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Streikkonferenz

Renovierte Apparate oder Basisopposition?

Frederik Haber, Neue Internationale 193, Oktober 2014

Erneuerung durch Streik" ist der Titel einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die vom 2.-4. Oktober in Hannover stattfindet und die linke Szene der GewerkschaftsfunktionarInnen versammeln wird. In rund 40 Workshops und Plenarveranstaltungen wird das Thema Streik beleuchtet. "Erneuert" werden sollen durch mehr und kreativere Streiks die Gewerkschaften, aber auch die Mitglieder jener sollen neue Erfahrungen und Einsichten bekommen. Vor anderthalb Jahren fand eine erste Ausgabe dieses Konzeptes in Stuttgart statt, die Zielsetzung in Hannover ist die gleiche.

Praktisch sind diese Konferenzen das breiteste Forum in Deutschland, an dem sich linke GewerkschafterInnen austauschen, wobei die OrganisatorInnen Wert darauf legen, dass es v.a. Erfahrungen sind, die ausgetauscht werden. "Gemeinsam Strategien entwickeln. Konflikte führen. Beteiligung organisieren." So lautet das Motto, wobei mit Strategien Streik-Strategien gemeint sind.

Warum wird so wenig gestreikt?

Richtig ist, dass die Arbeiterklasse in Deutschland verdammt wenig streikt. Das war auch mal anders. Im Schnitt fielen in den letzten Jahren gerade noch 16 Arbeitstage pro tausend Beschäftigte und Jahr aus, in Frankreich 150 und selbst in Britannien 26. Die übergroße Mehrheit der Streiks findet im Dienstleistungssektor statt. Für 2013 kann die IG Metall gerade mal den verlorenen Streik im Kleinbetrieb Norgren in Großbettlingen ins Feld fuhren (wir berichteten mehrfach). Allerdings werden auch die noch immer breiten Warnstreiks der MetallerInnen in diese Statistik aufgenommen. (Alle Daten WSI-Tarifarchiv)

Warum streikt die größte Gewerkschaft Deutschlands, eine der größten Industriegewerkschaften der Welt und die Gewerkschaft, welche die großen Erfolge der (west-)deutschen Arbeiterklasse wie die 35-Stunden-Woche, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und 6 Wochen Urlaub erstreikt hat, nicht mehr? Diese Frage ist der Konferenz keinen Workshop wert, wohl aber findet je einer zur Frage der externen Unterstützung, der Rolle von Facebook und dem Gewicht der Identifikation mit dem Beruf statt.

So verzichten die versammelten LinksgewerkschafterInnen also auf jede gesellschaftliche Analyse und tun munter so, als müsste man Streiks nur wollen und dann eben auch richtig machen. Wenn man seinen Blick auf einzelne Betriebe und Bereiche, stimmt dies in begrenztem Sinne. Die Angriffe des Kapitals auf Tarife, Tarifbindung, Eingruppierung, Arbeitsplätze und Beschäftigtenrechte haben ein großes Potential für Konflikte geschaffen, die von der Mehrheit der Gewerkschaftsbürokratie ignoriert oder nicht bewältigt werden, da ein Großteil der Ressourcen in die Verwaltung vorhandener Strukturen oder die Vermögensbildung ("Streik"-fonds der IGM) gesteckt wird. Gerade in den Schichten der Klasse, die sich erstmals in einen Konflikt begeben, fehlen aber Erfahrung und Wissen über Rechte und Methoden.

Allianz für das Großkapital

Aber alle Aktivierung im Handel, Gesundheitswesen, bei Amazon oder bei den GebäudereinigerInnen löst das Problem nicht, dass die kampfstärksten Teile der Klasse aus jedem echten Kampf herausgehalten werden: Maschinenbau und Autoindustrie müssen brummen, sie sind die Basis für den deutschen Export, die Gegner sind nicht die Kapitalisten, sondern die ausländischen Konkurrenten, ArbeiterInnen wie Kapital. Diese Standortpolitik ist nicht nur reaktionär und nationalistisch, gepflastert mit Verzicht in Standortsicherungsverträgen, sie ist der Schulterschluss mit dem stärksten Teil des deutschen Kapitals für das Projekt Deutschland als imperialistische Großmacht mit der EU als Hinterland. Für eine relative Besserstellung der eigenen Mitglieder gegenüber dem Rest der Klasse sind die Gewerkschaftsverantwortlichen und Betriebsratsvorsitzenden der gesamten Branche bereit, sich zu Fußtruppen des deutschen Imperialismus im globalen Wettbewerb zu machen.

