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Frigga Haug

Die Quadratur des Marxismus-Feminismus

Jürgen Roth, Neue Internationale 198, April 2015

Die Soziologin und Psychologin Frigga Haug war im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) der 68er-, der Anti-Atomkraft- und der Frauenbewegung (u.a. im Sozialistischen Frauenbund Westberlin) engagiert. Sie war Soziologieprofessorin in Hamburg, Herausgeberin der Zeitschrift „Das Argument“ und sitzt auch in der Redaktion des „Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus“ (HKWM).

Im März erschien ein Buch von ihr mit dem Titel: „Der im Gehen erkundete Weg. Marxismus-Feminismus“. Im Rahmen der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und der Feministischen Sektion des Instituts für Kritische Theorie (InKriT) u.a. vom 20.-22. März 2015 in Berlin veranstalteten Kongresses „Die Stärke der Kritik. Wege des Marxismus-Feminismus“ wurde u.a.  dieses Buch vorgestellt. Ins HKWM fand der Begriff „Marxismus-Feminismus“ (M.-F.) Eingang (Band 8/2) und wurde dort von Haug definiert.

Frigga Haugs Werdegang und Stellung innerhalb des modernen Feminismus

Ihr Weg zu einer der exponiertesten Verfechterinnen des M.-F. war ein dornenreicher. Alle MarxistInnen müssen es Genossin Haug hoch anrechnen, dass sie sich ihr ganzes Leben lang nicht ihre Überzeugung hat abkaufen lassen und sich weder vom kleinbürgerlich-radikalen, großteils separatistisch-militanten, noch postmodernen Feminismus hat integrieren lassen, als sie chic, modern erschienen und lukrative Pöstchen in der Genderforschung lockten.

Am Anfang ihres neuen Buchs steht ein vernichtendes Urteil über den Feminismus der 60er/70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Aus der berechtigten Empörung über die Situation von Frauen leiteten Kate Millett, Alice Schwarzer, Susan Sonntag u.a. Handlungsaufforderungen ab, „deren Befolgung die Bewegung praktisch irrelevant machen würde“. Die „Identifizierung von Herrschaft und Ausbeutung mit dem männlichen Geschlecht“ und die sich aufdrängende Parallele zwischen Frauen und Proletariat blieben ihr suspekt. Viele Feministinnen warnten vor dem Sozialismus, bei den männlichen Genossen stand die Frauenfrage stets zurück. Man kann Haug nicht hoch genug anrechnen, allen akademischen Verlockungen widerstanden und die Sackgassen eines radikalen, aber unpolitischen Feminismus wie eines antifeministischen „Marxismus“ gemieden zu haben. Ihr (Forschungs-) Programm lässt sich auf zwei miteinander zusammenhängende Formeln bringen: die Devise „Das Persönliche ist politisch“, die sie mit ihrem sozialpsychologischen Konzept der „Erinnerungsarbeit“ umsetzen will, und das Projekt „Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse“, das die Verbindungen erforschen soll, „welche die Profitinteressen mit den patriarchalischen Strukturen zur Befestigung und zum Ausbau ihrer Herrschaft eingegangen sind“.

Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse

In „Mensch im Mittelpunkt“ (Neues Deutschland, 31.1./1.2.15) umreißt Haug die Aufgabe des M.-F., die „Stufe um Stufe“ angenommen werde: „Er hat es unternommen, die soziale Revolution, die im Marxismus begann, noch einmal zu revolutionieren, indem Befreiung wirklich allgemein werden sollte. Es geht nicht allein um die Werkzeugherstellung, auch nicht nur um Produktion in der Form der Erwerbsarbeit, es geht um die Eröffnung eines guten Lebens für alle, in dem der Mensch - gleichgültig welchen Geschlechts - sich allgemein so betätigt, dass er seine Möglichkeiten erkundet und entfaltet. (...) Das bezieht sich auf die Verhaltensweisen der Menschen zueinander, die Sorge um die anderen, um die Besorgung des zum Leben Notwendigen und die Gestaltung der Gesellschaft, also Einmischung ins Politische.“ Dies ist das, was sie die „Vier-in-einem-Perspektive“ nennt.

