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Daimler-Chrysler

Der Vorstand und sein GBR

Frederik Haber, Neue Internationale 105, November 2005

Gerade als Clement seinen Bericht vorlegte, wie die Arbeitslosen das Hartz-System hintergehen, welches ja ihnen helfen soll sich endlich zur Aufnahme regulärer Arbeit zu aktivieren, gerade in diesem Moment beschloss der neue Vorstand der DC-AG 8500 weitere Arbeitsplätze zu vernichten.

Es folgte kein Aufschrei der Empörung, noch nicht mal wirkliche Kritik. Weder aus der Partei der Arbeitsaufnahme-Aktivatoren - Ex-Kanzler Schröder waren die Ankündigungen massiver Stellenstreichungen bislang keine Bemerkung wert - noch aus den Reihen der IG Metall und des Gesamtbetriebsrates (GBR).

Für die Gewerkschaft kritisierte Huber lediglich die Höhe der Zahl und die fehlende Begründung: "Die Zahl 8500 ist bisher nicht hinterlegt, weil der Vorstand die Produktivitätsentwicklung im Moment noch gar nicht darstellen kann." Der Abbau selbst aber geht in Ordnung: "Wir wussten, dass es Probleme gibt - man kann ja die Augen nicht verschließen, wenn bestimmte Schichten aus der Produktion herausgenommen werden." (Stuttgarter Zeitung, 15.10.05)

Haltung der Bürokratie

Für den GBR aber steht selbst die Höhe der zu vernichtende Stellen nicht in Frage und er beeilte sich, mit der Konzernspitze eine gemeinsame Presseerklärung herauszugeben, eine Abfindungstabelle zu basteln und in gemeinsamen Info-Veranstaltungen diese den Beschäftigten vorzustellen. Üblich wären zusätzliche Betriebsversammlungen. Nicht nur, dass die BR-Spitzen zusammen mit dem Vorstand vor die Belegschaft treten, den Beschäftigten wird auch noch das Recht genommen zu fragen oder Stellung zu nehmen.

Der Tenor von IGM- und BR-Spitze lautet: "Wie gut, dass wir letztes Jahr eine Beschäftigungssicherung vereinbart hatten, so können wir heute Kündigungen vermeiden."

Das ist erstens blanker Zynismus, zweitens wird kräftig gelogen. Im letzten Jahr lobten sich die BR-Fürsten alle Stellen in den deutschen Werken bis 2012 gesichert zu haben. Daran können sie sich heute nicht mehr erinnern. Schon damals war absehbar, dass die "Beschäftigungssicherung" nur eine Abbau-Gestaltung war, denn alle, die seitdem in die Firma eintreten, werden nicht nur deutlich schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft, die ihrerseits schon Verzicht üben musste, sondern sie haben auch null Kündigungsschutz. Schlussendlich haben die Beschäftigten mit dem vereinbarten Verzicht die Abfindungen bezahlt, die jetzt 8500 Arbeitsplätze vernichten.

Das Vorgehen der Spitzen-Bürokraten stellt einen doppelten Schritt in Richtung Unterordnung unter die Kapitalinteressen dar, die beide die Krise der Gewerkschaften verstärken. Die Betriebsräte, vor allem der Großkonzerne, haben schon immer dazu geneigt, sich dem Unternehmensinteresse anzupassen. Aber bislang waren sie bemüht, in diesem Rahmen Löhne und Arbeitsbedingungen zu verteidigen.

Im letzten Jahr wurden bei VW, Opel und DC die Löhne gesenkt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert - im Namen der Arbeitsplätze. Jetzt werden auch diese den Profitinteressen geopfert und traditionelle gewerkschaftliche Antworten, wie die Arbeitszeitverkürzung, als Spinnerei verurteilt. Der GBR-Vorsitzende von DC, Klemm, warnte sogar vor Arbeitszeitverkürzung nach dem Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag, also ohne Lohnausgleich, falls nicht genügend Beschäftigte freiwillig gehen. Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, wie sie etliche MetallerInnen fordern, u.a. auch die Mettinger/Untertürkheimer Opposition im BR, halten diese Herren für indiskutabel.