Die Einzelnen mögen aus Ignoranz oder Bequemlichkeit handeln, die Spitzen jedoch wissen, was sie tun. Diese Allianz wurde mit der stillschweigenden Zustimmung zur Agenda 2010 begonnen, mit der Welle von Standortsicherungsvertragen gefestigt und mit dem Abbruch des Streiks im Osten für die 35 Stunden-Woche begossen.

Diese Allianz wird aber von den Mitgliedern und FunktionärInnen der Linkspartei prinzipiell mitgetragen. Beispiele? Jede Menge! Kein Streik bei OPEL Bochum, einer Hochburg der LINKEN, Unterdrückung der Forderung nach Verstaatlichung von OPEL in der Krise, keinerlei Kritik an der Generallinie der IGM durch das Hans Urban, dem Vertreter der LINKEN im Hauptvorstand. Kein Wunder, dass das alles auch nicht auf der Streikkonferenz vorkommt.

Breite Teile der Arbeiterklasse schauen also weiterhin auf ihre bestorganisierten Schichten und fragen sich, warum sie die höchsten Tarife haben und u.U. fette Sonderzahlungen erhalten - ohne jeden Kampf. Dann müssen diese Schichten mit Organising und Beteiligungsorientierung dazu gebracht werden, mit hohem Einsatz für kleine Verbesserungen zu kämpfen. Aber die Gesamtsituation der Klasse zu ändern, ein Überwinden der strategischen Niederlage nach der Agenda 2010, ist nicht möglich, wenn die Motoren des Dampfers weiter ausgeschaltet bleiben und nur in den unteren Decks einige stärker rudern.

Politische Fragen ausgeklammert

Dabei ist der Schritt hin zu den schlecht organisierten und schlecht verdienenden Schichten durchaus richtig. Das unterscheidet die linken GewerkschaftsbürokratInnen positiv vom rechten, sozialdemokratischen Teil. Aber er kann nur in neuer Hilflosigkeit enden, wenn die entscheidenden politischen Fragen ausgeklammert bleiben. Die politische Allianz der SPD und der reformistischen Gewerkschaftsführungen mit dem Kapital heißt zwar für die unteren Schichten nicht Streikverbot wie für die MetallerInnen.

Aber es ist ja Teil des Konzepts, dass die Reproduktionskosten für die Ware Arbeitskraft gesenkt werden sollen. Also müssen die Beschäftigten im Handel, im Gesundheits- und Bildungswesen, in Transport und Logistik kurz gehalten werden. Also werden die Tarifkämpfe in diesen Branchen, so überraschend kämpferisch sie auch sein mögen, mit schöner Regelmaßigkeit ausverkauft.

Auch das steht nicht auf der Tagesordnung der Konferenz. Gerade bei ver.di in Stuttgart mit dem Modell von aktivistischen und demokratischeren Streikkonzeptionen gibt es die gleichen langen Gesichter wie bei MetallerInnen, wenn in den zentralen Tarifkommissionen dann Bezirke, die nicht mitgekämpft haben, oder Hauptamtliche, deren Einkommen sowieso viel höher liegt, für die Annahme billiger Kompromisse sorgen. Demokratie in der Aktionsplanung ist gut, ohne Kontrolle über die Verhandlungsführung und ohne Demokratie bei der Annahme von Abschlüssen bleibt sie eine Spielwiese für Bürokraten.

Genauso sind natürlich mehr und aktivistischere Streiks - das Ziel der Konferenz - besser als wenige und lasche. Natürlich lernen die Beteiligten dabei auch mehr. Aber wenn sie nicht lernen, warum das deutsche Kapital so stark ist, warum die reformistischen Führungen in den Gewerkschaften es so stark machen und wie diese Führungen bekämpft werden können, werden sie erneut ratlos zurückbleiben.

