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China

Ein neuer Imperialismus

Frederik Haber, Neue Internationale 151, Juli/August 2010

Lokomotive der Weltwirtschaft“ wird China genannt, momentan wird dieser Begriff oft mit „nachlassender Dynamik“ kombiniert. Genauso locker reden bürgerliche Politiker vom „kommunistischen Regime“. Ein „kommunistisches Regime“ als „Lokomotive“ der kapitalistischen Weltwirtschaft? Dieser Widerspruch macht den wenigsten Politikern und Wissenschaftlern zu schaffen, ist es doch ihre Hauptaufgabe, Ideologie zu produzieren, mit der die Interessen der kleinen Minderheit der Ausbeuter kaschiert wird. Da steht die Logik hintenan.

MarxistInnen brauchen eine saubere Analyse: Was ist das für ein Staat? Welche Klasse herrscht? Was für Produktions- und Eigentumsverhältnisse bestehen? Wo steht dieses Land? Ist es Freund oder Feind im großen Krieg der Klassen? Wie sollen wir mit ihm umgehen?

Degenerierter Arbeiterstaat

Ein „kommunistisches“ Regime wäre ein Land, wo die Bourgeosie, wo Privateigentum und Marktkonkurrenz nicht mehr existieren. Die Arbeiterklasse hätte eigene Machtorgane: die Räte. Selbst dieser Staat würde absterben, weil die Gesellschaft dank fehlender Ausbeutung und schwindender Unterdrückung immer weitere Bereiche des Lebens selbst regeln würde. Es wäre ein Stützpunkt der Weltrevolution, der anderen Ländern hilft, das Joch des Kapitalismus und des Imperialismus abzuschütteln.

Die Revolution von 1949 brachte nicht die Arbeiterklasse an die politische Macht, sondern die Partei, die sich auf eine erprobte Armee stützte und die radikalisierte Landbevölkerung. Eine Koalitionsregierung mit bürgerlichen Kräften wurde gebildet, die im Laufe der nächsten zwei Jahre allerdings ebenso ins Exil gedrängt wurden, wie der Großteil der chinesischen Bourgeoisie zuvor. Eine Landreform, die die schauerlichen feudalen Ausbeutungsverhältnisse auf dem Land abschaffte, sicherte der Partei die Unterstützung der armen Bauern.

Trotz der Industrialisierung erreichte China nie das Niveau der Sowjetunion oder der Staaten Osteuropas. Die Planung war im Vergleich zu diesen unterentwickelt. Es entstanden die gleichen politischen Verhältnisse wie in der Sowjetunion, nachdem die stalinistische Bürokratie dort die Revolution erwürgt hatte: Ein Land ohne Kapitalistenklasse und ohne Privateigentum an Produktionsmitteln, ein Land aber auch, in dem die Arbeiterklasse nicht nur keine politische Macht hat, sondern jeder Versuch, eigene Gewerkschaften oder Parteien zu gründen, blutig unterdrückt wird. Trotzki entwickelte den Begriff des „degenerierten Arbeiterstaates“ für diese Gesellschaften. Festgefahren zwischen Kapitalismus und Sozialismus vereinten diese einen gewissen sozialen Fortschritt mit der politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse.

Trotzki entwickelte für diese Länder eine besondere Strategie: RevolutionärInnen sollten diese Länder konsequent gegen alle Angriffe des Imperialismus verteidigen, um die sozialen Errungenschaft infolge der Enteignung der Bourgeoisie zu schützen, zugleich sollte die herrschende bürokratische Kaste durch eine politische Revolution der Arbeiterklasse gestürzt werden. Die politische Diktatur der stalinistischen Bürokratie musste durch die revolutionäre Herrschaft der Arbeiterräte ersetzt werden, um den Weg zum Sozialismus (wieder) beschreiten zu können.

Es gab Versuche dazu: 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei und 1981 in Polen. Die Arbeiterklasse konnte nirgends siegen. Die letzten Versuche politischer Revolutionen endeten 1989/90 im Sieg der bürgerlich-demokratischen Konterrevolution. Aber die Geschichte hat Trotzki recht gegeben: Die stalinistische Bürokratie hat nicht den „realen Sozialismus“ verteidigt, sondern den Kapitalisten den Weg gebahnt - am offensichtlichsten in China.

Restauration

Schon in den 1970ern hatte der rechte Flügel der chinesischen Staats- und Parteibürokratie freie Märkte in der Landwirtschaft zugelassen. Freie Märkte machen aus einem Bauern noch keinen Kapitalisten, aber es gibt ihm die Chance, bei Nahrungsmittelmangel mit Preiserhöhungen Geld anzusammeln, das sich irgendwann in Kapital verwandeln kann, z.B. durch die Pacht von mehr Land und die Anstellung von ArbeiterInnen.

