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Brexit 2016

Kein Grund zur Freude

Tobi Hansen, Neue Internationale 211, Juli/August 16

Mit knapper Mehrheit gewann das „Brexit“-Lager am 23.06. die Volksabstimmung in Großbritannien. Mit Slogans à la „Britain first“ oder „make Britain great again“ konnten vor allem der rechte Flügel der Tories um Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson und die rechtspopulistische UKIP von Nigel Farage sich als Sieger ausrufen.

Eines der Hauptthemen dieser Brexit-Befürworter war die nationalistische und rassistische Kampagne gegen Arbeitsmigration und Flüchtlinge. Seit der Abstimmung mehren sich rassistische Vorfälle gegen osteuropäische ArbeitsmigrantInnen, darunter ungefähr 3 Millionen PolInnen. Die offenen Faschisten von „Britain First“ und der EDL (English Defence League) sehen jetzt die Möglichkeit für Massenabschiebungen und geschlossene Grenzen.

Niederlage der EU

Diese Abstimmung war eine herbe Niederlage für das EU-Projekt als Ganzes. Mit Großbritannien geht eine der kapitalistischen Führungsmächte, die zweitgrößte Volkswirtschaft des Binnenmarktes (BIP 2015: 2,56894 Billionen EURO) und eine militärische Führungsmacht. Die Reaktionen an den Börsen waren eindeutig: Das britische Großkapital fürchtet um seinen Standortvorteil, um den Verlust der wirtschaftlichen Privilegien, nämlich als Nicht-EURO-Staat mit gleichen Rechten im EURO-Raum und in der EU zu investieren und davon zu profitieren. Die Reaktionen speziell der deutschen Bundesregierung zeigten, dass die verbliebenen EU-Führungsmächte gewillt sind, Großbritannien ökonomisch abzustrafen. Sicherlich ist auch das deutsche Kapital weiterhin an einer engen Verbindung zum britischen Markt interessiert (jährlicher Handelsbilanzüberschuss ca. 40 Mrd. EURO) und wir können sicher sein, dass alle neuen Regelungen und Kompromisse zwischen Großbritannien und der EU zuerst auf dem Rücken der britischen ArbeiterInnenklasse ausgetragen werden. Auf der anderen Seite sind die EU und speziell die deutsche Regierung auch gewillt, harte Bandagen in den Verhandlungen anzulegen, besonders als Signal an mögliche weitere Austrittskandidaten.

So wie es eine klare Niederlage des EU-Projektes, des Ministerpräsidenten Cameron und auch des britischen Großkapitals war, so resultierte das Ergebnis doch auch aus einer Spaltung der herrschenden Klasse in Großbritannien. Johnson und andere Wortführer des Austritts aus der EU repräsentierten nicht nur rassistische KleinbürgerInnen, sondern auch Teile der Bourgeoisie, die hoffen, sich außerhalb der EU besser am Markt behaupten zu können.

Britischer Imperialismus

Der britische Imperialismus hatte stets ein gespaltenes Verhältnis zur EU. Davon zeugen nicht allein verschiedene „Briten-Rabatte“ oder die Ablehnung einer tieferen politischen und militärischen Union, sondern auch der Charakter des britischen Imperialismus selbst. Natürlich war der Kontinent für das britische Kapital stets eine wichtige Investitionssphäre. Über den Finanzplatz London vertrieb das Kreditkapital seine Dienstleistungen in EU und EURO-Raum. Besonders die Verbindungen zu den Niederlanden, dem skandinavischen und baltisch-osteuropäischen Raum stellten für das britische Großkapital wichtige Märkte dar, die eine kommende britische Regierung sicherlich bilateral versuchen wird zu erhalten.

Der britische Imperialismus war aber auch stets globaler aufgestellt, gerade durch die engen Verflechtungen zum US-Finanzkapital. Jede Stufe weiterer deutsch-französischer Dominanz im kontinentalen Europa und EURO-Raum stellte die britische „semi-unabhängige“ Position immer weiter in Frage bzw. unter Druck und stärkte auch die Teile der britischen Bourgeoisie und besonders des Kleinbürgertums, die eine weitere Integration und damit de facto weitere Unterwerfung unter eine deutsche oder deutsch-französische Führung innerhalb der EU ablehnen.

