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US-Luftangriffe im Irak und Syrien

Obama’s neue “Koalition der Willigen”

Tobi Hansen, Neue Internationale 193, Oktober 2014

In so unsicheren und wechselhaften Zeiten wie heute gibt es doch verlässliche Szenarien und Akteure. Wenn der US-Imperialismus in den Krieg zieht, dann werden zunächst Luftangriffe geflogen, eine „Koalition der Willigen“ installiert - und es gibt markige Worte vor der UNO. Nach der Besetzung Afghanistans und des Iraks und dem Drohnenkrieg in Pakistan soll nun der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) geführt werden - und damit die Bombardements im Irak und Syrien legitimiert werden.

Seit drei Jahren tobt in Syrien ein blutiger Bürgerkrieg, in dem das Assad-Regime für den Tod von rund 200.000 Menschen verantwortlich ist. Etwa 4 Millionen SyrerInnen haben das Land verlassen oder sind „Binnenflüchtlinge“.

Obama will mit seiner „Koalition der Willigen“ dem IS mit Stärke begegnen. Dieses sei ein „Netzwerk des Todes“, das ausgelöscht werden müsse. Dabei wird auch mit dem Assad-Regime kooperiert, allerdings ist dort nicht übermittelt, ob der sich über die Zerstörung der Raffinerien und Ölförderanlagen freut, welche die ersten Ziele der US-Luftangriffe waren.

Der „Islamische Staat“, nunmehr zum „Hauptfeind der Menschheit“ stilisiert, ist selbst ein Resultat der US-Politik im Irak, der Isolation der syrischen Revolution und der Interessen nicht nur der Imperialisten, sondern auch der Golfstaaten und der Türkei. Nun präsentiert sich diese illustre Koalition als „Helfer“ der Unterdrückten, der KurdInnen sowie  ethnischer und religiöser Minderheiten.

Was der Imperialismus und die NATO von „Hilfe“ oder Schutz vor dem IS in der Realität halten, müssen die kurdischen Flüchtlinge an der türkischen Grenze gerade erfahren. Mehr als 100.000 hatten sich aus der Region Rojava, speziell aus der Stadt Kobane auf die Flucht begeben, um dann an der türkischen Grenze vom Tränengas der türkischen Polizei empfangen zu werden. Auch kurdische Freiwillige, die aus der Türkei ihren Brüdern und Schwestern in Kobane zur Hilfe eilen wollten, ereilte das gleiche Schicksal.

Der IS belagert seit Mitte September die Stadt Kobane und rückt gegen die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete vor. Diese leiden seit Jahren unter der türkischen Blockade und erhalten kaum Nahrungsmittel, Medizin und Waffen. Etwas bekannter in der Öffentlichkeit wurden sie, als die PYG einen Fluchtkorridor für die irakischen Jeziden erkämpfte und damit ein weiteres Massaker des IS verhinderte.

Selbst wenn die Angriffe der USA und ihrer Verbündeten kurzfristige Entlastung bringen würden, so ändert das nichts in ihrem reaktionären Grundcharakter. Es geht nicht um „Humanität“ und „Menschenrechte“, sondern um die Kontrolle über die Region. Das ist auch der Grund, warum die USA u.a. imperialistische Mächte jeden unabhängigen Widerstand am langen Arm leerer Versprechungen verhungern lassen und isolieren.

Die Hilfe für Führungen, die mit dem Imperialismus kooperieren wollen, wie die FSA oder die irakischen KurdInnen werden mit zweitklassigem Gerät und eher symbolischen Versprechen abgespeist. So sollen 12-15.000 Kämpfer der FSA ausgebildet werden, im ersten Jahr allerdings jedoch nur 500.

Eine imperialistische Intervention und die Bombardements der USA und ihrer Verbündeten geben nicht nur dem Imperialismus, dem wirklich größten Feind der Menschheit, „humanitäre“ Legitimität für ihre Politik in den Heimatländern. Sie bedeuten auch, dass sich erz-reaktionäre Kräfte wie das Assad-Regime und selbst der „Islamische Staat“ als „anti-imperialistisch“ darstellen können. Zugleich dient ein solcher „humanitärer“ Kriegsgrund, womöglich unter dem Deckmantel der UN o.a. erlesener Institutionen des Weltimperialismus, auch zur inneren Mobilmachung gegen die „Barbaren“ oder „gescheiterte“ Staaten.

