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Neuaufteilung der Welt

Fitnessprogramm für de Bundeswehr

Jürgen Roth, Neue Internationale 216, Februar 17

Die spannendste Frage auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz wird wohl lauten: Wohin geht die Außen- und Militärpolitik der USA unter dem 45. Präsidenten? Bezüglich Trumps NATO-Politik gibt es Aussagen, dass sie veraltet sei, den Terrorismus nicht bekämpfe und die meisten Mitgliedsstaaten zu wenig in sie investieren. Auch bezüglich dieses weltweit größten Militärpaktes mit z. Zt. 28 Mitgliedsländern der Nordhemisphäre nimmt er also kein Blatt vor den Mund. Die neue US-Politik kann als entsicherte bezeichnet werden: bestehende Verträge werden annulliert, befreundete Bündnisse aufgemischt, feindliche auseinanderzudividieren versucht.

Wie in einem gewaltigen Rüttelsieb soll sich für die führende Weltmacht die Spreu vom Weizen trennen; was liegenbleibt, gerät umso enger ins Schlepptau der USA; was durchfällt, soll sich zum Teufel scheren. So kann man sich sowohl alte FreundInnen zu neuen FeindInnen machen wie auch zu absolut zuverlässigen Verbündeten. Diese Klarheit möchte sich der US-Imperialismus angesichts vorprogrammierter neuer Konflikte schnell verschaffen. Auf welche Seite werden sich die BRD und ihre Armee schlagen?

Weißbuch zur Sicherheitspolitik

Aufgabe dieses Grundlagendokuments der Bundesregierung, das von mehreren Ministerien erstellt sein kann, ist die Formulierung der sicherheits- und militärpolitischen Strategie für mehrere Jahre. Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) übersetzt diese dann in aller Regel in Verteidigungspolitische Richtlinien für die Truppe. Das Weißbuch 2016 spricht von „einer nie da gewesenen Parallelität und Größenordnung von Krisen und Konflikten“: zwischen 2013 und 2016 entglitt den intervenierenden Groß- und Regionalmächten zunehmend in Afghanistan, Syrien, Libyen, Somalia, im Irak und Jemen die Kontrolle.

Die Schlussfolgerung der Regierung daraus: Deutschland muss militärisch intervenieren, verliert aber im gesamten Band kein Wort über die Bilanz bisheriger Auslandseinsätze. Diese würde den Sinn der Interventionsmedizin schließlich gründlich in Frage stellen, ist sie doch maßgebliche Mitverursacherin des Leidens. Man entwickelt ein bereits fragwürdiges Bedrohungsszenario, dem man mit der noch fragwürdigeren Logik einer neuen deutschen Machtentfaltung in der internationalen Politik begegnen will.

Die neue deutsche Rolle in der Welt soll nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine militärpolitische Grundlage haben. Dieser „Gestaltungs- und Führungsanspruch“ rechtfertigt sich nicht mit eigenen imperialistischen Interessen, sondern wird „Verantwortung“ genannt, als habe die BRD nicht aus eigenen, freien Stücken vor, selber in die Weltpolizei aufzusteigen, sondern als rufe sie das Siechtum der Welt als Ärztin ans Krankenbett. Neben „Terrorismus“ und „Fanatismus“ wird v. a. Russland als globales, eigenständiges Gravitationszentrum als Bedrohung für Deutschland hingestellt. Der Kreml agiere gefährlich, heimtückisch und undurchsichtig. Was ihm als „hybride Kriegsführung“ vorgeworfen wird, erscheint spiegelbildlich auf der eigenen Seite als „internationale Verantwortung“. Dass EU und Bundesregierung den neuen Ost-West-Konflikt aktiv durch das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine mit herbeigeführt haben, das den Bruch mit Russland zur Bedingung hatte, darüber schweigt die neue Strategie. Das Bekenntnis der Bundespolitik zur NATO als nuklearem Bündnis soll u. a. auch deshalb Teilhabe an der Nuklearpolitik und Einbindung in die diesbezüglichen Bündnisplanungen gewähren. Die Entwicklung der heimischen Rüstungsindustrie wird als strategisches Ziel definiert, dem Auftragsvergabe und Exportsubventionen zu dienen hätten.

