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Nahost

Die syrische Revolution in einem entscheidenden Stadium

Martin Suchanek, Infomail 638, 21. August 2012

Die syrische Revolution ist in ein entscheidendes Stadium getreten.

In den letzten Wochen haben die bewaffneten Kämpfe die Hauptstadt Damaskus und Aleppo, die größte Stadt des Landes, erreicht. Große Teile des Landes befinden sich unter Kontrolle der Aufständischen.

Wichtige Repräsentanten des Regimes fielen Anschlägen zu Opfer, andere wechselten die Fronten. All das zeigt, dass die Lage zu einem Entscheidungskampf drängt.

Bewaffneter Volksaufstand

Wir haben es mit einem verallgemeinerten, bewaffneten Volksaufstand zu tun.

Daran wird auch deutlich, dass wir es nicht nur mit bewaffneten Kämpfen, sondern auch mit Demonstrationen zu tun haben, deren TeilnehmerInnen bereit sind, als „Schutzschilde“ vor den kämpfenden Einheiten des Aufstands zu fungieren. Eine solche Opferbereitschaft kommt üblicherweise nur vor, wenn für die Masse der Bevölkerung klar ist, dass es ums Ganze geht, dass eine grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse unmittelbar möglich und notwendig ist. Dies wiederum führt zur weiteren Zersetzung der syrischen Armee und zum direkten Zulauf zu den Aufständischen.

Der Sturz des verhassten Assad-Regimes steht auf der Tagesordnung. Natürlich ist es schwer bis unmöglich, das genaue Kräfteverhältnis zu bestimmen. Es ist aber klar, dass der Sieg über das Regime noch nicht gesichert ist.

Revolutionäre KommunistInnen haben die syrische Revolution begrüßt und unterstützt. Sie haben sie als genuine Massenbewegung verteidigt, sei es an ihrem Beginn als Protestbewegung als auch dann, als sich der Kampf mehr und mehr zu einem Bürgerkrieg entwickelte. Erst recht trifft das zu, wenn die syrische Revolution nun vor der Aufgabe steht, einen ersten wichtigen Sieg - den Sturz und die Vertreibung der reaktionären und despotischen Assad-Clique - zu erringen.

Einfluss von außen

Das bedeutet allerdings nicht, die Tiefe der Führungskrise der Arbeiterklasse und der Massenbewegung zu ignorieren oder zu unterschätzen. Auch wenn die Kräfteverhältnisse in der demokratischen Oppositionsbewegung, in der „Freien Syrischen Armee“, zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen sehr schwer zu bestimmen sind, so ist klar, dass die Massenbewegung unter klein-bürgerlichem oder bürgerlichem Einfluss steht, der von sekulären, demokratischen und reformistischen Kräften bis hin zu reaktionären islamistischen und pro-imperialistischen reicht.

Zweifellos wurde die heterogene „Frei Syrische Armee“ in den letzten Wochen zu einer einheitlicheren Kraft, die koordinierte, landesweite Operationen durchführen kann. Ohne diese Entwicklung wäre sie letztlich gegen das Regime chancenlos.

In dieser Lage hat sich natürlich auch das Bestreben der verschiedenen imperialistischen Kräfte - allen voran die USA und die europäischen Mächte, aber auch Russland und China - die Lage politisch und militärisch zu beeinflussen und unter Kontrolle zu bringen,  erhöht. Gescheiterte UN-Beobachtermissionen, diplomatische Ränke um “Kontaktgruppen“ nehmen zu - und werden weiter zunehmen, den keine imperialistische Macht möchte bei einer „Neuordnung“ Syriens außen vor sein.

Und erst recht wollen das keine Regionalmächte wie Saudi-Arabien, Katar oder die Türkei einerseits oder der Iran andererseits. Alle wollen den Bürgerkrieg und die zukünftige Ordnung zur Stärkung ihrer Position nutzen.

Teil einer revolutionären Welle

Doch das ändert nichts daran, dass es sich in Syrien um einen berechtigten Massenaufstand gegen eine autoritäre und reaktionäre Diktatur handelt, dass dieser ein integraler und wichtiger Bestandteil der Revolution im Nahen Osten und Nordafrika ist.

Die Aufgabe von RevolutionärInnen besteht deshalb darin, diesen Kampf zu unterstützen und voranzubringen und gleichzeitig dafür zu kämpfen, dass die Arbeiterklasse die Führung in der Bewegung übernimmt, dass bürgerlich-reaktionäre Kräfte in ihr zurückgedrängt werden und die syrische Revolution permanent, d.h. zu einer sozialistischen Umwälzung weiter getrieben wird.

