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Arbeitsmarktreformen

Offensive gegen Arbeitslose

Theo Tiger, Neue Internationale 105, November 2005

Mit den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 hatte Rot/Grün umfassende „Reformen“ des Arbeitsmarktes begonnen. Auch die neue Große Koalition wird diese Politik weiter verfolgen, jetzt unter der Verantwortung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering als Arbeitsminister.

Während alle Parteien über den Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse klagen, steigt die Gesamtzahl der Beschäftigten weiter an. Die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse durch Niedriglohn, Teilzeit und Zeitarbeit drückt auf die Löhne. Hartz IV markiert dabei nur eine weitere Etappe beim Absenken der Lohnkosten in Deutschland.

Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist eine beispiellose Neuordnung des Arbeitmarktes vor sich gegangen. Nicht nur die Bezüge sind auf und unter das Niveau der Sozialhilfe gedrückt wurden, besonders die arbeitsrechtlichen Konsequenzen sind weitreichend - nicht nur für die Arbeitslosen selbst, sondern auch für deren Familien, den „Bedarfsgemeinschaften“.

Als Hartz IV verabschiedet wurde, erlebten wir eine Hetzkampagne gegen Sozialhilfeempfänger und „Sozialschmarotzer“. Da die Kosten von Hartz IV die Erwartungen weit übersteigen, starten die Medien nun die nächste Meinungsmache gegen die „Hartz IV-Betrüger“. Wenn Hartz IV- EmpfängerInnen versuchen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um leben zu können, dann ist das kein Beweis für Betrug, sondern vielmehr ein Hinweis auf die ärmlichen Verhältnisse, unter denen Arbeitslose leben müssen!

Staatlich geförderte Zwangsarbeit

Für eine(n) ALG II-EmpfängerIn stehen insgesamt 1.378 € für alle Leistungen (Regelsatz, Wohnkosten, Sozialversicherungsbeiträge und die Trägerpauschale - eine Unternehmerprämie, wenn diese Arbeitslose einstellen) zur Verfügung.

Das Armutskriterium der EU bezeichnet einen Nettolohn von 1.100 € als Grenze für Deutschland. Beim ALG II wird also Armut mit einer Summe finanziert, die höher als das Armutskriterium der EU ist und gleichzeitig den Arbeitslosen völlig entrechtet und sozial abwertet. Dazu passen auch die Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der feststellt, dass der Regelsatz von 345 € nach EU-Kriterien noch nicht einmal existenzsichernd ist, dies wäre erst ab einem Regelsatz von 420 € der Fall.

Viele Anti-Hartz-Bewegungen fordern daher auch zu Recht, die Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Bei einer Bremer Initiative heißt das „3 statt 4“ - drei reguläre Jobs inklusive Sozialversicherung statt vier ALG II-Empfänger mit Ein-Euro-Jobs.

Anstelle öffentlicher regulärer Arbeitsplätze entsteht staatlich geförderte Zwangsarbeit, sei es im Altenheim oder bei den Stadtwerken. Der Staat subventioniert die Ein-Euro-Jobs als Niedriglohngruppe und schafft somit ein unteres Ende von zumutbaren Löhnen, worüber auch die private Wirtschaft hocherfreut ist.

Besonders das CDU-Kombilohn-Modell ist als Fortführung von Hartz IV geeignet, den Druck auf Arbeitslose weiter zu verschärfen. Ganz nach dem amerikanischen Grundsatz „Work for Welfare“ können sich Arbeitslose bald generell darauf einstellen, im Niedriglohnsektor arbeiten zu müssen, für kaum mehr als ihnen jetzt mit Regelsatz, Miete und Heikosten zur Verfügung steht.

Bislang haben besonders die Kommunen von den neuen Billig-Arbeitskräften profitiert. In Nordhessen wurden z.B. die Schulen von den Agenturen direkt angeschrieben. Kritische GEW-Funktionäre starteten daraufhin eine Umfrage und stellten fest, dass von 53 Schulen, welche die Bögen zurück geschickt hatten, ein Drittel Eien-Euro-Jobs planen oder schon verwirklicht haben. Diese 31geplanten Stellen sind z.B. Hausmeister, Büchereiaufsicht, Pausenaufsicht, Cafeteria, Medienbereich usw.

