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Neues BND-Gesetz

Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0

Alex Mayer, Neue Internationale 211, Juli/August 16

Die Büchse der Pandora ist schon lange geöffnet worden, aber mit der angeblichen „Bekämpfung des Terrorismus“ dreht der bürgerliche Staat (nicht nur in der Bundesrepublik) seit Jahrzehnten an den Daumenschrauben, wenn es darum geht, die letzten Lücken der totalen Überwachung zu schließen. Nach den Terroranschlägen des 11. September kamen die „Otto-Pakete“ von Innenminister Otto Schily, 2007 sprachen Kritiker der Überwachungsoffensive Wolfgang Schäubles von „Stasi 2.0“.

Die Überwachung nach außen und innen wurde immer weiter ausgebaut und an die neuen technischen Errungenschaften angepasst. Für einen kurzen Aufschrei sorgten die Enthüllungen des Whistleblowers Snowden bezüglich der flächendeckenden NSA-Internetüberwachung. Aber dieser Aufschrei war nur ein Flügelschlag, eine kurze Randnotiz, bevor wieder zur Tagesordnung übergegangen wurde. Mittlerweile ist es still geworden um Snowden und um die Überwachung des Internets. Eine breite Bewegung gegen den „totalen Staat“ ist nicht auszumachen.

Im Gegenteil: Neue Anschläge wie die in Paris, der Islamische Staat oder die Flüchtlingsdebatte müssen herhalten, um härtere Sicherheitsgesetze nach innen und außen, einhergehend mit einer weiteren Militarisierung, vorzubereiten und durchzupeitschen. Uns fallen bald keine Superlative mehr ein, um das rasante Voranschreiten der totalen Überwachung in Deutschland noch zu beschreiben: man könnte von Stasi 3.0 sprechen.

Der bürgerliche Staat und seine Werkzeuge

Im bürgerlichen Staat manifestiert und monopolisiert sich ohnehin die Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterinnenklasse, um die politische und ökonomische Macht der herrschenden Klasse zu sichern. Engels schrieb dazu: „Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse , die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klassen.“ (Engels, „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, in: MEW 21, S. 166/167).

Die Werkzeuge der Bourgeoisie zum Unterdrücken der eigenen ArbeiterInnenklasse sind vielfältig. Mit dem Digitalzeitalter kommen neue Methoden und Mittel hinzu. Durch die allumfassende Digitalisierung der kompletten Lebens- und Arbeitswelt der ArbeiterInnen wird die Überwachung aber viel umfassender, engmaschiger und auch weniger sichtbar als zu „analogen Zeiten“ oder im „realexistierenden Sozialismus“ der DDR. Angela Merkel brachte es 2008 auf den Punkt, als sie sagte: „Wir werden nicht zulassen, dass technisch manches möglich ist, aber der Staat es nicht nutzt.“

Der bürgerliche Staat im digitalen Zeitalter ist ein totaler Staat der Überwachung, dem nichts mehr entgeht - außer es ist in seinem Sinne gewünscht. Nach dem kürzlich verabschiedeten Sicherheitspaket („Anti-Terror-Paket“), welches u. a. den Ausweiszwang beim Kauf von Prepaid-SIM-Karten, einen erweiterten Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten, die Ausweitung der Überwachung von Minderjährigen, massive Eingriffe in Grundrechte durch neue Befugnisse der Exekutive, die sich nicht auf den „Anti-Terror-Kampf“ beschränken (Einsatz von verdeckten Ermittlern durch die Bundespolizei bpsw.), u.v.m. beinhaltet, steht mit dem neuen BND-Gesetz die nächste Verschärfung ins Haus.