Zugleich geht im Gleichschritt die IG Metall weiter in der Unterordnung der Gewerkschaft unter die Betriebsräte. IG Metall-Politik wird reduziert auf diejenige der BR-Fürsten, die Vertrauenskörper werden zu Erfüllungsgehilfen derselben. So durften im letzten Jahr die Vertrauensleute in Untertürkheim erst nach den Neuwahlen tagen und über die "Beschäftigungssicherung" abstimmen, die alte Besetzung wäre zu unsicher gewesen.

Den Bochumer Opel-Vertrauensleuten soll jetzt ein Maulkorb umgehängt werden, nachdem sie sich im Betrieb kritisch zur dortigen Beschäftigungssicherung geäußert hatten. Das sind keine Einzelfälle und es ist auch eine Frage der Aushebelung der gewerkschaftlichen Demokratie: In der Gewerkschaft haben die von Mitgliedern wie Nichtmitgliedern gewählten BR nicht nur eine immer stärkere Rolle erhalten, sie sollen direkt das Meinungsmonopol über diejenigen erhalten, die ihr Mandat von den Gewerkschaftsmitgliedern ableiten.

Beide Entwicklungen führen dazu, dass die Betriebsräte - und damit auch die anstehenden Betriebsratswahlen - zum umkämpften politischen Terrain werden. Wenn die Politik der Gewerkschaft im Betrieb immer weniger durch gewerkschaftliche Gremien bestimmt wird, sondern umgekehrt die Gewerkschaft immer mehr durch die Politik der Betriebsräte, können sich klassenkämpferische GewerkschafterInnen umso weniger auf den Kampf innerhalb der existierenden Gewerkschaftsgremien beschränken. Sie müssen den Kampf um die BR aufnehmen- trotz aller Vorbehalte gegenüber den Betriebsräten, die vom Gesetz auf die Zusammenarbeit mit dem Unternehmer und die Überwachung von Gesetzen (wenn auch zugunsten der Arbeitnehmer) festgelegt sind.

Das Aufkommen von neuen Listen ist die zwangsläufige Folge. Was die Bürokraten dann als Spaltung verurteilen, ist in der Tat eine - allerdings eine, für die sie die volle Verantwortung tragen.

Das Beispiel Untertürkheim

In diesem wichtigen Standort des Daimler-Konzerns gab es schon längere Zeit Auseinandersetzungen, die mit der Beschäftigungssicherung eskalierten. So wandten sich Teile des BR und der Vertrauensleute gegen die Einführung eines Dienstleistungs-Tarifvertrags, der bestimmten Beschäftigtengruppen die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert. Sie lehnten die Opfer zugunsten der Firma ab. Mit dem Marsch über die B10 zeigten sie, dass weit mehr an Mobilisierung möglich war, als das vom BR organisierte einmalige Dampfablassen.

Da sie ihre Positionen entgegen anderslautender Absprachen nicht mehr in der IGM-Zeitung herausbringen durften, gaben sie eine Betriebszeitung unter dem Titel ALTERNATIVE heraus. Die Mehrheit der IGM-Fraktion schloss sie daraufhin von ihren Fraktionssitzungen aus, und einen weiteren BR gleich dazu, der an der ALTERNATIVE nicht beteiligt war, sondern sich lediglich gegen die Repression ausgesprochen hatte.

Für die anstehende BR-Wahl gibt es im Untertürkheimer Mercedes-Werk eine Vorwahl: Die IG-Metall-Mitglieder dürfen die VertreterInnen ihres Bereichs benennen. Kandidieren darf nur, wer unterschreibt auf eigene Publikationen zu verzichten.

In den Bereichen im Werksteil Mettingen, aus denen die bisherigen ALTERNATIVE-BR kommen, haben die gelenkten Vorwahlen zu heftigen Aufruhr gesorgt. Die Wahlkommissionen wurden kurzerhand vor die Tür gesetzt und Dutzende KollegInnen haben sich bereit erklärt, die Gruppe zu unterstützen. So eine Mobilisierung um die Frage der Wahl belegt, was wir vorher analysiert hatten: klassenkämpferische Gewerkschafterinnen müssen dieses Terrain unbedingt nutzen! Die Konzentration auf die BR und die Wahlen dazu bergen aber auch eine Gefahr und die ersten Ausgaben der ALTERNATIVE zeigen das: Es ist nicht so leicht in der Hitze der Auseinandersetzung und angesichts der Widerwärtigkeiten der Komanager eine Einheitsfrontpolitik durchzuhalten. Der eigentliche Gegner ist immer die Unternehmensseite und die BR-Spitze muss permanent aufgefordert werden, an der Seite der Belegschaft zu stehen, die Belegschaft in den Kampf zu führen.

