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Europäische Union

Juncker über alles?

Tobi Hansen, Neue Internationale 191, Juli/August 2014

Zum ersten Mal in der EU-Geschichte wird der Kommissionspräsident vom Parlament gewählt - nachdem der Vorschlag vom Ministerrat ausgeklüngelt wurde. Allerdings verhandelten nicht die Fraktionen des Parlaments über die Zusammensetzung der Kommission, sondern die Regierungschefs.

Die Große Koalition in der EU hat dabei wenig Überraschendes geliefert. Ähnlich dem deutschen Bundestagswahlkampf wurde zunächst Wahlkampf „gegeneinander“ betrieben, um danach um die Posten zwischen EVP (Europäischer Volkspartei) und SE (Sozialisten Europas) zu schachern. Zwischen den beiden Spitzenkandidaten ging es relativ fix, Schulz (SPD) bleibt EU-Parlamentspräsident (und tauscht diesen Posten nach zweieinhalb Jahren mit einem EVP-Kollegen), während Juncker die EU-Kommission übernimmt.

Widerstand gegen Juncker

Wer noch glaubte, dass die Hauptkontrahenten des Wahlkampfs danach auch um Posten kämpfen würden, wurde enttäuscht: sehr schnell verkündete die SE ihre Unterstützung für Juncker. Der größte Widerstand gegen Juncker kam aus Großbritannien. Unter Cameron verließen die Tories die Fraktion der EVP und schlossen sich der Fraktion der „Reformer und Konservativen“ an. Nach dem desaströsen Wahlergebnis versucht sich Cameron nun in Opposition gegen Juncker und Merkel. Bei den EU-Wahlen landeten die Tories nur auf Platz drei hinter der rechts-konservativen UKIP und Labour. Jetzt muss sich Cameron als EU-Gegner profilieren, wenn er nicht 2015 chancenlos in die nächsten britischen Wahlen gehen will.

Während die bürgerlichen Medien das Bild von Cameron vs. Juncker und Merkel verbreiten, wurde hinter den Kulissen die Politik der neuen Kommission verhandelt, denn darum gibt es Streit in der EU.

SE, die Grünen und auch die europäische Linkspartei hatten dabei nichts Besseres zu tun, also die Seite der EVP zu ergreifen. Nach den Attacken von Cameron gegen Juncker erfuhr dieser eine breite Unterstützung durch die vorgebliche Opposition im EU-Parlament. Dabei sprangen unaufgefordert besonders die deutschen Grünen, aber auch die Linkspartei dem EVP-Kandidaten zur Seite. Die Grünen hofften vielleicht noch auf einen Kommissionsposten, ähnlich wie die EU-Liberalen könnten sie dann beim Posten-Schacher besser mitmischen.

Dadurch hat sich quasi eine noch größere Koalition gebildet: für Juncker waren dann alle „Pro Europäer“, gegen Juncker sind die „Skeptiker“ und „Gegner“ der EU. In dieser Hinsicht wollten wahrscheinlich die Grünen und die Linkspartei im voreilenden Gehorsam ihre Unterstützung des imperialen EU-Projekts sicherstellen.

Konflikte innerhalb der herrschenden Fraktion

Zweifellos waren Merkel und auch die deutsche CDU mit ihrem „Spitzenkandidaten“ nie besonders glücklich. Juncker war einer der wenigen konservativen Regierungschefs in der EU, die Merkels strikter Austeritätspolitik widersprachen bzw. eher ein keynesianisches Modell vertraten. Hinter Juncker stehen daher auch die SE und ihre führenden Regierungschefs Hollande (Frankreich) und Renzi (Italien), aber auch der konservative Rajoy (Spanien). Letztlich wollen diese Staaten und ebenso Juncker eine Modifikation der bisherigen Sparpolitik.

Die zeitlichen Vorgaben des Fiskalpakts (EU-Schuldenbremse) sollen flexibler gehandhabt und  Investitionsprogramme von der EU voran gebracht werden. Diese Fraktion der herrschenden Klasse will einen Aufschub erreichen. Dahinter stecken ganz praktische ökonomische Interessen. In der Rezession bzw. Stagnation, in der viele Volkswirtschaften der EU sich befinden, lassen sich schlechter Geschäfte machen. Diese Teile der Bourgeoisie stehen daher im Konflikt mit Kapitalfraktionen aus Deutschland, Britannien, den Benelux-Staaten und Skandinaviens, welche ihre Gewinne wieder auf Vorkrisenniveau heben konnten und daran interessiert sind, dieses weiter auszubauen.

Das ist ein Grund, warum Merkels Unterstützung für Juncker recht lau ausfiel. Sie will Cameron als Unterstützer für weiteren Druck gegenüber Südeuropa. Wenn es um neoliberale Kürzungsdiktate geht, erwies sich in den letzten Jahrzehnte noch jede britische Regierung als verlässlich. Doch die Haltung Britanniens und die vorgebliche „Härte“ Camerons spiegeln auch zwei andere Faktoren wider.

Camerons Motive

Erstens ist da die innenpolitische Schwäche des Premiers. Bei der Abstimmung im Ministerrat profilierte sich dann Cameron für den eigenen Wahlkampf im nächsten Jahr mit der einzigen Oppositionsstimme im „nördlichen“ imperialen EU-Block gegen die deutsche Vorherrschaft. Um dies zu untermauern, wurden auch die AfD und die Dänische Volkspartei in die Parlamentsfraktion der Tories aufgenommen. Allerdings hätte nach dieser Logik eigentlich auch Camerons britischer Widerpart UKIP aufgenommen werden müssen ...

Zweitens zeigen sich auch die tiefer werdenden strategischen Gegensätze zwischen dem britischen Imperialismus einerseits und dem deutschen Imperialismus andererseits. Für die Formierung eines starken, von Deutschland gemeinsam mit Frankreich als schwächerem „Partner“ geführten imperialistischen EU-Blocks ist der britische Imperialismus ein zentrales Hindernis, weil er zwischen den USA und der EU schwankt, weil seine eigene Rolle als imperialistische Macht auf der Balance dieses Gegensatzes beruht. Daher ist der Ruf nach „weniger Brüssel“ für die britische Regierung nicht nur Demagogie, sondern auch ein verhüllter Ruf nach „weniger Berlin“.

Es sind solche Widersprüche zwischen dem deutschen Imperialismus und der EU, welche die Situation prägen. Auf der einen Seite haben die verschärfte Konkurrenz und die Austeritätspolitik die Stellung des BRD-Kapitals gestärkt, auf der anderen Seite haben ganze Ökonomien abgewirtschaftet und das Projekt EU ist sozial zerrissen, was die EU als Ganzes gefährdet. Auf die EU als Binnenmarkt ist aber das deutsche Finanzkapital angewiesen, also ist es auch an deren Zusammenhalt interessiert.

In der Hinsicht ist Juncker wiederum ein optimaler Kandidat, weil stets darauf bedacht, die Interessen des Finanzkapitals durchzusetzen. So könnte er nun mit Auflockerungen im Fiskalpakt Frankreich, Italien und Spanien mehr Spielraum zugestehen. Dies könnte wiederum den EU-Gegnern etwas den Wind aus den Segeln nehmen, schließlich ist eine PS-Regierung von Hollande sehr viel besser vorstellbar für alle europäischen Kapitalfraktionen, als eine Regierung der Front National in Frankreich.

Mitregieren oder Klassenkampf?

Trotz mancher innerer Konflikte wird auch die kommende Kommission versuchen, die Hauptanliegen der stärksten Kapitalfraktionen durchzusetzen, dazu ist sie da, auch wenn es Konflikte über Tempo und Schärfe der Austeritätspolitik gibt. Millionen von Beschäftigten wurden  in den letzten Jahren entlassen, als Arbeitslose verarmten sie, als RentnerInnen werden ihre Bezüge unters Existenzminimum gekürzt und bei den Jugendlichen wird eine ganze Generation in Südeuropa derzeit aussortiert. Diese Politik im Namen der Profite und der Ausbeutung wird  weitergehen, schließlich will die EU bei der Neuaufteilung der Welt stärker mitreden.

Umso verwerflicher ist daher die Unterstützung Junckers durch die europäische Linkspartei. Anstatt sich hier als „pro europäisch“ - wohlgemerkt für ein imperialistisches Europa - und als  regierungsfähig zu präsentieren, hätte die Linkspartei mal für ein Programm gegen den sozialen Kahlschlag in der EU werben und das abgekartete Spiel zwischen EVP und SE als solches entlarven können.

Für die Menschen in der EU, die aktiv in den Kämpfen gegen die Krise stehen, muss die Aufgabe nun darin bestehen, neue klassenkämpferische Organisationen aufzubauen, welche die politischen  Schwächen und die Zersplitterung der radikalen Linken überwindet. Wir brauchen nicht die nächste reformistische Kraft, welche zur Not jede bürgerliche Politik unterstützt, wir brauchen klassenkämpferische Organisationen, die der kapitalistischen EU den Kampf ansagen.

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Nr. 191, Juli/Aug. 2014
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*  Streikrecht: Wie weiter gegen die 'Tarifeinheit'?
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