„Die Versuche, Kapitalismus und Patriarchat als eine Koexistenz zweier ungleichzeitiger Herrschaftsverhältnisse zu denken, waren nicht überzeugend. (...) Die Lösung für dieses Rätsel ist: Geschlechterverhältnisse selbst als Produktionsverhältnisse zu denken. Von Anfang an geht es um zwei Produktionen, die des Lebens und die der Mittel zum Leben. (...) Feministischer Marxismus hat aus dem Marxismus gelernt, die Fragen von Herrschaft und Befreiung mit denen der Entwicklung der Produktivkräfte und denen der Produktionsverhältnisse zusammen zu analysieren. Aus dem Feminismus kommt die Dominanz der Frage des Lebens und seiner Wiederherstellung als unbedingter kategorischer Imperativ für ein sinnvolles und gutes Leben hinzu. Die Herangehensweisen zu verschränken bildet den Reichtum, den ein feministischer Marxismus in die notwendige Transformation von Gesellschaft bringt. Es kommt darauf an, der Produktion um des Profits Willen ohne Rücksicht auf Mensch und Natur Widerstand entgegenzusetzen, dafür braucht es eine Vorstellung von einer Alternative, einer Gesellschaft, in der Mensch und außermenschliche Natur in den Mittelpunkt rücken.“

Zum schönen Leben für alle führen laut Haug außer „Widerstand“ und „Vorstellung von einer Alternative“ auch: „Arbeitszeit muss also so radikal verkürzt werden, dass einen Arbeitsplatz zu haben ein Recht für alle ist und dies zugleich einhergehen kann mit einem Einkommen, von dem sie leben können, sodass alle beteiligt sind an den vielen liegengebliebenen Arbeiten der Freundlichkeit und Fürsorge und noch genug Zeit für eigene Entwicklung haben und sich in die Politik mischen können. Letzteres setzt ein anderes Demokratieverständnis voraus, gewissermaßen eine Vertiefung der Demokratie.“

Die Gewissheit der Erfüllung dieses Programms schöpft Frigga Haug aus der objektiven Lage, dem „Standpunkt von Frauen“: „Sie haben die Privilegien, die sie in eine Verteidigung des Status quo bringen, in geringerem Ausmaß. (...) Der Status quo hält für sie einen Abgrund als Zukunft bereit. So sie sich zur Wehr setzen, ist ihr Projekt eine befreite Perspektive für alle.“

Bereicherter Marxismus?

Eine „Bereicherung des Marxismus aus dem Feminismus heraus“ ist für Haug durchaus kein sprachlicher Lapsus. Sie redet hier schließlich nicht vom M.-F. Sie teilt mit dem Feminismus dessen Grundverständnis: dass es eine besondere Frauenfrage gebe. Diese Logik führt dahin, dass alle Formen sozialer Unterdrückung - z.B. nicht-hetero-normativer sexueller Orientierungen, rassischer, nationaler - auch besondere, mit dem analytischen marxistischen Instrumentarium nicht erklärbar sind.

Dies ist starker Tobak, nimmt man alle Schriften von Marx und Engels zum Maßstab. Völlig zutreffend ist allerdings das Verdikt der Blindheit und Ignoranz für diese Fragen eines „Marxismus“, der durch vier gescheiterte Internationalen vollkommen auf den Hund gekommen ist. Ortet man ihn im theoretischen Fundus der II. und III. Internationalen nach deren konterrevolutionär-reformistischer Entartung bzw. im Arsenal der „trotzkistischen“ Epigonen nach der zentristischen Degeneration der IV. Internationale, dann ist das Urteil „blinde Flecken“ noch zu mild.

Besser als Haugs „schönes Leben für alle“ beschreiben Marx und Engels in der Frühschrift „Deutsche Ideologie“ die kommunistische Gesellschaft der Zukunft. In diametralem Gegensatz zu ihr setzen sie allerdings eine grundlegende, revolutionäre Umwälzung aller Lebensverhältnisse beginnend mit dem Sturz der letzten Klassenherrschaft voraus. Haug serviert uns einen Wunschzettel für den Rahmen des Kapitalismus, in dem immer noch „Erwerbsarbeit“, also Lohnarbeit, neben den vielen „liegengebliebenen Arbeiten“ existiert. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen, Haus-, Pflege- und Erwerbsarbeit gleichgestellt werden - doch von wem, wenn der Kapitalismus und die Bourgeoisie weiter herrschen? Wer soll Subjekt dieser „Umwälzung“ sein - auch bürgerliche Frauen? Statt des marxistischen Programms der Vergesellschaftung der Hausarbeit finden wir eine Bittschrift für einen besseren Kapitalismus.

Positionen des Marxismus

Der historische Materialismus ist durchaus eine Wissenschaft, die alle Aspekte der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens zum Ausgangspunkt nimmt, um den inneren Zusammenhang zwischen allen Äußerungen des menschlichen Lebens bis hin zu denen, in denen die Menschen sich darüber Gedanken machen, aufzuklären und darzustellen. Eine Reduktion auf eine Soziologie, Volkswirtschaftslehre oder Philosophie missachtet diese Erkenntnis wie so viele „Rekonstruktionsversuche“ nach dem 2. Weltkrieg, die Geschichte gegen die Methode des „Kapitals“, Marx gegen Engels, dialektischen gegen historischen Materialismus, die Frühschriften gegen den „reifen“ Marx auszuspielen, kurz den wissenschaftlichen Sozialismus zu verstümmeln trachteten.

