strategischen Rezepte finden sich in teilweise radikalerer Form in duzenden SPD- und PDS-Programmen.

Die Bedeutung das Programmentwurfs für die weitere Entwicklung der WASG darf aber nicht ignoriert werden. Es geht darum, dass von Beginn an ein reformistischer, klassenversöhnlerischer Charakter ihrer Politik festgeschrieben werden soll.

Die Chance, dass aus dem Bruch Tausender mit der SPD auch ein Bruch mit ihren politischen Grundlagen wird - wird durch die Festschreibung einer solchen Politik minimiert. Die WASG droht, eine Totgeburt zu werden!

Das auch in der WASG häufig vorgebrachte Argument, dass es für ein anderes, direkt sozialistisches, kommunistisches, revolutionäres Programm heute "zu früh" wäre, ist in mehrfacher Hinsicht Unsinn.

Erstens geht es nicht davon aus, was heute notwendig ist, um den Klassenkampf weiterzubringen, sondern was gerade "akzeptabel" erscheint. Dass die große Mehrheit der Arbeiterklasse heute ein revolutionäres Programm nicht vertritt, ist Teil des Problems mangelnder Widerstandsfähigkeit der Lohnabhängigen. Die Aufgabe von KommunistInnen besteht gerade im Formierungsprozess einer neuen Partei darin, eine solches Programm in die Klasse hineinzutragen und in der Debatte zu vertreten.

Zweitens bedeutet es, die politische Vorherrschaft "freiwillig" und im voraus den Führungskräften der WASG zu überlassen. Der reformistische Programmentwurf ist schließlich nicht vom Himmel gefallen. Er spiegelt die politische Überzeugung und die soziale Lage der Initiatoren der WASG - einer Reihe linker Gewerkschaftsbürokraten und "sozialistischer" Intellektueller wieder.

Ihr Ziel ist es, die WASG zu einem Druckmittel für eine andere Politik der SPD zu machen, die Sozialdemokratie zurück zu einem keynesianischen Kurs zu bringen, um so den WASG-Programmentwurf im Rahmen einer bürgerlichen Regierung durchzusetzen.

Wie "realistisch" eine solches Vorhaben ist, sei dahingestellt. In jedem Fall ist es aber eine Blockade, ein Hindernis für die Entwicklung des Klassenbewusstseins reformistischer ArbeiterInnen, die zur WASG kamen und eine politische Alternative zur SPD suchen, auch wenn sie noch nicht mit reformistischem Bewusstsein gebrochen haben.

Daher muss der Reformismus insgesamt von Beginn an kritisiert werden, müssen RevolutionärInnen in der WASG von Beginn an ein revolutionäres Programm vertreten. Ansonsten wird die ohnedies geringer werdende Chance, die WASG zu einer Kampfpartei zu machen, im voraus vertan und nur eine weitere reformistische Minipartei herauskommen. Reformistische Parteien gibt es in Deutschland aber schon genug - eine dritte Sozialdemokratie braucht die Arbeiterklasse nicht!

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Nr. 95, November 2004

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*  Europäisches Sozialforum: Zwiespältige Bilanz
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*  Präsidentenwahlen in den USA: Pest oder Cholera?
*  Heile Welt
*  Neue Linkspartei in Brasilien: P-SOL, Schattige Sonne
*  17. November: Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag!




Zu dieser Broschüre

Kampfpartei oder nur Wahlverein?

Exkurs: Arbeiterparteitaktik

Anhang: Linksruck auf Rechtskurs

Alternative Keynes?

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Für ein revolutionäres Programm!