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Khartum-Prozess

Auffanglager als Entwicklungshilfe

Christian Gebhardt, Neue Internationale 211, Juli/August 16

Am 28. November 2014 trafen sich VertreterInnen aus 58 Ländern Europas und Afrikas, um den „Khartum-Prozess“ zu beschließen. Dieses neu initiierte Projekt soll die Kooperation der Europäischen Union mit den Herkunfts- und Transitländern von Flüchtlingen intensivieren. Hieran sind Herkunftsländer wie Äthiopien, Sudan, Eritrea, Südsudan, Somalia, Dschibuti und Kenia sowie die Transitländer Libyen, Ägypten und Tunesien beteiligt. Der „Khartum-Prozess“ (östliche Migrationsroute) reiht sich neben dem „Rabat-Prozess“ (westliche Migrationsroute) in die strategischen Programme der EU ein, um „irreguläre Flüchtlingsströme“ aus Afrika zu „regulieren“, Menschenhandel und Schmuggel zu unterbinden. Die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ steht hier ganz oben auf der Liste. Es handelt sich dabei jedoch um einen erneuten Stein im Abwehrbollwerk der EU gegenüber den Refugees. Dass hier die kriegstreiberische AKP-Regierung im EU-Türkei-Deal oder Diktatoren aus Eritrea, dem Südsudan oder dem Sudan, an einen Tisch geholt werden, scheint dabei nicht weiter zu stören.

Gemäß einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission zu den Fakten der „Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Afrika im Bereich der Migration“ wird diese auf drei Ebenen aufgeteilt: kontinentale, regionale wie bilaterale. Auf „kontinentaler Ebene“ soll zusammen mit der Afrikanischen Union ein Dialog geführt werden, wie „irreguläre Migration“ und die damit verbundenen Aspekte eingedämmt werden können. Auf der „regionalen Ebene“ sollen die beiden Prozesse - der Khartum- wie auch der Rabat-Prozess - den politischen Dialog mit den Ländern der EU und den daran beteiligten afrikanischen Staaten verstärken. Diese Dialoge sollen durch konkrete Aktionspläne und entsprechende Finanzmittel untermauert werden. Zu guter Letzt steht es auf der „bilateralen Ebene“ allen beteiligten Ländern frei, Programme und Projekte zu initiieren, die „den Kapazitätsaufbau“ in den Partnerländern gewährleisten sollen.

Welches Interesse steckt dahinter?

Unter diesen „geförderten Projekten“ befindet sich u. a. der Bau von Auffanglagern in nordafrikanischen Transitländern wie Tunesien oder Libyen. In diesen sollen die Refugees auf die Prüfung ihres Rechts auf Asyl in der EU warten. Unter anderen „humanitären Projekten“ versteht die EU die „Stärkung“ der Institutionen der diktatorischen Regierung Eritreas, die Schulung sudanesischer Beamter im „Migrationsmanagement“ oder die „Verbesserung“ des „Grenzmanagements“ im Südsudan - alles finanziert durch Umschichtung aus vorhandenen Geldtöpfen wie zum Beispiel der „Entwicklungshilfe“.

Schon der EU-Türkei-Deal zeigt, dass in der Migrationspolitik der EU - unter starker Federführung Deutschlands - humanitäre Argumente nur Schall und Rauch sind. Die Außengrenzen sollen geschlossen und Refugees daran gehindert werden, unkontrolliert in die EU zu gelangen. Auffanglager, weit vor den Grenzen Europas errichtet, sollen diese „Probleme“ auslagern und gleichzeitig die Außengrenzen der EU vorrücken.

Die meisten Flüchtlinge, welche derzeit in die EU kommen und Anträge auf Asyl stellen, fliehen aus den Ländern, welche am Khartum-Prozess beteiligt sind, wie dem Sudan oder Eritrea. Fluchtursachen sind hier vor allem Hunger, Krieg, Sklavenarbeit und Folter, ausgehend von autoritären Regimen und deren Präsidenten. Das Staatsoberhaupt Sudans wird z. B. wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen vom internationalen Strafgerichtshof gesucht.

Das Ziel ist klar: Flüchtende sollen am besten an der Flucht gehindert und in den Diktaturen festgehalten werden. Flüchtlingsströme können so besser gesteuert und kontrolliert, wirtschaftlich „verwertbaren“ Geflohenen soll der Weg in die EU ermöglicht werden, „unbrauchbare“ Flüchtige sollen erst gar nicht ihre Reise antreten können. Hierzu passt auch, dass die oben genannte Presseerklärung der Europäischen Kommission nur „irreguläre Migration“ bekämpfen und eindämmen möchte. Migration an sich sei wünschenswert, zu begrüßen und soll „sinnvoll“ reguliert und kontrolliert werden.

