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Nach der bundesweiten Demo am 2. Oktober

Wie weiter im Kampf?

16 Thesen von Arbeitermacht, Neue Internationale 95, November 2004

1 Am 2. Oktober demonstrierten in Berlin gegen Hartz IV rund 50.000 Menschen, die höchsten Schätzungen sprechen von 70.000. Am 3.10. waren es noch einmal 5.000 bis 10.000, die durch Berlin zogen.

2 Die Montagsdemonstrationen, die den Anstoß für den 2. Oktober gaben, stehen in einer Reihe mit den Mobilisierungen seit dem 1. November 2003. Sie alle richteten sich gegen den aktuellen Generalangriff von Kapital und Regierung. Vor diesem Hintergrund muss auch beurteilt werden, ob der 2. Oktober in der Mobilisierung gegen die Agenda 2010 ein Schritt vorwärts war.

3 Insgesamt drückt der 2. Oktober eine Stagnation der Bewegung aus. Das zeigt sich in der Zahl der TeilnehmerInnen. Die Demonstration am 2. Oktober brachte keinen neuen Mobilisierungshöhepunkt - sowohl nach den Montagsdemos, auf deren Höhepunkt rund 200.000 Menschen auf der Straße waren, noch gegenüber den 100.000 vom 1. November 2003, die damals gegen den Willen der Gewerkschaftsführungen demonstriert hatten.

4 Die genau Zusammensetzung der TeilnehmerInnen ist schwer einzuschätzen. Auffällig war jedoch die relativ starke Präsenz der PDS und die von lokalen Gewerkschaftsgliederungen - insgesamt also von Kräften, die dazu übergehen, für "Nachbesserungen" von Hartz IV einzutreten. Viele Demonstrierende waren Erwerbslose. Gegenüber dem 1.11. war jedoch der Anteil von ArbeiterInnen aus Großbetrieben geringer.

5 Der Rückgang der TeilnehmerInnen aus Großbetrieben, wie die Stagnation generell, lässt sich mit der Niederlage erklären, in welche die Bürokratie der IG Metall die ArbeiterInnen bei Siemens und bei DaimlerChrysler geführt hat. Bei Daimler hat die IGM einen enormen Organisationsgrad und dominiert an allen Standorten die Betriebsräte. Die Belegschaften waren zum Kampf bereit. Am 15.7. waren über 60.000 auf den Strassen im Protest vereint, davon allein die Hälfte im Raum Stuttgart, wo die ArbeiterInnen von Porsche, Bosch und anderen bereit standen, sich im Streik mit den DC-KollegInnen zu vereinen. Ein Streik mit einem solchen Potential hätte nach drei Tagen die gesamte Automobilindustrie in Europa einbeziehen können. Auch die jüngste Besetzung des Opel-Werks in Bochum wurde von der Gewerkschaftsbürokratie und dem (Gesamt)Betriebsrat erst nicht unterstützt und dann beendet. Das zeigt, dass die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung noch soweit die Kontrolle über diese Kerntruppen des Proletariats hat, dass sie sowohl eine Ausweitung und eine Politisierung der Bewegung gegen die Agenda/Hartz verhindern als auch den Belegschaften die Annahme des Verzichtsprogramms aufzwingen kann.

6 Der 2. Oktober brachte die Stagnation der Bewegung zum Ausdruck, auch wenn sie von vielen Teilnehmenden als Erfolg betrachtet wurde. Positiv daran ist, dass sich darin eine weiter bestehende Kampfbereitschaft ausdrückt. Allerdings schrumpfen seither die Montagsdemos weiter. Auch am 4. Oktober gingen die Teilnehmerzahlen deutlich zurück. In vielen Städten gibt es keine oder nur noch kleine Montagsdemos.

7 Vorerst gehen die Montagsdemos und der im August spontan von unten entstandene Widerstand deutlich zurück. Das führt auch dazu, dass der Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie, die Bewegung gegen Hartz IV zu unterstützen, faktisch zum Erliegen gekommen ist, was wiederum zu einem weiteren Rückzug der Gewerkschaften aus der Mobilisierung führt.

8 Die Stagnation der Bewegung drückt sich auch und vor allem darin aus, dass es keine klare Perspektive des Widerstandes vor Ort und bundesweit gibt. Zwar wird dieses Problem immer mehr TeilnehmerInnen bewusst, und es wurde z.B. auf der Aktionskonferenz in Frankfurt/Main Mitte September artikuliert. Aber es gibt bisher keine Lösung. Daher ist es dringend notwendig, eine bundesweite Aktions- und Perspektivkonferenz vorzubereiten und einzuberufen, die diese Frage diskutiert und beantwortet.

Diese Konferenz kann und muss ein Impuls zum Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung sein, die in Betrieben, Gewerkschaften und in der Bewegung gegen Hartz und Agenda verankert ist. Diese Bewegung muss einheitliches Handeln auf Basis eines Aktionsprogramms mit lebendiger Arbeiterdemokratie verbinden. Sie könnte nicht nur die verschiedensten Kämpfe und Initiativen verbinden - sie müsste zugleich als organisierte politische Alternative zur herrschenden Gewerkschaftsbürokratie wirken und die Bewegung aus deren politischem Würgegriff befreien.