Am Ende geht es um mehr Geld für Rüstung, SoldatInnen, um mehr Auslandseinsätze, politischen Einfluss auf und Kontrolle über Territorien bzw. Regierungen, die Vermischung des Militärischen mit dem Zivilen (Polizei, Geheimdienste) und Propaganda zwecks Akzeptanz in der Bevölkerung.

Von der Wehrpflichtigenarmee zur Truppe im Einsatz

Nur 7 Jahre lang galt nach Gründung der Bundesrepublik das Motto: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!“ Die Gründung der Bundeswehr erfolgte 1956, gegen die Wiederbewaffnung gab es damals beträchtlichen Widerstand von KPD, aber auch SPD und Gewerkschaften. Die Streitkräfte waren von Anfang an in die NATO eingebunden, die drei Westalliierten hatten aus der Militarisierung des deutschen Reichs in der Zwischenkriegszeit gelernt. Im Zeichen des Ost-West-Konflikts war die Armee mittels einer Masse von Wehrpflichtigen v. a. auf einen Landkrieg mit den Staaten des Warschauer Pakts ausgerichtet. Der Bundeswehr wurden die atomare Bewaffnung ebenso wenig gestattet wie Auslandsstützpunkte und Einsätze. Das unterschied sie von den Siegermächten.

Mit der deutschen Wiedervereinigung unter kapitalistischer Regie und dem Zusammenbruch des Ostblocks, der Auflösung des Warschauer Pakts änderte sich zweierlei: die Atomwaffen verloren an strategischer Bedeutung, militärische Interventionen außerhalb des NATO-Territoriums waren problemloser denkbar. Es begann eine Übergangszeit, in der internationale Einflusssphären neu aufzuteilen begonnen wurde.

Die vergrößerte BRD war bei diesem Poker im Nachteil, sie war militärisch „nicht glaubwürdig“. Der Versuch einer Beteiligung am Golfkrieg gegen den Irak scheiterte 1991 u. a. noch am Protest der Bevölkerung. Doch Scheibchen für Scheibchen kämpfte sich der deutsche Imperialismus an Auslandskampfeinsätze heran. Zunächst kamen nur solche mit UN-Mandat in Frage, in denen deutsche Soldaten nicht kämpften und starben: ab 1992 bis 1996 gegen das serbisch dominierte Restjugoslawien ein Embargo, dann die Operationen Sharp Guard und Deny Flight, Beteiligung an den Truppen der IFOR und SFOR nach Ende des Bosnienkriegs.

Wurden diese Einsätze noch damit legitimiert, dass sie am Rande des NATO-Gebiets stattfänden, entsandte die Bundeswehr dann einen Sanitätsverband im Rahmen der UNO-Blauhelmmission UNTAC nach Kambodscha, schließlich 1993 ein Nachschub- und Transportbataillon, Fernmelder, Pioniere und Sanitäter im Rahmen der US-geführten Militärintervention UNOSOM II nach Somalia. Innenpolitisch diente der Somaliaeinsatz zur nachträglichen Legitimitätsbeschaffung der Out-of-area-Interventionen durch das Bundesverfassungsgericht (BVG). Mit der SPD war damals noch keine Grundgesetzänderung, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderte, zu machen. Das BVG sanktionierte diese Operationen, sofern sie in einem „System kollektiver Sicherheit“ wie NATO oder UNO erfolgten. Es war gleichgültig, wo sie stattfanden und ob NATO/UNO angegriffen wurden.

Nach diesem Dammbruch eskalierten die Auslandsübergriffe. Über die Etappen ALLIED FORCE, KFOR (Jugoslawien, Kosovo) erfolgte der Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee. Der Parlamentsvorbehalt gegenüber solchen Operationen wurde aufgeweicht, alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der PDS/DIE LINKE befürworteten sie. Der politischen Transformation folgte der militärische Umbau.

Auf dem Weg zur weltweiten Interventionsfähigkeit

Bis 2014 wurden rund 90 % der Kampfpanzer verschrottet oder verkauft. Die Truppenstärke sank von 495.000 Militärangehörigen während des Kalten Kriegs auf eine Sollstärke von 185.000 Anfang 2016. Nach Aussetzung - nicht Abschaffung (!) - der Wehrpflicht 2011 dienen „nur“ noch 5.000-12.500 freiwillig Wehrdienstleistende, 2.500 ReservistInnen und 170.000 Zeit- und BerufssoldatInnen.

