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Uni-Streiks

Eine Zwischenbilanz

Ferdinand Vep, Neue Internationale 88, März

Die erste Runde der Studentenstreiks 2003/2004 ist zu Ende. Auch wenn der Frontalangriff nicht abgewehrt werden konnte, wäre es aber einseitig, nur von einer Niederlage zu sprechen. Die Bewegung hat gleichzeitig eine große Schicht aktiver Studierender hervorgebracht, die nicht demoralisiert wurden und zu einer spürbaren politischen Belebung an den Hochschulen geführt hat.

An den meisten deutschen Unis und Hochschulen gab es Streiks und Proteste gegen die geplante Einführung von Studiengebühren, die Privatisierung und den Abbau von demokratischen Rechten.

Die studentischen Vollversammlungen, auf denen Beschlüsse über Kampfmaßnahmen gefasst wurden, waren oft gut besucht und damit auch hinreichend demokratisch legitimiert. Nach außen getragen wurde dieser Protest durch zahlreiche Demonstrationen, durch Besetzungen von Straßen, Parteibüros und Zeitungsredaktionen sowie durch viel "fantasievolle Aktionen" in Fußgängerzonen.

Dauer und Intensität der Aktionen waren von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Während an manchen Orten offizielle Streikbeschlüsse erst Anfang 2004 gefasst wurden und bis Semesterende gestreikt wurde, war woanders der Zenit der Aktivitäten im Dezember bereits überschritten.

Getragen wurden die Streiks meist von linken Hochschulgruppen oder autonom orientierten Zusammenschlüssen. Erfreulicherweise gelang es, frische, bislang unorganisierte Kräfte in die Bewegung einzubinden. Neben diesen AktivistInnen spielten mancherorts auch SPDler oder Grüne ein tonangebende Rolle, v.a. in CDU-Ländern.

Unterschiede

Dementsprechend variierten die Schwerpunkte der Argumentation über Ziele und den Einsatz von Mitteln. Die Illusion der Freiheit von Forschung und Lehre in einem Boot mit den ProfessorInnen wurde ebenso propagiert wie Modelle einer "Gegenuniversität" im Interesse der arbeitenden Bevölkerung. Die Verkündigung einer neuen außerparlamentarischen Opposition war ebenso Diskussionsgegenstand wie Verhandlungen mit der Bürokratie.

Dass die Ziele und die politische Bandbreite der Bewegung breit gestreut waren, liegt in der Natur der Sache. Die StudentInnenschaft hat nicht nur einen hohen Fluktuationsgrad. Sie ist auch sozial als Schicht nicht einheitlich.

An der Universität werden aktuelle und zukünftige Angehörige aller Klassen reproduziert, für andere wiederum ist sie trotz aller objektiven Proletarisierungstendenzen der Mehrheit ein Sprungbrett zum wirklichen oder erhofften Aufstieg. Es ist daher klar, dass sie auch keine gemeinsamen Klasseninteressen formulieren können, dass jede Studentenbewegung vielmehr auch ein Kampf um die politische Vorherrschaft der VertreterInnen unterschiedlicher Klassenstandpunkte ist.

Die Angriffe der Kultusbürokratie haben aber dazu beigetragen, dass der Staat und die Unternehmer von der Bewegung als Gegner erkannt worden sind. Doch wie diese Gegner zu bekämpfen sind - darüber herrschte Unklarheit.

Die StudentInnen können diesen Kampf auf sich allein gestellt nicht gewinnen. Dazu ist der Feind zu mächtig und zu entschlossen, die Umgestaltung des gesamten Bildungswesens im Interesse des Kapitals voranzutreiben. Er wird auch die Semesterferien dazu nutzen. Dieses Handicap haben die StudentInnen zusätzlich zu tragen.

Deswegen war auch die Fortführung des Kampfes nach dieser erzwungenen Pause, die die Schlagkraft der Studentenbewegung schwächt, in der sich der Gegner einen Vorteil verschaffen und seine Reformen voran treiben kann, Gegenstand der Beratungen auf den Vollversammlungen.