Während die Bildungsmittel für öffentliche Schulen, speziell im ländlichen Bereich gekürzt und von der Klassengröße abhängig gemacht werden, entsteht gleichzeitig ein prekärer Arbeitsmarkt, von dem sich die Schulen bedienen können.

Da die Billig-Jobber nach den gesetzlichen Bestimmungen nur „zusätzliche Arbeiten“ ausführen, gelten für sie auch nicht die regulären Arbeitsbestimmungen:

Ein-Euro-Jobs sind Zwangsmaßnahmen. Wer solche „Arbeitsangebote“ ablehnt, wird mit der Kürzung des Regelsatzes um 30% bestraft. Arbeitslose unter 25 erhalten gar keine Zahlungen mehr, sie erhalten Lebensmittelgutscheine, die Miete wird direkt an den Vermieter überwiesen.

Ein-Euro-Jobs sind keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, sie berechtigen nicht zum Erhalt von ALG I nach Ende der Maßnahme und sind einmalig um sechs Monate verlängerbar.

Bei Ein-Euro-Jobs gibt es keine Lohnfortzahlung bei Krankheit. Der mögliche Urlaub beträgt zwei Tage im Monat.

Ein-Euro-Jobs werden komplett von der Arbeitsagentur finanziert. Die Träger der Jobs erhalten von ihr 500 € im Monat, davon werden die Zahlungen an den Arbeitslosen, die Qualifizierung und der Verwaltungsaufwand bezahlt - der „Arbeitgeber“ bezahlt also nichts.

Hier wird die allgemeine Zielrichtung der Arbeitsmarktreform deutlich: die Schaffung eines prekären Zwangsarbeitssektors für jene, die der reguläre Arbeitsmarkt nicht mehr aufnimmt. Wie beim französischen Versuch Mitte der 90er werden nun öffentliche Aufgaben und Arbeiten auf Arbeitslose übertragen. So wurden die Haushalte entlastet und die Lohnsspirale nach unten geöffnet. Auch die Tarife wurden massiv angegriffen, die Prekarisierung breiter Arbeiterschichten schwächte die Gewerkschaften und setzt die Beschäftigten einer starken Konkurrenz aus.

Familien und Jugend unter Hartz IV

Mit Hartz IV sollte besonders die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden, daher gibt es für unter 25jährige verschärfte Bedingungen - sie sind direktem Arbeitszwang ausgesetzt. Sobald ein jugendlicher Arbeitsloser ein „Qualifizierungsangebot“ ablehnt, werden seine Bezüge gestrichen.

Diese Qualifizierungen umfassen zumeist keine schulische Ausbildung, sondern sind allein „Integrationsmaßnahmen“ im zweiten und dritten Arbeitsmarkt. Besonders Mittelstand und Handwerk bedienen sich bei diesen „Umsonst-Jobbern“. Viele Jugendliche werden für einfache Arbeiten angestellt und nach einem Jahr wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen. Dies drückt sich auch im Rückgang der Zahl von ABM aus. Während die berufliche Ausbildung weiter gekürzt wird, werden Jugendliche als billige austauschbare Arbeitskräfte eingesetzt. Zukünftig ist es auch vorstellbar, dass die Zivi-Stellen von arbeitslosen Jugendlichen übernommen werden - für noch weniger Entgelt.

Den Jugendlichen wird keine qualifizierte Ausbildung angeboten, auch schulische Weiterbildung ist fast unmöglich. Wenn Jugendliche ohne Schulabschluss tatsächlich gefördert werden sollen, dann muss ein Anrecht auf eine ausreichende Schulbildung mit weiterführender Ausbildung das Ziel sein und keine Zwangsarbeit für „Vater Staat“.

Gleichzeitig wurde die „Bedarfsgemeinschaft“ eingeführt. Hier werden alle Personen und Einkommen im Haushalt der Arbeitslosen unter die Lupe genommen. Zunächst heißt dies für arbeitslose Ehepartner, das sie ab einem gewissen Einkommen des Partners ganz aus der Arbeitslosenunterstützung herausfallen, oder nur verminderte Bezüge erhalten. Auch werden alle Vermögenswerte der Bedarfsgemeinschaft heran gezogen, sobald diese Summen die Grenze von 10.800 € überschreiten. Die Beträge darüber müssen von den Arbeitslosen „verbraucht“ werden - dies ist eine Enteignung großer Teile der Vermögenswerte von Arbeitslosen und Familien, in denen mindestens eine Person arbeitslos ist.

