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Pakistan

Im Fadenkreuz der Welt(un)ordnung

Martin Suchanek, Neue Internationale 198, April 2015

Am 17. März erschütterten - wieder einmal - terroristische Anschläge Pakistan. In Lahore forderten Selbstmordattentate zweier Taliban-Islamisten 15 Todesopfer. Die Zahl wäre wahrscheinlich noch weitaus größer gewesen, wenn es den beiden gelungen wäre, in die Kirchen im Stadtteil Youhandabad einzudringen.

Einige Tage zuvor war es in Karachi zu Schießereien zwischen Unterstützern der MQM (Muttahida-Quami-Movement = Partei der Muhajir, der bei der Spaltung mit Indien vertriebenen muslimischen Bevölkerung) und den Sicherheitskräften im Kampf um die Kontrolle über die Stadt gekommen.

Nicht zu vergessen: Zugleich führt die pakistanische Armee Krieg gegen die Bevölkerung in Waziristan, einem mehrheitlich von Paschtunen bewohnten Teil des Landes unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“. Diesem Feldzug fallen jährlich Tausende zum Opfer, Millionen wurden seit Beginn des „Krieges gegen den Terror“ Anfang des Jahrhunderts vertrieben.

Dies ist freilich nur die „Spitze“ der mehrfachen Krise, die das Land seit Jahren fest im Würgegriff hat.

Wirtschaftliche Lage

Bis zur großen Weltwirtschaftskrise 2008 galt Pakistan als eines der vielen Wunderkinder des Neo-Liberalismus mit Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts von durchschnittlich 7 Prozent pro Jahr. Unter der Diktatur von General Musharraf flossen ausländische Direktinvestitionen, die Agrarproduktion wurde auf den Weltmarkt ausgerichtet, die Börse in Karachi boomte. Das Militär kontrollierte nicht nur politisch das Geschehen. Wie in vielen ähnlichen Ländern ist es auch in Pakistan ein Eigentümer von Betrieben, Banken, Grund und Boden wichtiger Teil des Gesamtkapitals. Ehemalige Führungsoffiziere erhalten und erhielten oft als Anerkennung ihrer Verdienste Unternehmen oder Unternehmensanteile, werden also direkt zu Kapitalbesitzern.

2008 kam aber das bittere Erwachen. Der Boom endete im drohenden Staatsbankrott und der Zahlunfähigkeit des Landes. Der IWF sprang mit einem Kredit von ursprünglich 7,6 Milliarden Dollar im November 2008 ein, der rasch auf 11,3 Milliarden aufgestockt werden musste.

In den letzten Jahren konnte zwar das BIP-Wachstum wieder auf rund 3 Prozent „stabilisiert“ werden - das ist aber zu wenig, um das Land wieder in Schwung zu bringen. Der Schuldendienst und die Auflagen des IWF zwingen dem Land immer neue „Umstrukturierungsmaßnahmen“, Vernachlässigung öffentlicher Investitionen, Niedergang der Infrastruktur und Privatisierung auf. Lt. neo-liberaler Medizin soll das westliche Investoren anziehen - doch die kommen nicht. Die ausländischen Direktinvestitionen belaufen sich seit 2008 auf jährlich 3-4 Milliarden Dollar gegenüber 8 Milliarden in den „Boomjahren“. Die Inflationsrate pendelt zwischen 10 und 20 Prozent.

Politische Instabilität

Die politische Instabilität ist eine Resultat wie auch eine Verursacher der wirtschaftlichen Misere. Nach dem erzwungenen Rücktritt von Musharraf durch eine gigantische demokratische Massenbewegung, die v.a. von den Mittelschichten getragen worden war (nicht von ungefähr sielten die Anwälte eine führende Rolle in der Bewegung), folgten Neuwahlen.

Die PPP (Pakistanische Volkspartei) gewann und Ali Zardari, der wegen seiner allgemein bekannten Korrumpierbarkeit auch „Mister 10 Prozent“ genannt wurde, wurde Präsident. Er setzt die neo-liberale Politik seines Vorgängers fort, ebenso wie die Unterstützung des US/NATO-Krieges in Afghanistan und die Unterdrückung der eigenen Grenzgebiete und nationalen Minderheiten.

