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Präsidentenwahlen in den USA

Pest oder Cholera?

J.R. McColl, Neue Internationale 95, November 2004

Wenn Meinungsumfragen in den USA überhaupt glaubwürdig sind, könnte George W. Bush eine zweite Amtszeit im Weißen Haus bestimmt zu sein. Das verwundert, wenn man sich Bushs Regierungsbilanz ansieht. Unter seiner Administration gingen einige Millionen Arbeitsplätze verloren, die Zahl der AmerikanerInnen, die unter der Armutsgrenze leben, stieg deutlich an, 1,5 Millionen leben ohne jede Krankenversicherung. Dazu kommt noch die verbreitete und zunehmende Unbeliebtheit Bushs wegen der blutigen Besatzung des Irak.

Bush hat mehr Leid hervorgerufen als jeder US-Präsident davor, vielleicht mit Ausnahme Richard Nixons und seines Vietnam-Krieges. Bushs Präsidentschaft und besonders der Irak-Krieg haben Massenproteste in einem Ausmaß provoziert, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Anti-Bush-Bewegung

Eine halbe Million DemonstrantInnen zogen am 29. August auf die Straßen New York Citys in einer der größten Demonstrationen der US-Geschichte, um gegen Bush und die Tagung der Versammlung der Republikaner zu protestieren. Michael Moores anti-Bush-Dokumentarfilm "Fahrenheit 9/11" hat wahre Kassenrekorde aufgestellt.

Natürlich können die Umfragen trügen. Immerhin konnte Kerry in den Fernsehdebatten gegen Bush deutlich punkten. Auch die vereinten Anstrengungen von Bruce Springsteen und REM, die für Kerry durch die Lande tingeln, könnten die Stimmung kippen.

In den hart umkämpften "Wechselwählerstaaten" ist die Stimmrechts-Registrierung unter jungen Leuten abrupt gestiegen; eine klare Mehrheit hat sich als DemokratInnen erfassen lassen - was die Umfragen normalerweise nicht wiedergeben. In Cleveland (Ohio), einer Industriearbeiterstadt, lassen sich neue WählerInnen zweimal so schnell registrieren wie vor vier Jahren.

Ein Sieg Bushs würde nur das Versagen von John Kerrys Kampagne widerspiegeln. Nachdem Kerrys Kampagne lange vor sich hin dümpelte, hat Kerry nun seine absurde Pose des "Chefkommandanten im Wartestand" aufgegeben und begonnen, die von der Bush-Administration vertretenen Argumente für den Kriegseintritt gegen den Irak angegriffen. Doch er vertritt weiter öffentlich, die Militärpräsenz im Irak volle vier Jahre aufrecht zu erhalten - jedoch mit mehr UNO-Truppen. Weiter wird Kerry nicht gehen - und er kann es auch nicht.

Kerrys Demokraten stehen unter einem "ererbten" Zwang, d.h. sie wagen nicht, fundamental mit dem Konsens über die "Außenpolitik" des US-Imperialismus nach dem 11.9. zu brechen.

Ungeachtet der Tatsache, dass 90% der Delegierten auf dem Konvent seiner Partei im Juli zum Ausdruck brachten, dass sie in Opposition zum Irakkrieg stehen, darunter Milliardäre wie Warren Buffett und George Soros, sind die vorherrschenden Kapitalfraktionen in den USA nicht bereit, in irgend einer nahen Zukunft aus dem Irak abzurücken, weil die Gesamtkosten einer letztlich demütigenden Niederlage jeden der möglichen Vorteile überwiegen würden.

Bush war ganz unverschämt der Chefexekutor der gigantischen Multis, er hat die obere Mittelklasse mit Steuersenkungen verwöhnt, die HafenarbeiterInnen an der Westküste und die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor geschlagen sowie weitere Branchen dereguliert.

Bushs Vorsprung an Wahlkampfzuwendungen durch das Großkapital ist in den meisten Wirtschaftssektoren gering - natürlich mit der Ausnahme der Öl-, Gas- und extraktiven Industrien, von denen geschätzte 90% der Spenden an Bush gehen. Unabhängig vom genauen Stand der Spendenkonten sind Demokraten wie Republikaner aber konsequent den Interessen der Kapitalisten verpflichtet und ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig. Doch Kerry und seine Demokraten "plagt" ein Widerspruch - zu ihrer "Basis" in der US-Arbeiterklasse, die bisher traditionell "demokratisch" wählte und Illusionen hat, dass die Demokraten das kleinere Übel wären.

Doch die Demokraten sind jene Partei, die den ersten Kalten Krieg einschließlich des Korea-Krieges startete; sie waren es, die unter Kerrys Idol John F. Kennedy den Krieg gegen Vietnam intensivierten. Es war der demokratische Präsident Clinton, der - wie heute Bush - einseitige Militärinterventionen ohne Billigung der UNO in Haiti und auf dem Balkan startete und die Sanktionen erließ, welche hunderttausenden Irakis während der 1990er Jahre das Leben kostete.

Die organisierte Arbeiterbewegung hat dabei meist sklavisch die Militärabenteuer des US-Imperialismus unterstützt oder verharrte passiv.

Doch während des Irak-Krieges nahmen bedeutende Schichten der organisierten Arbeiterschaft - manchmal entgegen ihren nationalen Gewerkschaftsbürokratien - Positionen ein, die offen gegen den aktuellen Krieg und die Besatzung auftreten und auch mit der Linie Kerrys und der Demokraten unvereinbar sind.