Die strategische Ausrichtung änderte sich ebenfalls: von einem möglichen Landkrieg in Europa mit Massenstreitkräften hin zum Einsatz außerhalb des NATO-Gebiets, auch in Übersee. Die Armeestruktur wurde ab 1992 neu aufgeteilt: neben die 3 Teilstreitkräfte und die Grundorganisation traten sog. Krisenreaktionskräfte. Das Kommando Luftbewegliche Kräfte innerhalb des Heeres wurde in Regensburg aufgestellt. Aus ihm ging 2001 die Division Spezielle Operationen, 2014 die Division Schnelle Kräfte in Stadtallendorf hervor. Teil letzterer ist das 1996 gebildete Kommando Spezialkräfte (KSK). Ihm untersteht der gesamte Flugbetrieb des Heeres. 2016 wurde entschieden, ihm eine eigene Hubschrauberflotte zu beschaffen, die sein Einsatzspektrum erweitern und die Abhängigkeit von den US-amerikanischen Verbündeten mindern soll.

Für diese Truppenteile gilt das Motto: „Einsatzbereit. Jederzeit. Weltweit.“ Zu diesem Zweck wurde 2001 die Einrichtung eines Einsatzführungskommandos bei Potsdam umgesetzt. Für den Einsatz in Übersee beschaffte das BMVg bis 2013 3 Einsatzgruppenverbände (EGV) für die Marine. Damit sind landunabhängige Truppenverlegungen bis 30.000 km möglich. Bis 45 zu Tagen kann dadurch ein Marinekampfverband mit Hubschraubern unabhängig von einem Hafen ausharren.

Rechtzeitig mit Abschluss dieses grundlegenden Umbaus intervenierte die Bundeswehr im „Endloskrieg“ in Afghanistan (OEF, ISAF, RSM), aber auch in zahlreichen anderen Operationen im Kongo, Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik, vor der Küste Libanons, im Indischen Ozean, schließlich im Irak und in Mali. Afghanistan spielte dabei die Rolle eines Testfeldes, auf dem die Truppe an der Seite der US-Verbündeten aus einer verhältnismäßig ruhigen Zone im Norden heraus den Krieg gelernt hat. Um jeden Preis globaler Akteur zu werden, an vielen Orten auf der Welt einen militärischen Fuß in der Tür zu haben ist genauso Kalkül des BMVg wie die Stärkung des eigenen Gewichts in internationalen Institutionen durch Beteiligung an UNO-Missionen. Auch das Training der eigenen und anderen Streitkräfte (z. B. der Peschmerga in Nordirak) zählt dazu.

Die Einsätze in Mali und im Mittleren Osten haben aufgrund der geostrategischen Lage und potenzieller Kapitalinteressen besondere Bedeutung. Hier ist das Ziel, eine ständige militärische Präsenz zu gewährleisten.

Aufrüstung

Nach der globalen Wirtschaftskrise 2009 verfügte die schwarz-gelbe Bundesregierung Haushaltssparmaßnahmen, die auch den Wehretat bis 2014 auf 27,6 Mrd. EURO drücken sollten. Tatsächlich stieg dieser auf 32,4 Mrd. und soll bis 2020 auf 39,1 Mrd. anwachsen. Die Kluft zwischen globalen Ambitionen und fiskalischer Disziplin führte zur Zusammenlegung von Einheiten, Konzentration von Ministeriumsabteilungen, der Stärkung der Rolle des Generalinspekteurs und zur Aussetzung der Wehrpflicht.

Mit dem neuen Ost-West-Konflikt folgte die Trendwende: weder für Personalstärke noch für Rüstungsaufgaben soll es künftig eine feste Obergrenze geben. Ebenfalls soll das Heer gemäß der neuen Logik wieder mit Kampfpanzern vom Typ Leopard aufgerüstet werden.