Für die Bevölkerung gab es wenig zu lachen, die versprochenen „Verbesserungen“ blieben aus. Die PPP und Zardari wurden bei den Wahlen 2013 abgestraft und die andere, traditionell bürgerliche Partei, die Muslim-Liga unter Nawaz Sharif, übernahm die Regierung. Sie war als „Friedenspartei“ angetreten, die den Krieg in den Grenzgebieten durch Verhandlungen mit den „moderaten“ Taliban beenden und die Beziehungen zu Indien „normalisieren“ wollte, um der Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen. Diese sollte außerdem durch Großprojekte weiter stimuliert werden. Schließlich versprach Sharif auch, den Einfluss des Militärs und der Geheimdienste auf ein für bürgerliche Demokratien „normales“ Maß zurückzudrängen.

Davon ist nichts eingetreten. Zuerst hatte das Militär eine Regierungskrise infolge von Massenprotesten, die von der bürgerlichen Opposition um den Populisten Imran Khan und dessen „Gerechtigkeitspartei“ organisiert worden waren, geschickt genutzt, um politische Zugeständnisse vom Ministerpräsidenten zu erhalten. Die Annäherung an Indien, den „Erzfeind“, ist seither vom Tisch. In der Außenpolitik ist der Einfluss des Militärs massiv gestiegen.

Die Anschläge der Taliban auf Schulen und andere zivile Einrichtungen, obwohl selbst eine Reaktion auf die Bombardements der Grenzgebiete durch pakistanisches Militär und v.a. US-Drohnenangriffe, haben zu einem neuen, massiven Einmarsch mit zehntausenden Soldaten in den paschtunischen Grenzregionen zu Afghanistan geführt. Sharif, der einst Frieden durch Verhandlungen versprochen hatte, erklärt jetzt den „Volkskrieg“ gegen die „Taliban“ - in Wahrheit gegen die nationale Minderheit. Hier ist er sich ausnahmsweise der Unterstützung aller Fraktionen der pakistanischen herrschenden Klasse sicher.

Mit Kriegshetze versucht die Regierung, die wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu deckeln. Eine Lösung ebendieser folgt daraus jedoch keinesfalls. Im Gegenteil: der Antagonismus zwischen den verschiedenen Flügeln der Elite, zwischen ziviler und militärischer Struktur, zwischen den Nationalitäten (inkl. der Kapitalistenklassen verschiedener Nationalitäten), der Niedergang der Mittelschichten, die in der Boomphase einen gewissen Lebensstandard und v.a. eine Aufstiegsperspektive erhalten haben - all die wird sich unvermeidlich weiter zuspitzen und damit die tiefe, strukturelle Krise der Landes.

Gegensatz USA und China

Seit einer Entstehung war Pakistan immer ein Land, das von imperialistischen Mächten bestimmt wurde. Die Staatsgründung selbst war untrennbar mit den Interessen des britischen Imperialismus verbunden, der, wenn er schon die Unabhängigkeit Indiens nicht verhindern konnte, so doch ein geteiltes und geschwächtes Indien wollte. Bis heute ist die Feindschaft zu Indien ein Teil der Staatsdoktrin und Legimitation der „Einheit“ Pakistans. Die Vorherrschaft Britanniens wurde jedoch rasch durch jene der USA abgelöst, die über Jahrzehnte die Geschicke des Landes prägte - einschließlich der Zurichtung Pakistans als Aufmarschgebiete für die Kriege in Afghanistan unter tatkräftige Mithilfe von Militär und Establishment.

Schon frühere Regierungen Pakistans hatten neben dem Bündnis mit den USA außenpolitischen Anschluss an China gesucht, doch erst im letzten Jahrzehnt vollzog sich eine solche in drastischen Schritten. Die Gründe dafür sind leicht nachvollziehbar. Die USA versuchen den wachsenden Einfluss Chinas in Asien zu begrenzen. Dazu soll Indien als Bündnispartner bzw. Vasall gewonnen werden. Dazu wurde am neuen Regime in Sri Lanka gebastelt.

