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Demokratischer Rassismus

Nein zum Kopftuchverbot!

Susanne Kühn, Neue Internationale 88, März 2004

Vor einem halben Jahr hat das Bundesverfassungsgericht das "Kopftuchurteil" erlassen. Danach wurden in etlichen Bundesländern Gesetze auf den Weg gebracht, die muslimischen Lehrerinnen, Schülerinnen - in Hessen sogar allen Beamtinnen - das Tragen von Kopftüchern während der Arbeitszeit verbieten.

Zuwiderhandelnden drohen Sanktionen: Nicht-Einstellung, also Berufsverbot, oder Entlassung im Fall von Lohnabhängigen. Schülerinnen droht der Schul-Ausschluss.

Hinter diesen Maßnahmen steht in Wirklichkeit - Rassismus. Das zeigt ein Blick auf die zentralen Argumente der BefürworterInnen des Kopftuchverbotes, die ihre Position abwechselnd als Sorge um die "Trennung von Staat und Religion" oder vor dem "Vormarsch des Islamismus" ausgeben.

Das Kopftuchverbot mache nun endlich auch in Deutschland mit der Trennung von Kirche und Staat ernst.

Dabei werden jedoch zwei Dinge vermischt. Die korrekte Forderung, dass Staat und Religion zu trennen sind, meint eigentlich, dass der Staat jede Werbung und materielle Unterstützung einer Religion zu unterlassen hat.

Kirche und Staat

Das heißt: Verbot religiösen Schulen, Schluss mit dem Religionsunterricht, keine Schulgebete, keine Eintreibung der Kirchensteuer, Aufkündigung des Konkordats (Staatsvertrag mit dem Vatikan), Entfernen von Kruzifixen (und der wenigen anderen religiösen Symbole) aus Schulen oder Behörden.

Die Forderung nach Trennung von Kirche und Staat dient also dazu, einer reaktionären gesellschaftlichen Vereinigung - z.B. der Kirche oder einer religiösen Gemeinschaft - den systematischen Zugriff auf die Bewusstseinbildung der Massen (in diesem Fall der SchülerInnen) zu verwehren und ihr materielle und ideologische Privilegien zu streichen.

Bei der Kopftuch-Debatte wird die Sache aber zu einer individuellen Bekleidungsvorschrift umgedreht. Das Tragen eines religiösen Symbols - durch ein Individuum (!) - wird zum Gegenstand behördlicher Drangsalierung.

Kein Wunder, dass sie den vorgeblichen Zweck - den reaktionären Einfluss der islamischen Religion und die im Kopftuch symbolisierte Unterdrückung der Frau zurückzudrängen - verfehlt. Vielmehr wird ein Verbot des Kopftuchs den Islam unter den muslimischen Frauen eher noch bestärken.

Das Vordringen des Islam unter ImmigrantInnen aus den arabischen Ländern oder der Türkei hat seine materiellen Ursachen darin, dass er als eine Hoffnung, ein, wenn auch illusorischer, "Ausweg" erscheint - angesichts der zunehmenden materiellen Misere, wachsender Arbeitslosigkeit, rassistischer Diskriminierung und der Unfähigkeit der Arbeiterklasse, eine gemeinsame Kampfperspektive gegen Imperialismus und Unterdrückung zu weisen.

Das ändert zwar nichts daran, dass der Islam - wie jede Religion - grundsätzlich eine reaktionäre Ideologie ist. Aber gläubige ArbeiterInnen oder Kleinbürger werden nicht von den klerikalen Weltverdrehern geheilt, indem ihnen Kleidervorschriften gemacht werden.

Das trifft nicht nur auf den Islam zu. Genauso wäre es bei der katholischen oder evangelischen Kirche der Fall, würde jemand den absurden Vorschlag machte, Millionen Gläubigen das Tragen des Kruxifixes zu verbieten.

Religion = Religion?

Jeder weiß, dass ein solcher Vorschlag in Deutschland unrealisierbar wäre, weil gegenüber dem imperialistischen Staat und der deutschen Gesellschaft Christentum und Islam genauso wenig gleich sind wie "Deutscher" und "Immigrant".

Die großen christlichen Kirchen (und nicht einfach "die Religionen") sind eng mit dem Staat verwoben; sie sind eine wichtige ideologische Stütze des deutschen Imperialismus und eng verquickt mit dem Herrschaftsgefüge der deutschen Bourgeoisie. Das ist der Islam hierzulande nicht.

Das bringen bürgerliche Politiker auch ganz unverhohlen zum Ausdruck, wenn sie das Kopftuchverbot damit begründen, dass es der herrschenden, christlichen "Werteordnung" diene.

Rassismus

Auf seine berühmt moralinsaure Art vertritt das auch Bundestagspräsident Thierse, ein Mann, der es versteht, jedes Klasseninteresse hinter einer Hülle demokratischer Banalitäten und ideeller Schnurren zu verstecken.

Ein generelles Verbot religiöser Symbole lehnt dieser sozialdemokratische Betbruder "selbstverständlich" ab. Schließlich empfindet er "das Kopftuch gerade als ein Zeichen eines sich verstärkenden Islamismus".

Dieser werfe nämlich ganz andere Fragen auf, als Thierses eigene Religion - "die Frage nach der Anerkennung der Grundwerte unserer Verfassung ... Diese Frage können wir islamgläubigen Bürgern dieses Landes nicht ersparen." Warum das Tragen eines Kopftuches eine Antwort darauf sein soll, erklärt uns der Herr Thierse freilich nicht.

Darum geht es ihm und seinesgleichen aber auch gar nicht. Hinter seinen "demokratisch-humanistischen" Erwägungen steckt ein rassistischer Generalverdacht gegen alle muslimischen ImmigrantInnen.

Wer die falsche Religion hat oder gar zum Ausdruck bringt, dem ist schließlich alles zuzutrauen - sogar, dass er es mit der Treue zu "unseren Grundwerten" nicht ernst meint. Die kopftuchtragende Muslimin hat nicht bloß die "falsche Religion" oder ist "nicht emanzipiert" genug. Ihr kann als rassistisch Unterdrückter vor allem nicht die richtige Staatstreue zugetraut werden.

So löst sich das ganze Gerede über "Religionsfreiheit" und "Frauenrechte" darin auf, der Verfassung des deutschen Imperialismus den Treueeid zu schwören und den bürgerlichen Staat zur Gesinnungsschnüffelei gegen "Verfassungsfeinde" aller Art zu legitimieren.

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Nr. 88, März 2004

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