Arbeiterbewegung

Ende August diesen Jahres schlossen sich die Communication Workers of America (CWA), die Service Employees (SEIU), American Federation of State, County und Municipal Employees (AFSCME), Postal Workers (APWU), Mail Handlers (Untergliederung der Laborer‘s Union - LIUNA) und die Federations of Labor von Kalifornien, Maryland und Washington/DC zusammen und unterstützten klare Antikriegsresolutionen. Gegenwärtig unterstützen diese Organisationen mehr oder weniger Kerrys Kampagne. Insgesamt sponsern die Gewerkschaften den demokratischen Kandidaten mit etwa 65 Millionen Dollar.

Diese Fakten sowie die Größe der Antikriegs-Proteste verweisen auf die Möglichkeit für eine "dritte Partei", eine echte "Arbeiterpartei", unabhängig vom prokapitalistischen und imperialistischen Geschwisterpaar aus Demokraten und Republikanern und mit wirklicher Verankerung in der Arbeiterklasse und bei den durch Rassismus, Sexismus und Homophobie Unterdrückten.

Trotz des Fehlens einer solchen Partei seit Jahrzehnten ist sie kein utopischer Wunschtraum. Sie ist eine reale Möglichkeit in der kommenden Periode.

Was immer das tatsächliche Ergebnis dieses Wahlgangs sein wird, so werden sich die vor SozialistInnen in den USA stehenden Aufgaben nicht grundsätzlich ändern, selbst wenn Bush erneut gewinnen sollte.

Die außergewöhnliche Kraft des Marsches durch Manhattan am 29. August ist ein gewaltiges Fanal dafür, dass kämpferische Jugendliche und US-ArbeiterInnen eine eigene Alternative zu Bush/Cheney, Kerry/Edwards und dem System globaler Ausbeutung und Unterdrückung, das alle diese Vier mit Haut und Haaren verteidigen, aufbauen wollen und können.

Naders seltsame Gefährten

 

Bereits 2000 trat Ralph Nader als US-Präsidentschaftskandidat der Grünen Partei an. Er erhielt zwar nur 3% der Stimmen, wurde aber trotzdem von der Demokratischen Partei bezichtigt, Bush den Einzug ins Weiße Haus ermöglicht zu haben.

Damals mangelte es Nader zwar an wirksamer Unterstützung durch die Gewerkschaften, dafür gewann er aber die Unterstützung einer Vielzahl "linker" Künstler, AkademikerInnen, aber auch politischer Organisationen, darunter auch der "International Socialist Organisation" (ISO), der ehemaligen Schwesterorganisation von Linksruck.

Heute lanciert Nader wieder eine Präsidentschaftskampagne, doch diesmal nicht als Kandidat der tief zerrissenen Grünen. An die Stelle etlicher Grüner, die ihm die Gefolgschaft aufgekündigt haben, traten höchst dubiose Wohltäter und Medienstars - darunter der frühere Redenschreiber Nixons, "gewendete" Rechtspopulist und antisemitische Demagoge Pat Buchanan. Zu Naders neuen UnterstützerInnen gehören auch RepublikanerInnen, die ihn finanziell unterstützen. Ca. 10% von Naders Wahlkampffonds scheint von Bush-ProponentInnen zu kommen.

Wie damals gibt die britische "Socialist Workers Party" (SWP) auch heute Nader eine - nicht besonders kritische - Unterstützung. SWP-Vordenker Alex Callinicos hat einige berechtigte Salven auf Kerry und die DemokratInnen abgefeuert, die Nader-Kandidatur aber gelobt. Am 25. September behauptet ihr Organ "Socialist Worker", Naders Kandidatur weise "in die richtige Richtung".

Ein Brief des langjährigen SWP-Mitglieds Nick Grant in der Ausgabe des Blattes vom 1. Oktober ist da scharfsichtiger:

"Im Lauf eines Monats, den ich in Los Angeles, San Francisco und New York weilte, begegnete ich nicht einem Flugblatt, Stand, Plakat oder einer öffentlichen Veranstaltung für die Nader-Kampagne. Obwohl diese Gegenden die liberalen Hochburgen der USA sind … trat er nur dadurch in Erscheinung, dass es Presseberichte über seinen Rechtsstreit bezüglich der … Stimmzettel gab. Andererseits gab es regelmäßige Rekrutierung der DP und Stände mit Einschreiblisten in Einkaufszonen, bei Musikveranstaltungen und Reisesammelpunkten."

Bezeichnend für Naders Kandidatur und Wahlkampf ist, das seine Kampagne in keines der verschiedenen Bündnisse, die in Opposition gegen die im Gefolge des 11.9. von Washington geführten Kriege entstanden sind, eingebunden ist - wie kritisch Nader auch zuweilen zu Bushs "Krieg gegen den Terrorismus" steht. Es zeigt auch das nahezu vollständige Fehlen von Unterstützung durch jene Hunderttausenden, die am 29. August auf den Straßen New Yorks gegen Bushs Krieg marschierten.

Es gibt keinen Grund und keine Entschuldigung für die fatale Unterstützung Naders durch die SWP und ihre Ex-Schwestergruppierung ISO. Sie geben vor, Naders Kampagne sei eine Art Abkürzung zu einer Arbeiterpartei in den USA. Doch weder die Grünen noch Nader selbst stützen sich auf die Arbeitermassen, geschweige denn haben sie ein Programm, wie der Klassenkampf effektiv und erfolgreich geführt werden kann.

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Nr. 95, November 2004

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*  Präsidentenwahlen in den USA: Pest oder Cholera?
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