In Bochum führte dies dazu, dass die dortige Arbeitsagentur Informationsveranstaltungen für „Hilfsbedürftige aus Bedarfsgemeinschaften“ anbot, wo Fragebögen verteilt wurden, welche den potenziellen Einsatz von Ein-Euro-Jobbern erfragte. Zu diesen Hilfsbedürftigen gehören neben dem Ehepartner auch jedes Kind ab 16. Schon im Fragebogen wurde darauf hingewiesen das eine ablehnende Antwort auf bestimmte Fragen Leistungskürzungen zur Folge haben könne. Die Fragebögen gehörten nicht zum offiziellem ALG II-Nachweis, wurden aber von der Arbeitsagentur vorsorglich eingesetzt, um potenzielle Erwerbsfähige zu akquirieren.

Der Staat „sondiert“ die industrielle Reservearmee, schaut nach verwertbarer Arbeitskraft zum Nulltarif. SozialhilfeempfängerInnen, Langzeitarbeitslose und Jugendliche werden dem Arbeitsmarkt zurückgeführt, als Billiglohnkräfte mit staatlichen Zuschüssen - besser hätte auch der BDI das Gesetz nicht schreiben können!

Nun steht die reformpolitische „Vollendung“ an. Unter Führung von Sozi Müntefering wird nun der Kombilohn - die deutsche Variante des „Wisconsin-Modells“ - eingeführt.

Spaltung überwinden!

Unter Rot/Grün wurden die Arbeitslosen als der sozial schwächste und am wenigsten organisierte Teil der Arbeiterklasse angegriffen. Damals hofften viele Beschäftigte noch, dass der bittere Kelch der Arbeitslosigkeit an ihnen vorbei gehen würde. Unter dem unseligen Motto der „Standortsicherung“ nutzten die Reformisten die Angst der Beschäftigten, um sie zu Zugeständnissen bei Löhnen und Arbeitszeiten zu bewegen. Dafür war ihnen auch der Ausverkauf von Streiks gut genug. Dafür versagten die DGB-Spitzen den Montagsdemos die Unterstützung und verhinderten so den gemeinsamen Kampf von Beschäftigten und Erwerbslosen. Diese Spaltung muss überwunden werden!

Wir müssen Arbeitslose organisieren und die Gewerkschaften stärker in die Pflicht nehmen! Nur in der gemeinsamen Aktion kann die Spaltung überwunden werden, die heute noch oft das Verhältnis von Beschäftigten und Arbeitslosen prägt.

Das Interesse der Arbeitslosen ist das Interesse aller Menschen in diesem Staat. Außer der kleinen Gruppe der ewigen Rentiers kann jeder von Arbeitslosigkeit betroffen sein: direkt, indem er seinen Job verliert, indirekt, indem das Lohnniveau gedrückt wird. Daher brauchen Arbeitsloseninitiativen, Anti-Hartz-Komitees usw. jede mögliche Unterstützung!

Auch die nach der erfolgreichen Wahl der Linkspartei anstehende Fusion von WASG und PDS muss dafür genutzt werden, dass Beschäftigte wie Arbeitslose im Formierungsprozess einer neuen Partei ihre Forderungen einbringen. Sie müssen ihre Interessen offen artikulieren, sich dafür in eigenen Basisstrukturen organisieren und auf Politik und Programm der Linkspartei Einfluss nehmen. Das ist umso dringlicher, als die PDS-Spitzen wiederholt klar gesagt haben, dass sie „einige Teile“ von Hartz IV durchaus richtig finden und zudem auf Landesebene selbst an deren Umsetzung aktiv beteiligt sind. Das ist umso dringlicher, als die Bundestagsfraktion der Linkspartei schon jetzt von der Forderungen nach Rücknahme der Hartz-Gesetze abgerückt ist bloß die Nachbesserung von Hartz IV fordert.

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Nr. 105, November 2005

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*  Heile Welt
*  Strategie- und Aktionskonferenz: Kapitaloffensive stoppen!
*  Berliner Linke und die PDS: Quo vadis WASG?
*  DaimlerChrysler: Der Vorstand und sein GBR
*  Streik an der Uni-Klinik Tübingen: Da war mehr drin!
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*  Italien: Bertinotti kapituliert
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