Entgegen der „Freunde Assads“, diversen (Ex)Stalinisten, die mehr oder weniger zu politischen Anhängseln des „russisch-chinesischen Lagers“ im Kampf um eine Neuaufteilung der Welt geworden sind, stehen wir auf Seiten der syrischen Massen, der Arbeiterklasse wie der Masse des Kleinbürgertums, denen über Jahrzehnte ihre politischen Rechte vorenthalten wurden, die unter der kapitalistischen Krise und der neo-liberalen Politik des Assad-Regimes mehr und mehr verelendet sind.

Die westliche, saudische und türkische verbale oder auch materielle Unterstützung für Kräfte der Aufstandsbewegung darf und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kommende Sturz Assads v.a. das Werk der Massen ist. Seit Beginn der syrischen Revolution haben mehr als zehntausend Menschen im Kampf ihr Leben gelassen. Noch viel mehr wurden inhaftiert, misshandelt, gefoltert, terrorisiert. Die Behauptung, dass diese nur willfährig manipulierte Gefolgsleute einer westlichen, saudischen oder islamistischen Verschwörung wären, ist nicht nur eine unverschämte Verleumdung der Massen - sie ist auch ein untrügliches Zeichen politischen Realitätsverlustes solcher Kräfte.

Natürlich versuchen dabei erz-reaktionäre Kräfte verschiedener Art, die Führung der syrischen Opposition zu erlangen. Die westlichen Imperialisten kaufen mehr oder weniger „repräsentative“ Führer im Exil ein; sie hoffen im Land Fuß zu fassen. Erzreaktionäre Salafisten versuchen sich als die entschlossensten Kämpfer zu profilieren.

Die Gefahr, dass der Einfluss solcher Kräfte weiter steigt, kann freilich niemals bekämpft werden, wenn sog. Linke dem bewaffneten Kampf, dem Widerstand in Syrien den Rücken kehren. Das heißt nichts anderes, als nicht-proletarischen, reaktionären Kräften die Führung und die politische Hegemonie über die Massen zu überlassen und sich zum mehr oder weniger passiven Unterstützer des Schlächters Assad zu machen.

Der einzige Weg besteht vielmehr darin, dass die Arbeiterbewegung selbst um die Führung des Kampfes, d.h. auch des bewaffneten Aufstands kämpft.

Die Imperialisten fürchten einen Sieg der Massen

In Wirklichkeit fürchten die westlichen Imperialisten ebenso wie ihre Gegenspieler in Moskau oder Peking, dass die Massen ihr Werk „unkontrolliert“ vollenden und „zu weit“ gehen. Neben dem drohenden Verlust geo-strategischen Einflusses halten Russland, China und auch der Iran so hartnäckig an einer Verhandlungslösung unter Einschluss von Assad fest, weil „kontrollierbare Verhältnisse“ gesichert werden sollen.

Die USA und Deutschland andererseits halten Assad dazu für ein Hindernis. Sie wollen einen „geordneten Übergang“, worunter sie v.a. verstehen, dass der Zusammenbruch der syrischen Armee und somit ein „Machtvakuum“ verhindert werden soll. Das Regime Assad soll gehen, damit sein Staatsapparat unter Einschluss anderer Machtgruppen fortbestehen kann.

Daher kommt jetzt aus aller Munde die Forderung nach einer „Übergangsregierung“, die aus „unbeschädigten“ Kräften des alten Regimes einerseits und aus von den Imperialisten und ihren Verbündeten begünstigten Kräften der Opposition andererseits bestehen soll - eventuell ergänzt durch einige „Unkontrollierbare“ der Bewegung. Die vollends zur Farce gewordene UN-Mission und zahlreiche diplomatische Manöver dienen ebenso diesem Zweck.

Auch die westlichen, saudischen oder türkischen Waffenlieferungen an Teile der Opposition sind nicht nur lächerlich gering im Verhältnis zu den Waffenarsenalen der Assad-Regierung, die natürlich auch Lieferanten in Moskau hat. Der Westen will auch nicht, dass der bewaffnete Widerstand aus eigener Kraft militärisch siegt, sondern auf   einen von den Großmächten (durchaus auch unter Einschluss von China und Russland) ausgehandelten „Übergang“ verpflichtet werden kann. Ob nun in Form von „Vermittlungsversuchen“, durch Sanktionen gegen das Regime oder der Forderung nach einer direkten militärischen Intervention – letztlich geht es immer darum, dass eine Befreidung des Bürgerkrieges und eine „Restabilisierung“ unter Aufsicht der imperialistischen Mächte erreicht werden soll.