Betriebliche Avantgarde

Auch wenn wir und eine Avantgarde im Betrieb wissen, dass die Komanager in Wirklichkeit auf der anderen Seite stehen, müssen kämpferische GewerkschafterInnen sie solange auffordern, an der Spitze der Belegschaft für diese zu kämpfen, solange eine Mehrheit der Belegschaft noch glaubt, dass sie dorthin gehört. Dies darf nicht bei Appellen stehen bleiben. Es gilt Versammlungen einzufordern und zu organisieren, in denen die Belegschaft die BR-Spitze auf ihre Forderungen verpflichten kann. Das ist die beste Methode sie zu überprüfen.

Gerade in Großkonzernen ist es leicht, den Rest der Welt aus den Augen zu verlieren. Die zahlreichen Oppositions-Listen bei den Wahlen können den Kern für eine klassenkämpferische Bewegung in der IG Metall ergeben, selbst wenn dieser Kern zeitweise ausgeschlossen wird.

Das ist aber nicht nur eine organisatorische Frage der "Vernetzung" der Akteure. Das ist auch eine Frage des Verständnisses und muss sich zum Beispiel in der Zeitung widerspiegeln. Solange die Sicht auf einen Betrieb oder ein Werksteil beschränkt bleibt, solange der Gegner einzelne Unternehmensvertreter sind bzw. einzelne BR-Fürsten, wird die Masse der Belegschaft das für einen Personenproblem halten, für eine Frage der Boshaftigkeit, der Unfähigkeit oder der Korruption.

Ein erster Schritt sind Berichte aus anderen Werken und Unternehmen, und hier konnte man im letzten halben Jahr einen deutlich besseren Austausch zwischen DC Untertürkheim, Kassel und Bremen beobachten.

Politisierung der Aktivität

Aber Berichte allein sind noch zu wenig: Systematisch muss den KollegInnen erklärt werden, was die politische Überzeugung hinter dem Verrat der Spitzen-Funktionäre ist: Ihre vollkommene Akzeptanz des kapitalistischen Systems führt sie dazu auch die Krisen des Systems, der Branchen oder der Unternehmen als "gottgegeben" hinzunehmen und die Interessen der Beschäftigten dem unterzuordnen.

Diese Klärung darf nicht als Ultimatum an die KollegInnen gerichtet sein. Aber wenn sie selbst nicht lernen, die Herrschaft der Kapitalisten in Frage zu stellen, sondern der Konflikt mit den reformistischen Bürokraten sich darauf reduziert, wie viel man den herausholen könne oder abgeben müssen, bleibt man selbst in derselben Logik gefangen, die diese Bürokraten beherrscht.

Die Verantwortung dafür, dass die Perspektive ausgeweitet wird, liegt aber nicht nur bei den betrieblichen Oppositionskräften. Eine politische Bewegung, die den Kampf gegen die Angriffe der neuen Regierung organisiert, muss dies mit den Konflikten im Betrieb verbinden.

Die alte Anti-Hartz-Bewegung hatte die Verbindung zu den Betrieben noch nicht wirklich gefunden. Wir können davon ausgehen, dass die Große Koalition neue Attacken auf die Erwerbslosen vorbereitet. Clements Vermächtnis hatte mit Sicherheit dieses Ziel. Es liegt also z.B. an der Aktionskonferenz der Sozialen Bewegungen am 19.November, hier die Weichen zu stellen und den Kampf gegen die Regierung mit dem Kampf gegen die Stellenvernichtung bei DC und anderswo zu verbinden.

Eine Schlüsselstellung hat dabei die Gewerkschaftslinke: Es gilt einerseits die betrieblichen Oppositionsgruppen trotz ihrer hohen Belastung im betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampf für den gesellschaftliche und politischen Kampf zu gewinnen und zugleich die Sozialen Bewegungen für diese Kämpfe zu öffnen.

Keine einfache Aufgabe, aber es gibt dabei auch was zu gewinnen: Neue AktivistInnen aus den Betrieben durch die Politisierung der Kämpfe und mehr Wirkung im Kampf gegen die Regierung durch Einbeziehung der Betriebe.

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Nr. 105, November 2005

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