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TTIP

Stoppt die Wirtschafts-Nato!

Hannes Hohn, Neue Internationale 192, September 2014

Nach den vielen Jahren neoliberaler Zurichtung unseres Planeten scheint es so, als gebe es keinen Bereich und keinen Ort mehr, wo der entfesselte „freie Markt“ nicht schon Einzug gehalten hätte. Und doch: mit dem „Transatlantik Trade and Investment Partnership“ (TTIP), das von den USA, Kanada und der EU ausgehandelt wird, droht schon die nächste Attacke der Profitritter.

Die Großkonzerne diktieren

Das TTIP-Abkommen soll die Bedingungen für den Handel und v.a. für Investitionen neu regeln. Geplant ist, eine Freihandelszone aus USA/Kanada und EU, welche die Waren- und Kapitalflüsse zwischen den beiden imperialistischen Blöcken ankurbelt, den großen Monopolen Vorteile gegenüber ihren globalen Konkurrenten verschafft und für höhere Profite sorgt. Allein die US-Geflügelwirtschaft hofft, mit dem TTIP jährlich 500 Mill. Dollar zusätzlichen Umsatz in Europa machen zu können. Dafür würden dann die Verbraucher in der EU mit Chlor-behandelten Hähnchen beglückt werden, die bisher in Europa verboten waren.

Das TTIP, das 2015 in Kraft treten soll, würde diverse Einzelregelungen zwischen Konzernen und Staaten (Investor-to-State Dispute Settlements, ISDS), die es bereits gibt, auf eine allgemein gültige Grundlage stellen, so dass es für Streitfragen zwischen Investoren und Staat, die bisher einzeln geregelt werden mussten, eine generelle Rechtsgrundlage gibt. Allein Deutschland hat bereits über 140 solche ISDS-Regelungen ausgehandelt, die EU-Kommission 48, weitere 80 stehen vor dem Abschluss.

Das Besondere solcher Regelungen und des TTIP besteht darin, dass die rechtliche Stellung von Konzernen ausgeweitet wird und sie so eine bessere Position haben, um bei Streitigkeiten mit Staaten oder Gewerkschaften Recht zu bekommen. „Politische Entscheidungen nach den Vertragsabschlüssen sollen die Investitions- und Profitpläne, auch wenn die neuen politischen Regeln demokratisch zustande kommen, nicht stören dürfen.“ (isw-Report 197, S. 4)

Zu diesem Zweck werden sog. Schiedsstellen eingerichtet, welche die dann geltenden Sonder-Klage-Rechte von Konzernen behandeln. Bisher, im Rahmen der WTO, konnten nur Staaten gegen Staaten klagen; gemäß dem TTIP hätten dann auch Unternehmen dieses Recht. Die Schiedsgerichte sind allerdings keine „Rechtsorgane“ im herkömmlichen Sinn, sondern Strukturen, in denen Juristen und „Fachleute“ der Konzerne mit den Staatsvertretern verhandeln. Von einer demokratischen Kontrolle oder der „Unabhängigkeit“ der Justiz kann in einem solchen Fall dann keine Rede mehr sein. Bezeichnend ist auch, dass es gegen die Entscheide dieser Schiedsstellen keine Berufungsmöglichkeiten gibt.

Von besonderer Bedeutung beim TTIP ist, dass zwischen den USA/Kanada und der EU eine Angleichung von Regelungen und Standards erfolgen soll, die viele Bereiche betreffen, z.B. Produktstandards und Umweltrichtlinien. Dabei sollen dann möglichst jene gelten, welche die höchsten Profite sichern. So sind etwa die Richtlinien für Lebensmittel in der EU höher als in den USA. Eine Angleichung würde z.B. bedeuten, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel aus den USA auf den europäischen Markt kommen könnten, wie auch andersherum europäische Anbieter die lascheren Normen auf dem US-Markt nutzen könnten.

Durch das TTIP sollen auch Hemmnisse und Risiken für Auslands-Investitionen abgebaut werden und für schon erfolgte Investitionen die Möglichkeit geschaffen werden, zu klagen, wenn durch Gesetze oder Streiks Gewinneinbußen eintreten. Dieses Klagerecht soll es sogar für erst noch zu erwartende Gewinne geben. Was hier noch geradezu absurd klingt, ist allerdings weltweit schon bittere Realität, wie etliche Fälle zeigen.

Angriff auf die Arbeiterklasse

Die neoliberalen Befürworter des TTIP - von Prof. Sinn vom IFO-Institut über die Wirtschaftsverbände bis hin zur Bundesregierung - versprechen sich höhere Wachstumsraten, mehr Investitionen und in Folge dessen auch mehr Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Doch die Erfahrungen mit der Einführung solcher Regelungen wie dem TTIP in anderen Ländern zeigen, dass sich die Sache für die Lohnabhängigen ganz anders darstellt. Arbeitsplätze gehen oft verloren, die Standards von Löhnen und Arbeitsbedingungen sinken und - vor allem - die juristischen und politischen Bedingungen, um sich gegen Verschlechterungen zu wehren, verschlechtern sich. Insofern ist die Bezeichnung „Wirtschafts-Nato“ für das TTIP gerade hinsichtlich der damit verbundenen Angriffe durchaus zutreffend.

Die Ursache hierfür ist u.a., dass die USA bisher viele Normen, die von der Arbeitsorganisation der UNO, der ILO, gesetzt sind, nicht unterzeichnet wurden, darunter so wichtige Rechte wie das auf Koalitionsfreiheit, auf kollektive Tarifverträge und auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Mann und Frau. Die Angleichung der Verhältnisse in der EU an jene in den USA, wo die Rechte der Beschäftigten wie der Gewerkschaften in aller Regel schlechter als in Europa sind, hätte also fatale Folgen. Nach den Angriffen auf Lohnniveaus und Flächentarife durch die Hartz-Reformen käme mit dem TTIP der nächste Angriff. Neu wäre allerdings, dass die Hartz-Reformen die juristischen Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften nicht eingeschränkt haben, während mit dem TTIP Regelungen eingeführt würden, die gewerkschaftlichem Handeln und jedem Widerstand tendenziell  die juristische Rechtfertigung untergraben, d.h. die Klassenkampfbedingungen würden sich verschlechtern.

TTIP als Krisenmanagement

Auf den ersten Blick erscheint die Einführung des TTIP also als Erfolgsgeschichte für das große Kapital. Doch so einfach ist es nicht.

Hintergrund des TTIP ist das Scheitern der WTO, global ein neoliberales System zu etablieren, das den führenden imperialistischen Mächten erlaubt, weltweit „durchzuregieren“. Die letzten drei WTO-Gipfel führten zu keiner Einigung - kein Wunder, war die WTO-Bilanz für viele Entwicklungsländer doch klar negativ. Selbst „Boom-Staaten“ wie Brasilien oder China haben sich bis jetzt geweigert, ISDS-Absprachen zu treffen.

Die Sackgasse, in der sich der WTO-Prozess befindet, ist also ein Grund dafür, dass die imperialistischen Staaten und deren Konzerne nach neuen Wegen suchen, ihre Ziele zu erreichen. Und so gibt es weltweit hunderte Einzelvereinbarungen, mit denen sich die Konzerne genügend Ellbogenfreiheit gegenüber den Staaten und der Arbeiterbewegung verschafft haben.

Ein anderer Grund für die geplante Einführung des TTIP ist die berechtigte Angst der Bourgeoisien aus Nordamerika und Europa, gegenüber der Konkurrenz aus Asien das Nachsehen zu haben. Schon heute repräsentieren die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) eine ökonomische Macht, deren Anteil an der Weltwirtschaft stetig am wachsen ist. Das TTIP ist ein Versuch von USA und EU, dagegen zu halten. Damit ist aber auch klar, dass das TTIP die globale Konkurrenz weiter anheizt und nur das Vorspiel für die nächste Runde neoliberaler Weltmacht-Projekte ist.

Wie wichtig das Zustandekommen des TTIP ist, zeigt sich schon allein daran, dass USA und EU aktuell immer noch fast die Hälfte des Welt-Brutto-Sozialprodukts erzeugen. Die USA sind zwar nach wie vor die mit Abstand stärkste imperialistische Macht, aber eine, deren Stellung immer mehr bedroht ist, die sich im Niedergang befindet. Die EU ist aufgrund ihrer inneren Gegensätze in den letzten Jahren weiter hinter die USA, aber v.a. auch China zurückgefallen.

Ein gemeinsamer Block würde (a) die Position der USA festigen (auch gegenüber der EU), (b) aber auch der EU die Chance zur Verbesserung ihrer Stellung auf Kosten gemeinsamer Konkurrenten liefern. Zugleich zeigt sich hier aber auch schon die Konfliktlinie, an der auch das TTIP zerbrechen könnte: die Konkurrenz zwischen den USA und einer EU, die sich unter deutscher (und französischer) Führung weiter formieren soll.

Widerstand

Selbst im bürgerlichen Lager wurde Kritik laut, weil die Verhandlungen im Geheimen ablaufen. Das EU-Parlament bleibt außen vor und darf allenfalls einige Beobachter entsenden, während die EU-Kommission mit den Konzern-Lobbyisten verhandelt. Wer bisher noch geglaubt haben, dass die EU eine demokratische Veranstaltung ist, dem wird es wohl spätestens jetzt klar.

Die Geheimnistuerei bei den Verhandlungen, die Klagerechte für die Konzerne, die Schiedsgerichte - all das sind Beispiele dafür, wie selbst die bürgerliche Demokratie unterwandert und ausgehebelt wird. Kanzlerin Merkels Worte, dass die Demokratie „marktgerechter“ sein müsse, werden hier Realität.

Dass der WTO-Prozess nicht ganz nach den Vorstellungen des Imperialismus lief, lag auch daran, dass es zunehmend Protest und Widerstand gegen die Einführung neoliberaler Regelungen gab. Zuerst äußerte sich der Protest 1999 in Seattle, dem Beginn der „Anti-Globalisierungs-Bewegung“. Auch wenn diese aufgrund ihrer reformistischen Führungen (und der Anpassung vieler Linker an deren Konzepte) und ihrer strukturellen Schwächen (informelle Strukturen, wenig Verbindungen zur Arbeiterbewegung) und des Fehlens einer klassenkämpferischen und antikapitalistischen Perspektive und Führung kaum über Proteste hinaus gelangte und wenig Schlagkraft entwickelte, so war sie doch in der Lage, einen gewissen politischen Druck aufzubauen. Dieser führte v.a. in halbkolonialen Ländern dazu, dass sich deren Regierungen (natürlich auch auf Druck ihrer eigenen Bourgeoisien, die fürchteten, unter die Räder zu kommen) und etliche Gewerkschaften und NGOs gegen die Pläne der WTO wandten.

Dasselbe Bild bietet sich heute. Die sog. Globalisierung - am Anfang von den Ideologen der „freien Marktwirtschaft“ als Möglichkeit, weltweit Wohlstand zu generieren, hochgejubelt - erweist sich immer deutlicher als ein Weg, der zu Billigjobberei, zum Aushebeln sozialer Standards und zu noch stärkerer Abhängigkeit der ärmeren Länder führt. Zudem führte sie nicht ins Schlaraffenland, sondern in die Krise, die 2008 offen und massiv ausbrach.

Die Haltung des DGB

Die deutschen Gewerkschaften haben immerhin bemerkt, dass die Einführung des TTIP die Grundfesten ihrer Existenz berühren würde. Die letzten Kongresse von DGB und IG Metall haben sich daher zum TTIP skeptisch bis ablehnend geäußert. Doch konkrete Maßnahmen wurden nicht festgelegt. Auch von politischem Druck auf die Parteien - insbesondere auf die SPD bzw. die europäische Sozialdemokratie - ist nichts zu spüren. Allein die LINKE hat sich bisher offen und deutlich gegen das TTIP ausgesprochen - mehr allerdings auch nicht. Dass diesen Worten auch Taten folgen werden, darf zumindest bezweifelt werden, denn dafür brauchte es z.B. eine organisierte Opposition im DGB, welche die LINKE ablehnt.

Seit Jahren trägt die IG Metall-Spitze treu alle Projekte des deutschen Imperialismus mit: militärische Auslandseinsätze oder Lissaboner Agenda, Lohnzurückhaltung oder Leiharbeit. Entsprechend groß war daher die Überraschung in Funktionärskreisen, als der neue IGM-Chef Detlef Wetzel einen Stopp der TTIP-Verhandlungen forderte:

„Die genauen Inhalte werden von einer kleinen Gruppe im Hinterzimmer verhandelt. Deshalb wollen wir, dass dieses Thema endlich in einer breiten Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Die Diskussion ist weder so richtig in den Parteien angekommen, noch in den Gewerkschaften oder bei den Arbeitgebern. Zweitens halten wir das Abkommen für gefährlich: Es hat keinen erkennbaren Nutzen, würde aber viel Schaden anrichten. (…) In der künftigen EU-USA-Zone sollen Kosten und Standards auf ein Niveau abgesenkt werden, das mit dem chinesischen konkurrieren kann. Das kann doch niemand wollen. Wir sind daher für einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen.“ (Frankfurter Rundschau 3.4.14)

Pikant ist nun aber, dass die US-Gewerkschaften sich vom TTIP etwas versprechen, weil die USA zum ersten Mal mit einem Staatenbund mit Arbeitsstandards verhandeln, die höher sind als jene in den USA. Daher hoffen sie, dass die USA dann die ILO-Kernarbeitsnormen endlich ratifiziert. Die US-Gewerkschaftsbosse glauben nun mit Hilfe von EU-Bürokraten zu schaffen, was sie bisher weder aus eigener Kraft noch durch Unterstützung der Demokratischen Partei erreichen konnten.

Doch solche Abkommen haben noch nie die Rechte der Beschäftigten ausgeweitet, sondern eher eingeschränkt. Und selbst wenn ein Teil der Rechnung der US-Gewerkschaftsspitzen aufginge, wäre deren „Erfolg“ auf dem Schaden für die europäischen Lohnabhängigen gegründet.

Sicher wird das TTIP nicht genau so, wie es von US-amerikanischer Seite v.a. in Bezug auf die Absenkung der Arbeitsstandards und Gewerkschaftsrechte gewünscht wird, durchkommen. Doch es droht die übliche Debatte, nach der als „Gegenleistung“ für in Aussicht stehende höhere Wachstumsraten und mehr Arbeitsplätze ja einige Rechte der Gewerkschaften und der Lohnabhängigen aufgegeben werden könnten.

Ob das „Freihandelsabkommen“ überhaupt zustande kommt, oder aber an der auch mit dem TTIP natürlich nicht beendeten Konkurrenz zwischen den großen US- und den EU-Kapitalen scheitert, ist noch offen. Sollte es jedoch in Gänze oder in Teilen wirksam werden, würde das nicht nur eine neue, verschärfte Runde internationaler Konkurrenz einläuten, es würde auch eine neue Runde des neoliberalen Klassenkampfs von Oben bedeuten.

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