Deshalb lehnen wir jede militärische Intervention des Imperialismus ab, deshalb gilt es, gegen Luftschläge und die Formierung eine neuen „Koalition der Willigen“ zu mobilisieren. Die einzige Alternative zur Intervention des Imperialismus ist die Unterstützung jener Kräfte wie der KurdInnen und der syrischen Revolution, die gegen IS und Assad kämpfen. Materielle Hilfe einschließlich effektiver Waffen ist für diese unbedingt notwendig - aber es wäre eine Katastrophe, würden sich Kräfte wie z.B. die Führung der syrischen Opposition zur Fußtruppe des Imperialismus machen.

Das Kalifat und das Versagen der USA im Irak

Hervorgegangen ist der IS (zuvor ISIS) aus sunnitischen Widerstandsgruppen im Irak, aus dortigen Al- Qiada Zellen und alten Seilschaften des Hussein-Regimes. Seit der Besetzung des Irak durch die USA 2003 setze die USA v.a. auf schiitische Parteien und Politiker, wie den inzwischen zurückgetretenen Al Maliki. Sie betrieben eine Besatzungspolitik, welche die verschiedenen Bevölkerungsgruppen gegeneinander in Stellung brachten. Die schiitischen Al Sadr-Brigaden hatten eine ähnlich Taktik angewendet wie der heutige IS, durch Anschläge und Massaker, v.a. gegen die Sunniten kontrollierten sie 2005 sogar große teile Bagdads - das damalige Sadr City. Nachdem der Anführer getötet werden konnte, wurden die Sadr-Brigaden in den Regierungsapparat der schiitischen Eliten integriert. Durch den Staatspräsidenten Talabani bekamen auch die Kurden ihren Proporz, größere Autonomie ihrer Gebiete und Zugriff auf die nordirakischen Ölgebiete um Kirkuk, Mossul und Erbil.

Mit dieser Politik forcierten die USA die bereits vorhandenen Spaltungslinien im Irak, durch die Regierung Al Malikis errang auch der Iran immer mehr Einfluss im Irak, einer der Hauptfeinde von sunnitischen reaktionären Islamisten. Dieser sunnitische Widerstand formierte sich zum einen in den vorhandenen Al Quaida-Zellen, aber auch aus den alten Seilschaften des Hussein Regimes. Schnell wurde mit Al Quaida gebrochen und das Projekt eines sunnitischen Kalifats in Syrien und dem Irak ausgerufen. Finanzielle Unterstützung dafür gab es aus Katar und Saudi Arabien, wie auch administrative Unterstützung durch ehemalige Generäle Husseins und Eliten des Baath-Apparates. Auch Husseins Tochter, inzwischen sehr vermögend, hat viel Anschubfinanzierung geleistet.

Die USA haben versagt, ein stabiles Marionettenregime im Irak aufzubauen, dieses überließ sogar ganze Militärlager und Ausrüstung den anrückenden IS-Banden. Ein solch stabiles Vasallenregime war eigentlich Sinn und Zweck der Invasion im Irak. Schon seit längerem mussten die USA mit dem Iran kooperieren, zumindest was den Irak angeht, um überhaupt etwas Stabilität gewährleisten zu können.

Der „Krieg gegen den Terror“ als Rekrutierungsbecken

Seit 2001 haben die USA und der Westen ein neues Feindbild installiert: den radikalen Islamismus. Waren es zunächst die verdächtigen „Schläfer“ oder die „Rucksack-Bomber“ unter dem Label Al Quaida haben wir nun eine ganze islamistische Armee, den IS. Die systematische Diskriminierung und Hetze gegen den Islam haben in dieser Religionsgemeinschaft die radikalen Kräfte stärker werden lassen, so stark, dass heute Tausende aus Europa und den USA als Rekruten zum IS gehen. In Deutschland führten wir „Kopftuchdebatten“, die rassistischen Morde der NSU wurden jahrelang vertuscht, Sarrazin beherrschte die Medien. Kein Klischee, kein offizieller Rassismus fehlte. Über NPD, Pro Köln u.a. Rechte wurden immer wieder Initiativen gegen einen Moscheebau gegründet, so konnte sich auch dieses Gesindel in die staatstragende antiislamische Propaganda einbringen.