Für Pakistan ist der Status als von USA und IWF beherrschte Halbkolonie mehr und mehr ein Problem und ein enges Bündnis Indiens mit den USA ein extremes Drohszenario. China wiederum braucht seinerseits halb-koloniale Verbündete und Ausbeutungsgebiete im Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Als Handelspartner ist China dabei, den USA den Rang abzulaufen. 2012 gingen 13,3 Prozent aller Exporte in die USA gegenüber 10,9 Prozent nach China. Aber 2013 war China längst wichtigstes Einfuhrland mit 17 Prozent, während der US-Anteil unter 5 Prozent lag.

Chinesisches Kapital tritt außerdem zunehmend als Investor bei großen Infrastrukturprojekten in Erscheinung, darunter auch durch den Bau Hochseehafens bei Gwadar. Dieser liegt strategisch günstig am persischen Golf. Hier sollen zukünftig Öl aus den arabischen Ländern und Rohstoffe aus Afrika gelöscht und über den Landweg nach China transportiert werden. Dazu baut es auch eine Pipeline, Straßen, einen Flughafen und Wohnsiedlungen.

Pakistan ist Gegenstand der globalen wirtschaftlichen und geo-strategischen Planungen Chinas - und damit auch der Gegenstrategien der USA. Diese haben allen Grund, die Annäherung Pakistans an China (und den Iran), die regelmäßigen Regierungskonsultationen mit Argwohn zu betrachten.

Mag die pakistanische Regierung die Konkurrenz zwischen den USA und China auch als Möglichkeit betrachten, zwischen beiden zu lavieren und gewisse Zugeständnisse zu erhalten - so ist doch klar, dass der Kampf zwischen den Giganten ein weiteres Moment politischer Konflikte und Instabilität bedeuten wird.

Arbeiterklasse und Bauernschaft

Die Instabilität, die inneren Konflikte in der Kapitalistenklasse, zwischen Militär und ziviler Administration und der Vormarsch reaktionärer Bewegungen in Pakistan gehen einher mit einer historischen Schwäche der pakistanischen Linken und ArbeiterInnenbewegung. Diese Schwäche führt nicht nur dazu, dass sich die wachsende Krise und der Zerfall der Gesellschaft in reaktionären Stimmungen (Islamisten) oder bürgerlichen Populismus äußern. Sie ist erlaubt es der herrschenden auch Klasse immer wieder Krisen „meistern“ kann, die ansonsten leicht zu riesigen, politischen Bewegungen der ArbeiterInnenklasse, der Bauernschaft führen könnten, ja müssten.

Bei fast 50 Millionen Lohnabhängigen sind die Gewerkschaften überaus schwach, zersplittert und im Wesentlichen auf den öffentlichen Sektor beschränkt.

Die Mehrzahl der pakistanischen Bevölkerung lebt noch auf dem Land. Rund 20 Prozent leben unter der offiziellen (!) Armutsgrenze. Etwa die Hälfte sind AnalphabetInnen (rund 1/3 der Männer,  und 2/3 der Frauen). Fast die Hälfte der Beschäftigten (2012: 49,1 Prozent) ist in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei tätig, die jedoch nur rund 20 Prozent zum BIP beisteuert. In der Industrie sind rund 13,3 Prozent der Beschäftigten tätig, sie steuert 24 Prozent zum BIP bei, wobei nach wie vor die Textilindustrie mit 60 Prozent der Löwenanteil stellt. Darüber hinaus verteilt sich die Beschäftigtenzahl auf Bauwirtschaft (15,2 Prozent), Handel (9,2 Prozent), Transport und Kommunikation (7,3 Prozent).

In der privaten Industrie sind Hungerlöhne, Überausbeutung, Kinderarbeit die Regel. In den letzten Jahren haben sich wichtige, überaus interessante Gewerkschaften zu entwickeln begonnen wie z.B. die Labour Quami Movement (LQM) unter den Webern,  Gewerkschaften der ArbeiterInnen in den Ziegeleien oder Ansätze von Gewerkschaften der Beschäftigten in der Heimindustrie. Aber das sind bislang noch immer Ansätze und noch lange keine starken Organisationen, die noch dazu massiver Repression ausgesetzt sind.