Ab 1976 entstanden unter Deng Xiao Ping auch zigtausende kommunale Privatunternehmen, (Landunternehmen) aus denen ein immer größerer Privatsektor und die Anfänge einer chinesischen Bourgeoisie entstanden - ein Prozess ursprünglicher Akkumulation. Später richtete die KP auch Sonderwirtschaftszonen ein, die ausländisches Kapital (v.a. von Auslandschinesen) anzogen.

Diese Maßnahmen unterminierten die geplante Wirtschaft, die v.a. in Form der großen Staatsunternehmen aber immer noch dominierte. Wie auch in Osteuropa verwandelte sich ein Teil der Bürokratie in dieser Zeit zu Kapitalisten.

Diese prokapitalistische Entwicklung wurde dadurch abgesichert und in gewissem Sinn erst möglich, nachdem 1989 auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking die „Demokratie-Bewegung“ - die auch mit vielen Arbeiteraufständen und -streiks verbunden war - niedergeschlagen worden war.

Die entscheidende Wende kam allerdings 1992, als die KP beschloss, die zentrale Planung ganz aufzulösen und generell zu einer Marktwirtschaft umzuwandeln. Damit wurde der Staatsapparat, der von seiner Form her immer bürgerlich war, auch von seiner Funktion bürgerlich. Er wurde zum entscheidenden Instrument, eine allgemeine Warenproduktion zu etablieren, also eine Produktion für Märkte und nicht für die Bedürfnisse der Menschen. In mehreren Schritten mit etlichen Teilreformen wurden die riesigen Staatsbetriebe zerschlagen, was zur Entstehung  von zig Millionen Arbeitslosen führte.

Zugleich wurde ausländischem Kapital erlaubt, erst Minderheits- dann Mehrheitseigentümer von Industrieunternehmen zu werden; in den Sonderwirtschaftszonen bekamen sie nun völlig freie Hand; auch die „Land-Unternehmen“ bekamen mehr Freizügigkeit in ihrer wirtschaftlichen Aktivität; die Staatsbanken verloren ihr Monopol. Börsen wurden eingerichtet. Die ArbeiterInnen wurden LohnarbeiterInnen, Ausbeutungsmasse für chinesische und ausländische Kapitalisten, deren Reichtum sie jetzt vermehren.

Es hatte sich eine neue Kapitalisten-Klasse gebildet: aus den „Auslandschinesen“, oft Nachkommen der (meist in Taiwan und Hongkong ansässigen) 1949 geflohenen Bourgeois, oft Parteibonzen, die bei Privatisierungen Fabriken ergattern konnten, aus Bodenspekulanten, die von den Explosionen der Immobilienpreise z.B. in Shanghai profitieren konnten.

Die KP hat ihre Türen weit für diese neuen Kapitalisten geöffnet, rein zahlenmäßig stellen sie fast so viele Parteimitglieder wie die ArbeiterInnen. Die KP konnte die Kontrolle über die Entwicklung behalten, weil sie der neuen Bourgeoisie die Unterdrückung der Arbeiterklasse und hohe Profite garantieren konnte. Ein Zustand, der allerdings nicht von Dauer sein wird. Irgendwann will die neue herrschende Klasse die politische Kontrolle auch direkt ausüben.

Aber auch die „neue“, immens gewachsene Arbeiterklasse wird diese Zustände nicht ewig hinnehmen. Schon bei der Zerschlagung der Staatsbetriebe kam es zu heftigen Kämpfen, die manchmal die Form lokaler Aufstände annahmen, sich allerdings nicht zu einer nationalen Bewegung vereinen konnten. Zugleich hat sich ein Heer von 150 bis 200 Millionen WanderarbeiterInnen gebildet, die in den industrialisierten Küstengebieten arbeiten, unter z.T. selbst in China illegalen Bedingungen. Aber auch aus diesen Reihen kommt Widerstand: Es gibt Kämpfe um Lohnerhöhungen, gegen die Kasernierung der ArbeiterInnen in den Fabriken, gegen übelste Repression wie z.B. Sprechverbote. Bekannt wurde der Kampf bei Fox-CNN, der um diese Punkte geführt wurde und durch etwa 10 Selbstmorde von ArbeiterInnen angeheizt wurde. Bei Honda wurde gerade erst ein erbitterter Kampf geführt, in dem die Streikenden auch die Forderung aufstellten, die Gewerkschaftsvertreter selbst zu wählen. Ein klares Zeichen, dass der Kampf nicht nur ein spontaner Ausbruch ist, sondern eine weitergehende Perspektive hat. Die übergroße Mehrheit der Arbeitskämpfe allerdings wird gar nicht im Ausland bekannt.

China hat also alles, was ein kapitalistisches Land und einen bürgerlichen Staat ausmacht. Die einzige Besonderheit bleibt, dass nicht eine rein bürgerliche Partei herrscht. Die KP stellt sich scheinbar über das System und ihre Ideologen stellen den langen Marsch zurück in den Kapitalismus als genialen Schachzug dar, der Chinas „Sozialismus“ Kapital und Technologie bringen soll.