Historische Lehren

In der Frühzeit der russischen Sozialdemokratie gab es eine Phase, in der die jungen SozialistInnen entdeckten, dass sie mit der Unterstützung von Streiks an die Arbeiterklasse herankommen und aus ihren Theoriezirkeln ausbrechen können. Manche von ihnen machten eine Strategie daraus. Sie gingen davon aus, dass Klassenbewusstsein unmittelbar, spontan aus dem betrieblichen, gewerkschaftlichen Kampf erwachsen würde - und demzufolge die Aufgabe der revolutionären Partei nur darin bestünde, dieses Bewusstsein, das von unten entsteht, zum Ausdruck zu bringen.

Lenin nannte dies Ökonomismus und kritisierte diese falsche Vorstellung von der Entstehung revolutionären Klassenbewusstseins scharf.

Mit wirtschaftlichen Forderungen und Kämpfen allein werden weder die Funktionsweise des Kapitalismus, die Beziehungen zwischen den Klassen und erst recht nicht die Notwendigkeit eine verallgemeinerten politischen Kampfes oder gar der Notwendigkeit, das System zu stürzen, spontan einsichtig. Gerade, weil Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen auf des Basis des Systems der Lohnarbeit stattfindet, kann die Ausbeutung, die Schaffung von Mehrwert, nicht unmittelbar, sondern nur in Verkehrung, also im Arbeitslohn erscheinen. Was für den Arbeitslohn erscheint, gilt aber letztlich für alle gesellschaftlichen Beziehungen.

Werden diese nicht offen diskutiert, ja ins Zentrum der Betrachtung gestellt, so bleibt eine Konferenz von linken Aktiven und Funktionären der Gewerkschaften unvermeidlich an der Oberfläche.

Zum Ausgangspunkt müsste eine Konferenz vielmehr das große, globale Bild der kapitalistischen Krise, der verschärften Konkurrenz sowohl zwischen den Unternehmen wie den Staaten, die die Welt in ihrem Interesse neu aufteilen wollen. Gewerkschaftliche Arbeit, die unter diesen Bedingungen bestehen will, muss daher notwendig auch politische Arbeit sein. Das steht in keinem Gegensatz zur genauen Auswertung betrieblicher Erfahrungen oder sozialer Kämpfe. Im Gegenteil, nur wenn wir beides leisten, wird ein Schuh daraus.

Erst ein Gesamtblick auf die aktuellen grundlegenden Entwicklungstendenzen erlaubt die tag-täglichen Erfahrungen, die Möglichkeiten und Grenzen gewerkschaftlicher u.a. Kämpfe zu erfassen. Umgekehrt braucht die Analyse die Vermittlung mit der tag-täglichen Erfahrung, um für diese nutzbar, fruchtbar gemacht, zu einem System von Forderungen, zu einem Aktionsprogramm zusammengefasst zu werden.

Basisbewegung

Eine zentrale politische Schlussfolgerung, die sowohl aus der Analyse der reaktionären Rolle der reformistischen Gewerkschaftsführungen, der Bürokratie als abgeschottete Kaste und des sozialpartnerschaftlichen Systems wie aus der Erfahrung vieler Kämpfe und AktivistInnen folgt, ist die: Wir brauchen eine organisierte, politische Opposition in den Betrieben und Gewerkschaften, die für ein klassenkämpferische und internationalistische Politik, gegen Sozialpartnerschaft, Standortlogik und die Gewerkschaftsbürokratie kämpft! Kurz, wir brauchen eine klassenkämpferische Basisbewegung, die nicht nur mehr Aktivismus vertritt, sondern auch ein alternatives Aktionsprogramm. Diese Basisbewegung muss perspektivisch mit dem Aufbau einer revolutionären Gewerkschaftsfraktion und dem Wirken einer revolutionären Partei verbunden sein.

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Nr. 193, Oktober 2014
*  Streikkonferenz: Renovierte Apparate oder Basisopposition
*  Gewerkschaftseinheit: Ja - aber wie?
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