Dem „Kapital“ liegt dieses geschichtliche Totalitätskonzept zugrunde: dass der Kapitalismus und alle vorhergehenden „progressiven“, d.h. klassengesellschaftlichen Produktionsweisen das Merkmal der unbewussten Vergesellschaftung hinter dem Rücken der ProduzentInnen bereits von der klassenlosen Menschheitsgeschichte übernehmen. Ferner ist die Kategorie „Produktionsweise“ nur eine methodische Unterscheidung der jeweiligen Gesellschaftsbasis, keine wirkliche Geschichte. Nicht alle Klassengesellschaften haben z.B. eine antike oder feudale Vergangenheit. Zudem gehört zur Analyse verschiedener Klassenkulturen zwingend die Gesamtheit des Überbaus einschließlich  übernommener Ideologien aus der klassenlosen (Ur)Gesellschaft (Tabu, Kult, Religiosität). In die Analyse z.B. einer konkreten kapitalistischen Gesellschaftsformation fließen zusätzlich noch andere Faktoren ein (natürliche, vorkapitalistische Überbleibsel, Weltmarktstellung).

Das heißt für den Kapitalismus: „Auch wenn der Kapitalismus historisch ältere Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse aufnimmt, so werden diese nicht einfach ,eingefügt' als ein weiteres apartes Verhältnis neben der kapitalistischen Ausbeutung. Vielmehr erhalten sie - und so auch die Frauenunterdrückung - eine spezifische Form.“ (Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, S. 17)

Engels zeigt an einigen Beispielen in seiner Schrift „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ an einigen Beispielen, dass patriarchalisch-monogame Familie und Klassenherrschaft geschichtlich in eins fallen, gleichzeitig entstanden sind. Dies hat damit zu tun, dass Klassengesellschaften immer auf der Aneignung des Mehrprodukts durch die herrschenden Klassen. Die Reproduktion der Ausgebeuteten beruht auf deren Subsistenzproduktion bzw. dem Verkauf ihrer Arbeitskraft und deren Subsistenzreproduktion (Hausarbeit). Die Arbeit der Frauen wird also in dem Augenblick zum Stigma, wo das Produktionsmotiv nicht mehr der Reproduktion dient. Erst mit der Diktatur des Proletariats kann auf höherer Stufenleiter begonnen werden, diesen Prozess rückgängig zu machen - und damit die Grundlagen für die Aufhebung dieser Gegensätze im Kommunismus gelegt werden. Dies muss sämtlichen Spielarten des Feminismus ein Buch mit 7 Siegeln bleiben.

„Das Persönliche ist politisch“: kein Programm für die Befreiung der Frau!

Wie für viele linke (ehemalige) StalinistInnen ist für Frigga Haug hierbei die Erringung der Hegemonie wesentlich. Die verblassende Attraktivität des „Modells“ des “real-existierenden Sozialismus' und die Aussicht auf Regierungssitze in einigen westeuropäischen Ländern trieben den linken Flügel des „Eurokommunismus“ zur Lektüre von Althusser, Poulantzas und Gramsci. Ausgehend vom zentralen Stellenwert der Ideologien, die über Staat, Kirche Schule, Familie, Medien, Vereine usw. in die Reihen der Unterdrückten transportiert werden und deren Zustimmung zu den Verhältnissen künstlich herstellen, sieht Haug in ihnen den zentralen Stabilitätsfaktor für das Funktionieren der Klassenausbeutung und Frauenunterdrückung.

Wie die linken „EurokommunistInnen“, oft Gramsci reformistisch entstellend, setzt sie politisch darauf, zunächst den ideologischen Bereich zu revolutionieren, die kulturelle Hegemonie zu erobern. Sie verlagert allerdings den Kampfplatz auf die persönliche Ebene. Erinnerungsarbeit soll in Frauengesprächen diesen helfen, sich ihrer „Mittäterschaft“ an ihrer eigenen Unterdrückung bewusst zu werden. Dieser sozialpsychologische Ansatz ähnelt stark der idealistischen Methode der Junghegelianer, der „kritischen Kritik“ mancher heutigen Linksradikalen. Sie ist der Tribut, den sie ihrem stalinistisch-kautskyanischen, mechanisch-materialistischen Verständnis von Marxismus schuldet. Der Beitrag zum Aufbau einer Partei von revolutionären ArbeiterInnen und einer proletarischen Frauenbewegung ist verschwindend gering.

Eine nähere Beschäftigung wert bleibt Frigga Haug dennoch - nicht wegen ihrer Antworten und Schlussfolgerungen, sondern wegen der Fragestellungen, die

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Nr. 198, April 2015
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