Aber Kapital ist nicht ein Haufen Geld oder Maschinen, Kapital ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Kapital ist nicht denkbar ohne Lohnarbeit, die es ausbeutet, um sich durch den so geschaffenen Mehrwert zu vermehren. Kapital muss investiert werden, es strebt danach, sich aus Geld in Maschinen, Rohstoffe und Arbeitskraft zu verwandeln. Wenn letztere dann eine Ware hergestellt hat, steckt das Kapital in dieser, um dann durch den Verkauf zusammen mit dem neu entstandenen Mehrwert realisiert zu werden, also wieder Geldform anzunehmen. Umgekehrt kann man sagen, dass Kapital letztlich der „geronnene“ Mehrwert, also Arbeit ist.

Die KP hat sich also nicht nur Geld oder Technologie ins Land geholt, sondern neue Verhältnisse, die sich beständig erweitern und vertiefen.

Chinesischer Imperialimus

Zuerst waren es Massenkonsumgüter, die in China für den Weltmarkt herstellt wurden, Textilien und Plastikteile, bevorzugt mit hohem Anteil an Handarbeit. Zunehmend werden langlebige Konsumgüter und Maschinen hergestellt, die Nachfrage im Land selbst ist gestiegen. China musste auf den Rohstoff- und Energiemärkten sowie auf den Finanzmärkten tätig werden, wollte es nicht eine Halb-Kolonie bleiben, der die imperialistischen Länder nicht nur die Preise, sondern auch die Politik diktieren. Dank seiner Größe und der staatlichen Steuerung dieses Prozesses ist dies insofern gelungen, als China jetzt anderen Ländern die Bedingungen diktieren kann und diese ausbeutet. China ist selbst zu einem imperialistischen Land geworden.

Im Zeitalter des Imperialismus gibt es keine Nischen mehr auf der Welt, es herrscht Konkurrenz und Verdrängung auch zwischen den einzelnen Ländern, es gilt: Fressen oder Gefressenwerden. Die Krise von 2008 hat gezeigt, dass das Wachstum Chinas stabiler war und seine Reserven größer waren als die anderer führender Wirtschaftsmächte. China konnte mit der Krise seinen Platz im imperialistischen Gefüge ausbauen.

Eine weitere Veränderung muss allerdings zu ernsthaften Konflikten führen, auch militärischer Natur. Die „Liga für die Fünfte Internationale“ (L5I) schätzt heute China als imperialistisch ein, das heißt auch, dass wir in einem Konflikt Chinas mit einer Halbkolonie auf deren Seite stehen würden. In einem Konflikt Chinas mit einem anderen imperialistischen Land/Block würden wir die Position des revolutionären Defaitismus einnehmen, also keine Seite unterstützen und stattdessen für den Sturz der Bourgeoisie und die Umwandlung des Krieges in einen revolutionären Bürgerkrieg eintreten.

Aber auch innerhalb Chinas werden die Konflikte zunehmen. Die Arbeiterklasse wird die Schaffung von politischen und gewerkschaftlichen Organisationen angehen. Als LFI haben wir dazu mit der Herausgabe eines Bulletins in China beigetragen, das auf große Resonanz stößt.

Wenn eine Arbeiterklasse von rund einer Milliarde Menschen die Bühne des Klassenkampfes national und international betritt, wird das gewaltige Erschütterungen hervorrufen. Es gilt zu verhindern, dass eine gewerkschaftliche Reorganisation nur dazu führt, dass eine reformistische Gewerkschaftsbürokratie sich auf eine Schicht bessergestellter ArbeiterInnen stützt, die - wie in den anderen imperialistischen Ländern - dank der Extraprofite aus den Halbkolonien zu einer Stütze des Systems wird. Es gilt vielmehr, diese riesige Arbeiterklasse für die Revolution zu gewinnen!

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Nr. 151, Juli/Aug. 2010
*  Politische Lage: Regieren in der Krise
*  Heile Welt
*  Krisenfolgen: Kommunaler Kollaps
*  Alternative: Gewerkschaftsbürokratie fordert Ausschluss
*  Protest gegen Stuttgart 21: Oben bleiben!
*  6.-8. August: Bildungsstreikkonferenz
*  NRW und die Politik der Linkspartei: Bock oder Gärtner?
*  Frauenunterdrückung und Hausarbeit: Aschenputtels Arbeit
*  Kolonialpolitik: Weisse Herrinnen
*  China: Ein neuer Imperialismus
*  Europäisches Sozialforum: Verwesung oder Genesung?
*  Wahlen in Belgien, Ungarn und den Niederlanden: Stoppt den Vormarsch der Rechten in Europa!