Um zu vermeiden, dass zu Beginn jeder neuen Vorlesungszeit wieder auf einen Zündfunken gewartet und dann mühsam neue Anläufe zur Mobilisierung unternommen werden müssen, reichen Vorbereitungsgruppen an einzelnen Unis nicht aus. Notwendig ist ein bundesweiter zentraler Aktionsausschuss, der die Koordination der kommenden Aktivitäten bundesweit leiten muss. Dieses Gremium muss aus lokalen AktivistInnenkonferenzen hervorgehen.

Zweitens brauchen die StudentInnen Verbündete. So erfreulich bspw. die vielen auf den UNI-Vollversammlungen eingebrachten Solidaritätserklärungen mit dem Streik der Metaller und der Bewegung gegen die Agenda auch waren; es wurde versäumt, sie praktisch umzusetzen. Hier waren wir schon einen Schritt weiter, als in Hamburg vor zwei Jahren studentische Abordnungen den Bauarbeiterstreik vor Ort unterstützten und im Gegenzug Bauarbeiter auf einer universitären Vollversammlung sprachen.

Wir brauchen also den Erfahrungsaustausch und Aktionsbündnisse der StudentInnen mit im Kampf gegen den gleichen Feind befindlichen Teilen der Arbeiterbewegung, mit den Sozial- und Widerstandsforen, mit Arbeitsloseninitiativen, Immigrantenorganisationen. Nur so kann die Kontinuität im Kampf gesichert und der Kampf gemeinsam gewonnen werden.

Lehren

Dass es oft statt gemeinsamer Aktionen nur zu gemeinsamen Erklärungen reicht, liegt einerseits v.a. daran, dass die Gewerkschaftsführung kein Interesse hat, die Kämpfe der StudentInnen mit gewerkschaftlichen Aktionen oder gar Streiks zu verbinden.

Das würde schließlich über den Rahmen von tariflichen, d.h. ökonomischen Kämpfen hinausgehen - eine für BürokratInnen ungemütliche Vorstellung.

Zum anderen ist bei den StudentInnen das Bewusstsein, dass jeder ernsthafte Kampf immer nur dann zustande kommt oder ausgeweitet werden kann, wenn er zugleich mit einem politischen Kampf gegen die Bremsmanöver des reformistischen Apparats verbunden ist.

Ein solches Bewusstsein und das Wissen über die zweckentsprechenden Mittel dazu wachsen aber auch dem intelligentesten Studiosus nicht über Nacht. Dazu sind ein revolutionäres Programm und eine marxistische Organisation nötig. An beiden fehlte es aber an allen Hörsaalecken und -enden.

Dieser Uni-Streik war nicht der erste und wird nicht der letzte bleiben - dafür werden schon allein der neoliberale Umbau des Bildungswesens und die sozialen Angriffe der Regierung sorgen. Doch es ist nötig, aus den Erfahrungen dieses Streiks die Lehren zu ziehen, um beim nächsten Mal effektiver und erfolgreicher kämpfen zu können.

Nutzen wir die Proteste und Aktionen gegen die Agenda, um Arbeiterbewegung und Studierende zusammenzuführen!

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Nr. 88, März 2004

* Aktionstage am 2./3. April: DGB-Führung bremst
* Metall Tarifrunde 2004: Vergebene Chancen
* Heile Welt
* SPD mit neuer Spitze: Wechsel ohne Wandel
* Uni-Streiks: Eine Zwischenbilanz
* Studentenstreik: Bremer Erfahrung
* 200. Todestag Kants: Freiheit, philosophisch betrachtet
* Demokratischer Rassismus: Nein zum Kopftuchverbot!
* Slowakei: Hungeraufstand der Roma
* Wahlen im Iran: Weg mit dem Mullah-Regime!
* Brasilien: Tropischer Blairismus
* München: Solidarität mit den Festgenommenen!
* Deutschland rüstet nach: Militärische Globalisierung