Dieser Rassismus wirkt auch tief in die „radikale Linke“ hinein - sei es in Form der „Antideutschen“, welche offenen antimuslimischen Rassismus in der Linken verbreiten und die in der LINKEN oder in solid verankert sind. Zum anderen führte es bei vielen anderen sozialistischen Linken dazu, eine Neutralität an den Tag zu legen - bei Fragen, die keine Neutralität dulden, z.B.  dem letzten Gaza-Krieg. Dort waren die deutschen linken Organisationen nur fragmentarisch vertreten, stattdessen übten sich viele in neutraler Zurückhaltung oder tolerierten die antimuslimische Hetze der Antideutschen. Dadurch konnten die Linken auch nicht politisch-programmatisch den nationalen und islamistischen Strömungen eine Alternative entgegen stellen. In Deutschland gehören inzwischen einige Tausend zur radikalen salafistischen Strömung.

US-Imperialismus in der Offensive

Das Jahr 2014 ist bislang von einer Offensive des US-Imperialismus gekennzeichnet. In der Ukraine hat ihre Politik das Land in einen Bürgerkrieg getrieben. Zum einen wird ein neuer Wirtschaftsraum erobert, gemeinsam mit der EU sichert sich das US-Finanzkapital einen neuen Investitionsstandort. Zum anderen ist es gelungen, die strategischen Ziele des deutschen Imperialismus auszubremsen. Der deutsche Imperialismus arbeitete das letzte Jahrzehnt sehr erfolgreich an einem strategischen Bündnis zwischen der EU und Russland, sicherte sich die Ausbeutungsrechte an Rohstoffen, den Markt und Investitionszugang und betrachtete Russland als strategischen „Brückenkopf“ nach Asien.

Dies ist mit der Ukraine-Krise erst Mal Geschichte, jetzt schwächen die gegenseitigen Sanktionen  die Konjunktur der EU. Die osteuropäischen EU-Staaten befürworten eine aggressive Politik von EU und NATO gegenüber Russland.

Damit konnten die USA auch ihren Einfluss in der EU stärken, wenn schon nicht ökonomisch, dann  in Fragen von Aufrüstung und Blockbildung gegenüber Russland, wobei die baltischen Staaten und Polen verlässliche Verbündete der USA sind.

Im Nahen und Mittleren Osten stehen die USA vor den Trümmern ihrer Politik seit 2001, was aber  weiterhin die Möglichkeit gibt, jetzt ihre Interessen erneut durch militärische Intervention  durchzusetzen.

Neuaufteilung der Welt

Fakt ist, dass der US-Imperialismus nach einer Phase der Schwächung im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 jetzt offensiv in die imperialistische Konkurrenz einzugreifen gewillt ist. Die Neuaufteilung der Welt ist im vollen Gange und der bisherige Hegemon leistet alle Anstrengungen, seine Stellung zu verteidigen. Dabei ist die USA darauf angewiesen, die „eigenen Reihen“ zu schließen, den NATO-Block zu beherrschen und sich gegenüber den aufstrebenden BRIC-Staaten, speziell gegenüber China, in Stellung zu bringen.

Durch die jahrelange militärische und auch finanzielle Aufrüstung ist der US-Imperialismus weiterhin der stärkste und gefährlichste Akteur in der imperialistischen Konkurrenz. Sein Finanzkapital strotzt nach Jahren der 0%-Zinspolitik der FED vor fiktiver Kapitalmacht, ist weiterhin führend bei den Auslands-Direktinvestitionen weltweit und verfügt über die größte Militärmaschine in der Menschheitsgeschichte.

Jetzt will der US-Imperialismus unter Obama die Weichen für die Zukunft stellen, ein neue Blockbildung gegen die aufstrebenden Konkurrenten China, Indien und Russland erreichen, um seine Vorherrschaft abzusichern.

Kein neuer „Krieg gegen den Terror“! Nein zu den Luftangriffen der USA und ihrer Verbündeten!

Zerschlagt den islamischen Staat! Solidarität mit den KurdInnen!

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Nr. 193, Oktober 2014
*  Streikkonferenz: Renovierte Apparate oder Basisopposition
*  Gewerkschaftseinheit: Ja - aber wie?
*  GdL-Streik: Überzogener Kampf oder berichtigte Gegenwehr?
*  Revolution-Brüschüre: Solid - if everything goes right, go left
*  Karstadt: Vor schwerzhaften Amputationen?
*  Bilanz Landtagswahlen: Welche Alternative?
*  ALB-Auflösung: Das Neue ist steinalt
*  Wahlen in Oktober: Brasilien am Scheideweg?
*  Ukraine: Was kommt nach dem Waffenstillstand?
*  Heile Welt
*  US-Luftangriffe im Irak und Syrien: Obama's neue "Koalition der Willigen"
*  Solidarität mit Kobenê! Solidarität mit dem kurdischen Volk!