Dieser Richtungskampf innerhalb der bürgerlichen Schichten wird innerhalb der Tory-Partei über die nächsten Wochen ausgetragen werden. Camerons Rücktritt ist für Oktober angekündigt. In der Zwischenzeit wird die Frage beantwortet, ob die Brexit-Befürworter wie Justizminister Gove eine eigene Regierung in der Tory-Fraktion durchsetzen können oder Kompromisskandidaten wie Innenministerin Theresa May Fraktion und Partei zusammenhalten. Auch eine mögliche Spaltung der Partei ist nicht ausgeschlossen, wenn auch die „Triebkräfte“, an der Regierung zu bleiben, höchstwahrscheinlich zu Kompromissen führen werden.

Daher hat der Sieg des Brexit zu einer tiefen inneren Krise in Britannien geführt, die entgegen Absichten des Austrittslagers zur Abspaltung Schottlands und zu einem neuen Aufflammen des Bürgerkriegs in Nordirland führen können. Dort kann der Sieg der Rechten zum Zerfall des „Great Britain“ führen; dies könnten dann Farage und Johnson auch auf ihre Kappe nehmen.

Nachdem Cameron den Machtkampf mit dem Brexit-Lager seiner Partei verloren hat, steht Labour-Chef Corbyn jetzt vor der Machtprobe mit der Labour-Fraktion im Unterhaus. Der dortige rechte Flügel nutzt die Brexit-Niederlage nicht, um z. B. die Krise der Tories zu nutzen und dies mit einer Kampagne gegen Rassismus und Nationalismus zu verbinden - nein, die Fraktion will sich stattdessen des von ihr ungeliebten linken Parteivorsitzenden entledigen. Somit sind beide großen Parteien Großbritanniens in einer tiefen inneren Krise nach der Volksabstimmung.

Auf dem Vormarsch sind jetzt nicht nur in Großbritannien die EU-kritischen nationalistischen und rassistischen Kräfte. Diese können jetzt nicht allein kleinbürgerliche Schichten mobilisieren, sondern haben auch Rückhalt in der ArbeiterInnenklasse. So versprach UKIP-Chef Farage, die eingesparten EU-Mitgliedsbeiträge ins Gesundheitssystem NHS umzuleiten. Am Tage nach der Abstimmung fühlte er sich dabei missverstanden; direkter ist es kaum möglich, Lügen, Illusionen und falsche Versprechungen offenzulegen!

Unterstützung bekam der Brexit aber auch von linken Akteuren und Gruppierungen. Ihre Ablehnung der EU und ihre Interpretation des Brexit wird im folgenden Part des Artikels Schwerpunkt sein: Dabei handelt es sich um die Socialist Workers Party (SWP, „befreundet“ mit marx21 in der Linkspartei), die Socialist Party (Sektion des CWI, in Deutschland SAV und ebenfalls Teil von DIE LINKE) und die CPB (Britische Kommunistische Partei).

Europäische ArbeiterInneneinheit als Produkt des Brexit?

Die linken Befürworter wählten den „Lexit“ als gemeinsame Losung. Das linke Nein sollte nicht nur die Tories stürzen, sondern auch die „EU der Bosse“ ins Wanken bringen und gleichzeitig die ArbeiterInneneinheit des Kontinents vorantreiben, so titelte z. B. die SWP in ihrer Wochenzeitung. Scharf wurden aus diesem Spektrum die Labour Party und Corbyn für ihre „Remain“-Kampagne kritisiert, umso mehr wurde das Ergebnis als Sieg für die britische und auch europäische ArbeiterInnenklasse umgedeutet. Dass UKIP und Co die Kampagne geführt hatten, das wird wiederum Labour in die Schuhe geschoben - aber der Reihe nach.  

Natürlich ist das Ergebnis eine schallende Ohrfeige für das EU-Projekt an sich, dass die EU aber erst dadurch in eine Krise gerät bzw. mit diesem Ergebnis diese jetzt von der ArbeiterInnenbewegung Europas genutzt werden könne, gehört doch eher in den Bereich der politischen Phantasie!

Die politisch-ökonomische Krise der EU ist spätestens mit der Schuldenkrise 2010 ausgebrochen. Zusammenhängend mit einer stärkeren Dominanz des deutschen Imperialismus wurden der Binnenmarkt neu geordnet und vor allem die Rechte und Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse des Kontinents angegriffen. Dies wurde durch die EU organisiert, aber natürlich willig von allen nationalen Kapitalfraktionen und Regierungen vorangetrieben, selbst von denen - wie von Syriza/ANEL -, die ihre Volksabstimmungen noch gegen die Austeritätspolitik der EU organisierten.