Die allumfassende Aufrüstung fällt in 3 Kategorien: Beschaffung zusätzlichen Materials (Kampf- und Radpanzer, geschützte Fahrzeuge, High-Tech für die „Infanterie der Zukunft“, Munition), Modernisierung bereits vorhandenen Materials (Ersetzung der Transporthubschrauber CH 53, Flottendienstboote, Minenräumer, Betriebsstofftanker, Fuhrpark, Funkgeräte, Brückenlege- und Pionierpanzer), qualitative Erweiterung der Fähigkeiten für die zukünftigen Auslandseinsätze (europäische Kampfdrohne, taktisches Luftverteidigungssystem zum Abschuss feindlicher Raketen, Kampfhubschrauber UH Tiger). Zusätzlich soll die Armee eine neue Teilstreitkraft erhalten - eine digitale Streitmacht oder Cyber„abwehr“ (CIR, CNO, CERTBw) - sowie verstärkt im Inneren Einsatz finden („Amtshilfe“).

Fazit und Ausblick

Globale Einsatzfähigkeit bleibt nach wie vor strategisches Ziel, das mittels Umbau zur Interventionsarmee, quantitativer Ab- und qualitativer Aufrüstung sowie einer erheblichen Umstrukturierung der Streitkräfte verbunden war. Der Bundesregierung geht es um den Beweis von Handlungsfähigkeit weltweit, nicht darum, mit den USA, China oder Russland militärisch mithalten zu wollen. Dieser „deutsche Sonderweg“ steht (noch) nicht zur Debatte.

Das deutsche Kapital ist wie kein anders durch hohe Exportabhängigkeit und Transnationalisierung seiner Wertschöpfungsketten geprägt, darum auf den weltweiten Rohstoff- und Märktezugang existenziell angewiesen. Das ist der Hintergrund für die beschriebene militärische Entwicklung. Damit schafft die Bundesregierung die Voraussetzung, um in Zukunft selbst die Führung in Kriegseinsätzen zu übernehmen.

Geostrategisch sind Deutschlands Absichten aber auf die Schwerpunkte Osteuropa und Afrika - hier im Windschatten Frankreichs - ausgerichtet. Das deutsche Kapital steht in einem ambivalenten Verhältnis zu Russland, einem wichtigen Gaslieferanten für Europa. Das strategische Gesamtinteresse überwiegt aber offensichtlich einzelne wirtschaftliche und deckt sich mit dem Aufbau eines sog. Raketenabwehrschirms in Rumänien und Polen sowie dem 2014 auf dem NATO-Gipfel beschlossenen „Aktionsplan zur Reaktionsfähigkeit in Osteuropa“, der Vorverlegung von Tausenden SoldatInnen Richtung russische Grenze.

Die Herrschenden in Deutschland und Frankreich träumen zwar von einem Europa unter ihrer Führung als Gegenmacht zu Russland, das zugleich unabhängig von den USA agiert. Doch die EU ist noch weniger Militärmacht als Einheitsstaat. Die WEU wurde aufgelöst, selbst die Rüstungspotenziale der EU-Staaten werden nicht in einen gemeinsamen Topf gelegt, wo sie unter fremde Kontrolle geraten könnten. Außer schwachen bilateralen Kooperationen läuft die militärische Kooperation in Europa allein durch die NATO.

Auch wenn diese Abhängigkeit von den USA in Berlin und Paris als Problem gesehen wird, die Bundesregierung ist als „Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen, die sich allerdings nicht allein behaupten kann“ (Verteidigungspolitische Richtlinien 1992) auf die „Bündnisbindung“ einstweilen angewiesen. In der Konfrontation mit Russland verfolgt sie darum das Ziel, sich selbst als Rahmenmacht für die osteuropäischen Staaten zu gerieren, auf diesem Wege die Führungsrolle der USA in Europa zuerst zu ergänzen, dann abzulösen. Trump wird diese Bemühungen aufmerksam verfolgen.

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Nr. 216, Februar 17

*  Münchner Sicherheitskonferenz: Im Zeichen zunehmender Konflikte
*  Neuaufteilung der Welt: Fitnessprogramm für die Bundeswehr
*  Amtsantritt Trumps: Ein Präsident für wenige, Proteste für viele
*  Öffentlicher Dienst: Landesbeschäftigte in Warnstreiks
*  Sozialchauvinismus in der Linkspartei: Wagenknecht und kein Ende
*  Russland 1917: Februarrevolution
*  Nach dem Fall Aleppos: Das Ende der syrischen Revolution
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*  Verschärfung rassistische Gesetze: Deutsche und europäische Flüchtlingsabwehr
*  Massenabschiebungen afghanischer Geflüchteter: Nein zum Mord auf Raten!