Der Arabische Frühling und seine Auswirkungen

Eingebettet ist diese Außenpolitik der EU in eine internationale Strategie. Wurden die bisherigen Abmachungen und Korporationen mit unterdrückerischen Regimen, welche bis dato für stabile Verhältnisse gesorgt haben, durch den Arabischen Frühling zum Teufel gejagt (z. B. Libyen), führte dies zu vermehrten Flüchtlingsströmen über das Mittelmeer wie auch zur Zunahme an Bürgerkriegs- und dem Anstieg an Flüchtlingen allgemein.

Aufgefangen wurde diese „Instabilität“ durch die Ausdehnung des Einsatzbereiches von FRONTEX. So darf diese seit dem Beginn des Einsatzprogramms „Triton“ im Jahr 2014 nun auch bis an die nordafrikanischen Küstenregionen operieren. Schon damals waren die Bekämpfung von illegalem Menschenhandel und Schmugglerbanden die maßgebenden Argumente dafür, den Einsatzbereich von FRONTEX zu erweitern, um die angestiegenen Migrationsströme über das Mittelmeer und die damit verbundenen Bilder in der Öffentlichkeit wieder einzudämmen. Die gleichen Argumente finden wir nun im „Khartum-Prozess“ wieder.

Der Arabische Frühling hatte aber nicht nur Auswirkungen auf die Seewege. Auch die Flucht über die Landwege nahm einerseits durch die wiedergewonnene „Stabilität“ im Mittelmeer durch FRONTEX, aber auch durch die anhaltenden Bürgerkriege wie z. B. in Syrien oder Mali zu. Der EU-Türkei-Deal wie nun auch die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern durch den Khartum- und Rabat-Prozess sollen die Landwege „beruhigen“.

Welche Perspektive?

RevolutionärInnen müssen die Abschottungs- und Abschreckungspolitik der EU aufzeigen und ablehnen. Die Forderung nach offenen Grenzen sollte hier aufgestellt werden, verbunden mit dem Recht für jedeN, dort zu leben und zu arbeiten, wo er/sie möchte.

Anstatt Menschen dazu zu zwingen, den riskanten und lebensbedrohlichen Weg über das Mittelmeer oder durch Bürgerkriegsländer auf sich zu nehmen, sollten sichere Fluchtwege bereitgestellt werden.

Eine revolutionäre Perspektive darf jedoch nicht bei diesen Forderungen stehen bleiben. Ein erfolgreicher Kampf kann nur geführt werden, indem man die Fluchtursachen klar und deutlich benennt und bekämpft: das imperialistische System und seine Machtspielchen in der halbkolonialen Welt. Der Imperialismus produziert und hält Fluchtursachen aufrecht, zugunsten der Interessen weniger Mächtiger im Kampf  um ihren jeweiligen Einfluss auf die Weltordnung!

Das Motto von RevolutionärInnen in Deutschland kann daher nur heißen: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“. Das bedeutet einerseits Kampf gegen die imperialistische Politik Deutschlands, der EU wie aller anderen Groß- und Regionalmächte, die durch Ausplündern, Intervention und Kriegstreiberei für ein System verantwortlich sind, das Millionen zur Flucht zwingt. Es bedeutet auch, sich aktiv mit allen jenen zu solidarisieren, die gegen Krieg, Ausbeutung, Unterdrückung und Diktaturen angehen.

In Deutschland ist der Aufbau einer antirassistischen Einheitsfront, welche die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, von MigrantInnen und Refugees vereint, das Gebot der Stunde.

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht unterstützt daher den Aufbau des Bündnisses „Jugend gegen Rassismus“ - welches unserer Meinung nach mit gutem Beispiel vorangeht und aufzeigt, wie eine solche antirassistischen Bewegung aussehen sollte - wie beispielsweise durch die Organisation der Demonstration „Stop Deportation - Gegen die Khartum-Erklärung, den EU-Türkei-Deal und alle anderen Abschiebeabkommen!“ am 09.07. in Berlin praktiziert.

Diese Demonstration prangert die unmenschlichen Abkommen der EU mit der Türkei und den afrikanischen Regimen an stellt ein positives Beispiel dar, wie Organisationen der radikalen Linken in Deutschland mit MigrantInnen- sowie Geflüchtetenorganisationen zusammenarbeiten können, um den Spaltungsversuchen des bürgerlichen Staates und der Medien eine aktive, internationalistische Perspektive entgegenzustellen.

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

*  Khartum-Prozess: Auffanglager als Entwicklungshilfe
*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
*  Neues BND-Gesetz: Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0
*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
*  Brasilien: Olympia im Zeichen von Korruption und Krise