Diese Krise, die auch der widersprüchlichen inneren Struktur der verschiedenen konkurrierenden imperialistischen Kapitalfraktionen in der EU geschuldet ist, hat sich seitdem weiter zugespitzt und die Frage der weiteren Zusammensetzung der EU gestellt. Dies ist nicht durch den Brexit geschehen, sondern der Brexit ist ein Ausdruck dieser konstanten, immanenten Verwerfungen innerhalb des EU-Projektes!

Die linken BefürworterInnen bemühen auch das Abstimmungsverhalten der ArbeiterInnenklasse sowie deren objektiven Interessen gegen die Politik der EU, um das Ergebnis und die eigene Unterstützung zu rechtfertigen, ein noch nicht mal gelungener Taschenspielertrick. Natürlich gibt es gerade prekarisierte und pauperisierte Teile der Klasse, welche die Konkurrenz zu osteuropäischen KollegInnen fürchten, welche ganz real Konkurrenz und Verarmung ausgesetzt sind, aber deswegen sind diese ja anfällig für nationalistische und rassistische Propaganda.

Das hilft an sich erst mal der „Linken“ und ArbeiterInnenbewegung gar nicht weiter, weder in noch außerhalb der EU. Da ginge es zunächst darum, Klassensolidarität über Grenzen und Märkte hinweg aufzubauen. Erst dann könnte ein fortschrittlicher Kampf mit einem internationalistischen und solidarischen Bewusstsein der Klasse geführt werden - mit dem Brexit ist genau das Gegenteil eingetreten. Folglich es bestenfalls verwirrend, überhaupt den Brexit als Abstimmungssieg der ArbeiterInnenklasse darzustellen - was sagt uns denn dann die Mehrheit für die EU in Schottland, was sagt uns die Mehrheit für die EU der unter 50-Jährigen (besonders hoch bei den unter 35-Jährigen)? Nein, das Ergebnis und die Perspektive müssen anders betrachtet werden.

Brexit und nationales Kapital

Der Brexit zeigt auf, wie sich Teile des Kapitals und speziell des Kleinbürgertums ein Ende der EU vorstellen können. Rassistische Hetze gegen offene Grenzen, standortpolitische Partnerschaft mit dem „nationalen“ Kapital, um Teile der ArbeiterInnenklasse einzufangen und nationale „Lösungen“ gegen Flüchtlinge, Krise, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmigration zu favorisieren. Das zeigt auch, dass die EU eben kein „Suprastaat“ist, eben selbst deren Bürokratie keinen „eigenen“ Imperialismus verkörpert, sondern allein eine willige Vollstreckerin der jeweiligen führenden imperialistischen Kapitalfraktionen darstellt. Die EU kann man zwar für Profite gebrauchen, aber auch spalten, wenn es sich eben nicht mehr auszahlt. Die SWP, die größte zentristische Propagandagruppe in Großbritannien mit einigen tausend Mitgliedern, beschrieb die EU vor dem Brexit folgendermaßen: „EU fights the workers, EU fights the refugees - leave the EU of the bosses!“

Dabei soll der Eindruck entstehen - so das Kalkül der SWP -, dass eine Abstimmung gegen die EU auch eine gegen Kapitalismus, Rassismus und Nationalismus sei, und die EU damit als das erscheint, was sie nicht ist: eine eigenständige imperialistische Akteurin oder sogar schlimmer noch - Hauptfeindin aller EU-Völker als Überimperialismus! Die EU bleibt das Verwaltungsorgan verschiedener kapitalistischer Interessen und Fraktionen, nicht mehr und nicht weniger, und natürlich hat die Bürokratie gewisse Eigeninteressen herausgebildet, aber verkörpert deswegen noch lange nicht den Kapitalismus an sich in der EU - das sind und bleiben immer noch die jeweiligen gesellschaftlichen Gesamtkapitale der Nationalstaaten.  

Die SAV in Deutschland (Artikel: „Brexit ist ein Grund zur Freude“) geht in eine ähnliche Richtung, wenn auch nicht so „plump“ wie die SWP:

“Weil er ein Schlag gegen eine Europäische Union ist, die ein Bollwerk der Kapitalisten und arbeiterfeindlichen Regierungen gegen die Interessen der Bevölkerung Europas darstellt. Die EU ist neoliberal, militaristisch und undemokratisch. Sie ist eine Waffe in der Hand der Kapitalisten und nationalen Regierungen gegen die Arbeiterklasse des Kontinents. Deren Gegner, die herrschenden Klassen Europas, ist nun geschwächt. Das ist gut so. Der Brexit hat ein Loch in dieses Bollwerk gerissen und das wird es zukünftigen Bewegungen leichter machen, sich gegen EU-Diktate zur Wehr zu setzen. Das gilt insbesondere angesichts der Erfahrungen der Syriza-Regierung mit der Erpressungspolitik der Troika und der Möglichkeit, dass in Spanien und in den nächsten Jahren auch in weiteren Ländern linke Parteien die Regierung stellen können.” (https://www.sozialismus.info/2016/06/brexit-ist-ein-grund-zur-freude/)

Mit der Frage, was die EU, als polit-ökonomischer Raum mit Internationalismus zu tun hat, werden wir diesen Artikel abschließen. Zunächst sei hier gesagt, dass wir nicht der Ansicht sind, dass nun zukünftige Bewegungen es „einfacher“ haben werden in der EU. Dies wird doch davon abhängen müssen, von welcher politischen Seite gegen die EU-Diktate gekämpft wird! Dieser Brexit wird es vor allem rechtspopulistischen, nationalistischen und rassistischen Bewegungen einfacher machen, gegen die EU, welche dann als Schaubild für alles Schlechte im Kapitalismus herhalten muss, zu mobilisieren. Denn natürlich hatten weder UKIP noch FN oder die FPÖ vor, der Bevölkerung zu erklären, dass die jeweilige nationale Kapitalistenklasse gerne die ArbeiterInnen gegeneinander ausspielt, diese kontinental in Konkurrenz zueinander setzt und dafür letztlich sogar die EU als Sündenbock und Alibi braucht - dies wäre eigentlich die Aufgabe fortschrittlicher, linker Kräfte.  

Die Erfahrungen der Syriza-Regierung (ANEL wird hierbei oft vergessen) sind aber auch, dass diejenigen linken Kräfte, welche in ihrer Solidarität gegenüber den EU-Sparmaßnahmen jegliche Kritik an bzw. taktisch/strategische Auseinandersetzung mit ihr vermissen ließen, jetzt anscheinend daraus den Umkehrschluss gegen eine europäische Perspektive gezogen haben. Dies trifft nicht ausschließlich auf die SAV, sondern auch die 4. Internationale, die International Socialist Tendency (SWP/marx21) und die europäische Linkspartei zu. Speziell bei der letzteren wurde schnell nach der Niederlage von Tsipras die Rückkehr zum Nationalstaat angesteuert: Wenn ein europäischer Keynesianismus keine Chance hat, dann vielleicht ein nationaler, gepaart mit Anleihen nach rechts à la Wagenknecht zur Flüchtlingspolitik. So erschien zumindest diesen ReformistInnen die „Lehre“ aus der griechischen Pleite!

Bei aller gerechtfertigten Darstellung und Polemik gegen die EU, der Auflistung ihrer kapitalfreundlichen Politik (große Überraschung...) wird in diesem „linken“ Brexit-Lager eine entscheidende Kategorie stets vergessen: Die EU ist Produkt der imperialistischen Epoche, der materiellen Zwänge, denen die nationalen gesellschaftlichen Gesamtkapitale wie deren einzelne Fraktionen unterworfen sind. Sie waren und sind gezwungen, den Nationalstaat zu überwinden, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, Zollschranken niederzureißen, ja selbst das innereuropäische Grenzregime aufzulösen. Die Zwänge der imperialistischen Epoche waren stets die Bedingung dafür, dass in methodisch-analytisch glanzvolleren Zeiten der ArbeiterInnenbewegung die TheoretikerInnen von einer unmittelbar bevorstehenden nächsten gesellschaftlichen Stufe überhaupt sprechen konnten, auf der der Sozialismus bereits an die Tür klopft und „nur“ die imperialistischen Hindernisse beseitigt werden müssen, um der Entfaltung aller Produktivkräfte einen Dienst zu tun, sprich das Kapital, die besitzende Klasse zu stürzen und aus dem Europa der vorherrschenden imperialistischen Kapitale ein Europa der ArbeiterInnen zu machen. Die klassische Imperialismustheorie v. a. Lenins fasste diese Epoche als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus, als Übergangsregime zum Sozialismus. In ihr stellte sich die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ als aktuelle!

Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa

Die Losung der „Vereinigten Staaten von Europa“, welche Trotzki im Jahr 1915 aufstellte und welche später von der 4. Internationale konkreter in „Vereinigte Sowjetstaaten von Europa“ bzw. sozialistische Staaten von Europa umbenannt wurde, sollte anknüpfen eben an diese permanente Krise der europäischen kapitalistischen Staaten, die Europa damals in ein Schlachtfeld verwandelt hatten. Als 1922/1923 die Nachkriegskrise an ihrem Höhepunkt angelangte und die unversöhnlichen Gegensätze der europäischen Kapitale in der Reparationsfrage wieder voll ausbrachen, übernahmen die KPR(B) und die Komintern diese Losung als proletarische Antwort auf Spaltung und Krise des Kontinents. Abgeleitet wurde die Losung aus derjenigen, welche die 2. Internationale zu den Balkankriegen 1910-12 aufgestellt hatte.

Dort wurde die „Vereinigte Balkanföderation“ gefordert, gerade um dem imperialistischen Stellvertreterkrieg zwischen Bulgarien, Rumänien und Griechenland eine internationalistische Perspektive entgegenzustellen. Diese Methodik wurde dann von Trotzki auf die imperialistische Krise Europas insgesamt angewendet, als proletarische Antwort auf die permanente Krise der Kapitalistenklassen Europas. Hier ein Zitat aus seinen Texten zur Begründung der Losung und Methode:

“Es ist klar, dass die internationale wirtschaftliche und politische Entwicklung nach einheitlicher Weltwirtschaft tendiert, deren Zentralisierungsgrad dem technischen Niveau entsprechen wird. Aber es handelt sich hier nicht um die künftige sozialistische Weltwirtschaft, sondern um die Frage, wie das gegenwärtige Europa aus der Sackgasse herauskommen könnte. Den Arbeiter und Bauern des zersplitterten und ruinierten Europas muss ein Ausweg gewiesen werden, unabhängig von dem, welches Tempo die Revolution in Amerika, Australien, Asien und Afrika einschlagen wird. Von diesem Gesichtspunkte aus steht die Parole „Vereinigte Staaten von Europa“ auf derselben historischen Ebene wie auch die Parole „Arbeiter- und Bauernregierung“; es ist eine Übergangsparole, die Auswege weist, Aussichten auf die Rettung gibt, und eben dadurch die werktätigen Massen auf den revolutionären Weg bringt:” (www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1923/06/vse.htm)  

Dieses Verständnis von Übergangsmethodik und Programmatik soll aufzeigen, welche revolutionäre Alternative dem krisenhaften kapitalistischen Zustand Europas entgegengesetzt werden soll, eine sozialistische Föderation, die dann real die Widersprüche, Konflikte und Spaltungslinien eines kapitalistischen Europa aufhebt. Es ist daher auch nur irreführend, wenn z. B. marx21 in einem aktuellen Text zu Brexit und EU versucht, Luxemburg und Lenin als Kronzeugen gegen die reformistischen Illusionen eines Kautsky in ein kapitalistisches Europa (ein vor allem pazifistisches) anzuführen, und dabei die eigentliche Kritik Trotzkis außen vor lässt. Ihr Kritikpunkt an den Reformisten von damals und heute ist natürlich berechtigt. Sie begeht aber den Taschenspielertrick, die Losung eines „sozialen“ oder „anderen“ Europa mit dem Kampf für ein sozialistisches Europa gleichzusetzen.

Allerdings sind wir auch nicht der Ansicht, dem Zerfall und der Spaltung Europas durchs Kapital zu folgen oder gleichgültig demgegenüber bleiben zu können. Dessen Spaltungsversuche durch verschiedene Fraktionen des Kapitals und Kleinbürgertums sorgen für eine breite Welle von Nationalismus und Rassismus; auch deswegen dürfen InternationalistInnen eben nicht der Rückkehr zum Nationalstaat aufsitzen, sondern müssen die internationalistische, sozialistische Perspektive für Europa entwerfen. Dafür ist dann sicherlich mehr nötig, als von einem „sozialen“ oder „anderen“ Europa zu fabulieren, wenn nicht die Fragen der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und der ArbeiterInnenräte für Europa gestellt werden. Sie sind die entscheidenden des europäischen Klassenkampfes gegen die reaktionäre Zersetzung durch verschiedene herrschende Klassen und Kapitalfraktionen und deren Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse.

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

*  Khartum-Prozess: Auffanglager als Entwicklungshilfe
*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
*  Neues BND-Gesetz: Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0
*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
*  Brasilien: Olympia im Zeichen von Korruption und Krise