Der BND gerät in die Kritik - die Konsequenz ist ein Freifahrtschein  

Nachdem der deutsche Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst - kurz BND - im Zuge der NSA-Affäre wegen der Überwachung von ausländischen „befreundeten Staaten“ in die Kritik geriet, wurde von der Bundesregierung als Konsequenz daraus gezwungenermaßen ein neues BND-Gesetz initiiert. Dieses Gesetz ging einen Tag vor der Sommerpause zur ersten Lesung in den Bundestag. Eine Mehrheit dafür ist sicher.

Im Mittelpunkt der Reform der den BND betreffenden Regeln soll dieses Gesetz vor allem die Kontrolle des Geheimdienstes durch den Bundestag ermöglichen, da dieser Nachrichtendienst de facto ohne wirkliche parlamentarische Kontrolle agiert. Dazu soll zusätzlich zu den drei bestehenden Kontrollgremien eine vierte Kontrollinstanz, bestehend aus zwei RichterInnen und einem/r Bundesanwa(e)ltIn, aufgebaut werden. Allerdings werden die RichterInnen dieses angeblich „unabhängigen“ Gremiums durch die Regierung benannt. Zudem bedeutet dies eine weitere Zerfaserung der ohnehin stark fragmentierten Kontrollinstanzen.

Keines dieser vier Gremien wird einen vollständigen Überblick über die BND-Machenschaften zu sehen bekommen, sondern lediglich Ausschnitte davon. Die angeblich unabhängige Kontrolle ist also pure Augenwischerei. Damit aber nicht genug. Im trojanischen Pferd der „verbesserten Kontrolle“ über den BND steckt eine ganze Armada neuer Befugnisse, die es dem Geheimdienst erlauben, umfassend zu bespitzeln. Außerdem sollen bisher schon praktizierte Methoden, die aber nicht durch die Regierung ausdrücklich legitimiert waren, im Nachhinein unter dem Deckmäntelchen des hehren Ziels der verbesserten Geheimdienstkontrolle legalisiert, legitimiert und ausgebaut werden. Da passt es gut, dass mit Bruno Kahl ein enger Vertrauter von Wolfgang Schäuble (er arbeitete zuletzt als Abteilungsleiter im Finanzministerium, zuständig für Privatisierungen und Bundesvermögen), zum 1. Juli Nachfolger des BND-Chefs Gerhard Schindler wurde.

Der Internet-Knoten DE-CIX klagte in der Vergangenheit gegen die Überwachung durch den BND seit 2009. Er wird von einer Privatfirma in Frankfurt/M. betrieben und ist, gemessen am Datendurchsatz, der größte der Welt. Mit dem neuen Gesetz wird diese Überwachung einfach legalisiert und der BND bekommt vollen Zugriff. Weiter durfte der Geheimdienst bislang nur einzelne Leitungen abhören, z. B. eine Glasfaserleitung der Telekom zwischen Luxemburg und Wien, ergo nur 20 % der gesamten Netzkapazität - wie netzpolitik.org aufführt. Jetzt ist es erlaubt, dass der BND komplette Telekommunikationsnetze, d. h. Leitungen der Telekom und von DE-CIX, abhört.

Mit der fadenscheinigen und absolut schwammigen Begründung des „Kampfes gegen den Terror“ oder angeblichen „Gefahren für die äußere oder innere Sicherheit“ wird dem BND auch genehmigt, Abhörmaßnahmen gegen die EU und die Einrichtungen von Mitgliedsstaaten durchzuführen. Für die Spionage und Überwachung von Nicht-EU-BürgerInnen oder -Staaten braucht es überhaupt keine Begründung. Die nach Snowden kritisierte Zusammenarbeit mit der NSA wird legalisiert und ausgebaut und darüber hinaus auch die Kooperation mit anderen „internationalen Partnerdiensten“.

Auch hier reichen Begründungen wie der „Anti-Terror-Kampf“ aus, um im Prinzip alles zu tun, was möglich ist. Aber auch die Kooperation mit dem Verfassungsschutz wird deutlich intensiviert. So gelangen Daten über „Extremistinnen“, ergo auch über Linke, zum BND und weiter in den internationalen Umlauf, z. B. zur NSA. Das beschlossene Anti-Terror-Paket erweitert die Speicherfristen für solche Daten. VS und BND dürfen diese dann statt vier Jahren fünf Jahre speichern.