Im Öffentlichen Dienst gab es zugleich eine Reihe heftiger Angriffe wie auch z.T. erfolgreicher Gegenwehr. So bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen (Krankenschwestern und PflegerInnen, jungen ÄrztInnen), der Telekom oder der Ölwirtschaft in Sindh, bei Flughäfen, Luftlinien und der Bahn. Alle diese Kämpfe standen in Zusammenhang mit neo-liberalen Angriffen, oft mit drohenden Privatisierungen. Letztere sind oft ein direktes Resultat von IWF-Auflagen. Im Moment entwickelt sich eine entscheidender gewerkschaftlicher Konflikt im (noch) staatlichen Energiesektor. Die staatliche Wapda (Water and Power Development Authority) soll privatisiert werden. Die Gewerkschaften „All Pakistan Wapda Hydro Electric Workers Union“ hat seit Anfang des Jahres mehrere Protesttage und einzelne Streiks organisiert - aber ihre bürokratische Führung schreckt vor einer koordinierten gemeinsamem Aktion zurück.

Gewerkschaften und Fehlen einer ArbeiterInnenpartei

Hier zeigt sich nicht die Zögerlichkeit einer Gewerkschaftsbürokratie. Es zeigen sich auch eine Reihe politischer Schwächen der gesamten pakistanischen Linken und ArbeiterInnenbewegung.

Mit der Zerschlagung der relativ starken maoistischen (tw. auch moskautreuen) linken Organisationen in den 70er und 80er Jahren waren praktisch auch die von ihnen dominierten Gewerkschaften im privaten Sektor zusammengebrochen, während die nicht politischen Verbände im Öffentlichen Dienst einigermaßen überlebten, wenn auch auf Grundlage des „reinen“ Gewerkschaftertums. Sie hielten sich weitgehend von „der Politik“ fern. Allenfalls unterstützten deren Führungen offen bürgerliche Parteien wie die PPP oder schlimmeres.

Wo die „radikale“ Linke Einfluss in den Gewerkschaften hatte oder hat, agiert sie im Grunde nicht viel anderes als die „normalen“ GewerkschafterInnen, wenn auch oft mit dem Zusatz, kleine Gewerkschaften an „ihre“ Organisation anzubinden, kleine „rote“, in der Regel völlig ineffektive Organisation zu schaffen - wobei die Mitglieder in der Regel nicht wissen, welcher „Partei“ sie sich formal angeschlossen haben. An der eigentlichen Trennung von politischer Arbeit und gewerkschaftlicher änderte diese falsch verstandene Form „politischer“ Gewerkschaften gar nichts. Ein zentrales Resultat dieser politischen Schwäche und Unklarheit liegt darin, dass die Zersplitterung der Gewerkschaften praktisch kein Thema ist für die Linke.

Ein anderes, zentrales Problem ist das Fehlen einer ArbeiterInnenpartei. Auch der Ansatz der Awami Workers Party (AWP) hat diese Schwäche bislang nicht überwinden können. Auch wenn sie tausende Mitglieder umfasst und die mit Abstand größte Organisation links von den bürgerlichen Parteien darstellt, sie ist sie keine Partei, sondern nur eine Vorform. In den letzten Wochen ist sie aktiver geworden mit Veranstaltungen/Kundgebungen zum internationalen Frauentag und mit der Unterstützung/Initiierung von Kampagnen gegen Privatisierungen.

Ideologisch entwickelt sich die AWP jedoch mehr und mehr zu einer reformistischen Kraft, die zwar für „Sozialismus“ als Fernziel eintritt, deren Tagespolitik sich jedoch auf demokratische und soziale Reformen beschränkt und keinen Bezug zum „Fernziel“ aufweist. Der linke, zentristischer Flügel der Organisation von rund 30 Prozent der Mitglieder will zwar eine klarere, sozialistischere ArbeiterInnenpolitik - allerdings ohne die politische Konfrontation mit der aktuellen Führung.

Unsere GenossInnen, die UnterstützerInnen der Monatszeitung „Revolutionary Socialist“ kämpfen in der AWP dafür, dass diese

a) versucht aktiv die kämpferischen GewerkschafterInnen, AktivistInnen in den verschiedenen Teilbereichten, Jugendliche, Frauen, unterdrückte Nationalitäten für den Aufbau einer wirklichen Arbeiterpartei zu gewinnen,

b) eine solche Partei auf einem klaren sozialistischen Programm, einem Programm von Übergangsforderungen aufgebaut wird.

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Nr. 198, April 2015
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