Ein solcher Übergang samt Übergangsregierung käme einer politischen Verschwörung gegen die Massen gleich - die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, die städtischen Kleinbürger, die Jugend, die Millionen, die gegen das reaktionäre Regime kämpfen. Sie sollen so um die Früchte ihres Kampfes gebracht werden. Statt einer Zerschlagung des Unterdrückungsapparates und seiner Ersetzung durch eine Arbeiter- und Bauernmiliz sowie Arbeiter-, Bauern und Soldatenräte soll dieser bloß von seinen brutalsten Elementen gereinigt werden. Der bewaffnete Apparat, die Kommandostrukturen von Polizei und Armee sollen höchstens reformiert, im Grunde aber intakt bleiben. Die Entwicklung in Ägypten und Tunesien zeigen jedoch, wohin das führt. In Syrien würde das erst recht der Fall sein.

Ähnlich wird es um andere revolutionär-demokratische Aufgaben bestellt sein. Statt einer Konstituierenden Versammlung und deren rascher Einberufung unter Kontrolle revolutionärer Komitees der ArbeiterInnen und Massen können wir mit einer Periode der „kontrollierten Vorbereitung“ unter Regie einer Übergangsregierung und ihrer imperialistischen oder sonstigen Berater rechnen.

Es ist kein Zufall, dass die Führung der Oppositionsbewegung - insbesondere die Exilführungen im Syrischen Nationalrat (Syrian National Council) - durchaus willfährig auf solche Optionen eingehen und sich enger und enger an die Verbündeten aus dem Westen und der arabischen Halbinsel anhängen. Das spricht jedoch nicht gegen die Revolution, sondern gegen eine reaktionäre Führung, die bereit ist, auch grundlegende demokratische Forderungen (von sozialen ganz zu schweigen) zu opfern. Sie tut das nicht, weil sie „gekauft“ wäre (auch wenn das für so manche(n) ihrer FührerInnen zutreffen mag), sondern weil das auch in ihrem eigenen Klasseninteresse liegt. Sie hofft so, zur herrschenden Elite aufzusteigen und sich selbst ihren Anteil am Reichtum, an den Ressourcen des Landes zu sichern.

Permanente Revolution

Das zeigt, dass die syrische Revolution auch ihre demokratischen Ziele nur erreichen kann, wenn sie von der Arbeiterklasse geführt wird und diese zur Herrschaft bringt. Das wiederum heißt aber, dass die syrischen Revolution bei ihren demokratischen Forderungen nicht stehen bleiben darf, sondern auch die Eigentumsverhältnisse im Sinne der Arbeiterklasse umwälzen muss. Nicht nur der Staatsapparat muss zerschlagen und durch Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte ersetzt werden. Ebenso müssen der Assad-Clique, der syrischen Bourgeoisie und den ausländischen Kapitalisten die Quellen ihrer Bereicherung entrissen, ihr Vermögen, ihre Fabriken, Unternehmen, Banken ohne Entschädigung und unter Arbeiterkontrolle enteignet werden. So wären die Grundlagen für die Reorganisation der syrischen Wirtschaft auf Grundlage einer demokratischen Planwirtschaft gelegt. Nur so wäre gesichert, dass auch die unter den demokratischen Forderungen schwelenden sozialen Probleme der Massen gelöst werden können.

Dazu bedarf es freilich einer grundlegend anderen Regierung! Es bedarf einer Arbeiterregierung, einer Revolutionsregierung, die aus dem Aufstand der Massen hervorgeht, die sich auf Räte und von ihnen kontrollierte bewaffnete Milizen stützt. In allen Städten und Kommunen müssen solche Räte formiert und auf landesweiter Ebene zentralisiert werden. Die Einheiten der „Freien Syrischen Armee“, wie Soldatenräte, die sich der Revolution anschließen, müssen unter deren Kontrolle gestellt und zu einer Miliz transformiert werden!

Eine solche Arbeiterregierung kann freilich nur zustande kommen und ein wirklich revolutionäres Programm umsetzen, wenn sich die syrische Arbeiterklasse und die Linke selbst das Ziel setzen, der Revolution ihren Stempel, ihre Perspektive aufzudrücken. Die syrische Arbeiterbewegung und die Linke sind aber selbst stark vom Konzept der stalinistischen Etappentheorie geprägt, von der Vorstellung, dass die syrische Revolution zu einem demokratischen, „zivilgesellschaftlichen“, letztlich zu einem bürgerlichen Regime führen müsse. Das ist eine Utopie, die zur politischen Unterordnung der Arbeiterklasse unter andere Klassen, einer Arbeiterpartei unter Parteien anderer Klassen - seinen es bürgerlich-liberale oder auch islamistische Kräfte - führen muss.

Hier liegt die politische Aufgabe von RevolutionärInnen in Syrien und international - inmitten der Revolution am Aufbau eine revolutionären Arbeiterpartei zu arbeiten, ein unabdingbares Instrument jeder erfolgreichen Arbeiterrevolution zu schaffen.

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Nr. 172, September 2012
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