Metadaten darf der BND übrigens immer sammeln, wenn sie nicht von Deutschen stammen, allerdings im Zweifelsfall von allen - „sicher ist sicher“. Momentan gültige Regelungen wie das Verbot, mit dem Ziel von Wettbewerbsvorteilen deutscher Unternehmen ausländische Unternehmen auszuspionieren, werden aufgeweicht und können mit dem lapidaren Satz „Die Aufklärung von wirtschaftspolitischen bedeutsamen Vorgängen kann erforderlich sein“ vom BND nach Gutdünken ausgelegt werden. Durch die Gesetzesverschärfung werden nicht nur letzte Überwachungslücken geschlossen, der Staat bedankt sich auch noch mit Mehrkosten in Millionenhöhe (ca. 3,5 Millionen durch Personal- und Sachkosten allein bei Bundesgerichtshof und Generalbundesanwalt und zusätzlich 2,6 allgemein beim BND). Die komplette Verschärfung soll zum Jahreswechsel 2016/2017 in Kraft treten, rechtzeitig vor dem nächsten Wahlkampf.

Weg mit den Geheimdiensten!

Die ArbeiterInnenbewegung muss die lückenlose Aufdeckung aller Geheimdienstmachenschaften erzwingen. Deshalb muss sie nicht nur für bürgerlich-demokratische Forderungen wie die nach umfassender parlamentarischer Kontrolle eintreten, sondern auch verlangen, dass diese Gremien öffentlich tagen. Dies wäre ein erster Schritt, um diese verdeckten Bereiche der Staatstätigkeit aus der Grauzone ans Licht der - immer noch bürgerlichen - Öffentlichkeit zu zerren. Damit entstünde die Möglichkeit, ihr Treiben genauso klar ins Bewusstsein auch der organisierten ArbeiterInnenschaft zu bringen wie das von Parlamenten, Justiz und anderen Teilen der Exekutive.

Da jedoch in der bürgerlichen Gewaltenteilung die eigentliche Macht nicht bei der Legislative liegt, sondern sich in Händen des Staatsapparates befindet, genauer: der bewaffneten Teile der Exekutive (Armee, Polizei, Geheimdienst), verlaufen auch die bestgemeinten parlamentarischen Initiativen regelmäßig im Sand. Diverse NSU-Untersuchungsausschüsse sind lebendige Beispiele dafür. VerfassungsschutzmitarbeiterInnen erschienen gar nicht erst oder gaben nur das zu Protokoll, wozu sie freiwillig bereit waren. Welch Unterschied zu den Runden Tischen am Ende der DDR, wo VoPos kreuzbrav erschienen und wahrheitsgetreu Fragen der Kontrollkommissionen beantworteten! Aber hier befanden sich Partei und Staat der stalinistischen ArbeiterInnenbürokratie auch in rasanter Auflösung!

So richtig daher der Kampf für demokratische Forderungen, Abschaffung von Teilen des repressiven Staatsapparates ist, so erfordert die Auflösung der Geheimdienste und seiner anderen Kernbereiche letztlich die Zerschlagung der gesamten bürgerlichen Staatsmacht und die Schaffung eines proletarischen Halbstaates nach dem Vorbild der Pariser Kommune. Erst dann kann auch der Alptraum unkontrollierbarer und im Dunkeln operierender Geheimdienste (BND, MAD, VS) ein für alle Mal beendet werden.

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

*  Khartum-Prozess: Auffanglager als Entwicklungshilfe
*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
*  Neues BND-Gesetz: Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0
*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
*  Brasilien: Olympia im Zeichen von Korruption und Krise