9 Der Niedergang der Montagsdemos kann nicht durch bloßes Durchhalten gestoppt werden (und schon gar nicht durch weltfremdes Schönreden der Bewegung, wie es die MLPD mit dem 3. Oktober tut).

10 Es geht vielmehr darum, die vorhandenen Mobilisierungsstrukturen und Bündnisse, die 10.000e, die am 2. Oktober in Berlin waren, die Lohnabhängigen in den von Schließungen, Lohnraub, Arbeitszeitverlängerung betroffen zusammenzuführen. Die Montagsdemos, die noch stattfinden, oder die Mobilisierungsbündnisse können und müssen Aktionen vor Karstadt/Quelle, vor den Textilbetrieben, die in Westdeutschland jetzt in eine wichtige Tarifrunde gehen, planen und durchführen. Insbesondere der Tarifrunde bei VW wird nach den Konflikten in anderen Automobilkonzernen der letzten Zeit eine besondere Rolle zukommen und in diesem zentralen Bereich möglicherweise die Weichen dafür stellen, ob es noch vor Jahresende zu verallgemeinerten Streikkämpfen kommt oder nicht. Auch der 6. November in Nürnberg - die bundesweite Demonstration vor der Bundesagentur für Arbeit - und der Aktionstag am 17. November sind zentrale Teiletappen im Rahmen einer solchen Ausrichtung.

11 Nach dem Abflauen der Montagsdemos wird sich wahrscheinlich im nächsten Frühjahr eine weitere Protestwelle gegen die Hartz-Gesetze entwickeln, wenn über eine Million Menschen weniger oder gar kein ALG II erhalten werden

12 Auch dann aber werden wir vor dem Problem stehen, wie die Bewegung zum Erfolg geführt werden kann. Wie Montagsdemos und betriebliche Abwehrkämpfe zu politischen Massenstreiks bis hin zum Generalstreik weiter entwickelt werden können.

13 Dazu ist es vor allem nötig, dass sich die in der Bewegung aktiven Lohnabhängigen, die Jugendlichen, RentnerInnen usw. auch der Frage zuwenden, für welche politische und ökonomische Alternative zum globalen Kapitalismus sie kämpfen wollen und können. Wenn wir nur an die Frage des Kampfes gegen die Angriffe auf Arbeitsplätze und Arbeitszeit in der Industrie oder im Handel denken, wird unmittelbar klar, dass eine erfolgreiche Abwehr eines aktuellen Angriffs - so wichtig und ermutigend sie für sich auch ist - nur ein Zwischenergebnis sein kann. In kurzer Zeit werden wieder neue Angriffe beginnen. Es ist klar, dass sich die Generaloffensive von Kapital und Kabinett nicht nur auf der Ebene eines Betriebes beantworten oder gar lösen lässt. Sie lässt sich aber auch nicht durch die Beschwörung neokeynesianischer Rezepte lösen.

14 Die Krise des Kapitalismus erfordert vielmehr eine allgemeine, politische und v.a. internationale Antwort. Dass auch das jüngste Europäische Sozialforum in London keinen Schritt zur Schaffung einer dauerhaften Struktur zur Organisierung des Abwehrkampfes über Ländergrenzen hinaus gegangen ist, zeigt, dass wir über die Ländergrenzen hinaus vor einem ähnlichen strategischen Problem bei der Organisierung von Widerstand stehen.

15 Wie wir in unserem Flugblatt zum 2. Oktober festgestellt haben, reicht es jedoch nicht aus, sich auf den Aufbau der Bewegung zu beschränken. In der Tat wird diese und jede zukünftige Mobilisierung immer wieder an eigene Grenzen stoßen müssen, wenn es nicht gelingt, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen - eine politische Kraft, die die heterogene Bewegung, die verschiedenen Teilkämpfe, die verschiedenen Auseinandersetzungen auf Grundlage einer politischen Gesamtstrategie, eines Programms verbindet.

16 Ein solches Programm darf sich nicht auf einen mehr oder weniger kämpferischen Katalog von Abwehrforderungen beschränken - es muss vielmehr eine Brücke darstellen von den aktuellen Abwehrkämpfen gegen Agenda 2010 und Hartz-Gesetze zum Kampf um die sozialistische Revolution.

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Nr. 95, November 2004

*  Nach der bundesweiten Demo am 2. Oktober: Wie weiter im Kampf?
*  Opel Bochum: Besetzung und Ausverkauf
*  Europäisches Sozialforum: Zwiespältige Bilanz
*  Programmentwurf der Wahlalternative: Das Wunder der Binnennachfrage
*  Herbst 1989, Ende der DDR: Halbe Revolution, ganze Konterrevolution
*  Präsidentenwahlen in den USA: Pest oder Cholera?
*  Heile Welt
*  Neue Linkspartei in Brasilien: P-SOL, Schattige Sonne
*  17. November: Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag!