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Brasilien

Olympia im Zeichen von Korruption und Krise

Bruno Tesch, Neue Internationale 211, Juli/August 16

Brasilien ist das Schlusslicht der sogenannten BRICS-Staaten, der Schwellenländer China, Russland, Indien, Brasilien und Südafrika. Von einer „aufstrebenden Volkswirtschaft“, wie die Länder in vielen Informationsplattformen noch tituliert werden, kann im Fall des südamerikanischen Staates keine Rede mehr sein.

Wirtschaft stagniert

Die Wirtschaftsdaten sprechen eine deutliche Sprache. Seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008 hat sich in Brasilien das Wirtschaftswachstum zurückgebildet. Für 2016 erwartet der Internationale Währungsfonds einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,5 %. Auch für das kommende Jahr wird keine Erholung in Aussicht gestellt. Die Staatsverschuldungsquote liegt bei Zweidritte des BIP.

Bei der Inflationsrate hat Brasilien mittlerweile einen Spitzenplatz erobert wie bei der Arbeitslosigkeit, die beide gegen 10 % streben. Die dramatische Wasserknappheit in Ballungszentren wie Sao Paulo kennt man ansonsten nur von den imperialisierten sogenannten Entwicklungsländern. Brasilien muss zudem gegenüber anderen schwächelnden BRICS-Ländern Nachteile in Kauf nehmen, da es weder dank Militärmacht ein weltpolitischer Faktor sein kann wie Russland noch ein wirtschaftlich relevantes Alleinstellungsmerkmal hat wie Südafrika im Edelmetallbereich. Das Fundament von Brasiliens Wirtschaft ruht v. a. auf dem weltweit größten Eisenerzabbauer Vale. Sein Anteil liegt bei 35 %. Der Konzern wurde 1997 privatisiert, jedoch von der regierenden Partido de Trabalhadores (Arbeiterpartei) seither nicht wiederverstaatlicht. Er war im Mai 2015 für die riesige Umweltkatastrophe verantwortlich, die durch einen Staudammbruch einer Erzmine ausgelöst wurde. Ein zweites Standbein ist der Erdölförderer Petrobras, an dem der Staat einen hohen Anteil besitzt. Trotz entdeckter neuer Rohölvorkommen vor der Küste musste das Unternehmen auf Grund des Ölpreisverfalls in den vergangenen beiden Jahren Milliardenverluste schreiben. Außerdem machte die Verwicklung in einen Korruptionsskandal Schlagzeilen.

Politische Krise…

Dieser Skandal hat eine politische Dimension erreicht, die das ganze Land in eine schwere Krise gestürzt und seinen zugespitztesten Ausdruck in der vorläufigen Suspendierung der Präsidentin Dilma Rousseff gefunden hat. Aus den ursprünglichen Protesten der Bevölkerung gegen Fahrpreiserhöhungen Mitte 2013 wurde nach deren Abflauen eine gezielte Kampagne von reaktionären Oppositionskräften gegen die regierende PT. Die Arbeiterpartei hatte sich zwar seit Übernahme der Regierungsgeschäfte 2002 als brave Vollstreckerin bürgerlicher Politikvorgaben erwiesen, dennoch bot die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die Verstrickung in Schmiergeldaffären willkommenen Anlass für eine vom Imperialismus inszenierte großangelegte politische Kampagne in ganz Lateinamerika. Sie soll das Rad wieder zurückzudrehen und Hemmnisse für einen ungebremsten neoliberalen Kurs mit Sozialabbau, Lohnkürzungen, Privatisierungen und Steuervorteilen für das Großkapital beseitigen.

Bereits 2014 hieß es im Handelsblatt, dass das Kapital im Herbst des Jahres auf einen Wechsel an der Regierungsspitze hoffte und die Märkte „die ungeliebte Politik des Interventionismus“, d. h. staatliche Subventionen und Steuerung des Leitzinses, beendet sehen wollten. Dies verspricht nun der neue Amtsinhaber, der bisherige Vizepräsident Michel Temer von der Partido do Movimento Democratico Brasileiro, einer offen bürgerlichen Partei, die sich selber seit Jahrzehnten im Korruptionssumpf suhlt. Sie will der brasilianischen ArbeiterInnenklasse eine Schocktherapie verordnen und neben Investitionsanreizen für das internationale und heimische Kapital das Sozialprogramm der PT zusammenstreichen. Dies und die Art und Weise, in der die politischen Machtverhältnisse ohne Legitimation von Parlamentswahlen umgepolt werden sollen, polarisieren und lähmen die politische Landschaft. Sogar zwei Mitglieder des umgebildeten Kabinetts sind bereits zurückgetreten.

…und der Sport

Wurde noch von der Ziehung zweier sportlicher Gigaveranstaltungen für Brasilien wie der Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Sommerspielen 2016 ein wesentlicher wirtschaftlicher Wachstumsschub für das Land erhofft, so fällt bereits die Zwischenbilanz ernüchternd aus. Die eigens gebauten Arenen stehen leer, fahren Millionenverluste ein und hinterlassen umweltfeindliche Krater in der Landschaft. Als weitere Kollateralschäden der WM sind halbfertige Flughäfen und neue Straßenbahnen ohne Gleise zu besichtigen. Dasselbe Schicksal blüht auch den olympischen Sportstätten, die nicht infrastrukturell zu vermarkten sind. Doch schon jetzt plagen den Ausrichter, die Stadt Rio de Janeiro und die gleichnamige Provinz, erhebliche Geldsorgen für die Finanzierung der Spiele, so dass nun die Zentralregierung einspringen und der Regionalverwaltung umgerechnet 755 Millionen Euro als Darlehen zusagen musste. Im Vorweg der Spiele wurde wegen in Brasilien aufgetretener Missbildungen bei Säuglingen durch das Zika-Virus und Ansteckungsgefahren von Gesundheitsexperten die Verlegung oder Verschiebung der Olympiade angemahnt. Die wird es natürlich aus Prestige- und Profitinteressen nicht geben, dennoch haben immerhin einige namhafte Sportler ihre Teilnahme in Rio wegen eben dieser Risiken abgesagt. Aufhorchen ließ auch die kürzliche Sperrung des Anti-Doping-Labors in Rio durch die weltweite Anti-Doping-Agentur WADA. Anscheinend hielt die WADA die sichere und zeitnahe Weiterleitung von Blut- und Urinproben von AthletInnen für nicht gewährleistet. Das Thema Doping beschäftigt die Öffentlichkeit schon seit über 30 Jahren. Das Problem des Einsatzes unerlaubter leistungssteigernder Mittel im Sport hat man jedoch trotz aller Beteuerungen von Sportfunktionären und Einrichtung von Institutionen zur Überprüfung und Bekämpfung dieser Seuche nie in den Griff bekommen. Die jüngsten Enthüllungen über gedopte Medaillengewinner bei den Winterspielen in Sotschi und die Sperrung der russischen Leichtathletik für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro haben die Diskussion erneut hochkochen lassen. Auch der Sport muss im Zuge der Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz wieder als Schlachtfeld für politische Auseinandersetzungen herhalten. Man muss keinen Verschwörungstheorien anhängen, um zu begreifen, dass der Teilausschluss russischer SportlerInnen, neben LeichtathletInnen sind auch GewichtheberInnen betroffen, von einem sportlichen Weltereignis von internationaler politischer Bedeutung ist. Der fast zeitgleich angedrohte Hinauswurf der russischen Fußballmannschaft von der Europameisterschaft wegen Prügeleien russischer Hooligans passt ins Bild, das an die Zeiten des offenen kalten Krieges mit den Olympiaboykotten von 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles anknüpft. Doping, sofern es privatisiert - und dies wird es in den tonangebenden imperialistischen Ländern gleichermaßen - betrieben wird, zieht ganz nach kapitalistischer Logik keine politischen Sanktionen nach sich.

Auswirkungen für die ArbeiterInnenschaft und die Armen

Eine Protestbewegung gegen den Aufwand für die sportlichen Spektakel, die den ArbeiterInnen, Armen und der Jugend keinen Gewinn, sondern nur kapitalistischen Unternehmungen Profit bringen können, ist zur Zeit nicht absehbar. Aber deren Aufkommen ist im Zusammenhang mit der angespannten politischen Lage in Brasilien nicht unmöglich, wie die spontanen Ereignisse vom Juni 2013 gezeigt haben. RevolutionärInnen sollten auf sie vorbereitet sein. In der gegenwärtigen Lage müsste diese vor allem darauf abzielen, den Protest gegen Olympia und dessen Auswirkungen mit dem Kampf gegen die Putschisten-Regierung von Temer und deren Angriffe zu verbinden.

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

*  Khartum-Prozess: Auffanglager als Entwicklungshilfe
*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
*  Neues BND-Gesetz: Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0
*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
*  Brasilien: Olympia im Zeichen von Korruption und Krise